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 Der „Blaubart“ von Linz

Der Fleischhauergeselle Franz Leitgöb aus Oberösterreich ermordete zwischen 1912 und 1932 sieben Frauen. Unter den Opfern befand sich auch seine Stiefgroßmutter.

Von Werner Sabitzer

Ihr Mund war geknebelt, den Spuren nach hatte sie sich heftig gewehrt. Bei der Toten, die von ihrer Tochter am 29. Februar 1932 aufgefunden wurde, handelte es sich um die 58-jährige Luise Jank. Die Frau eines Architekten war in ihrer Villa in St. Peter bei Linz erdrosselt worden. Aus dem Haus fehlten Schmuck und Bargeld.
Die Ermittler erfuhren, dass sich zur Tatzeit ein Mann in der Nähe der Villa aufgehalten und sein Gesicht mit einer schwarzen Seidenbinde vermummt hatte. Ein Mann mit dieser Beschreibung hatte in einem Gasthaus übernachtet und sich im Meldebuch als „Franz Leitgöb“ eingetragen.

Drei Tage nach dem Mord verhafteten die Kriminalisten in Neuhofen den 53-jährigen Fleischhauergesellen Franz Leitgöb. Auf seinem Hemd waren Blutspuren und er hatte Kratzverletzungen im Gesicht und an den Händen. Leitgöb wies die Anschuldigungen entrüstet zurück. Nach weiteren Einvernahmen und Vorhalt weiterer Beweise gab der Festgenommene den Raubmord an Aloisa Jank zu und gestand, sechs weitere Frauen beraubt und ermordet zu haben.

Franz Leitgöbwurde 1879 in Ansfelden bei Linz geboren. Sein Vater war Tischlermeister und Alkoholiker, seine Mutter starb früh. Mit 13 begann er eine Fleischerlehre. Schon als Jugendlicher fiel er wegen asozialen Verhaltens auf. 1900 wurde er zum Militär einberufen, ein Jahr später desertierte er und erhielt dafür eine Strafe. 1910 heiratete er die Tochter eines Eisenbahners. Das Paar hatte drei Kinder. Nach vier Jahren Ehe trennte sich die Frau von ihrem Mann, nachdem dieser mehrere Straftaten verübt und ihren Vater zu erwürgen versucht hatte.

Bei Kriegsausbruch 1914 rückte Leitgöb ein, war aber nie an der Front, sondern verbrachte einige Zeit wegen Diebstahls im Zuchthaus. Allerdings versuchte er nach Kriegsende, bei der Invalidenentschädigungskommission mit falschen Angaben über seinen Kriegseinsatz Geld zu erschwindeln.

Siebenfacher Frauenmörder Franz Leitgöb: „Der Angeklagte ist ein moralisch verkommener, durchaus gesellschaftsfeindlicher Mensch.“Serienmörder Leitgöbs erstes Opfer war die Angestellte Marie Lederer. Die 47-jährige Hilfsarbeiterin wurde am 24. März 1912 in Ried vom Hausbesitzer in ihrer Wohnung im Bett sitzend tot aufgefunden. Zunächst gingen die Behörden von einem Selbstmord aus. Weil die Geldbörse aus dem Besitz der Toten fehlte, wurden Ermittlungen wegen Raubmordes aufgenommen. Zwei Arbeiter wurden als Verdächtige verhaftet, aber bald wieder freigelassen, weil sie ein Alibi hatten.

Den nächsten Mord verübte Leitgöb am 18. Oktober 1916. Rosalie Danner wurde in ihrer Wohnung in der Gstöttenhofstraße in Urfahr tot aufgefunden. Da die Leiche halb verkohlt im Bett liegend nach einem Zimmerbrand aufgefunden wurde, nahmen die Behörden an, dass die Frau, eine starke Raucherin, mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen sei. Als der Mann der Toten von seinem Fronteinsatz in Russland nach Urfahr zurückkehrte, bemerkte er das Fehlen von Geld und Schmuck, nahm aber an, seine Frau hätte das Geld verbraucht und den Schmuck versetzt.

Unter den Mordopfern befand sich auch Leitgöbs Stiefgroßmutter Marie Schmidhuber. Er erdrosselte die 80-Jährige am 25. August 1920 mit einem Hosenträger und stahl ihr Geld und Schmuck. Auch in diesem Fall wurden Unschuldige der Tat verdächtigt: Ein Ehepaar saß einige Zeit in Untersuchungshaft, weil der Mann einen gleichen Hosenträger besessen hatte, wie jener, mit dem die alte Frau getötet worden war.

Marie Renezeder war das nächste Mordopfer. Ihre verkohlte Leiche wurde am 16. Dezember 1920 in der abgebrannten Petermandel-Baracke in St. Peter bei Linz gefunden. Auch in diesem Fall vermutete die Polizei einen Unfall.

Leitgöb gab auch zu, die 35-jährige Maria Kappelmeier aus Linz erwürgt zu haben. Die mit Ästen zugedeckte Leiche wurde im September 1921 von Schwammerlsuchern in einem Wald bei der Binderwiese in St. Magdalen gefunden. Der Mörder hatte dem Opfer Geld, eine Halskette und eine Fuchsboa gestohlen. Leitgöb wurde damals als Verdächtiger verhaftet, es mangelte aber an Beweisen, um ihn anzuklagen.

Die nächste Überfallene hatte Glück: Die Bäuerin Maria Hackl, die von Leitgöb am 8. November 1921 in Niederneukirchen überfallen, beraubt und gewürgt worden war, wachte aus der Bewusstlosigkeit auf und konnte den Täter so gut beschreiben, dass er überführt wurde. Leitgöb wurde wegen versuchten Raubmordes zu zehn Jahren Kerker verurteilt.

Vier Wochen nach seiner Haftentlassung aus der Strafvollzugsanstalt Garsten am 17. November 1931 schlug er erneut zu: Am 15. Dezember 1931 überfiel er in Edramsberg bei Wilhering die Hebamme Anna Oberleitner und erwürgte sie. Zweieinhalb Monate später verübte er seinen letzten Mord in Linz.

 

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 „Prozess des Grauens“

Im November 1932 begann der spektakuläre Prozess gegen Franz Leitgöb wegen siebenfachen Raubmordes. Die Kriminalisten hatten auch in fünf weiteren, zum Teil lange zurückliegenden Mordfällen ermittelt, es fehlten aber stichhaltige Beweise, um Leitgöb auch deswegen anklagen zu können.

Der Angeklagte änderte vor Gericht seine Verantwortung. Er habe die Taten nicht in Raubabsicht, sondern in „Sinnesverwirrung“ begangen. Er habe sich in diesem Zustand des „übermächtigen Zwanges“ nicht steuern können; insofern sei er als „nicht zurechnungsfähig“ zu beurteilen. Die Mordopfer seien seine „Geliebten“ gewesen.

Sein erstes Opfer, die um 14 Jahre ältere Marie Lederer, habe er kennen gelernt, als er bei einer Spedition in Ried beschäftigt war. Sie sei seine Geliebte geworden. Beim Liebesspiel habe er die „Besinnung verloren“ und Lederer sei schon tot gewesen, als er wieder „zu sich gekommen“ sei. Um Selbstmord vorzutäuschen, habe er der Toten eine Wäscheleine um den Hals geschlungen.

Auch Rosalie Danner habe er im „Sinnenrausch“ erwürgt. Die Frau sei seine Geliebte gewesen, während sich ihr Mann an der Front in Russland befunden habe. In der Wohnung sei die Petroleumlampe umgefallen und dieses Missgeschick habe den Wohnungsbrand verursacht. Leitgöb gab an, auch mit seiner Stiefgroßmutter ein Liebesverhältnis gehabt zu haben. Vor dem Mord habe sie wieder versucht, ihn zu „verführen“. Im Gerichtsverfahren wurde diese Behauptung als falsch nachgewiesen. Marie Schmidhuber hatte im hohen Alter noch geheiratet, allerdings nur, um nicht allein zu sein. Ihr Mann gab an, Schmidhuber habe es vor der Hochzeit zur Bedingung gemacht, miteinander keinen Sex zu haben.

Leitgöb behauptete, dass auch sein nächstes Mordopfer, Marie Renezeder, seine Geliebte gewesen sei. Bei Zärtlichkeiten mit ihr habe wieder der „Taumel“ eingesetzt, er habe die Frau zu würgen begonnen, dabei sei der Ofen umgestürzt und es habe zu brennen begonnen. Renezeder sei gestürzt und verbrannt. Auch in den anderen Fällen seien die Taten beim Liebesspiel unter „Sinnesverwirrung“ passiert.

 

 „Moralisch verkommen“

Die psychiatrischen Gutachter gingen bei allen Mordfällen von Raubabsicht aus. Leitgöb, der in Tageszeitungen als der „Blaubart von Linz“ bezeichnet wurde, sei kein Sexualmörder, sondern ein strafrechtlich voll verantwortlicher Raubmörder, der roh, zielbewusst und mit Überlegung vorgegangen sei. Laut Gutachten sei der Angeklagte schon als Kind verlogen und heimtückisch gewesen und von einigen Freundinnen als lügnerisch, roh und rachsüchtig beschrieben worden. „Der Angeklagte ist ein moralisch verkommener, durchaus gesellschaftsfeindlicher Mensch“, hieß es im Gutachten.

Kurz vor dem Prozess gab es einen Zwischenfall. Der Linzer Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Siegl, der Vater des Mordopfers Maria Kappelmeier, regte sich auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft derart auf, dass er einen Schlaganfall erlitt.

Die Geschworenen bejahten einstimmig die Schuld Leitgöbs in allen sieben angeklagten Mordfällen. Sie verneinten einstimmig die Frage, ob der Angeklagte die Taten unter „Sinnesverwirrung“ verübt habe. Franz Leitgöb wurde am 24. November 1932 zu lebenslangem, schweren und verschärften Kerker verurteilt. „Der Prozess des Grauens ist zu Ende“, hieß es in einem Kommentar im „Linzer Volksblatt“ vom 25. November 1932.

Die drei Kinder Leitgöbs, zwei Söhne im Alter von 20 und 22 Jahren und eine 19-jährige Tochter, beantragten nach der Verurteilung ihres Vaters die Änderung ihres Familiennamens.

 

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Fluchtversuch und Tod

Nach der Urteilsverkündung versuchte der Verurteilte zu flüchten. Er sprang durch das geschlossene Doppelfenster hinter dem Verteidigertisch des Schwurgerichtssaales vom ersten Stock auf die Straße. Dabei brach er sich einen Oberschenkel.

Franz Leitgöb verbrachte nur etwas mehr als zwei Monate in Haft. Am 27. Jänner 1933 wurde er wegen starker Bauchschmerzen dem Gefängnisarzt vorgeführt. Leitgöb berichtete dem Arzt, dass er vor der Schwurgerichtsverhandlung eine Zahnbürste und Stofffetzen verschluckt habe. Das könnte die Schmerzen ausgelöst haben. Der Häftling wurde in das Allgemeine Krankenhaus Linz gebracht, wo die Ärzte einen Darmdurchbruch feststellten und eine Bauchoperation vornahmen. Kurze Zeit nach der Operation wurde Leitgöb wieder in die Strafvollzugsanstalt gebracht. In den nächsten Tagen verschlechterte sich sein Zustand, sodass er die Sterbesakramente erhielt. Am 6. Februar 1933, um halb fünf Uhr früh, verstarb der siebenfache Frauenmörder in seiner Zelle.

 

 

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