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Auditorium in der Postfinancearena, sonst Heimat des Eishockeyclubs Bern. Foto: fedpol Bern

Abschied von der analogen Welt

4. internationales Symposium „Neue Technologien“ in Bern

Von Peter Sehr, Stellv. Chefredakteur

Am 27. und 28. 11. 2013 führten die Bundeskriminalpolizei Bern, das Bundeskriminalamt Österreich, das Bundeskriminalamt Wiesbaden sowie das Strategische Innovationszentrum im Bayerischen Landeskriminalamt ihr 4. Internationales Symposium „Neue Technologien“ in Bern durch. Mit Spannung wurde diese Veranstaltung von Technologen, Wissenschaftlern und polizeilichen Strategen erwartet, ist sie doch mittlerweile die größte und gehaltvollste Plattform zur Darstellung neuer technologischer Ideen und zum Gedankenaustausch im deutschsprachigen Raum, ja mittlerweile in ganz Europa.

Ich durfte diese Veranstaltung moderieren. Hier exklusiv ein kurzer Überblick.

 

Die Idee des Symposiums

Die diesjährige Veranstaltung befasste sich mit dem Dauerbrenner Internet. Unter dem Titel „Ubiquitäres Computing/Allgegenwärtiges Internet –Abschied von der analogen Welt“ stellten Wissenschaftler Projektideen vor und zeigten Spezialisten künftige Problemstellungen auf, die erhebliche Einflüsse auf die polizeiliche Welt haben werden oder haben können.

Über 180 Teilnehmer aus Österreich, der Schweiz, Deutschland und anderen EU- Staaten, aber auch Gäste aus Veranstalter und Moderator: Dieter Stüssi von der fedpol Bern und Peter Sehr. Foto: fedpol Bernder Türkei und Australien, für die eine Simultanübersetzung ins Englische zur Verfügung stand, verfolgten gespannt die teilweise sehr innovativen und anregenden Beiträge. Bereits zum zweiten Mal erreichte die Veranstaltung eine Kapazitätsgrenze für ihre Machbarkeit, trotz der großzügigen Räumlichkeiten der Postfinance-Arena in Bern-Wankdorf .

Ein Rückblick auf das letztjährige 3. Symposium, in dem Themen über digitale und analoge Spuren menschlichen Verhaltens betrachtet wurden, zeigte, dass durchaus Themen durch Polizei und Wissenschaft aufgegriffen und weiter verfolgt wurden. Die Kooperation bezeichnete daher folgerichtig auch als ein wichtiges Ziel des Symposiums das Herstellen von Kontakten und das Eingehen von Kooperationen zwischen Polizei auf der einen und Wissenschaft und Forschung auf der anderen Seite. Insbesondere habe die Polizei die Möglichkeit, sehr frühzeitig ihre Bedarfe der Forschung gegenüber zu artikulieren. Vorgestellte Projektinitiativen bieten darüber hinaus auch die Möglichkeit, dass polizeiliche Anwendungsgebiete der Forschung rechtzeitig bekannt werden, damit die Produkte auch in eine entsprechende Richtung, nämlich zu einer gezielten oder zumindest brauchbaren Nutzung durch die Polizei entwickelt werden können. Oftmals fehle es während der Projektarbeit an konkreten Nutzungsszenarien. Hier könnten Polizeiexperten einen sehr brauchbaren und von der Forschung gewünschten Input geben.

Tatsächlich kam es mehrmals zu Bitten der Referenten in ihren Vorträgen, dass die Polizei sie bei ihrer Projektarbeit unterstützen sollte.

 

Die Referate und Referenten

(Anmerkung: Es sind lediglich die Beiträge erwähnt, die nicht einem besonderen Schutzbedürfnis unterliegen. Teilweise sind nur kurze Anmerkungen möglich)

 

Big Data

Ein Highlight des Symposiums war der Impulsvortrag von Moshe Rappoport über „Big Data“.

Moshe Rappoport ist Executive Technology Briefer im IBM-Forschungslabor Zürich und dort seit 28 Jahren beschäftigt. Als gebürtiger New Yorker führte er, trotz eines angenehmen amerikanischen Akzentes, mit einfachen und klaren Worten aus, wie sich die Computertechnologie in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat und wo sie kurz- und mittelfristig, insbesondere bei der Nutzung von Smartphones, hinführt. Dabei betrachtete er auch die Entwicklung der großen Datenmengen.

Mit sehr viel Humor zeigte er sehr anschaulich, wo die Grenze zwischen „Digital Immigrants“ und „Digital Natives“ verläuft, und wie diese digitalen Generationen sich von den „Alten“, zu denen er sich trotz seines Berufes auch zählt, verläuft.

Er sparte auch nicht mit Eigenkritik, führte er doch aus, dass das Unternehmen IBM nur drei Jahre nach dem besten Firmenertrag kurz vor dem Aus stand, da eine entscheidende Entwicklung in der Computerwelt verschlafen wurde.

Heute, so Rappoport, müsse man viel näher an den tatsächlichen Bedarfen der Gesellschaft sein.

„Next best Action“ und „Any Time Any Place“ (womit die ubiquitäre Verfügbarkeit des Netzes und die Nutzung desselben gemeint ist) sind die Prämissen, die man im Auge haben muss.

 

Social Media Analytics, Open Data, Big Data“

Der folgende Referent, Mag. Bernhard Jäger, Forschungsmanager bei der Synyo GmbH/Österreich und Projektmitarbeiter am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien, zeigte an Hand interessanter Beispiele, wie Big Data für marktwirtschaftliche Interessen ausgewertet werden. Manchem Zuhörer wurde daraufhin klar, warum er nach einer Google-Recherche, z.B. nach einem Urlaubsdomizil in einem bestimmten Feriengebiet, plötzlich ungefragt Angebote im Internet erhält. Jäger verwies dabei auch auf die Notwendigkeiten des Datenschutzes wie auch der ethischen Betrachtung von Entwicklungen im Internet. Sein Vortrag enthielt auch die Bitte an die Polizei, künftig in den Netzen präsent zu sein. Insbesondere schätzte er die zukünftige Entwicklung so ein, dass der Bürger über Smartphone informiert werden will, was in seinem Umfeld gerade relevant ist.

 

Sichere Kommunikation für Blaulichtorganisationen

Helmut Schwabach, seit 2005 verantwortlich für Business Development im Department „Safety und Security“ für nationale und internationale Forschungsprojekte im Austrian Institute of Technology GmbH (AIT) Seibersdorf/Österreich, führte in seinem Beitrag „Sichere Kommunikation für Blaulichtorganisationen“ aus, dass es eine Tatsache sei, dass in Einsätzen schon lange das Handy oder neuerdings das Smartphone zur Einsatzsteuerung und anderen wichtigen Aktivitäten genutzt werden. Die reale Welt diktiere die Nutzungsgewohnheiten, nicht die Vorstellungen von Entwicklern oder Businessleuten. Die Vernetzung der öffentlichen und privaten Kommunikationswelten sei daher zu realisieren, bis hin zu „bring your own device“, also die Nutzung des privaten Smartphones im öffentlichen Auftrag.

 

Interactive See-Through Head-Mounted Display by Bi-directional OLED on- Silicon Microdisplay

Hinter diesem sperrigen Titel verbarg sich eine vom Referenten Uwe Vogel, Leiter des Geschäftsfeldes „OLED Augmented Reality: Die Fraunhofer COMEDD Brille, demonstriert von Uwe Vogel. Foto: fedpol BernMicrodisplays & Sensors in der  Fraunhofer Einrichtung COMEDD in Dresden, verständlich vorgetragene Präsentation über die Vorzüge organischer LED gegenüber dem herkömmlichen LED. Als Highlight brachte er eine interaktive Brille mit. Diese ist am ehesten mit der Google Brille zu vergleichen, geht aber mit ihren Möglichkeiten weit über das Leistungsvermögen des Konkurrenzmodells hinaus.

So lassen sich z.B. virtuell projizierte Ausschnitte innerhalb des Sichtfeldes mit den Augen steuern. Deutlich wurde das mit der Projektion einer Weltkarte, die sich je nach intensiverer Betrachtung z.B. des Ausschnitts der Antarktis, den Steuerungswünschen anpasste und die Antarktis in den Mittelpunkt rückte.

Dieses Beispiel zeigte, dass das Gebiet der „Augmented Reality“ (erweitertes Wahrnehmungsvermögen durch Überlagerung der realen Welt mit virtueller Information), das im letzten Technologieradar des BKA eine sehr hohe Relevanz aufwies, bereits deutlich im prototypischen Stadium angekommen ist.

Die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten insbesondere für Spezialkräfte BOS, so Uwe Vogel, seien im Augenblick für ihn noch gar nicht überschaubar.

 

Energy Fraud and orchestrated blackouts, issues with wireless metering

Einen sehr interessanten Vortrag  hielt Cyril Brunschwiller, Leiter der Sicherheitseinschätzung undIT-Forensik bei der Compass Security Schweiz, über die Manipulierbarkeit und Angreifbarkeit von Stromnetzen.

 

Big Data Analyse forensischer Daten

Stefan Wagner vom Bayerischen Landeskriminalamt stellte in seinem Vortrag die polizeilichen Probleme bei der Suche nach auswertbaren Daten in großen Datenmengen dar und zeigte Möglichkeiten im Hinblick auf Datenfilterung und –selektion auf. Insbesondere eine virtuelle Laborumgebung im Netz könnte dezentrale Experten zu virtuellen Teams zusammenführen. Eine Konzentration von Spezialisten z.B. in München könnte sich dadurch erübrigen, die Arbeit durch heimatnahen Einsatz in den örtlichen Polizeibehörden deutlich attraktiver machen.

Nach einem Vortrag über die Auswirkungen auf die Gesellschaft bei Ausfall von öffentlichen Netzen startete der zweite Tag mit einem weiteren Vortrag zu großen Datenmengen.

 

Big Data- Internet und Cloud

Prof. Dr. Dr. Christoph Meinl, Geschäftsführer des Hasso-Plattner.Instituts Potsdam und ordentlicher Professor für Internettechnologien und –systeme an der Uni Potsdam, zeigte in seinem höchst interessanten Beitrag auf, wie sich Verbesserungen im technologischen Bereich auf die Verarbeitung großer Datenmengen auswirken wie beispielsweise die In-Memory-Technologie. Diese kann extrem viele Daten in den Arbeitsspeicher laden, wodurch komplexe Verarbeitungsprozesse in kürzester Zeit möglich sind. So ist es dem Hasso-Plattner-Institut in Zusammenarbeit mit SAP gelungen, eine Datenbank im Arbeitsspeicher zu integrieren.

Zukünftig würden die Rechner experimentelle Analysen anbieten können, was bedeutet, dass Rechner solange Daten untereinander verarbeiten, bis sich erkennbare Muster bilden. Diese Verfahrensweise würde zusätzlich zu der herkömmlichen statistischen Datenanalyse Anwendung finden und immer weiter Platz greifen. Eine Verknüpfung dieser beiden Welten müsse daher konsequenter Weise stattfinden. Bei diesen technologischen Entwicklungen seien aber auch ethische Gesichtspunkte immer mehr zu berücksichtigen.

 

Semantische Datenanalyse für IT-Forensik: Ein neuer Ansatz zur forensischen Textanalyse

Michael Spranger und Prof.  Dirk Labudde, beide an der University of Applied Sciences Mittweida/Sachsen, referierten über Wissensmodellierung und die Bildung von Ontologien bei unstrukturierten Datenmengen.

Ziele ihrer Arbeit sind das Kategorisieren und Strukturieren von Datenmengen unbekannter Art. Die erkannten Strukturen sollten schließlich Zusammenhänge aufzeigen können, die dem Betrachter bisher noch nicht erkennbar waren.

Diese Forschung könnte, so sie denn zu einem Ergebnis umgesetzt wird, große sichergestellte Datenmengen für eine polizeiliche Auswertung bearbeitbar machen. Deutlich wurde auch, welche Arbeit in diesem Projekt noch zu leisten ist.

 

Technologiemonitoring auf europäische Ebene

Holger Bölkow, Fachbereichsleiter „Neue Technologien“ im deutschen Bundeskriminalamt, gab einen Überblick über kürzlich entstandene Initiativen im Hinblick auf technologische Früherkennung in der EU. Insbesondere die deutsche Initiative bei der European Police Chiefs Conference, vertreten durch den Präsidenten des deutschen BKA, Jörg Ziercke, habe zu einer deutlichen Reaktion bei den Mitgliedsstaaten geführt, hier tätig zu werden. Es habe sich unter deutscher Leitung eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich nunmehr mit technologischer Früherkennung befasst und erst einmal alle Aktivitäten im europäischen Raum auflisten wird. Auf dieser Basis soll das weitere Vorgehen abgestimmt werden.

 

„Analytische Mehrwerte für die Polizeiarbeit

Oliver Röniger von der Fa. ORACLE Deutschland  referierte anhand der erkennbaren IT-Herausforderungen für die Polizei über Lösungen durch Einsatz von ORACLE Technologie insbesondere im Hinblick auf die Verarbeitung von Big Data. Dabei betrachtete er sowohl die Herausforderungen, die sich durch social media im Internet ergeben, als auch die anfallenden Datenmengen im Ermittlungsprozess. Bezogen auf verschiedene polizeiliche Handlungsfelder wie beispielsweise Wirtschaftskriminalität, Hehlerei oder Vorausschauende Analysen, zeigte er entsprechend angepasste ORACLE-Produkte zur Lösung dieser Problemstellungen.

 

Big Security Data? Empirische Bestandsaufnahme einer digitalen Vision

Den letzten Vortrag übernahm Matthias Leese, Forschungsassistent im Bereich der Sicherheitsethik der Uni Tübingen, Internationales Zentrum für Ethik in der Wissenschaft (IZEW).

Er führte aus, dass Big Data eigentlich eher ein nicht hinlänglich definierter Begriff sei und er der Definition Andersons folge, der Big Data als „das Ende jeder Theorie“ bezeichnete.

Diese Auslegung erlaube einen deutlich weiteren Blick auf das, was Big Data ausmache. Er zeigte dies am Beispiel Google auf, die zielgerichtet Werbung an potenzielle Kunden bringen wollen, ohne dass sie traditionelles Wissen über den Kunden bräuchten oder hätten. Die Angebote richteten sich nach dem Surf and Search Verhalten, was zu der Aussage führe, dass bei den gigantischen Datenmengen Korrelation (z.B. durch surfen und suchen) völlig ausreiche. Mit Amazon zeigte er ein weiteres Beispiel auf, wobei auch hier eine traditionelle Expertise völlig unterbleibt. Man könne nun Anderson folgen, der zukünftig Expertenwissen für entbehrlich hält, da viele Daten und schnelle Computer zur Verfügung ständen, die eigene interessante Korrelationsmuster erschaffen können.

Leese führte im weiteren Verlauf seines Vortrages die Zuhörer in eine neue Welt von Morgen und zeigte die Potenziale auf, der sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bedienen werden.

Er wies aber auch auf ein generelles Unbehagen hin, was über den reinen Datenschutz hinausreiche. Vielmehr seien Wissenskonstruktion, Temporalität und Rechtsstaat im Verhältnis zueinander betroffen.

 

Fazit und Ausblick

Erste Durchsichten der Fragebogen und viele persönliche Stellungnahmen von Teilnehmern zeigen, dass das 4. Symposium als äußerst gelungen bezeichnet werden kann.

Neben der hohen Qualität der Beiträge nutzen die Teilnehmer auch die Pausen oder das Beiprogramm am Abend zu intensiven Gesprächen.

Die Schlussmoderation enthielt daher nochmals den Appell an die Anwesenden, auf Basis der Vorträge initiativ zu werden und miteinander zu kommunizieren, um Kooperationsmöglichkeiten zu finden. Die Bedarfe wurden im Symposium mehr als ausreichend angesprochen.

Die Kooperation will neben einer zentralen Ansprechstelle, jeweils in den einzelnen Zuständigkeiten, auch nach einem halben Jahr evaluieren, ob und in welchem Umfang Kontakte untereinander aufgenommen wurden.

Zudem bat die Kooperation um Themenvorschläge für das 5. Symposium im Jahr 2014. Man muss nach dieser Veranstaltung kein Prophet sein, dass auch diese großes Interesse hervorrufen wird.