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  Die Personen von links nach rechts: Helfer, Kury, Hörl, Berzlanovich, Höfner, Schnatter

Tabuthema Alterskriminalität

Von Richard Benda, Wien

„Jeder will alt werden, aber keiner alt sein“ meint Gustav Knuth so treffend. Verständlich, denn niemand will vom Menschen zum Fall, zum Pflegefall, werden und dann vielleicht hilflos Gewalt und Kriminalität ausgesetzt sein. Die ganze Breite des Problems wurde in Wien in Form eines internationalen Symposiums behandelt.

Die demografische Entwicklung war für die Bevölkerung bis vor Kurzem eine Angelegenheit von Statistikern, vielleicht ein wenig von Sozialwissenschaftlern. Die wenigsten Mitbürger denken darüber nach, dass das Älterwerden der Bevölkerung Auswirkungen auf das soziale Gefüge hat. Wenn wir demnächst mehr 70 als 20jährige haben, so wird das Auswirkungen in verschiedenen Bereichen haben. Vor allem Gewalt gegen ältere Menschen könnte, aufgrund der steigenden Zahl der Betroffenen zu einem Massenphänomen werden. Schließlich sind nach einer Erhebung der WHO ca. 10% der älteren Menschen häuslicher Gewalt ausgesetzt. Da Pflegepersonen in der Mehrzahl Frauen sind, könnte dies zu mehr Straftäterinnen führen.

Veränderungen im sozialen Gefüge eines Staates werden faktisch immer auch von einer Veränderung im Bereich der Kriminalität begleitet. Eine Tatsache, die bisher kaum Beachtung fand. Ältere Menschen sind eben leichter Opfer für Kriminelle als jüngere, womit sich die Zahl der potenziellen Opfer erhöht. Vor allem Betrüger sehen ältere Mitbürger als leichte Opfer an und Diebe wissen sehr wohl, dass ältere Menschen häufig große Mengen von Bargeld im Haus haben. Aber nicht nur individuelle Straftaten sind eine Gefahr. Bewohner von Alten- und Pflegeheimen werden immer wieder Opfer von Gewalt oder werden für Medikamentenversuche missbraucht.

Nicht vergessen werden darf aber, dass die neuen Medien, vor allem das Internet, es Senioren erlaubt kriminell zu werden. Einen klassischen Bankraub oder Einbruch wird ein Angehöriger der Generation 60+ wohl kaum begehen, doch für eine Betrugshandlung via Internet, ist körperliche Fitness keine Notwendigkeit. Auch eine mögliche Altersarmut kann dazu führen, dass Menschen, die ein Leben lang rechtschaffen waren, aus persönlicher Not zur Begehung einer Straftat, wie Ladendiebstahl oder ähnlichen Kleindelikten, bereit werden.

„Der klassische Bankraub verspricht schon lange nicht mehr den Gewinn vergangener Zeiten. Die Profis haben Pistole und Sturmhaube gegen Rechner und Tastatur getauscht und nicht wenige haben unsere Senioren als attraktive Zielgruppe erkannt“.

Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer, Polizeipräsident von München

Diese Tatsache der veränderten Kriminalität darf aber nicht alleine Problem der Polizei sein, sondern muss gesamtgesellschaftlich in Angriff genommen werden. Es muss verhindert werden, dass ältere Menschen, nachdem sie Opfer einer Gewalttat oder eines Einbruches geworden sind, aus Furcht in Isolation geraten. Man weiß, dass sich Opfer nicht mehr auf die Straße trauen und/oder selbst in der eigenen Wohnung Furcht haben.

Die Polizei selbst ist durch die demografische Entwicklung in doppelter Hinsicht gefordert.

  • Eine älter werdende Bevölkerung erfordert andere Sicherheitsmerkmale und ältere Menschen haben generell ein höheres Sicherheitsbedürfnis.
  • Es entstehen neue Kriminalitätsfelder, die einer Veränderung in der Organisation der Polizei verlangen. Eine Möglichkeit ist, die Verstärkung der öffentlichen Präsenz, denn sichtbare Polizisten werden von älteren Menschen als wohltuend empfunden. Präsenz alleine ist aber zu wenig, deshalb muss die Polizei auch Straftaten aufklären, um Nachahmungstäter abzuschrecken und den betroffenen Opfern signalisieren, dass die Polizei auch unsichtbar präsent ist. Schließlich hat die Polizei noch die Möglichkeit, durch kriminalpräventive Maßnahmen die möglichen Opfer aufzuklären und zu warnen.

 

Alterskriminalität ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren und um ein Gesamtbild zu erhalten, hat die „Vereinigung Kriminaldienst Österreich (VKÖ)“ unter Patronanz der österreichischen Innenministerin Mag. Johanna Mikl-Leitner, Anfang September dieses Jahres ein Symposion mit dem Titel „Kriminalität kennt kein Alter“ veranstaltet.

Wer sich mit dem Thema Kriminalität gegen und von alten Menschen befasst, stößt unweigerlich auf bekannt Namen aus dem Wissenschaftsbereich. Dr. Josef Hörl, Dr. Helmut Kury, Dr. Andrea Berzlanovich sind die Doyens auf diesem Gebiet. Um nicht nur deutsche und österreichische Experten zu Wort kommen zu lassen und um die gesamte Problematik abzudecken, wurden die Vortragenden durch den Schweizer Experten Hans-Ullrich Helfer und zwei Praktikern: Mag. Henriette Höfner von der Fachstelle für Gewaltprävention NÖ und Bez. Insp. Christian Schnatter, von der Kriminalpolizei in Wien, ergänzt. Die Moderation der Veranstaltung übernahm Prof.Josef W. Lohmann, Chefredakteur der kriminologischen Fachzeitschrift kripo.at.

Dr. Helmut Kury, von der Universität Freiburg, eröffnete die Vortragsreihe mit Zahlen und Fakten. Obwohl die Zahl der alten Menschen (lt. WHO alle über 75 Jahren) immer mehr steigt, ist von ihnen keine gesteigerte kriminelle Aktivität zu erwarten. Kury belegte, dass die unterschiedlichen Tatorte bei Gewalt gegen alte Menschen (Öffentlich, Heime oder Privatbereich) auch unterschiedliche Täter produzieren, die wieder völlig unterschiedliche Motive haben. Gewalt gegen alte Menschen ist auch nicht nur im Bereich körperliche Gewalt angesiedelt, sondern vor allem im psychischen Bereich. Beschimpfungen, Nahrungs- oder Getränkeentzug, Isolierung , Drohungen, Vernachlässigung sind häufig, Misshandlungen mit schweren Verletzungen eher die Ausnahme.

Ähnlich die Entwicklung in der Schweiz wie Hans-Ullrich Helfer, Präsident von Humanitas Helvetica, erklärte. Zurzeit stellt die Altersgruppe über 60 Jahre in der Schweiz rund 25% der Bevölkerung, ist aber in der Kriminalstatistik nur mit 6% vertreten. Die Wirtschaftskrise und die Sorge um ihr Geld lässt vor allem ältere Menschen ihr Bargeld zu Hause aufbewahren; ca. 2 Milliarden Franken sollen in Schweizer Haushalten gelagert sein, ein gefundenes Reservoir für Diebe und Betrüger.

Univ. Prof. Dr. Josef Hörl, von der Universität Wien, beleuchtete die soziologische Seite des Themas. Warum werden ältere Menschen zu Opfern, warum Betreuungspersonen zu Tätern? Dass erst kulturelle und biografische Vorbedingungen zu Gewalt führen, konnte er plausibel erklären. Hörl besprach auch ein weiteres Tabu, die sexuelle Gewalt, die bei Betreuung von gebrechlichen Personen häufiger vorkommt als man annimmt. Laut Prof. Hörl ist es ungemein schwierig einen internationalen Vergleich vorzunehmen, denn zu unterschiedlich sind die Kriterien und die Kultur in den verschiedenen Ländern. Kaum anzunehmen, dass es in Spanien in Privathaushalten tatsächlich nur 1% Kriminalität gegen über 65jährige  gibt, während sie in anderen Ländern mit bis zu 25% angegeben wird. Prof. Hörl zeigt auf, dass es grundsätzlich drei Risikokonstellationen gibt:

  • Ungünstige familien- bzw. ehegeografische Vorbedingungen
  • Vorhandensein einer pathologischen Täterpersönlichkeit
  • Vorliegen eines Pflegeverhältnisses

Schockierende Bilder lieferte Univ. Prof. Dr. Andrea Berzlanovich,von der medizinischen Fakultät der Uni-Wien. Mit versteckter Kamera aufgenommene Gewalttaten gegen Pflegepatienten und Fotos von Verletzungen belegten augenscheinlich, dass Gewalt sehr versteckt ausgeübt wird. Da alte Menschen mehrheitlich in häuslicher Obhut sind und die Pflegepersonen gleichzeitig Täter sind, wird häufig der Hausarzt erster Ansprechpartner eines Opfers sein. Erstmalig wurde von der Forensischen Gerontologien Dr. Berzlanovich ein Dokumentationsbogen der Öffentlichkeit vorgestellt, der helfen soll Gewalt gegen Pflegepatienten aufzudecken und zu beweisen.

Mag. Henriette Höfner, von der Fachstelle für Gewaltprävention in Niederösterreich, ging vor allem auf die präventiven Möglichkeiten ein, die potentiellen Opfern helfen sollen. Das Fehlen von Anzeigen durch Opfer ist bei Gewalt für sie eines der größten Probleme. Aufmerksamkeit durch das soziale Umfeld ist hier besonders von Nöten, doch gerade das fehlt häufig.

Den Bereich Eigentumskriminalität deckte Bez.lnsp. Christian Schnatter ab. Die Schwierigkeiten bei Ermittlungen durch Demenz der Opfer und extrem lange Verfahrenszeiten sind bei den Ermittlern das Hauptproblem. Die Vorgangsweise dreister Trickdiebe erstaunte die mehrheitlich nicht aus dem Polizeibereich kommenden Teilnehmer des Symposiums.

Eine Dokumentation des Symposiums kann über Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. angefordert werden.