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Ein Papst ohne Panzerglas

Wie sorglos Franziskus den Kontakt zu dem Menschen sucht

Von Hanspeter Oschwald

Papst Franziskus lebt noch. Diese Feststellung klingt auf den ersten Blick banal, ja überflüssig. Auf den zweiten hingegen drückt sie eine Sorge aus, die von vielen  Ereignissen genährt wird.

Eine Ursache für eine zumindest berechtigte Frage nach der leiblichen Sicherheit des Papst ist sein allzu unbesorgter Umgang bei öffentlichen Auftritten mitten in den Massen, etwa auf dem Petersplatz, wo er ungeschützt den offenen Geländewagen anhalten lässt, das Panzerglas hinter sich verlässt, aussteigt und einen Kranken umarmt, ein Kind küsst oder sonst wie die Absperrungen missachtet.  Er fährt mit dem Bus wie jeder andere auch. Er geht zu Fuß, wo immer es sich anbietet und nicht „per pedes episcoporum“, im Mercedes, wie gespottet wird. Die Audienzhalle liegt ihm zu nahe, um wie die Vorgänger einen Dienstwagen zu bemühen.

Er wohnt im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, wo jederzeit alle möglichen Kleriker aus der weltweiten Kirche zu Besuch in Rom übernachten. Die ersten Meldungen, wonach er ohne Sonderrolle am allgemeinen Essen teilnimmt und keinen extra Tisch bekommt oder ein abgesondertes Apartment bewohnt, sind inzwischen nicht gerade nachdrücklich, aber doch dementiert worden.

All das sind Umstände, die den Sicherheitsleuten im Vatikan Sorgenfalten ins Gesicht treiben. Wie sollen sie einen Mann schützen, der offensichtlich darauf keinen Wert legt und alle Vorsichtsmaßnahmen nonchalant missachtet? Und das in einem Ambiente, das spätestens seit den Enthüllungen der Vatileaks vor zwei Jahren als voller Intrigen, Korruption und schwulen Seilschaften steckt. Sie haben schließlich sogar einen Papst resigniert zum Rücktritt veranlasst. Benedikt XVI. soll angesichts der Zustände in der Kurie und nicht wegen seiner geschwächten Gesundheit im Frühjahre 2013 als erster Papst seit einem Jahrtausend unter normalen Verhältnissen zurückgetreten sein.

Die Zustände mit akuter Bedrohung des Papstes spiegeln sich in der Aufrüstung der Sicherheitskräfte des Vatikanstadtstaates wider. Seit einer Reform durch Papst Paul VI.im Jahr 1970 verfügt der Kleinstaat über zwei Staatsbesuch am 13. 11. 13 bei dem italienischen Staatschef Giorgio Napolitano.  Das Foto zeigt den Papst vor der Abfahrt vom Quirinalspalast mit seinem Dienstwagen.Sicherheitskorps: die Schweizergarde mit bis zu 120 Mann, die aller Welt durch ihre aus dem 19. Jahrhundert stammenden bunten Uniformen bekannt sind, aber aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts stammt. Die bis zu 120 Mann starke Garde sieht zwar folkloristisch aus. Sie arbeitet aber effizient als Leibwächter des Papstes. Sie schützt alle Zugänge zum Vatikan und intern zu den Papstgemächern. An ihnen kommt niemand vorbei, der sich nicht ausweisen und sagen kann, wen er besuchen will. Erst nach Rücksprache geben die Schweizer den Weg frei.

Ihr Zuständigkeit wird amtlich durch päpstliches Dekret definiert. Als Hauptaufgabe hat sie ständig über die Sicherheit des Heiligen Vaters und seiner Residenz zu wachen“. Zu ihren Pflichten gehört außerdem, den Heiligen Vater auf seinen Reisen zu begleiten, die Eingänge zur Vatikanstadt zu bewachen, das Kardinalskollegium während der Sedisvakanz (papstlose Zeit) zu beschützen sowie Ordnungs- und Ehrendienste auszuführen, Manches überschneidet sich mit den Zuständigkeiten der Gendarmerie, was immer wieder zu Streitereien führt. Rivalitäten scheinen im System zu liegen, wenn nebeneinander eine junge und eine Jahrhunderte alte Institution im Grunde gleiche Aufgaben erfüllen müssen.

 

Securitas

 

 

Bis zu 150 Mann ist das Gendarmeriekorps stark, das das Erbe der alten päpstlichen Gendarmerie, der Nobelgarde und der Palatingarde angetreten hat. Die Soldaten der 500 Jahre alte Schweizergarde, Svizzeri, wie die Italiener sagen, stammen exclusiv aus der Schweiz und haben alle die eidgenössische Militärausbildung absolviert. Die Gendarmerie hingegen rekrutiert sich aus den Reihen der italienischen Polizei und des Militärs. Die Gendarmerie des Papstes ist seit 2008 Mitglied von Interpol. Ihre Aufgaben definieren sich umfassender als die der meisten staatlichen Polizeien: natürlich die Wahrung von Ordnung und Sicherheit, der übliche Polizeidienst, aber auch Zolldienst, Rechts- und Steuerüberwachung, Wahrung und Sicherheit aller Personen und Orte auf dem vatikanischen Staatsgebiet sowie Verfolgung von Gesetzesverletzungen.

Die heutigen Herausforderungen sind so vielfältig, dass innerhalb der Gendarmerie zwei Sondereinheiten gebildet wurde. Die Gruppo Intervento Rapido (GIR), die schnelle Eingreiftruppe, und die Unita Antisabotaggio, die Anti-Terror-Einheit. Die GIR, die mit der deutschen GSG 9 zu vergleichen ist, trägt Uniform mit Hinweisen auf ihren Auftraggeber. Am linken Ärmel prangen die Insignien des Papstes mit dreifacher Krone und den gekreuzten Schlüsseln Petri. Am rechten Ärmel zeigt das Wappen des Vatikanstadtstaates mit dem Spruch „Semper parati“ (immer bereit) die besondere Einsatzfähigkeit.

Die Antiterroreinheit hingegen ist eher ein Räumkommando, das drohende Anschläge bekämpft, etwa verdächtige Pakete entfernt und Sprengsätze entschärft. Das läuft gewöhnlich harmlos ab, wenn beispielsweise Pilger auf dem Petersplatz ihre Tasche vergessen haben. Man weiß ja nie. Immerhin zählt der Vatikan jährlich 20 Millionen Besucher. In ihrer Kaserne am Anna-Tor überwachen die Gendarmen auf 50 Monitoren alles, was die über 300 Kameras einfangen. Die Gendarmen verfügen zudem über eines der modernsten tragbaren digitalen Kommunikationssysteme – TETRA (TRrestrial TRunked RAdio). Da bleibt nichts verborgen, auch nicht wenn ein Pilger einen Schwächeanfall erleidet und ärztlich versorgt werden muss. Die Gendarmen helfen auch da.

Im Vatikan und der Sommerresidenz Castelgandolfo ist Sicherheit fest installiert und Alltag, keine besondere Herausforderung mehr. Diese beginnt, wenn der Papst sein Sicherheitsgebiet verlässt, bei einem Abstecher auf die Insel Lampedusa, um Flüchtlinge zu trösten. Oder im Sommer auf seiner Reise nach Brasilien.

 

Mobotix

 

 

Dort ließ der Papst das kleine offene, Papstmobil, ein brasilianischer Fiat Idea, der zudem das kleinste Gefährt im Papstkonvoi war, wie gewohnt anhalten, um Kontakt mit den Menschen aufzunehmen. Dummerweise hatte sich der Fahrer in der Route geirrt und so das Risiko noch erhöht.  Den Papst ließ das kalt. Vorhaltungen wegen seines Leichtsinns konterte er mit den Worten, er sei höchst zufrieden und glücklich sei, wenn  er den Menschen so nahe kommen könne. Ihm schien es geradezu als wünschenswert, von der begeisterten Menge bedrängte zu werden. „Er will es nicht anders“, versicherte ein Mann aus dem Papstgefolge kopfschüttelnd.

 Nichts ist passiert. Mehr Glück als Verstand, mag da mancher päpstliche Gendarm gedacht haben, der in Zivil mitreist, sehr diskret, um die örtlichen Polizei nicht zu desavouieren. Keiner sieht es den engsten Personenschützern an, dass einige normalerweise in malerischer Unform am Vatikan als Schweizer Gardist aufpasst oder neugierigen Touristen Auskunft erteilt.

Die Sorgen über den zu sorglosen, bescheidenen Papst Franziskus sind leider nicht aus der Luft gegriffen. Das friedliche und friedliebende jetzige Oberhaupt der katholischen Kirche müsste eigentlich von Rolle und Person her kaum Gründe zu Attentaten geben. Weit gefehlt. Auch Franziskus ist nicht sicher vor Fanatikern. Solche haben wiederholt versucht, einen Papst umzubringen. Das Attentat des Türken Ali Agca auf Papst Johannes Paul II. bleibt in frischer Erinnerung.

Aber auch der Kurie und katholischen Ultras wird , man mag es kaum glauben, durchaus zugetraut, einen missliebigen Papst ins Jenseits zu befördern. So soll der 33-Tage-Papst Johannes Paul I. im Herbst 1978 nicht an Überforderung, Burn out würde man heute sagen, oder an den Folgen früherer Krankheiten gestorben sein, deretwegen er eigentlich gar nicht zum Pontifex hätte gewählt werden dürfen. Bis heute hält sich in Rom das Gerücht, er sei ermordet worden. Die laschen Dementis haben nicht überzeugen können, weil die Kirche eine Autopsie der Leiche nicht zulässt, als stünde  der Papst als Heiliger Vater selbst im Tode noch über solch irdischen Zumutungen.

Solch eine Weigerung schürt Misstrauen, zumal die Vatikanbeobachter sehr wohl wissen, dass der Leichtsinn von Papst Franziskus Verrückte oder Feinde provozieren kann. Seine Brandreden finden keineswegs überall Gefallen, wenn er den  selbstherrlichen Kardinälen und Kurienbischöfen Luxus, Mangel an Bescheidenheit, Ichbezogenheit und Eitelkeit vorwirft.

Verärgert sind auch einige katholische Fundamentalisten, die sich nicht damit abfinden können, dass der Papst am Gründonnerstag auch einem 19-jährigen muslimischen Mädchen die Füße gewaschen hat. Für sie eine Häresie. Bei einem Besuch von fünfzig jugendlichen Strafgefangenen in einem Gefängnis am Stadtrand von Rom fragte ein Häftling, warum er ausgerechnet zu ihnen gekommen sei. Der Papst antwortete „Es war ein Gefühl im Herzen: Dort hinzugehen, wo die sind, die mir am besten helfen, demütig zu sein, ein Diener zu sein, wie es ein Bischof sein sollte“.

Das steht in krassem Gegensatz zu den Purpurträgern, die bis vor wenigen Jahrzehnten noch meterlange Schleppen getragen haben und so unnahbar erschienen wie  Herren aus einere anderen Welt. Sie liessen sich Eminenzen nennen, also Ihre höchste Bedeutsamkeit.  Das Evangelium, wie es Franziskus glaubwürdig in den Mittelpunkt seines Lehramtes und Lebens stellt, ist damit nicht zu vereinbaren.

 

Securiton

 

Die Eingangsfrage nach seinem Leben ist also gar nicht so abwegig. Sie erinnert an einen sehr populären italienischen Staatspräsidenten, Sandro Pertini, der täglich am liebsten allein von seiner Wohnung am römischen Trevibrunnen  hoch zum Quirinalspalast ging und unterwegs an einer Bar einen Espresso trank. Auf die Frage, warum er keinen Schutz akzeptiere, antwortete er, er habe keine Angst vor einem Attentat. Wenn es dennoch geschehen sollte, dann habe er etwas falsch gemacht.

Die Antwort könnte auch von Franziskus stammen, nur dass  der Papst mehr innerkirchliche Feinde hat als der italienische Staatspräsident unter seinen Landsleuten.  Seinen Gegner macht es der Papst auch schwer, Gesinnungsgenossen zu finden. In Italien beobachtet seit der Amtsübernahme von Franziskus jeder zweite Pfarrer, dass sich die Kirchen wieder stärker füllen. Ein isolierter Papst hinter Panzerglas hätte das nie erreicht.