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Der Blick in ein geschütztes Leben

Hintergründe und persönliche Erfahrungen einer weiblichen Schutzperson und ihrer ehemaligen Personenschützerin.

Von Heidi Prochaska

Groß, durchtrainiert und wenig Haare - so stellte sich auch Brigitte Lehner, ehemalige Schutzperson, einen Personenschützer vor, als sie vor gut 13 Jahren zum ersten Mal über die eigene Gefährdungslage nachdachte. Könnte sie solch einen Personenschützer ihrer Familie zu muten? Würden ihre drei pubertierenden Kinder eine Person akzeptieren, die sich ausschließlich um ihre persönliche Sicherheit bemüht? Wie reagiert ihr Mann auf das drängende Bedürfnis, die Sicherheit der Familie zu erhöhen? Offene Fragen, auf die Antworten erst gefunden werden müssen.

Der Blick in ein geschütztes Leben ist normalerweise nicht erlaubt. Gerne schotten sich Familien, insbesondere mit größerem finanziellem Background, ab. „Das geht niemanden etwas an“ – dieser Satz ist zwar nicht gesetzlich verankert, aber die Einstellung wird gelebt. Recht haben sie mit diesem Anliegen, denn jeder Mensch hat Anspruch auf Privatsphäre.

Dennoch üben die „oberen Zehntausend“ eine besondere Anziehungskraft aus, auf Menschen, die sich in ihrem Umfeld tummeln, die von ihnen wissen, die über sie lesen, hören oder auch mal einen Blick riskieren.

Provokante Fragen entstehen fast automatisch: Haben die das viele Geld verdient? Ist es gerecht, dass die in so einem großen Haus leben und die Zahl der Autos die der Familienmitglieder übersteigt? Wieso wird mir gekündigt, obwohl sich die Firma mein Gehalt locker weiter leisten könnte? Weshalb geht es denen so gut, und ich kämpfe täglich ums Überleben? Diese Ungerechtigkeit schreit doch zum Himmel. Die Top 100 Reichen eines Landes sind als Schuldige an den eigenen Unzulänglichkeiten schnell gefunden.

So oder so ähnlich könnte es in den Köpfen von Menschen aussehen, die eine in ihren Augen sinnvolle Umverteilung anstreben – möglicherweise mit Mitteln, die das Gesetz nicht erlaubt. Die Unternehmergattin Brigitte Lehner spürte, als sie sich mit dem Thema Familiensicherheit auseinandersetzte, dass aus Fiktion sehr schnell Realität werden könnte.

 

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Familiensicherheit als Hauptaufgabe

Sie lebte mit ihrer Familie in einem kleinen Ort in Österreich. Obwohl alle, wirklich alle Bekannten, Freunde und Familienangehörige ihr versicherten, wie sicher es dort sei, war sie unruhig, nervös und innerlich aufgewühlt. Ein Berater aus Deutschland, mit sicherheitstechnischem Hintergrund, erkannte ihre Nöte und sprach aus, was nur in ihrem Unterbewusstsein existierte. Sie waren keine ganz normale, mittelständische Familie, sondern sie gehörten zu den wohlhabendsten Familien in Westösterreich. Diese Tatsache hatte sie jahrelang verdrängt. Bestimmte Fakten existierten einfach nicht in ihrem Alltag. Illusionen und der Wunsch nach Normalität bestimmten das Leben – bis zu diesem Augenblick. Man riet ihr nachhaltig, die familiäre Sicherheit deutlich ernster zu nehmen – bevor etwas passiert.

Es war keineswegs märchenhaft, als Brigitte Lehner im wahrsten Sinne des Wortes aufwachte. Ein totgeschwiegenes, belastendes Thema bekam Raum und ihre ganz persönliche Aufmerksamkeit. Familiensicherheit wurde zu einer ihrer Hauptaufgaben. Sie sammelte Informationen, glich Fakten ab und verließ sich nicht ausschließlich auf Daten. Und sie traf Entscheidungen. Sie begegnete dem Thema intuitiv und hartnäckig. Eine Lösung musste her, bevor Dinge geschehen, die sie sich niemals verzeihen würde.

Ihr Berater schlug vor, einen Personenschützer einzustellen. Widerstände machten sich breit. Personenschutz schien ihr zu rigoros, zu auffällig, zu massiv. Sie suchte Alternativen – und fand keine.

Schließlich einigte man sich auf eine Personenschützerin, die möglichst unauffällig sein sollte. Ein gut gebauter Mann, permanent in ihrer Nähe – das hätte niemals funktioniert – erzählt sie heute augenzwinkernd.

So begann eine Schutzsituation, die mehr als 10 Jahre her ist. Die Konstellation von damals gibt es nicht mehr. Frau Lehner lebt heute in Deutschland, die Kinder studieren im Ausland, ihr früherer Ehemann ist wieder verheiratet. Sie ist Geschäftsführerin einer Medienagentur und eines Verlages. Außerdem berät sie , gemeinsam mit ihrer früherer Personenschützerin Frauen von exponierten Familien in Brigitte Lehner (links) mit ihrer Personenschützerin. Foto: privatSicherheitsfragen.
Aber gehen wir noch mal zurück zum Anfang. Die Recherchen von Frau Lehner zur eigenen Sicherheitslage förderten Informationen zutage, die ihr Schutzbedürfnis untermauerten. Ihr Schwiegervater war vor vielen Jahren bereits bedroht worden. Die eingeschaltete Polizei riet zu Selbstschutzmaßnahmen, begleitete kurze Zeit die Kinder zur Schule und fuhr vermehrt Streife. Schließlich ließen die behördlichen Einsätze wieder nach und die neugierigen und aufmerksamen Nachbarn, sowie der angeschaffte Hund übernahmen die weiteren Bewachungsaufgaben. 

Wie überzeugt man Kinder von notwendigen Sicherheitsmaßnahmen?

Der Ehemann von Frau Lehner war geschäftlich viel unterwegs und selten zuhause. Sie war allein. Allein mit der Verantwortung für Kinder, Anwesen, Garten, Angestellte, Umfeld, gesellschaftliche und familiäre Verpflichtungen und weitere verwaltende Tätigkeiten. Der jüngste Sohn suchte häufig den Kontakt zur Mutter. Er hatte Ängste, deren Symptome sich vermehrt körperlich zeigten. Sie selber schlief seit Jahren unruhig und hatte regelmäßig bedrohliche Träume.

 

 

 

Die beiden ältesten Kinder gingen immer mehr ihre eigenen Wege, ließen sich wenig sagen, noch weniger kontrollieren. Jede Mutter kann diese Situation nachvollziehen, genauso wie die Schreckensbilder als das Krankenhaus anrief, weil die Tochter auf der Straße zusammengebrochen war. Dieses Szenarium war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Trotz großer Proteste stellte Frau Lehner mich als Personenschützerin ein. Die allgegenwärtigen Gefühle von Angst und Unsicherheit waren ihre Antreiber. Sie verhalfen ihr dazu, klar und hart zu entscheiden, selbst gegen interne Widerstände. „Du übertreibst“, sagten damals Mitglieder der engeren Familie.

Doch ihr Entschluss stand fest. Mit dem neuen Blick auf das eigene Leben setzte sie sich folgende Ziele:

  • Das Thema Sicherheit darf nicht länger totgeschwiegen werden. Sie wird für offene Gespräche innerhalb der Familie sorgen.  Ziel ist eine Sensibilisierung für realistische, denkbare Gefahrensituationen.
  • Sie wird alles Notwendige tun und initiieren, um eine mögliche Entführung oder Erpressung im Vorfeld zu verhindern.
  • Der Schutz der Kinder hat Priorität und muss gewährleistet sein, bis sie aus dem elterlichen Haus ausziehen.
  • Der Schutz der Personen ist wichtiger als der Schutz von Wertsachen. Sie stellt eine Personenschützerin ein. Die Grundlagen für die effiziente Zusammenarbeit mit dieser Person sind Vertrauen, Zuverlässigkeit und wertfreies Handeln. Gleichzeitig müssen Neutralität und Loyalität der Personenschützerin gegenüber allen Schutzpersonen gegeben sein.

Im Dezember 1999 begann ich meine Arbeit als Personenschützerin im Hause Lehner. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Eindruck erinnern. Garten-, Garagen- und Terrassentüren standen sperrangelweit auf, der Garten war nur zur Straße hin eingezäunt. Frau Lehner empfing mich offen und fordernd zu gleich. Sie wollte Lösungen für Probleme und eine Gesprächspartnerin, die ihre Situation verstand, aber nicht bewertete. Das war nicht einfach, denn schließlich lebte sie den Traum vieler Frauen. Sie hatte einen sehr reichen, attraktiven Mann geheiratet, lebte in einer großen Villa, hatte drei Kinder und reiste wohin immer sie wollte. Ich hörte sehr genau zu. Ich lernte verstehen und nicht nur so zu tun, als würde ich verstehen. Was verbarg sich hinter der Mauer aus Reichtum, Schönheit, Anspruch und Macht? Welche Aufgabe lag da wirklich vor mir?

Zunächst war es wichtig, Vertrauen durch Zuverlässigkeit aufzubauen und Sicherheit mit einem erlebbaren Nutzen zu verbinden. Frau Lehner weihte mich in ihre Vorahnungen und Befürchtungen ein. Daraufhin machte ich meinen ersten konfrontativen Vorschlag. Als Abschreckungsmaßnahme durchlebten wir mit den beiden ältesten Kindern eine Nacht im Zürcher Drogenviertel. Ein Kollege begleitete uns. Wir konfrontierten die Zwei mit den Konsequenzen des Drogenkonsums. Es war für alle Beteiligten unangenehm. Betroffenheit führte zur Ablehnung, und das Thema Drogen war damit erledigt.

 

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Technische Sicherheitsmaßnahmen

Die Aufgabe der Absicherung von Haus und Grundstück ist eine lange Geschichte. Die wesentliche Komponente bei aller technischen Raffinesse ist die praktische Umsetzung. Gemeinsam legten wir Wert auf einfache Bedienbarkeit, den Anschluss an eine Notrufzentrale und auf die Scharfschaltung, wenn Personen das Objekt bewohnen. Die Gewöhnung der Kinder an die neue Alarmanlage war einfacher als gedacht.

Ich war nicht nur Ansprechpartner für die Alarmanlagefirma, sondern auch für alle Handwerker, die Bediensteten, unbekannte Besucher, Post und nicht zuletzt für den Hund.

Obwohl ich sehr viele Stunden vor Ort war, hatte Aufklärungsarbeit einen großen Stellenwert. Unauffällig präsent sein, das war die gewünschte und erwartete Devise. An dieser Formulierung können Sie ablesen, wie viel Fingerspitzengefühl und welcher Balance-Akt notwendig sind, für eine funktionierende Schutzarbeit in einer Familie. Die weibliche Schutzperson hat mich eingestellt, dennoch arbeite ich auch für den Ehemann und bin ihm gegenüber genauso loyal und integer. Position zu beziehen kostet mich meinen Job. So einfach ist das. Von mir wird Professionalität erwartet – fachlich und im zwischenmenschlichen Bereich. Ich habe mir ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zu Frau Lehner erarbeitet, dennoch war ich immer die Angestellte. Wenn Abstände verschwimmen zwischen Sein und Schein, wird es gefährlich, speziell für die Sicherheit. Der Grad der Funktionalität ist nur sehr dünn und bedarf hoher Aufmerksamkeit.

Zu Anfang waren auch die Kinder eher ablehnend in ihrer Haltung mir gegenüber. Mit echtem Interesse, nützlichen Dienstleistungen, wie Fahrten mit dem Auto, Freiheiten, die es nur gab, wenn ich dabei war und einer offenen Gesprächshaltung ist das Eis schließlich gebrochen.

 

Rückblick der Kinder

Nach zehn Jahren gab es ein Gespräch zwischen Brigitte Lehner und ihren Kindern über die Zeit des Personenschutzes. Mit der Erlaubnis der ehemaligen Schutzkinder zitiere ich einige Aussagen, die sie rückblickend formuliert haben:

  • „Am Beginn war es sehr nervig. Irgendwann war es praktisch und schließlich wurde Heidi zur Vertrauensperson. Mit Ihr konnte ich die Probleme mit meiner Mutter besprechen. Es war eher ein ‚Tanten-Verhältnis‘, kein Angestelltenverhältnis. Sie hat nicht gestört, wenn sie präsent war. Die Freunde haben Heidi nicht als Personenschützerin wahrgenommen. Es hat funktioniert für alle, für die ganze Familie. Eine Personenschützerin sollte dezent sein, und so war es auch. Sollte ich selber mal in der Situation sein, dass meine Familie Schutz benötigt, ist das eine funktionierende Variante.“
  • „Am Abend wurde ich regelmäßig nach den Vorschriften des Gesetzes von Heidi abgeholt. Ich habe mich sehr sicher gefühlt, wenn Heidi bei uns war. Wir waren fast nie mehr alleine Zuhause. Heidi war immer präsent.“
  • „Heidi hat mein Leben erleichtert durch das viele Abholen. Ich hatte viel Angst. Besonders wenn ich alleine im Haus war, aber auch nachts. Heidi hat mir sehr geholfen. Die Alarmanlage war für mich sehr wichtig. Ich habe sie jeden Abend eingeschaltet. Für mich war es eine gute Lösung mit Heidi. Sie war integriert in der Familie und trotzdem hat sie sich um die Sicherheit gekümmert. Eine weibliche Personenschützerin ist bei Kindern zu bevorzugen.“

 

Der Schlüssel zur Gefahrenabwehr

Für deutsche Verhältnisse mag es ungewöhnlich klingen, doch war das Duzen der gesamten Familie von Anfang an gewünscht und in dieser Region Österreichs üblich.

Insgesamt hat die Schutzsituation knapp drei Jahre gedauert und hatte einen präventiven Charakter. Frau Lehner hat sich für Sicherheitsmaßnahmen entschieden, bevor etwas geschieht. Denn der Schlüssel zur Gefahrenabwehr liegt in der Vorhersage. Je früher sie getroffen wird, desto besser ist das Ergebnis zu beeinflussen. Eine Vorhersage zu treffen, ohne entsprechenden Aktionsplan, ist so ähnlich wie einen Lottogewinn vorherzusagen und keinen Lottoschein kaufen  -  also nichts wert.

Inwieweit wir uns von Vorhersagen beeinflussen lassen, hat der US-Amerikaner Garvin de Becker, Experte für Sicherheitsfragen, untersucht. Er kam auf vier Faktoren:

  • Zuverlässigkeit,
  • Wichtigkeit,
  • Kosten und
  • Effektivität.

Aufgrund logischer Gesichtspunkte müsste die Effektivität entscheidend sein. Doch im Fall von Sicherheit liegen wir hier falsch. Emotionen, Sorgen und Ängste dominieren die Entscheidungsgrundlage. Das Verhältnis von Vorsicht zu Vorsichtsmaßnahmen begründet sich durch die persönliche Einschätzung und das Bedürfnis, ein schlimmes Ereignis vermeiden zu wollen.

In der Rückschau überwiegen bei Frau Lehner deutlich die Vorteile ihrer getroffenen Sicherheitsmaßnahmen. Sie hat ein Stück Verantwortung geteilt, Entlastung erfahren und Lebensqualität hinzugewonnen. Sie hat viel gelernt, Zusammenhänge neu reflektiert und ihr Verhältnis zur Sicherheit stark verändert. Nachteile gab es in der Anfangsphase, als sie sich daran gewöhnen musste, dass immer jemand da ist. Es war ungewohnt, wenn mal niemand da war.

In diesem Artikel haben wir einen kurzen, eingeschränkten Blick in ein geschütztes Leben zugelassen. Dieses hat unzählige Facetten, die kaum alle im Vorfeld bedacht werden können. Daher stehen Brigitte Lehner und ich heute exponierten Familien in der Anfangsphase und während des gesamten Prozesses beratend und begleitend zur Verfügung. Auch das Fernsehen berichtete über uns.

Weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie auf unserer Internetseite.