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Gewalt im öffentlichen Raum - Messerkriminalität, Hintergründe und Reaktionen der Politik

Von Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei

Dieser Beitrag zeigt anhand unterschiedlicher Phänomene und Faktoren, dass die Sicherheit des öffentlichen Raumes in Deutschland in Gefahr ist. Hierzu werden u.a. die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik sowie deren Bewertung durch das BKA und verschiedene Politikerinnen und Politiker herangezogen. Weitere Analyseelemente sind das Sicherheitsempfinden der Menschen in Deutschland im öffentlichen Raum sowie Gewaltkriminalität wie beispielsweise Messerangriffe.

Öffentliche Sicherheit in Gefahr?

Zu den wichtigsten Aufgaben der Innenpolitik gehört es, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Sie umfasst den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Nur in einer Gesellschaft ohne Bedrohungen können Menschen frei leben. Der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, die Bevölkerung zu schützen. Dafür ist er mit bestimmten Befugnissen ausgestattet. Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt. Damit das so bleibt, setzt sich das Bundesinnenministerium intensiv mit den Gefahren auseinander, vor denen unsere Gesellschaft steht und vor denen sie in den nächsten Jahren stehen wird. Dazu zählen vor allem die Bedrohung durch gewalttätigen Rechtsextremismus und islamistischen Terrorismus, aber auch Straftaten aus dem militant linksextremistischen Milieu, Internetkriminalität und schwere und organisierte Kriminalität.“1 So definiert das Bundesministerium des Innern und für Heimat im August 2024 „Sicherheit“, bzw. „Öffentliche Sicherheit“.

Die Kernelemente dieser aktuellen Definition von „Öffentlicher Sicherheit“ durch das Bundesinnenministerium lautet: „Zu den wichtigsten Aufgaben der Innenpolitik gehört es, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Sie umfasst den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung.“2

Die Kernelemente Öffentlicher Sicherheit sind nach aktuellen Angaben des Bundesinnenministeriums also a) „öffentliche Sicherheit zu gewährleisten“, b) „öffentliche Sicherheit […] umfasst den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Gewalt, Verbrechen und Terror sowie den Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung“.3 Damit sind diese Kernelemente von „Öffentlicher Sicherheit“ normativ, „zu den wichtigsten Aufgaben der Innenpolitik“ gehöre es, die „Öffentliche Sicherheit zu gewährleisten“, stellt das BMI fest.4

 

Ist unsere Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Diese Frage wird politisch und medial durchaus kontrovers diskutiert und beantwortet. Die Antworten auf die Leitfrage dieses Artikels lesen sich mitunter „unangenehm“, aber spätestens der Ukrainekrieg sowie die zahlreichen terroristischen Anschläge in Deutschland und Europa sowie die zahlreichen Fälle von extremistischer Gewalt in Deutschland sollten dazu führen, dass die für die Öffentliche Sicherheit relevanten Zahlen (u.a. der Polizeilichen Kriminalstatistik), Fakten und Kriminalitätsphänomene realistisch analysiert werden. Dass verschiedene Zahlen, Fakten und Kriminalitätsphänomene in den letzten Monaten und Jahren idealistisch bzw. teilweise gar utopisch interpretiert wurden, zeigen verschiedene Aussagen mancher Politikerinnen und Politiker sowie teilweise auch die mediale Berichterstattung.5

Die Antwort auf die Frage „Ist unsere Öffentliche Sicherheit in Gefahr?“ hängt auch davon ab, was Sie unter „Öffentlicher Sicherheit“ verstehen. Was versteht eine realistische sicherheitspolitische Analyse unter Öffentlicher Sicherheit? Dass der Staat, die Bundesregierung und ihre Sicherheitsbehörden, die Landesregierungen und ihre Sicherheitsbehörden die Bevölkerung vor sicherheitspolitischen Bedrohungen schützt: Kriminalität, Gewalt, Extremismus und Terrorismus. Dies kommt auch in der oben zitierten Definition von „Sicherheit“ bzw. „Öffentlicher Sicherheit“ des BMI zum Ausdruck.6

Sicherheit ist nicht die Abwesenheit von Bedrohungen. 0% Kriminalität ist nicht möglich. Sicherheit ist das Kontrollieren, das „Im- Griff-haben“ der Bedrohungen. Zur Öffentlichen Sicherheit gehört auch, dass Täterinnen und Täter gefasst und schnell von Gerichten verurteilt werden, und zwar auf eine Art und Weise, dass potenzielle andere, zukünftige Täterinnen und Täter abgeschreckt werden. Aktuell gibt es jedoch zu viele Fälle, die belegen, dass dies nicht bzw. nur in begrenztem Maß der Fall ist.

Dieser Artikel basiert auf einer realistischen sicherheitspolitische Analyse, die sich an den politikwissenschaftlichen Denkschulen des Realismus bzw. Neorealismus orientiert.7 Ist unsere Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Unsere Öffentliche Sicherheit ist so sehr bedroht, wie sie es seit dem Bestehen unserer Bundesrepublik noch nicht war. Es kommen viele, offensichtlich zu viele, Bedrohungen und Akteure zur gleichen Zeit zusammen: Zahlreiche tägliche Fälle von Gewaltkriminalität im öffentlichen Raum, Gewalt von Extremisten und Terroristen. Diese Phänomene werden hier politikwissenschaftlich untersucht.

Sehr wichtig festzustellen ist auch, dass der Zustand der Sicherheit des öffentlichen Raumes in Deutschland eben nicht nur durch die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Verfassungsschutzberichte bemessen wird, sondern auch durch das persönliche Sicherheitsempfinden der in Deutschland lebenden Menschen.

Messerangriffe und Messer bei Raubüberfällen

Bereits diese aktuellen, beispielhaften Fälle, es gibt täglich zahlreiche mehr, verdeutlichen das aktuelle Ausmaß von Messerangriffen in Deutschland:

Nur wenige Tage nach dem Messerattentat des afghanischen Islamisten in Mannheim, bei dem mehrere Personen (schwer) verletzt und der Polizeibeamte Rouven L. brutal ermordet wurde griff am 31.5.2024 ein 19-jähriger Afghane eine Ukrainerin am Mainufer in Frankfurt a. M. an und verletzte sie dabei schwer.8

Am 14.6.2024 griff nach Polizeiangaben ein 27-jähriger Afghane einen 23-jährigen Afghanen in einer Plattenbausiedlung in Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) mit einem Messer an. Das Opfer erlag wenig später seinen Verletzungen. Danach soll der Täter mehrere Menschen in einer Kleingarten-Siedlung bedroht haben, bevor er auf einer EM-Gartenparty in einer Einfamilienhaus-Siedlung eine 50-jährige Frau, einen 75-jährigen Mann schwer sowie einen 56-Jährigen leicht verletzt haben soll. Die hinzugerufenen Polizisten wurden vom 27-jährigen Afghanen angegriffen, woraufhin diese in Notwehr auf ihn schossen, woran er verstarb, so der aktuelle Informationsstand.9

Beim Public Viewing zur Fußball-EM auf dem Schlossplatz in Stuttgart kam es beim Spiel Tschechien gegen die Türkei am 26.6.2024 zu einem Messerangriff, bei dem der mutmaßliche Täter, ein 25 Jahre alter Syrer, drei Männer schwer verletzt haben soll, einen davon lebensgefährlich.10

Am 30.6.2024 griff ein iranischer Staatsbürger im Bahnhof in Lauf an der Pegnitz nahe Nürnberg Bundespolizeibeamte mit einem Messer an. Daraufhin kam es nach einem Pfeffersprayeinsatz und einem Warnschuss, wodurch der Angreifer nicht aufzuhalten war, zu einem Schusswaffengebrauch, der Messerangreifer verstarb.11

Das Bundeskriminalamt veröffentlichte im März 2024 die Zahl von 8.951 Messerangriffen für das Jahr 2023 in Deutschland. „Messerangriffe“ im Sinne der Erfassung von Straftaten in der PKS sind solche Tathandlungen, bei denen der Angriff mit einem Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird. 8951 Messerangriffe der BKA-Statistik bedeuten 24,5 Messerangriffe mit gefährlicher oder schwerer Körperverletzung in Deutschland pro Tag. Das stellt ein Allzeithoch dar. Hinzu kommen gemäß der PKS des BKA aber noch Messer bei Raubdelikten in 4.893 Fällen, was einen Anstieg um 11 % gegenüber dem Vorjahr darstellt. Addiert man die 8.951 Messerangriffe mit den 4.893 Fällen von Raubdelikten mit Messern ergibt dies die Zahl 13.844. Dies wären dann 37,9 Fälle pro Tag in Deutschland, bei denen ein Mensch entweder mit einem Messer bedroht wird – auch im Rahmen von Raubüberfällen – oder mit dem Messer (schwer) verletzt wird.12

Wichtig festzustellen ist, dass die Polizeibehörden bei dieser Zahl von Messerkriminalität lediglich Messer erheben, also nicht Macheten, Spitzhacken, angespitzte oder angeschärfte Gegenstände sowie andere Hieb- und Stichwaffen. Das zählen die unterschiedlichen Bundesländer anders oder führen keine konkrete Statistik dazu, ob es sich um ein Messer oder eine Machete oder eine angeschärfte Eisenstange handelt. Daraus folgt, dass die tatsächliche Zahl von Angriffen mit Hieb- und Stichwaffen noch erheblich höher ist als durchschnittlich 37,9 Fälle pro Tag.13

Nahezu jeden Tag müssen Polizeibehörden Angriffe vermelden, bei denen Menschen durch Messergewalt schwer oder lebensgefährlich verletzt oder sogar getötet werden wie zuletzt der 29-jährige Polizist Rouven L. in Mannheim. Wenige Stunden bis Tage später kam es im Frühsommer 2024 zu Messergewalt in Frankfurt am Main, Saarbrücken, Leverkusen, Berlin, Bremen und Dortmund.

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Reaktionen der Politik

Wie reagieren Politikerinnen und Politiker, Ministerinnen und Minister auf dieses besorgniserregende Phänomen von massenhafter Messerkriminalität? Lange Zeit vermittelten Politikerinnen und Politiker, auch Innenministerinnen und Innenminister sowie ein großer Teil der Medien, den Eindruck, als handele es sich bei Messerkriminalität um sogenannte „Einzelfälle“. Eine klare Strategie zur Eindämmung der Kriminalitätsform bzw. Ansage an die Täterinnen und Täter ließen sie vermissen. Relativ spät erst setzte eine Diskussion über „Waffenverbotszonen“ in Innenstädten und öffentlichen Verkehrsmitteln ein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte im April 2023 „Waffenverbotszonen an bestimmten Orten“. Wenige Monate später hielt Faeser „ein generelles Messerverbot in Zügen und im gesamten öffentlichen Nahverkehr“ für dringend geboten. „Ich bin für ein Verbot, damit strikter kontrolliert und schlimme Gewalttaten verhindert werden können.“14

Aber wie realistisch sind diese solche Pläne, Menschen das Mitführen von Messern in bestimmten Bereichen zu verbieten? Wie soll dieses durchgesetzt und kontrolliert werden? Der ehemalige Vorsitzende Richter des zweiten Strafsenats des Bundesgerichtshofs, Thomas Fischer hat sich intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt und sie einer juristischen Analyse unterzogen. Zwar sei das Bereithalten „griffbereiter Tötungswerkzeuge im bundesdeutschen Alltagsleben ein unmissverständliches Zeichen permanent latenter Gewalt“.15 Doch die Durchsetzung allgemeiner Messerverbote („überall“) sei völlig unrealistisch. Fraglich sei, ob durch ein allgemeines Messerverbot das islamistische Messerattentat von Mannheim „oder andere Taten hätten verhindert werden können oder zukünftige Taten unwahrscheinlicher werden“. Er sei sicher, dass man durch ordnungsrechtliche Verbote allenfalls die Zahl der Spontantaten reduzieren könne. Und er weist auf einen weiteren Schwachpunkt hin: Die Kontrolle eines Messerverbots. Effektiv wäre ein Messerverbot nur, „wenn es annähernd lückenlos durchgesetzt werden könnte“. Zwar sei ein allgemeines Verbot des Führens von Messern jeglicher Art im öffentlichen Bereich „im Grundsatz nützlich“, könnte aber „nicht wirksam durchgesetzt“ werden. Zudem sei eine Ausweitung der bestehenden Verbotsbereiche „auf alle potenziell gefährlichen Bereiche“ unrealistisch. Abschließend erklärte der ehemalige Bundesrichter in Bezug auf die Pläne der Bundesinnenministerin Nancy Faeser: „Nur symbolisch wirkende Gesetzesänderungen sollten vermieden werden.“16

Sebastian Fiedler, der polizeipolitische Sprecher der SPD im Bundestag, zuvor Kriminalhauptkommissar, forderte im April 2024: „Wir brauchen mehr Waffenverbotszonen.“ In den beiden Städten Düsseldorf und Köln in Nordrhein-Westfalen gibt es bereits seit Ende 2021 solche Zonen. „Das Modell dort ist sehr erfolgreich“, stellt Fiedler fest. Die Einrichtung von Waffenverbotszonen ist Sache der Bundesländer und Kommunen. Aber in einem Bereich sollte man sie bundesweit umsetzen, fordert der SPD-Bundestagsabgeordnete, nämlich in Bahnhöfen und Zügen. „Das würde das Bahnfahren deutlich sicherer machen“, so Fiedler. „Denn die Erfahrung zeigt: Wenn jemand schon ein Messer dabei hat, dann ist er auch schnell bereit, es einzusetzen.“17

Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), erklärt zur seit Jahren steigenden Messerkriminalität: „Lösen lässt sich die Zunahme der Gewaltkriminalität einerseits durch deutlich verbesserte Präventionsmaßnahmen. Unsere Kolleginnen und Kollegen erleben jedoch täglich, dass sie keine Zeit für präventive Maßnahmen bekommen und kein Geld für benötigte Projekte bereitsteht.“ So müssten Anti-Gewalt-Kampagnen durchgeführt werden. „Dabei thematisiert werden sollte unbedingt das Führen von Messern. Auf unseren Straßen braucht sich niemand mit dem Messer zu verteidigen“, so der Gewerkschaftschef. Zudem müsse die Justiz in die Lage versetzt werden, schnell Verfahren zu eröffnen und empfindliche Urteile zu sprechen. „Solange das nicht passiert, wird Gewalttätern nicht wirksam Einhalt geboten. Und daraus entwickeln sich dann kriminelle Karrieren“, erklärte der Polizeibeamte Kopelke bereits im April 2024.18

Das Sicherheitsempfinden der Menschen in Deutschland – Wie sicher ist der öffentliche Raum?

Die repräsentative Umfrage des BKA „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland – SKiD 2020 Bundesweite Kernbefunde des Viktimisierungssurvey des Bundeskriminalamts und der Polizeien der Länder“ zeigt, dass sich bereits im Jahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie und damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen, weniger als die Hälfte der Bevölkerung (46 %) nachts in öffentlichen Verkehrsmitteln sicher fühlte. Unter Frauen war dieser Anteil (33 %) deutlich geringer als unter Männern (60 %). Um sich vor Kriminalität zu schützen, meidet ein erheblicher Teil der Bevölkerung nachts bestimmte Orte (44 %) oder die Nutzung des ÖPNV (37 %) – dies gilt vor allem für Frauen (58 % bzw. 52 %). Der Großteil der Bevölkerung (77 %) hält die Polizei zudem für überlastet. Ebenso empfindet mehr als ein Drittel (39 %) die Polizeipräsenz im öffentlichen Raum als nicht ausreichend.19 Im Jahr 2024 würden diese Werte – mit Blick auf die teilweise massiv angestiegenen Zahlen der Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik – wohl nicht besser ausfallen. Ein neuer Viktimisierungssurvey des BKA ist für 2025 angekündigt und wird wohl höchst problematische Einschätzungen und Zahlen zeigen.20

Ein aktuelles Beispiel für die Bedrohung der Sicherheit im öffentlichen Raum sowie für das Gewaltpotenzial junger Männer und Jugendlicher, die gewaltbereit in Gruppen auftreten, wurde Ende Juni 2024 nach und nach medial und von der Politik besprochen: In der Nacht zu 23.6.2024 wurde der 20-jährige Philippos T., der vom Abiturball seiner Schwester kam, auf dem Nachhauseweg im Bad Oeynhausener Kurpark zu Tode geschlagen. Die Polizei Bielefeld ermittelt nun wegen eines vollendeten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Am 26.6.2024 nahmen Polizeibeamte einen 18-jährigen Syrer fest. Nach dem Stand der Ermittlungen Ende Juni 2024 war der Tatverdächtige Syrer 2016 im Rahmen einer Familienzusammenführung als Flüchtling nach Deutschland gekommen und in der Vergangenheit bereits durch Gewalt-, Eigentums- und Betäubungsmitteldelikte aufgefallen.21

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies bei einer Kommunalkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion, Tage nach dem brutalen Tod von Philippos, darauf hin, dass Bad Oeynhausen ein Beispiel für eine „nicht gelungene soziale Integration“22 sei, es gehe bei der Flüchtlingsintegration vor Ort „sozial ganz schön was auseinander“.23 Auf diese Reaktion der Bundesinnenministerin auf ein brutales Herbert Reul (2019)
© Von Foto-AG Melle - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77485349
Tötungsdelikt in einem öffentlichen Park reagierte der Innenminister von NRW, Herbert Reul (CDU), mit Befremden. „Erst mal ist immer der Schuld und persönlich verantwortlich, der die Tat begeht - und nicht irgendjemand anders“.24 Der junge Mann habe „die Tat begangen und müsse es verantworten", so Innenminister Reul. Integrationshemmnisse – wie dies die Bundesinnenministerin als erste Reaktion auf den brutalen Tod tat – könne man zwar durchaus hinterfragen, erklärte Reul, aber hierbei gehe es vielmehr um eine grundsätzliche strukturelle Überforderung Deutschlands mit den hohen Flüchtlingszahlen: „Vielleicht kann Integration gar nicht gelingen, wenn man in solchen Mengen Menschen in unser Land kommen lässt?“ Dann müsse man da ehrlich sein. Deswegen würde ich mir eher wünschen von der Bundesregierung, dass sie mal ein paar klare Taten folgen lässt, wie sie diese Frage des Zugangs gelöst kriegt. Wir diskutieren an der falschen Stelle, glaube ich“, so Reul. Als erste Maßnahme gegen junge Wiederholungstäter würde er erst mal „dafür sorgen, dass nicht noch viel mehr kommen“, so Reul. Zweitens müsse man sich um jugendliche Problemfälle kümmern. „Das ist eine pädagogische Aufgabe. Einerseits. Aber es ist auch eine Aufgabe, wo die Polizei was tun kann.“25

Videos, in denen Jugendliche anderen Jugendlichen Gewalt antun, kursieren aktuell in den Sozialen Medien. Jüngste Beispiele sind ein schockierendes Video aus Gera Ende Juni 2024, in dem mehr als 20 Jugendliche – Tatverdächtige im Alter zwischen 12 und 15 Jahren – auf einen Jungen einprügeln. Die Polizei hat mehr als 20 Tatverdächtige im Alter zwischen identifiziert. In dem Videoclip ist zu sehen, wie die Angreifer wiederholt heftig auf den Kopf des 14-Jährigen einschlagen. Außerdem sollen sie den Jugendlichen beschimpft und gewürgt haben. Nach Angaben der zuständigen Polizei seien die Tatverdächtigen „afghanischer und syrischer Herkunft, das Opfer habe die deutsche Staatsangehörigkeit“.26

Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 des BKA aus dem Sommer 2024 verzeichnete einen starken Anstieg von Gewaltkriminalität bei Kindern und Jugendlichen. So wurden 12.377 tatverdächtige Kinder (plus 17 % im Vergleich zum Vorjahr) und 30.244 tatverdächtige Jugendliche (plus 14 %) ermittelt. Der Anstieg dieser Straftaten war bei ausländischen Kindern und Jugendlichen besonders deutlich ausgeprägt.27

Fazit

In Bezug auf die Frage „ist die Sicherheit des öffentlichen Raums in Gefahr?“ muss neben der Polizeilichen Kriminalstatistik auch das Sicherheitsempfinden der Menschen in Deutschland analysiert werden, sowohl von der Politik als auch von den Sicherheitsbehörden.

Bei der Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die Ende Juni 2024 erhoben wurde, wurde gefragt: „Was ist Ihrer Meinung nach gegenwärtig das wichtigste Problem in Deutschland?“ Zwei Nennungen waren möglich. Auf Platz 1 (34%) lag das Thema „Migration, Asyl, Ausländer, Integration“, auf Platz 2 (20 %) das Thema „Energieversorgung und Klima“. Andere Antworten lauteten „die Wirtschaftslage“, „Kosten, Löhne, Preise“, „Renten“, „soziales Gefälle“, „Renten“, „Politikverdruss“, „Ukrainekrieg“.28

Der Munich Security Report stellte von Oktober bis November 2023 in einer Erhebung folgende Frage: „Stimmen Sie der Aussage zu, dass Deutschland in zehn Jahren sicherer sein wird?“. 47% der befragten Deutschen antworteten mit Nein, 38 % weder/noch-bleibt wie bisher. Nur 15% der befragten Deutschen antworteten mit Ja.29

Die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ berichtete Ende Juni 2024 von den Ergebnissen einer Forsa-Umfrage (im Auftrag des Deutschen Beamtenbundes) aus dem Mai 2024 in Deutschland und titelte „Neuer Tiefpunkt in puncto-Vertrauen: Mehr als zwei Drittel der deutschen Bürger halten den Staat für außerstande, wichtige Themen wie die Flüchtlings- oder Bildungspolitik lösen zu können“. Die Zuversicht der Deutschen in die Fähigkeiten der Bundesregierung hat gemäß der Forsa-Umfrage einen „neuen Tiefpunkt“ erreicht, auch Bundeskanzler Scholz räumte „eine Vertrauenskrise“ ein: 70 % der Befragten halten den „deutschen Staat für überfordert“. Nur noch 25 % glauben demnach daran, dass der deutsche Staat noch seine Aufgaben erfüllen kann. Für überfordert halten die Befragten den deutschen Staat demnach vor allem in der Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Bildungspolitik sowie bei der öffentlichen Sicherheit. Für den Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes Ulrich Silberbach ist die Entwicklung der vergangenen Jahre bedenklich und er gehe nicht davon aus, dass die politisch Verantwortlichen aus diesen Misstrauenswerten bislang die richtigen Schlüsse zögen: „Wir brauchen wirksame Investitions- und Modernisierungsprogramme bei den Themen Bildung und innere Sicherheit, und wir brauchen einen konsequenten Neuansatz in der Migrationspolitik“, forderte Silberbach. Die Stichworte bei der Migrationspolitik seien eine „bessere Steuerung und intensivere Förderung“. Was in der aktuellen Situation hingegen nicht weiterhelfe, seien „Symbolpolitik“ sowie neue Sonderbeauftragte, Arbeitsgruppen und Staatssekretärsposten, so Silberbach.30

Bei der Thematik Kriminalität und Migration ist es von essenzieller Bedeutung, sachlich und nüchtern auf der Grundlage von Zahlen und Fakten zu argumentieren. Es darf keine Pauschalisierungen geben! Aber es muss ein realistischer Blick auf die vorliegenden Fallzahlen geworfen werden. Werden Probleme im Kontext von Kriminalität und Migration geleugnet bzw. verdrängt, besteht die Gefahr, dadurch Populisten, Radikale und Extremisten zu stärken, die dies dann für ihre Zwecke instrumentalisieren.31

- Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar-

 

Quellen

1 https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/sicherheit-node.html (19.8.2024).
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Vgl. ebd.
5 Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, Kapitel 1.
6 Vgl. https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/sicherheit-node.html (19.8.2024).
7 Vgl. Jacobs, Andreas (2010): Realismus. In: Schieder, Siegfried/Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der internationalen Beziehungen, 3. Auflage, S. 39-64; Schmidt, Brian (2005): Competing Realist Conceptions of Power. In: Millennium: Journal of International Studies, Vol. 33, No. 3, S. 523-549; Schuett, Robert (2010): Political Realism, Freud, and Human Nature in International Relations. Palgrave Macmillan, New York; Toke, Asle/Kunz, Barbara (Hrsg.) (2012): Neoclassical Realism in European Politics: Bringing Power Back In. Manchester University Press/ Palgrave Macmillan, New York.
8  https://www.nzz.ch/international/messerattacke-frankfurt-am-main-afghane-attackiert-frau-mit-messer-ld.1834677 (19.8.2024).
9 Vgl. https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/boerde/wolmirstedt-polizei-angriff-schusswaffe-114.html (19.8.2024).
10 Vgl. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/verletzte-auseinandersetzung-em-fanzone-stuttgart-100.html (19.8.2024).
11 Vgl. https://www.welt.de/vermischtes/article252280484/Lauf-an-der-Pegnitz-Polizisten-schiessen-nach-Messerattacke-auf-Angreifer.html (19.8.2024).
12 Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2024): Polizeiliche Kriminalstatistik 2023. Ausgewählte Zahlen im Überblick. Berlin, S. 15.
13 Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, Kapitel 1.
14 Vgl. https://www.focus.de/panorama/ex-bundesrichter-thomas-fischer-messer-verbote-in-staedten-was-faeser-knallhart-fordert-ist-voellig-unrealistisch_id_260028938.html (19.8.2024).
15 Vgl. ebd.
16 Vgl. ebd.
17 https://www.merkur.de/politik/messer-bahn-kriminalstatistik-nancy-faeser-sebastian-fiedler-spd-gewaltstraftaten-zr-92994617.html (19.8.2024).
18 Ebd.
19 Vgl. Bundeskriminalamt (2020): Sicherheit und Kriminalität in Deutschland – SKiD 2020 Bundesweite Kernbefunde des Viktimisierungssurvey des Bundeskriminalamts und der Polizeien der Länder, S. VI-IX.
20 Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, Kapitel 1.
21 Vgl. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/gewalttat-in-bad-oeynhausen-polizei-sieht-nach-todlichem-angriff-hinweise-auf-einzeltater-11918387.html (19.8.2024).
22 Vgl. https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/nrw-innenminister-widerspricht-faeser-im-fall-bad-oeynhausen/ar-BB1p4wYB?ocid=msedgntp&pc=ACTS&cvid=d8c4dc3019d34d589d743ff3ec83868b&ei=16 (19.8.2024).
23 Vgl. ebd.
24 Vgl. ebd.
25 Vgl. ebd.
26 Vgl. https://www.welt.de/vermischtes/kriminalitaet/article252123760/Gera-Jugendliche-quaelen-14-Jaehrigen-Polizei-ermittelt-nach-Gewaltvideo.html (19.8.2024).
27 Vgl. ebd.
28 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1062780/umfrage/umfrage-zu-den-wichtigsten-problemen-in-deutschland/ (19.8.2024).
29  https://de.statista.com/infografik/31737/befragte-die-denken-dass-ihr-land-in-den-naechsten-10-jahren-sicherer-werden-wird/ (19.8.2024).
30 Vgl. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/deutschland-70-prozent-der-buerger-halten-staat-fuer-ueberfordert-forsa-umfrage-a-ea1175ab-d979-4e5c-9adb-39b2dc059d44 (19.8.2024).
31 Vgl. Goertz, S. (2024): Öffentliche Sicherheit in Gefahr? Stuttgart: Kohlhammer, Kapitel 1.

 

Über den Autor
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei
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