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Täter-Opfer-Ausgleich in Theorie und Praxis

Von Kriminalhauptkommissar Volker Heyne Polizeipräsidium Bielefeld
Kommissariat Vorbeugung

Der Täter-Opfer-Ausgleich ist ein klassisches Institut des Strafrechts und wurde bereits von 1879 an (mit dem Inkrafttreten der Preußischen Schiedsmannsordnung) von Schiedsmännern und Schiedsfrauen im Rahmen ihrer Zuständigkeit betrieben. Er hat sich bis heute zu einem wesentlichen Instrument des Opferschutzes weiterentwickelt und diese Form der außergerichtlichen Konfliktschlichtung wird inzwischen von verschiedenen anderen Ausgleichsstellen durchgeführt. Im folgenden Artikel soll der Täter-Opfer-Ausgleich in seinen Abläufen und Folgen beschrieben und seine Wichtigkeit im Gesamtgefüge des Opferschutzes heraus gestellt werden. Es soll aber auch hinterfragt werden, inwieweit der Täter-Opfer-Ausgleich seine ursprüngliche Zielsetzung der Wahrnehmung von Opferinteressen noch uneingeschränkt erfüllt oder ob er nicht vielmehr von Tätern „missbraucht“ wird, um eine mildere Bestrafung zu erreichen.

 

Losgelöst von der bereits erwähnten „Preußischen Schiedsmannordnung“ gibt es eine systematische Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs in Deutschland erst seit 1985. Er ist seit dem 1. Dezember 1990 im Jugendstrafrecht und seit dem 1. Dezember 1994 im allgemeinen Strafrecht gesetzlich normiert (mit Einführung des § 46a StGB). Seit dem 28. Dezember 1999 ist er auch im Strafverfahrensrecht verankert:
Nach § 136 StPO ist der Beschuldigte in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hinzuweisen und gem. § 155a StPO sollen die Staatsanwaltschaft und das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten prüfen, einen Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem zu erreichen. Nach § 153a (1) Nr. 5 StGB kann die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen den Täter-Opfer-Ausgleich als Auflage und Weisung erteilen, um von der Erhebung der öffentlichen Klage abzusehen.

Im Herbst 2010 ist auch der § 406h StPO dahin gehend geändert worden, dass Opfer einer Straftat frühzeitig und umfassend über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert werden müssen.

 

Kötter

 

Grundidee und Ablauf des Täter-Opfer-Ausgleichs

Grundidee des Täter-Opfer-Ausgleichs ist es, Konflikte die im Zusammenhang mit einer Straftat stehen, unmittelbar mit den Beteiligten beizulegen. Tätern (der „Beschuldigte“ im Sinne des § 46 a StGB wird im Folgenden nur noch „Täter“ genannt) und Opfern soll die Gelegenheit gegeben werden, den Konflikt zu klären und verursachte Schäden auszugleichen.

Im Täter-Opfer-Ausgleich wird versucht, den Täter, der an einer Einigung mit dem Opfer seiner Tat interessiert ist, zusammen mit dem Opfer an einen Tisch zu bringen, um eine solche Einigung zu erzielen. Dieser „Einigungsversuch“ wird von einem Konfliktberater/Vermittler moderiert und begleitet. Bei den Vermittlern, die auch „Mediatoren“ genannt werden, handelt es sich um psychologisch geschulte Sozialpädagogen, die Garant für die Einhaltung wesentlicher Kommunikationsregeln und eines beiderseitig fairen Umgangs miteinander sind bzw. sein sollen.

Die Vermittler gehören i.d.R. einer Konfliktschlichtungsstelle an, die sich speziell mit diesem Aufgabenfeld befasst (Gerichtshilfe, Jugendgerichtshilfe, Freie Träger…. Die entsprechenden Ausgleichsstellen einer jeden Stadt lassen sich leicht im Internet recherchieren).

Am Ende eines Täter-Opfer-Ausgleichs soll nach Möglichkeit eine Ausgleichsvereinbarung stehen. Diese besteht beispielsweise darin, dass eine Entschuldigung ausgesprochen oder Schadensersatz geleistet wird, gemeinsame Aktivitäten unternommen oder Arbeitsleistungen erbracht werden oder dass dem Opfer Schmerzensgeld gezahlt wird. Das Ergebnis wird vom Vermittler schriftlich niedergelegt und der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht zur weiteren Entscheidung im Strafverfahren zugeleitet.

 

Was bringt der Täter-Opfer-Ausgleich dem Täter?

Erklärt sich ein Täter zum Täter-Opfer-Ausgleich bereit, kann sich dies für ihn im weiteren Strafverfahren vorteilhaft auswirken.

Im Ermittlungsverfahren kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Täter endgültig einstellen, im Strafverfahren vor Gericht kann eine geringere oder sogar keine Bestrafung erfolgen.

Nach den Zahlen des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) wurde das Verfahren in 84,5 % der Fälle eingestellt, wenn der Täter den Täter-Opfer-Ausgleich angenommen hat und dies sogar auch dann, wenn es nicht zu einer erfolgreichen Durchführung des Ausgleichsverfahrens gekommen ist. Im Falle einer erfolgreichen Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs wurde das Verfahren sogar in 90 % der Fälle eingestellt (Zahlen aus 2006).

Diese Aussicht auf Straffreiheit oder eine mildere Bestrafung ist sicherlich eine ganz wesentliche Motivation eines Täters, sich zum Täter-Opfer-Ausgleich bereit zu erklären. Vielen Tätern wird unterstellt, dass sie nur um der Strafmilderung willen einem Täter-Opfer-Ausgleich zustimmen.

Allerdings haben Täter durch den Täter-Opfer-Ausgleich auch die Möglichkeit, Verantwortung für ihre Tat zu übernehmen. Sie erlangen durch das Verfahren eine Unrechtseinsicht, erweitern ihre soziale Kompetenz und können Reue zeigen. In Gesprächen mit mehreren Konfliktberatern wurde mir immer wieder geschildert, dass Täter, die den Täter-Opfer-Ausgleich zunächst als „lästige Pflichtaufgabe“ betrachteten, durch die Mediation dazu gebracht werden konnten, sich ernsthaft mit der Tat und den Empfindungen des Opfers auseinanderzusetzen. Auch die „coolsten“ und vermeintlich härtesten Straftäter haben in ihrem tiefsten Innern das Bedürfnis nach Konfliktlösung und der Erlangung einer gewissen Art von „Innerem Frieden“. Die Aufgabe, diese Bedürfnisse beim Täter an die Oberfläche zu holen, ist für die Vermittler eine große Herausforderung.

Dafür, dass dies sehr häufig gelingt, sprechen die aktuellsten Zahlen des BMJ, nach denen in den Jahren 2006 bis 2009 bei erwachsenen Tätern in nahezu konstant 90 % der Ausgleichsverfahren eine Einigung erzielt werden konnte. Bei Jugendlichen und Heranwachsenden liegt dieser Wert sogar bei 96 %.

Auch hinsichtlich der Erfüllung der vereinbarten Leistungen wurde bei allen Altersgruppen von 2003 bis 2009 in knapp über 90 % der Fälle von den Opfern angegeben, dass die Leistungen „vollständig oder teilweise“ erbracht wurden. Nur in ca. 1 % der Fälle wurde angegeben, dass die Leistungen „nicht ausreichend“ erbracht wurden. In den verbleibenden ca. 9 % waren die Verfahren jeweils noch nicht abgeschlossen.

Diese Zahlen lassen vermuten, dass der Täter-Opfer-Ausgleich durchaus „etwas mit dem Täter macht“. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass diese Einigungen und die Erfüllungen der Leistungen „gespielt“ sind bzw. nur um die Erlangung einer Strafmilderung willen erfolgen. Spürt ein Vermittler, dass der Täter nur eine Rolle spielt, wird er den Ausgleichsversuch im Übrigen nicht als erfolgreich bewerten.

Interessant wäre sicherlich auch zu wissen, wie häufig Personen nach einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich rückfällig werden. Genaue Zahlen waren hierzu leider nicht zu erlangen. Aber nach dem Eindruck der Konfliktschlichtungsstellen begeht nur ein geringer Prozentsatz der Täter weitere Straftaten. Dem Täter bietet sich also über den Täter-Opfer-Ausgleich die gute Chance, auf Einstellung des Strafverfahrens und die Möglichkeit der Verarbeitung des Geschehenen und der Wiedergutmachung beim Opfer in mentaler und ggf. materieller Hinsicht.

 

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Was bringt der Täter-Opfer-Ausgleich dem Opfer?

Ein ganz wesentliches Ziel des Täter-Opfer-Ausgleichs ist natürlich die Wahrnehmung der Opferinteressen. Insbesondere die Opfer von Gewalttaten leiden oft stark unter den Folgen der Tat und sind Ängsten und anderen psychischen Belastungen ausgesetzt. Nachdem sie bei der Polizei zum Sachverhalt vernommen worden sind, hören Sie i.d.R. lange nichts von dem Strafverfahren und erhalten dann, wenn es nicht zu einer Hauptverhandlung kommt, per Post eine Information von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht über den Ausgang des Verfahrens.

Eine Aufarbeitung der Tat und ein offener Austausch mit dem Täter über seine Motive und mögliche Schuldgefühle sollen dem Opfer die Verarbeitung der Tat erleichtern und es ihm ermöglichen, wieder unbeschwerter durchs Leben zu gehen. Eine Entschuldigung des Täters ist für ein Opfer oft wichtiger als dessen Bestrafung! Diesem Bedürfnis des Opfers muss Rechnung getragen werden und der Täter-Opfer-Ausgleich bietet dazu eine gute Möglichkeit.

Daneben spielt selbstverständlich auch die Regulierung zivilrechtlicher Ansprüche eine wesentliche Rolle beim Täter-Opfer-Ausgleich. Eine Einigung in diesem Schlichtungsgespräch erspart dem Opfer möglicherweise einen langwierigen Zivilprozess.

 

Was bringt der Täter-Opfer-Ausgleich der Justiz?

Staatsanwaltschaften und Gerichte sind bekanntermaßen stark belastet, wenn nicht gar überlastet. Eine Problemlösung außerhalb des formalen Gerichtsprozesses und damit die Vermeidung eines Strafverfahrens und möglicherweise auch eines Zivilprozesses sind somit grundsätzlich eine willkommene Entlastung der Justiz. Allerdings kann die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs aufseiten der Staatsanwaltschaft auch eine gewisse Mehrarbeit bedeuten.

Bei kleineren Straftaten erfolgt vonseiten der Staatsanwaltschaft häufig eine unmittelbare Einstellung des Verfahrens, insbesondere, wenn die Täter bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sind. In diesen Fällen bringt der Täter-Opfer-Ausgleich für die Staatsanwaltschaft dahin gehend einen Mehraufwand mit sich, als sie das Verfahren auf „Wiedervorlage“ legen muss, um nach dem erfolgten Täter-Opfer-Ausgleich eine Entscheidung treffen zu können. Eine sofortige Verfahrenseinstellung wäre da die einfachere Variante. Es gibt sicherlich den einen oder anderen Staatsanwalt, der sich gegen die Mehrarbeit und damit gegen den Täter-Opfer-Ausgleich entscheidet, was vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Effekte für Täter und Opfer sehr schade ist!

 

Bei welchen Delikten ist der Täter-Opfer-Ausgleich möglich?

Wie bereits erwähnt, kommt ein Täter-Opfer-Ausgleich nur dann in Betracht, wenn Täter und Opfer damit einverstanden sind. Niemand kann zu dieser Form der Konfliktlösung gezwungen werden. Eine genaue Festlegung auf bestimmte Delikte gibt es in der StPO nicht. In Betracht kommen aber in erster Linie Delikte der leichten bis mittleren Kriminalität (Körperverletzung, Sachbeschädigung, kleinere Eigentums- und Vermögensdelikte); aber auch bei Verbrechenstatbeständen kommt es immer mehr zu Täter - Opfer - Ausgleichsverfahren (Raub, Schwerer Raub, Räuberischer Diebstahl…).

Ein Täter-Opfer-Ausgleich bietet sich grundsätzlich bei Sachverhalten an, in denen Täter und Opfer unmittelbar in Kontakt getreten sind und es somit zu zwischenmenschlichen Konflikten gekommen ist (nicht also z.B. bei Betrugsdelikten, die im Zusammenhang mit Online-Einkäufen getätigt wurden).

Vor diesem Hintergrund erscheint mir neben den oben genannten Deliktsfeldern die vermehrte Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Delikten wie Cybermobbing, Cyberstalking, Straftaten nach dem Kunsturheberrechtsgesetz KUG (Einstellen von Bildern ins Netz ohne Zustimmung des Abgebildeten) und Ähnlichem sinnvoll zu sein. In diesen Deliktsbereichen kommt es insbesondere durch den Missbrauch des Internets oft zu extremen Verletzungen der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Opfer, die über einen Täter-Opfer-Ausgleich möglicherweise ausgeräumt werden können. In der Praxis wird hier noch recht selten vom Täter-Opfer-Ausgleich Gebrauch gemacht.

 

Häufigkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs

Betrachtet man die Häufigkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs, lässt sich feststellen, dass die Werte von 2001 bis 2009 relativ konstant sind mit einem Abfallen in den Jahren 2006 - 2008. Die meldenden Einrichtungen sind die Gerichtshilfe, die Jugendgerichtshilfe und die freien Träger (mit einem immer größer werdenden Anteil der freien Träger).

 

 

Bundesweites Fallaufkommen der Einrichtungen

Jahr:

 

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

Fälle:

 

3052

4466

3804

3702

3273

2007

1480

2813

4019

Quelle: Bundesministerium der Justiz

Auch wenn man berücksichtigen muss, dass nicht alle Ausgleichsstellen in Deutschland ihre Zahlen an das BMJ melden, liegen diese Werte ohne Zweifel auf einem insgesamt niedrigen Niveau. In 2009 gab es nach der Polizeilichen Kriminalstatistik alleine 519.010 vorsätzliche Körperverletzungsdelikte, 775.547 Sachbeschädigungen und 2.344.646 Diebstähle. Natürlich sind davon nur ein Bruchteil für den Täter-Opfer-Ausgleich geeignet. Aber der Appell, häufiger an die Anwendung dieser Möglichkeit der Streitschlichtung zu denken, ist sicherlich angebracht.

 

Anregung des Täter-Opfer-Ausgleichs

Dieser Appell richtet sich auch an die Polizei und dort insbesondere an die Sachbearbeiter/-Innen der entsprechenden Kriminalkommissariate. Nach der Statistik des BMJ wird der Großteil der Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren von den Staatsanwaltschaften bzw. Amtsanwaltschaften im Vorverfahren eingeleitet (insgesamt ca. 80 %). Da die Polizei nicht selbstständig Diversionsmaßnahmen einleiten kann, ist naheliegend, dass sie in dieser Statistik nicht auftaucht.

Das BMJ hat aber auch ausgewertet, von wem aus die Anregung zum Täter - Opfer - Ausgleich gekommen ist. Hier hat die Polizei sehr wohl die Möglichkeit, über einen entsprechenden Hinweis in den Ermittlungsakten richtungsweisend tätig zu werden. In dieser Statistik ist der Anteil der Polizei in den Jahren 2006 bis 2009 leider gesunken.

 

 

Quelle der Anregung zum Täter-Opfer-Ausgleich

Jahr

 

2006

2007

2008

2009

Häufigkeit der Anregung durch die Polizei

 

12,4 %

7,7 %

6,8 %

2,6 %

Mir liegt am Herzen, mit diesem Artikel noch einmal Werbung für den Täter - Opfer - Ausgleich zu machen und darauf hinzuweisen, dass er auch bei Heranwachsenden und Erwachsenen durchaus sinnvoll sein kann und häufiger angewandt werden sollte. Schon in der polizeilichen Vernehmung sollten Opfer und Täter zu ihrer Bereitschaft zum Täter - Opfer - Ausgleich befragt werden, zumal wie oben bereits angedeutet, für die Polizei nach § 136 (1) S. 4 StPO in geeigneten Fällen eine gesetzliche Verpflichtung zum Hinweis auf den Täter-Opfer-Ausgleich besteht.

 

Fazit

Mit diesem Appell, der sich natürlich nicht nur an die Polizei, sondern an alle beteiligten Institutionen richtet, verbinde ich die Hoffnung, dass sich der Täter-Opfer-Ausgleich als Möglichkeit der außergerichtlichen Streitschlichtung weiter etabliert und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Ich bin davon überzeugt, dass er eine sehr gute Möglichkeit darstellt, elementaren Bedürfnissen der Opfer Rechnung zu tragen und dass er auch für die Täter sehr viel mehr Chancen bietet, als diese sich im Vorfeld davon versprechen.

Nach meinen Eindrücken und Erfahrungen arbeiten bei den Ausgleichsstellen hoch motivierte und sehr kompetente Konfliktberater/Vermittler, denen wir ein hohes Maß an Vertrauen entgegen bringen können und denen wir die Möglichkeit geben sollten, ihre Fähigkeiten noch häufiger zu zeigen.

 

 

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