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Einsatz für einen privaten Sicherheitsdienst in Kabul: Dennis Gögel (hinten, Mitte) ist als Supervisor dabei. Foto: FB/Archiv G

Seitenwechsel eines Personenschützers

Von Klaus-Henning Glitza

Es ist der Stoff, aus dem die Thriller sind. Ein deutscher Personenschützer mutierte zum Auftragsmörder und sieht jetzt in New York City seinem Prozess entgegen. Die Anklage lautet unter anderem auf Verschwörung zum Mord an einem US-Drogenfahnder und dessen Informanten sowie illegalem Drogenhandel. Angesichts der erdrückenden Beweislage gibt es wenige Chancen, dass der ehemalige Bundeswehrsoldat in den nächsten Jahrzehnten wieder auf freien Fuß kommt. Ein Personenschützer, der die Seite wechselte.

Dabei hatte Dennis Gögel auf so ziemlich alle, die ihn zum ersten Mal sahen, einen überaus positiven Eindruck gemacht. Ein ernsthafter junger Mann mit Manieren, der nach der Maxime „Konstant lernen und wachsen“ zu leben schien. Sportlich, durchtrainiert, ein Ex-Soldat mit Kosovo-Erfahrung und militärischen Auszeichnungen, der nun nach einer angemessenen zivilen Anschlussverwendung im Personenschutz suchte. Jeder, der ihn oberflächlich kennen lernte, traute ihm zu, dass die neue Karriere glücken würde. Doch dann kam es anders, ganz anders. Derzeit sitzt Dennis Gögel zusammen mit weiteren Mittätern im Hochsicherheitstrakt eines US-Gefängnisses im Raum New York City.

Wie konnte aus Dennis Gögel ein Mensch werden, der kaltlächelnd und ohne mit der Wimper zu zucken bereit war, das Leben anderer auszulöschen? Der heute 28-Jährige hat es in der Kindheit nicht einfach. Aber es ist ein Schicksal, dass Zehntausende Andere mit ihm teilen, ohne auf die schiefe Bahn zu kommen. Die Mutter stirbt, als er vier Jahre alt ist; er wächst bei seinen Großeltern auf. Trotz des Schicksalsschlages scheint zunächst alles normal zu verlaufen. „Ein guter Junge“, wie die Oma sagt.

Auf Außenstehende wirkte er seriös und diszipliniert: Dennis Gögel. Foto: N/ Archiv GDennis Gögel, Jahrgang 1985, absolviert eine Integrierte Gesamtschule im niedersächsischen Landkreis Schaumburg. Am 1. Oktober 2006 verpflichtet er sich als Zeitsoldat für vier Jahre bei der Bundeswehr. Er dient unter anderem im Scharfschützenzug des Panzergrenadierbataillons 411 im vorpommerschen Pasewalk. Ein Einsatz im Rahmen der Kosovo Force (KFOR) führt ihn von Juli bis September 2009 nach Prizren und Mitrovica, beides berüchtigte Krisenherde in der wohl instabilsten Region Europas. In der ehemaligen jugoslawischen Provinz, zu Deutsch Amselfeld, lernt der Soldat, sich in einer feindseligen Umgebung unter kriegsähnlichen Bedingungen zu bewegen.

Dennis Gögel bewährt sich und bringt es bis zum Stabsgefreiten. Ein Mannschaftsdienstgrad, Besoldungsstufe A 5, der zwischen Hauptgefreiter und Oberstabsgefreiter liegt und nach minimal 36 Monaten Wehrdienst verliehen werden kann.

Nach dem Bundeswehrdienst betätigt sich Gögel in der privaten Sicherheit. Er absolviert so ziemlich jede Ausbildung, die in dieser Berufsrichtung möglich ist. Sachkundeprüfung nach Paragraph 34a der Gewerbeordnung, Fachkraft für Schutz und Sicherheit, Waffensachkundeprüfung, Lehrgänge für Ermittlungen, Medic-Ausbildungen.

Afghanistan ist seine erste Station. Von November 2010 bis Februar 2011 ist er als Supervisor für Close Protection Vom Militär kaum zu unterscheiden: Einsatz eines privaten Sicherheitsdienstes in der afghanischen Provinz Ghazni, südwestlich von Kabul. Foto: Archiv Glitza(unmittelbarer Personenschutz) für eine der zahlreichen Security Services in Kabul im Einsatz. Anschließend arbeitet der Ex-Soldat bei einer Firma in Hannover als Kaufhausdetektiv und  Security Guard. Im Oktober 2011 wechselt Dennis Gögel in den Bereich der maritimen Sicherheit. Zusammen mit weiteren Schießkundigen wird er im bewaffneten Begleitschutz von deutsch bereederten Schiffen, namentlich in so genannten High-Risk-Areas (Golf von Aden, Golf von Guinea), aktiv. Ein Job im Military-Look: ballistische Schutzbrille, Schutzweste, eine uniformähnliche Einheitskleidung und natürlich Waffen. Gögel findet sich im Kreise ehemaliger Soldaten wieder. Viele seiner Kollegen haben in Eliteeinheiten gedient und freuen sich, dass sie ihre erlernten Fähigkeiten zur Piratenabwehr einsetzen können.

Mehrfach wechselt Gögel den Arbeitgeber. Eine Eigenschaft wird sichtbar, die bisher nicht so deutlich war. Der Ex-Soldat scheint stets dahin zu streben, wo das meiste Geld fließt. Und er lernt das gute Leben zu schätzen. Er verdient gut, um die 6.000 Euro. Und er bewegt sich, wenn er an Land geht, in Ländern, in denen dieses Monatssalär das durchschnittliche Jahreseinkommen der Bevölkerung bei weitem übersteigt. Kein Vergleich mit den „Peanuts“, mit denen er als Kaufhausdetektiv abgespeist wurde. Eine ganz andere Liga und ein ganz anderes Leben.

Beruflich ist der junge Mann auf einer guten Schiene. Anti-Piraterie-Teams sind gefragt, wenn es auch Zeiten der Kräftemessen von Securitys an Bord eines geschützten Schiffes. Foto: FB/Archiv GFlaute gibt. Im privaten Leben aber läuft es derweil nicht so gut. Der äußerlich ruhig und diszipliniert wirkende junge Mann neigt zu hochaggressiven Ausbrüchen. Eines Tages bekommt das ein Taxifahrer in Hannover  schmerzlich zu spüren. Die Sache hat ein strafrechtliches Nachspiel. Vor Gericht  fallen Begriffe wie Söldner. Der junge Mann wird wegen Körperverletzung verurteilt. Er geht zwar in Berufung, aber der Erfolg des zweiten Rechtszuges ist mehr als fraglich. Dem Ex-Soldaten wird bewusst, dass er mit einem Eintrag im Bundeszentralregister für die maritime Sicherheit nicht mehr infrage kommen wird.

Dennis Gögel zieht die Konsequenz und orientiert sich um. Bei der Jobsuche stößt er auf ein besonderes Angebot, dessen Aufgabenspektrum mit Close Protection für Familien und Surveillance (Observation) umschrieben wird. Eine verlockende Offerte und eine reizvolle Location. Der Jobanbieter residiert auf Phuket, Thailands größter Insel, einem legendären Highlight unter Zielregionen des Massentourismus. Der ehemalige Stabsgefreite schickt per Mail seinen Lebenslauf. Kurz danach erhält er Antwort: „Komm‘ her, wir übernehmen alle Reisekosten.“ Der Ex-Soldat zögert keinen Augenblick und setzt sich in den nächsten Flieger.

In der Nähe des Phuket Country Club begegnet Dennis Gögel dem ehemaligen Sergeant First Class (Hauptfeldwebel) Joseph Manuel Hunter. Der vierschrötige bullige Mann, der sich selbst „Rambo“ nennt, diente zwischen 1983 bis 2004 in der U.S. Army. Viele Jahre lang bildete er als sogenannter Drill Sergeant Scharfschützen, vorwiegend für Luftlandeverbände und Spezialeinheiten, aus. Hunter hatte mehrere Irak-Einsätze hinter sich. Doch die Auslandseinsätze blieben nicht ohne Folgen. Als Kriegsleiden handelte er sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ein. Amerikanische Ermittler berichten, dass der Ex-Sergeant nach seiner Verhaftung einen psychisch instabilen Eindruck machte. Vor dem Haftrichter präsentiert er sich „fast weinend mit bebenden Lippen". Eine „Heulsuse“, so ein Fahnder.

Diese offenkundigen psychischen Defekte wusste der Mann mit der Halbglatze allerdings zu überspielen, als er Dennis Gögel kennen lernte. Joseph Hunter beeindruckte den Deutschen. Ein Ex-Soldat mit Erfahrungen in feindlichen Umgebungen wie er. Die beiden verstehen sich prächtig, wie das oft bei Menschen mit gemeinsamem militärischem Hintergrund ist.

 

Kötter

 

 

Zu diesem Zeitpunkt ahnt Gögel noch nicht, dass Hunter unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus der U.S. Army zur „dunklen Seite der Macht“ wechselte. Kaum hatte „Rambo“ die Uniform gegen Zivilkleidung eingetauscht, wurde er auch schon als „Gun for hire“, sprich als Auftragsmörder, aktiv. Joseph Manuel Hunter hatte keinen Augenblick daran gedacht, sich für kleines Geld als Security zu verdingen. Er suchte von Anfang an nach einer wirklich lukrativen Anschlussverwendung – ganz so wie Dennis Gögel.

Hunter begnügt sich aber keineswegs mit der Rolle der „Gun for hire“. Als langjähriges Mitglied einer Motorcycle Gang ist er mit den Einkommensmöglichkeiten jenseits des gesetzlich Erlaubten wohl vertraut. Der ehemalige Drill Sergeant kommt in Kontakt mit Drogenringen, die nach zuverlässigen Angaben südamerikanischer und osteuropäischer Provenienz sein sollen. Er wird zum maßgeblichen Großdealer für den südostasiatischen Raum. Die Drogen, vor allem Kokain, werden auf krummen Pfaden, in der Regel auf dem Luftwege, vorzugsweise in die USA eingeführt.

Dennis Gögel spürt bald, woher der Wind weht. Die „Familien“, für deren unmittelbaren Personenschutz er angeblich sorgen soll, sind in Wahrheit Drogenbosse samt ihren Angehörigen. Außerdem hat der deutsche Staatsbürger zusammen mit Mittätern für die Absicherung der illegalen Drogentransporte zu sorgen. Und die Surveillance schließlich bezieht sich auf die Auskundschaftung von Todeskandidaten.

Joseph Hunter nennt diese Mordhandlungen „Bonusjobs“. Mit gezielten Tötungen sollen seine „Jungs“ ihre Bezüge kräftig aufbessern können. Dennis Gögel hat keine Probleme damit. So macht ihm der Ex-Sergeant ein Angebot, von dem der junge Mann geradezu begeistert ist. 200.000 US-Dollar verspricht er ihm als Mordprämie. Die Opfer dieses „Bonusjobs“ sind nicht irgendwelche Leute, sondern ein Special Agent der Drogenbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) und dessen Informant, ein Bootskapitän. Beide Zielpersonen haben im westafrikanischen Liberia ihren Lebensmittelpunkt. Gögel sagt sofort zu. Skrupel? Mitnichten, „Das macht Spaß. Also mir macht das Spaß. Ich liebe diese Arbeit“, kommentiert er den Mordauftrag.

Emsig macht sich der ehemalige Stabsgefreite an die Arbeit. Er plant zusammen mit seinem Komplizen  Timothy Vamvakias, einem ehemalige Staff Sergeant (Oberfeldwebel) der Militärpolizei, die Hinrichtung der DEA-Leute bis ins Detail. Die beiden Zielpersonen werden monatelang observiert. Für die Tatausführung beschafft Gögel Latex-Masken. Sie sollen Spuren verwischen und vortäuschen, dass es sich bei den Killern um Schwarze handelte. Er plant auch den genauestens den Rückzug nach „getaner„Arbeit“. Ein Privatflugzeug soll ihn und seinen Mittäter außer Landes bringen.

Für die Tatausführung stellt derweil Hunter eine Liste mit den benötigten  Waffen zusammen, die er selbst in einer Mail als „benötigte Gegenstände für den Job“ (items needed for the job“) bezeichnet. Als Maschinenpistolen zieht er Mac 10, MP 5, P 90, MP 7, irgendetwas Kleines („something small“) vor, als Kurzwaffen Pistolen des Kalibers .22 und Langwaffen des Kalibers 308 Winchester in Betracht. Außerdem setzt er  zwei Schutzwesten „Level 3A“ auf die Liste.

Joseph Manuel Hunter geht professionell vor, denn er hat vielfältige Erfahrungen mit solchen Bonusjobs. US-amerikanische Behörden sind sich sicher, dass er zu eifrigsten „Arrangeuren von Auftragsmorden“ auf diesem Erdenrund gehört. In der Anklageschrift ist von „a multiple of people“, einer ganzen Reihe von Leuten, die Rede. Selbst in seiner unmittelbaren Umgebung, auf Phuket, hatte er zweimal die Ermordung zweier Immobilienmaklerinnen „arrangiert“. Doch zum großen Bedauern der Behörden fehlte stets der letzte Beweis.

Doch das war diesmal anders, und das kam keineswegs von ungefähr. Denn Auftraggeber des Mordes an dem Joseph Manuel Hunter (im hellen T-Shirt) wird in Phuket von thailändischen Spezialeinsatzkräften und DEA-Agenten festgenommen. Foto: Ron Spencer/Archiv GlitzaSpecial Agent und seinem Informanten waren keine kolumbianischen Drogenbosse, für die sich ausgaben, sondern „confidential sources“ (CS), sprich verdeckte Informanten der DEA. Das Heranspielen dieser geheimen Mitarbeiter an Hunter und seine Komplizen war Teil einer jahrelangen Undercover-Operation, die die DEA-Abteilung für spezielle Operationen (SOD) zusammen mit ausländischen Partnerdiensten in Asien, Afrika, der Karibik und Europa realisierte. Um eine der „gefährlichsten kriminellen Strukturen der Welt“ zu Fall zu bringen, wie es aus Ermittlerkreisen heißt.

Alles, was bei Treffs besprochen wurde, wurde aufgezeichnet, die E-Mails zwischen Hunter und den angeblichen Drogenbossen abgefangen, Telefonate abgehört, Gespräche im Freien mit Richtmikrophonen belauscht. Das Haus von Hunter in Phuket, in dem der Ex-Sergeant wie ein Eremit lebt, wurde lückenlos überwacht. So stand auch Gögel seit der ersten Begegnung mit Hunter unter kontinuierlicher Beobachtung. Keiner seiner Schritte blieb der DEA verborgen.

Der Plan der US-Drogenbehörde funktionierte. Hunter, sonst extrem konspirativ vorgehend und voller Misstrauen an der Grenze zur Paranoia, ging den „confidential sources“ auf den Leim. Der einstige Drill Sergeant und weitere Hunter wird in New York von DEA-Agenten in Empfang genommen. Foto: Christopher Sakowski/Archiv GlitzaKomplizen wurden Ende September 2013 auf Phuket verhaftet. Zeitgleich werden Gögel und Vamvakias in Liberia in Handschellen abgeführt. Weitere Kumpane, der ehemalige deutsche Scharfschütze Michael Filter und der ehemalige Angehörige der polnischen Anti-Terror-Einheit, Slawomir Soborski, werden in Estland festgenommen. Auch sie wurden als Angehörige des internationalen Killerteams identifiziert, waren aber an dem geplanten Auftragsmord von Liberia allenfalls am Rande beteiligt.

Eng wird es vor allem für Hunter, Gögel und Vamvakias. „Sie kommen aus der Nummer nicht raus“, so ein DEA-Mann. Die Beweise stützen sich überwiegend auf Eigenaussagen der Angeklagten, die unabweisbar dokumentiert sind und Geständnissen gleichen. Da nützt es wenig, dass sich sämtliche Täter vor dem Haftrichter als „nicht schuldig“ bezeichneten.

Dennis Gögel, das plakative Beispiel für einen Personenschützer, der auf Abwege geriet. Statt Leben zu schützen, war er bedenkenlos bereit, Leben auslöschen. Seine einstige Maxime, „stets eine einwandfreie Dienstleistung zu gewährleisten, denn dienen kommt vor verdienen“, hatte er völlig aus dem Blickfeld verloren.

Er war ein Anderer geworden, hatte sich um 180 Grad gedreht. Nichts kann das deutlicher machen als das folgende Beispiel: Vor dem Flug nach Phuket verabschiedet sich der frühere Stabsgefreite von seiner Großmutter, die wie eine Mutter zu ihm war, mit den Worten „Ich bin dann mal weg“. Der junge Mann mit  den einstmals positiven Grundsätzen war endgültig in einem neuen fremdartigen Mikrokosmos angekommen, der nichts mehr mit seiner alten Welt und ihren Werten zu tun hatte.

 

ELP

 

 

Dennis Gögel, ein hoffnungsvoller junger Mann, der des Geldes wegen seine Überzeugungen über Bord warf, und jetzt, vermutlich den Rest seines Lebens, die Konsequenzen zu tragen hat. „Ich kann es nicht fassen“, sagt seine Großmutter mit tränenerstickter Stimme. Und so geht es vielen, die ihn zu kennen glaubten.