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Welt in Aufruhr.

Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert.

Herfried Münkler,
Rowohlt Verlag, Berlin 2023,
528 Seiten.
ISBN 978-3-7371-0160-8.
Ladenverkaufspreis 30 €.
In den ersten vier Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs glaubten viele, die Weltordnung sei in Beton gegossen. Dies galt insbesondere für die Deutschen. Unter einem größeren Blickwinkel sah das ganz anders aus: In diesen Jahren zerfielen die europäischen Kolonialreiche, China stieg wirtschaftlich und militärisch kometenhaft auf und die Bedeutung des Religiösen nahm in vielen Teilen der Welt drastisch zu. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine verdeutlicht seit 2022 jedermann, dass sich in der Weltordnung etwas Grundlegendes verändert hat.

Herfried Münkler lehrte Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher – so etwa „Die Deutschen und ihre Mythen“ – waren Bestseller und bestimmten den öffentlichen Diskurs. Sie wirkten oft wie Verstärker eines bereits bestehenden Zeitgeistes. Salopp formuliert lösten sie bei vielen Lesern die Reaktion aus: So ist es! Der Autor zweifelt nicht daran, dass er sich mit seinem neuen Buch auf dünnes Eis begibt. Er bezeichnet es in der Einleitung als „riskantes Projekt“, weil er darin nicht Wünsche und Hoffnungen beschreibt, sondern sich darauf einlässt, die prozesshaften Veränderungen der Mächteordnung des 21. Jahrhunderts zu besprechen.

Treffend arbeitet Münkler heraus, dass viele Menschen im Westen das Ende des Kalten Krieges als Beginn einer „Leichtigkeit“ empfanden. Hierzu passte eine jetzt „überdimensionierte deutsche Armee“ nicht, da sie „bei den europäischen Nachbarn größte Sicherheitsbedenken ausgelöst (hätte), schon deshalb musste sie abgerüstet werden.“ Damit gingen Einsparungen einher, die Deutschland in einen weiteren Ausbau des Sozialstaates und auch in eine vielfältige Aufbauhilfe für die neuen Bundesländer und die Staaten des vormaligen Warschauer Pakts investierte. Die oft zitierte „Friedensdividende“.

Hieraus leitet der Autor über zu drei politikwissenschaftlichen Theorien, die sich damit befassen, wie Frieden dauerhaft gesichert werden kann. Das vielleicht eindrucksvollste Argument ist, dass Krieg zu hohe Kosten verursacht, um noch geführt werden zu können. Daher erscheint eine größtmögliche Ausdehnung der wirtschaftlichen Verflechtung durchaus sinnvoll. Somit wären dann sowohl Bundeskanzler Schröder als auch seine Nachfolgerin, Angela Merkel, auf dem richtigen Weg gewesen.

Jedoch passt dieser Ansatz nur zu postheroischen Gesellschaften – ein von Münkler geprägter Begriff –, „in denen der Opfergedanke für den Zusammenhalt der Gesellschaft im Unterschied zu heroischen Gesellschaften kaum eine Rolle spielt.“ Die damit im Westen verbundene Illusion vom Beginn eines Ewigen Friedens hielt dem Test an der Wirklichkeit nicht stand. Mehr noch: Für den Westen zeigte sich bald, dass man schlichtweg vergessen hatte, „dass es einen Nutzen von Gegner- und Feindschaft für die eigene politische Ordnung gab, und das Verschwinden des östlichen Kontrahenten als Eintritt in eine Welt ohne Feinde gefeiert.“ Dies war in Europa der Beginn von offen ausgetragenen Uneinigkeiten. Münkler stellt fest: „Das hat sich seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine verändert.“

Der Verfasser streicht heraus, dass es die von vielen erträumten Konstanten in der Weltpolitik nicht gibt: „Die Polaritäten einer Weltordnung ändern sich, und nicht selten haben die daran beteiligten Akteure keine Vorstellung davon, welche Folgen ihre in eher kurzfristiger Perspektive getroffenen Entscheidungen haben werden.“ En passant zeigt der Autor auch einer „wertorientierten Außenpolitik“ die Schranken auf. Diese sei stets „auf einen Hüter angewiesen, den es aber auf Dauer nicht gibt – oder sie muss dessen Aufgaben selbst übernehmen, womit sie aber strukturell überfordert“ ist. Ohne Zweifel trifft dies in besonderem Maße auf die gegenwärtige deutsche Außenpolitik zu.

Immer weiter nimmt der Autor seine Leser mit in theoretische Konstrukte über Krieg und Frieden. Es kann nicht verwundern, dass er recht lange bei Carl Schmitt verweilt, dem Verfassungsrechtler, der die Weimarer Republik prägte und bis heute polarisiert: Nicht nur durch seine grundsätzlichen Überlegungen zu „Freund“ und „Feind“. An Schmitt scheiden sich bis heute die Geister. In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass er von politisch links bis politisch rechts als Vordenker gilt. Münkler stellt heraus, Schmitt sei für die „Intellektuellen in Russland, aber auch in China“ ein „Vordenker“, den sie „nicht nur zitieren, sondern in der Struktur ihrer Argumentation seinen Vorstellungen folgen.“

Globale Stabilität sieht Münkler in einer „Weltordnung der großen Fünf“: Die USA, China, Indien, Russland und die Europäische Union.“ Jedoch deckt er bei allen Akteuren große Probleme auf, die gelöst werden müssen. Beispielsweise erachtet er es als unverzichtbar, dass sich die EU von ihrer Rolle als „Regelgeber und Regelbewirtschafter“ zu einem „machtpolitisch handlungsfähigen Akteur“ wandelt. Nüchtern betrachtet ist dies wohl ein frommer Wunsch.

Fasst man seine Bedenken und Einwände zusammen, so bleibt mehr Ungewissheit als Gewissheit. So fällt auch Münklers Resümee aus: „Es sind nicht nur einzelne Mächte, die in oder an der neuen Weltordnung scheitern können, sondern scheitern kann diese globale Ordnung auch als Ganzes. Die Folgen wären freilich furchtbar.“

-Dr. Reinhard Scholzen-

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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