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Tätowierungen bei Polizeibeamten – Ansehensminderung oder Spiegelbild der Gesellschaft?

Von Rebecca Hantke

Wurden Tätowierungen zumindest in der westlichen Welt ursprünglich verschiedenen Randgruppen (z.B. Sträflingen, Matrosen) zugeordnet und waren eher negativ behaftet, so  sind sie in der heutigen Zeit in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden und gelten als Körperkunst und Ausdruck der Individualität. Doch wie viel dieser persönlichen Individualität ist im Polizeivollzugsdienst, insbesondere bei Uniformträgern, tolerabel? Die Uniform als sichtbares Zeichen für die Ausstattung ihrer Träger mit hoheitlichen Befugnissen soll die Neutralität eines Polizeibeamten zum Ausdruck bringen und unterstreichen. Die Uniform soll betonen, dass die Individualität eines Polizeibeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt1.

Somit setzt die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten des § 34 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) auch der Gestaltung des äußeren Erscheinungsbildes der Beamten Grenzen2. Der Dienstherr ist also legitimiert, besondere Anforderungen an das Erscheinungsbild von Beamten zu stellen, die verpflichtet sind, Uniform zu tragen3. Immer dann, wenn ein individuelles Erscheinungsbild den durch die Uniform vermittelten Anschein der Neutralität beeinträchtigen kann und daher aus dem Rahmen des Üblichen fällt, hat der Dienstherr die Möglichkeit, durch generelle und einheitliche Regelungen der übermäßigen Individualität einzelner Beamter einen Riegel vorzuschieben. Allerdings ist der Dienstherr verpflichtet, sich bei der Bewertung der Frage, wann etwas aus dem Rahmen des Üblichen fällt, an den Anschauungen zu orientieren, die in der heutigen facettenreichen Gesellschaft herrschen, und darf sich dabei dem Wandel dieser Anschauungen nicht verschließen.

Viele Dienstherren haben für den Bereich des Polizeivollzugsdienst durch Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder Bald alltäglicher Anblick in Umkleideräumen der Polizei?Verwaltungsvorschriften geregelt, dass es mit den Anforderungen an ein korrektes äußeres Erscheinungsbild unvereinbar ist, Tätowierungen im sichtbaren Bereich – dieser wird durch die Sommeruniform definiert – zu tragen. Tätowierungen im sichtbaren Bereich stellen daher aus Sicht verschiedener Dienstherren, unabhängig von der Größe oder dem Inhalt, bei der Einstellung in den Polizeivollzugsdienst noch immer einen Eignungsmangel dar.

Während in der Vergangenheit auch von Bewerbern akzeptiert wurde, dass sichtbare Tätowierungen mit dem Erscheinungsbild eines Polizeivollzugsbeamten nicht vereinbar sind und daher einer Einstellung entgegenstehen, müssen sich heute immer wieder die Verwaltungsgerichte mit der Frage beschäftigen, ob ein „Tätowierungsverbot“ durch den Dienstherrn eine zulässige Einschränkung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz darstellt.

Bereits im Jahr 2002 kam das Verwaltungsgericht Frankfurt zu dem Ergebnis, dass auch eine großflächige Tätowierung für sich genommen die persönliche Eignung zur Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst nicht entfallen lassen kann4. Im Jahr 2006 ging das Bundesverwaltungsgericht der Frage nach Individualität von Uniformträgern im Zusammenhang mit der Frage der Haarlänge nach. Das Gericht stellte klar, dass eine Beschränkung des Erscheinungsbildes uniformierter Polizeibeamter mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich vereinbar ist. Dies ist jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes nur dann der Fall, wenn die Einschränkung geeignet und erforderlich ist, um dienstliche Erfordernisse, nämlich die mit der Uniformpflicht verfolgten Zielsetzungen, zu fördern und die Grenzen der Zumutbarkeit für die Betroffenen zu wahren. Regelungen, die nur Beschränkungen für die Dienstzeit beinhalten, nicht aber für das Erscheinungsbild außerhalb des Dienstes von Bedeutung sind, sind immer unproblematisch möglich. Anders sieht es aus, wenn die Regelungen auch die private Sphäre des Beamten betreffen. Solche Regelungen nehmen dem Beamten die Möglichkeit, selbst zu wählen, wie er als Privatperson wahrgenommen werden möchte5. Sie stellen einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz dar und bedürfen daher zur Begründung der Geeignetheit und Erforderlichkeit besonders plausibler und nachvollziehbarer Gründe.

Das Verwaltungsgericht Weimar führt zu dieser Thematik aus, dass heutzutage dezente Tätowierungen ohne besondere Symbolik keine Rückschlüsse auf die gesellschaftliche Haltung und die Einstellungen der betroffenen Person zulassen würden. Sie seien in allen Bevölkerungsschichten zu finden, ohne dass die tätowierte Person mit Ablehnung zu rechnen hätte. Zweifel an der Integrität des Polizeivollzugsbeamten entstünden durch solche Tätowierungen nicht6.

Dennoch erteilte auch das Land NRW im Jahr 2012 einem Bewerber, der Tätowierungen von dem Schulterbereich bis zu den Unterarmen hatte, eine Absage mit der Begründung, Tätowierungen im sichtbaren Bereich stellten immer einen Eignungsmangel dar und stünden, da Einstellungen nach den Grundsätzen des § 9 BeamStG erfolgen müssten, einer Einstellung entgegen. Ebenso erging es einer weiteren Bewerberin, die an ihrem rechten Unterarm eine ca. 6 x 1,5 cm große Tätowierung hatte. Das Verwaltungsgericht Köln machte das Land NRW in diesem Fall mit Beschluss vom 29.03.2012 – 19 L 251/12 – darauf aufmerksam, dass Tätowierungen von minderer Größe und ohne besondere Symbolik in der heutigen Zeit nicht mehr als Ausdruck einer überzogenen Individualität anzusehen seien, die die Toleranz anderer übermäßig beanspruche. Das Verwaltungsgericht Aachen vertrat in seinem Urteil vom 29.11.2012 – 1 K 1518/12 – die Auffassung, es gebe keine Belege dafür, dass der Einsatz von tätowierten Beamtinnen und Beamten zu Provokationen und Gefährdungen dieser Beamten selbst oder ihrer Kollegen führe. Es erscheine ebenso gut denkbar, dass derartige Tätowierungen im Umgang mit ähnlich tätowierten Bürgerinnen und Bürgern nicht abschrecken, sondern vielmehr zu einer höheren Akzeptanz und einem größeren Respekt führen könnten.

Beachtenswert bei diesen beiden in NRW geführten Verfahren ist, dass das Land auf eine Regelung, die das Ministerium für Inneres und Kommunales im Jahr 1995, also vor knapp 18 Jahren, herausgegeben hat, zurückgreift, ohne diese Regelung mit den gesellschaftlichen Anschauungen in der heutigen Zeit abzugleichen und die Erforderlichkeit einer solchen massiv in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingreifenden Maßnahme zu überprüfen.

Sicherlich ist die Nichteinstellung von tätowierten Bewerbern in den Polizeivollzugsdienst ein geeignetes Mittel, um die Neutralität von Uniformträgern auch nach außen sichtbar deutlich zu machen. Fraglich ist jedoch, ob ein generelles Einstellungsverbot von tätowierten Bewerbern das erforderliche Mittel ist.

Weniger in das Persönlichkeitsrecht eingreifende Mittel, etwa die Anordnung, im Dienst immer ein langärmeliges Hemd zu tragen, um Tätowierungen an den Unterarmen zu  verdecken, würden bezüglich der nach außen zu verdeutlichenden Neutralität zu demselben Ergebnis führen. Bei einer solchen Maßnahme müsste der Bewerber im privaten Bereich keine Einschränkungen in Kauf nehmen, so dass eine solche Anordnung sicherlich auch dem Bewerber zuzumuten ist.

Darüber hinaus ist es nicht nachvollziehbar, dass sichtbare Tätowierungen zwar einen Eignungsmangel bei der Einstellung begründen, jedoch im späteren Berufsleben geduldet werden und auch der Verleihung der Eigenschaft eines Beamten auf Probe oder Lebenszeit oder einer Beförderung als Eignungsmangel nicht entgegenstehen. Theoretisch bedeutet dies, dass sich ein erfolgreicher Bewerber unmittelbar nach seiner Einstellung tätowieren lassen könnte, ohne dass dies weitere Konsequenzen nach sich ziehen würde. Hierzu führte das Verwaltungsgericht Frankfurt7 aus, dass unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von einem Bewerber nicht verlangt werden kann, keine Tätowierungen im sichtbaren Bereich zu tragen, wenn es nicht Praxis des Dienstherrn ist, dass Beamte, die sich nach der Ernennung eine Tätowierung stechen lassen, zur Entfernung angehalten werden.

Selbstverständlich ist Tätowierung nicht gleich Tätowierung. So muss auch weiterhin vor der Einstellung eines Bewerbers die persönliche Eignung in den Fokus genommen werden. Charakterliche Mängel können durch das Aussehen oder den Inhalt von Tätowierungen deutlich werden, sodass Tätowierungen auch in der heutigen Zeit noch einen Eignungsmangel darstellen können. Das Feststellen eines solchen Eignungsmangels kann aber nur eine Einzelfallentscheidung sein. Sich auf eine Regelung, die zwischenzeitlich knapp 18 Jahre alt ist, zurückzuziehen, ohne Bemühungen erkennen zu lassen, die Moderne auch in den öffentlichen Dienst einziehen zu lassen, könnte dem Arbeitgeber „Land“ mehr schaden als nützen.

Daher kann letztlich festgestellt werden, dass Tätowierungen sicherlich Geschmacksache eines jeden Individuums sind. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich in der Bevölkerung insgesamt die gesellschaftlichen Einstellungen zu Tätowierungen in den letzten Jahren grundlegend verändert haben. Selbst wenn die Mehrheit der Bevölkerung Tätowierungen für die eigene Person ablehnt oder allgemein nicht für vorteilhaft hält, kann sich der öffentliche Dienst diesem Wandel der Zeit nicht verschließen.

Denn der öffentliche Dienst ist in jeglicher Hinsicht, auch in Bezug auf das Tragen von Körperschmuck, nichts anderes als ein Spiegelbild der Gesellschaft.



 

[1] Vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 15.01.1999 – 2 C 11/98 - , juris Rd. 12; BVerwG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 C 3/05 - , juris; VG Weimar, Beschluss vom 13.08.2012 – 4 E 824/12 We - , juris; VG Köln, Beschluss vom 29.03.2012 – 19 L 251/12 – juris;

[2] Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.1999 – 2 C 11/98 - , juris

[3] Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.2006 – 2 C 3/05 - , juris

[4] Vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 14.02.2002 – 9 G 411/02 - juris

[5] Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.06.2006 – 2 C 3/05 - , juris; BVerfG, Beschlüsse vom 16.03.1971 – 1 BvR 52, 665, 667, 754/66

[6] Vgl. VG Weimar, Beschluss vom 13.08.2012 – 4 E 824/12 We - , juris

[7] Vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 14.02.2002 – 9 G 411/02 - juris