Das Polizeibeauftragtengesetz des Bundes – viel Lärm um Nichts
Von Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., Berlin
In der derzeitigen politischen Diskussion um Auswege aus der Haushaltskrise hat eine Vokabel Hochkonjunktur, von der man sich wohl den Königsweg aus der finanziellen Sackgasse erhofft: Priorisierung. Umgangssprachlich wird damit das altbewährte Hausrezept „Das Wichtigste zuerst“ umschrieben.
Als Leitplanke für eine pragmatische Politik sicherlich nicht die schlechteste Lösung. Wer im Bereich der Inneren Sicherheit ähnliche Einsichten erwartet, wird enttäuscht. Während die Bundespolizei seit über 60 Jahren auf die längst fällige Neufassung des Zwangsanwendungsrechts und seit über 20 Jahren auf die ebenfalls überfällige Novellierung des Bundespolizeigesetzes wartet, konzentriert man vielmehr die offensichtlich limitierten personellen Ressourcen des Bundesinnenministeriums zur Mehrwertsteigerung der Bundespolizei auf die Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten, für den insbesondere die Praxis keineswegs ein vorrangiges Bedürfnis besteht, zumal die Liste der Beauftragten der Bundesregierung sowie der Koordinatoren der Bundesregierung nach § 21 Abs. 3 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien bereits mehr als 40 Stelleninhaber umfasst. Ihre Effizienz sowie deren finanziellen Zusatzkosten wurden bisher keiner ernsthaften Prüfung unterzogen. Dies hinderte die Parlamentarier des Haushaltsausschusses jedoch nicht, im Rahmen der Beratungen zum Etat des Bundestags 2023 auf Antrag der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, entsprechende Personalmittel für das kommende Jahr einzuplanen und Stellen für einen Aufbaustab auszubringen. Allerdings sollen die Mittel vorerst gesperrt werden; der Aufhebung der Sperren muss laut Antrag der Haushaltsausschuss zustimmen. So bleibt die Hoffnung, dass das Gesetzesvorhaben den anstehenden Sparmaßnahmen zum Opfer fällt und den Beschäftigten ein weiterer bürokratischer Moloch erspart bleibt.
Zwischenzeitlich haben Sachverständige in einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montag, dem 27. November 2023, zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP „über die Polizeibeauftragte oder den Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag“ (Bundestagdrucksache 20/9148) Stellung genommen. Die Vorlage soll die Grundlagen für das neue Amt eines Polizeibeauftragten für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Bundestag schaffen. Mit dem neuen Amt soll dem Entwurf zufolge eine unabhängige Stelle außerhalb der behördlichen Strukturen dieser Polizeien des Bundes eingerichtet werden, bei der sowohl deren Beschäftigte als auch die Bürger mögliches Fehlverhalten von Angehörigen der genannten Polizeibehörden oder auch mögliche strukturelle Missstände anzeigen, untersuchen und bewerten lassen können. Diese neue Möglichkeit soll ergänzend neben die weiter existierenden behördeninternen Verwaltungsermittlungen und die Möglichkeiten im Rahmen des Disziplinar- beziehungsweise Arbeitsrechts sowie den justiziellen Weg vor die Gerichte treten.
Es hätte sicherlich der Qualität der Entscheidungsfindung durch die Sachverständigen gedient, wenn sie etwas tiefer in die Vergangenheit eingetaucht wären, denn bereits in der 18. und 19. Legislaturperiode scheiterte ein entsprechender Antrag der Fraktion der Grünen zur Einrichtung eines Bundespolizeibeauftragten, da die Mehrheit der Parlamentarier keine Notwendigkeit sah, auf die bereits bestehenden Überprüfungsmechanismen verwies, die die Uferlosigkeit der beabsichtigten Überprüfungspalette beanstandete und mit unterschiedlicher Begründung die Notwendigkeit einer derartigen Einrichtung bezweifelte. Als vorrangiges Problem wurde vielmehr die zunehmende Gewalt gegen Sicherheitsorgane identifiziert. In der parlamentarischen Debatte fiel der Vorschlag durch. In der nunmehrigen Koalition haben sich die Kräfteverhältnisse geändert, zumal es sich um ein Dreierbündnis handelte, bei dem jeder danach trachtete, seine Lieblingsthemen im Koalitionsvertrag unterzubringen. So wurde trotz anderer drängender Probleme im Sicherheitsbereich das Vorhaben eines Bundespolizeibeauftragten reanimiert und dem Drängen der Grünen nachgegeben.
Gleichwohl ergab das zwischenzeitliche Anhörungsverfahren ein eher differenziertes Bild. Dass die Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, bereits etablierte Polizeibeauftragte und Sozialwissenschaftler, die in diesem Metier forschen, ohne weitere Begründung die Vorzüge einer derartigen Einrichtung priesen, ist für den Interessierten, der sich mit der Auswahl von Sachverständigen bei Anhörungen beschäftigen, nicht weiter verwunderlich. So erschöpfte sich die Argumentation des genannten Personenkreises in Anmerkungen zu den Details des Gesetzesvorschlages, der selbst das Verfahren bei der Annahme von Geschenken regelt, ohne sich mit der grundsätzlichen Frage der Notwendigkeit näher zu beschäftigen. Anders hingegen die Professorin Stefanie Grünewald von der Akademie der Polizei Hamburg, die nüchtern feststellte, dass keine rechtliche Notwendigkeit zur Schaffung eines Polizeibeauftragten des Bundes beim Bundestag bestehe. Sie könne allenfalls politisch gewünscht sein. Noch deutlicher wurde Univ.-Prof. Dr. Dr. Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei, indem er auf den Katalog der effektiven und menschenrechtskonformen Beschwerdemöglichkeiten in Deutschland hinwies. Die Rechtsordnung stelle umfangreiche Instrumente für eine Kontrolle individuellen Fehlverhaltens und problematischer aktueller Entwicklungen zur Verfügung. Die Einrichtung eines oder einer Polizeibeauftragten des Bundes beim Bundestag sei in der vorgeschlagenen Ausgestaltung auch hinsichtlich des Kosten-Nutzen-Verhältnis eine nicht gebotene oder erforderliche Maßnahme. Sie müsse sich durch rechtliche Vorgaben als geboten oder jedenfalls zum Schutz wesentlicher Rechtspositionen als erforderlich erweisen. Dies sei mit Blick auf den Gesetzentwurf nicht der Fall.
Die Belange der Polizeibediensteten an der Basis zu artikulieren, blieb vorrangig den Berufsvertretungen vorbehalten. Heiko Teggartz, stellv. Vorsitzender der DPolG wies er darauf hin, dass nach seriösen Untersuchungen die Polizei mit 85 % weit oben in der Vertrauensskala der Bevölkerung stehen. Auch im internationalen Vergleich liegt die deutsche Polizei beim Vertrauen der Menschen weit vorne. Bei der Diskussion um die Notwendigkeit eines Bundespolizeibeauftragtengesetzes sei zunächst ein Blick auf die bereits vorhandenen Reaktions- und Interventionsmöglichkeiten hilfreich. Für den Bereich der Strafverfolgung sind dies die Staatsanwaltschaften und Gerichte. Es sei nach Auffassung der DPolG kaum vorstellbar, dass die Unabhängigkeit der Justiz, die allein Recht und Gesetz und keiner politischen Erwartungshaltung verantwortlich ist, durch eine Institution übertroffen werden kann, die durch das Parlament mehrheitlich gewählt werden soll. Es gebe keinerlei begründete Argumente für die Behauptung, dass aus der Vielzahl von Einstellungen von Strafverfahren gegen Polizeibeschäftigte durch die Staatsanwaltschaften auf eine „institutionelle Nähe" zu schließen sei, die die Objektivität der Staatsanwaltschaften beeinträchtigt. Die den Gesetzentwurf vorlegende Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grüne begründeten in keiner Silbe des Gesetzesentwurfs die Notwendigkeit der Einrichtung eines Polizeibeauftragten, gemessen an den tatsächlichen Fallzahlen von entsprechenden Fehlverhalten. Im Ergebnis werde ein solches Gesetz dazu führen, dass das Vertrauen der Bundespolizistinnen und -polizisten in die gewählten Parlamentarier endgültig und nachhaltig zerstört werden könnte. Die veranschlagten Haushaltsmittel könnten innerhalb der Bundespolizei durchaus sinnvolleren Verwendungen zugeführt werden. So könnten damit deutlich besser die derzeitigen Bemühungen zur Stärkung des Personalkörpers, der Aus- und Fortbildung sowie der Ausrüstung und Ausstattung der Beschäftigten mit Einsatzmitteln gedient werden.
Alexander Poitz, stellv. Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, stand dem Vorhaben, eine Stelle außerhalb der behördlichen Strukturen dieser Polizeien des Bundes einzurichten, ebenfalls konstruktiv kritisch gegenüber. Die Öffentlichkeit sowie Polizeibeschäftigte haben durch die bereits vorhandenen und etablierten Strukturen die Möglichkeit der Beschwerde. In der verfassungsmäßigen Ordnung sind die Instrumente des öffentlichen Petitions-, Straf-, Dienst- und Disziplinarrechtes vollkommen ausreichend, um widerrechtliches Handeln von Polizeibeschäftigten zu entdecken, zu ermitteln und gegebenenfalls zu sanktionieren. Es ist Aufgabe der Parlamente, durch Ausschüsse, Kontrollgremien etc. die Polizei als Teil der Exekutive zu kontrollieren und zu überprüfen. Dieser funktionierende Mechanismus wird mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf ad acta gelegt und damit Verantwortung weggeschoben und verlagert. Obwohl die Rechtsordnung die Rechtmäßigkeits- und Verhaltenskontrolle der Polizei der Justiz zuweist und das Disziplinarrecht als internes Korrektiv vorsieht, hat sich in den vergangenen Jahren eine vielfältige Nebenstruktur etabliert, der es teilweise an der gesetzlichen Legitimation mangelt, die Doppelzuständigkeiten schafft und in deren Wirken die Wahrung der Rechte der betroffenen Polizeibeschäftigten nicht immer klar ist. Zudem ist zu klären, welche Wirkung die Soweit die Anhörungen.
Angesichts der Fülle von Untersuchungsausschüssen der letzten Jahre, die sich zwar zeit- und personalaufwendig, aber meistens ohne verwertbare Ergebnisse mit sicherheitspolitischen Fehlentwicklungen auseinandersetzten, ist es nahezu naiv, von einem personell überschaubaren Kontrollorgan beim Bundestag, an das in Hinblick auf Qualifikation und fachlich Eignung noch nicht einmal besondere nachvollziehbare Kriterien gestellt werden, nunmehr die Lösung der vermeintlichen Probleme der Polizei zu erwarten. Die bisher vorliegenden Ergebnisse und Tätigkeitsberichte der Landespolizeibeauftragten lassen eher eine Überschätzung der bisherigen Kontrolleinrichtungen vermuten, zumal die Datenbasis immer noch schmal ist und seriöse wissenschaftliche Abhandlungen zur Wirkung von Kontrollmechanismen immer noch fehlen. Selbst nur ein kursorischer Blick in die bisher vorliegenden Jahresberichte beweist, dass es sich in der Vielzahl der Beschwerden um Bagatellfälle handelt, für deren Bearbeitung es keiner gesonderten Kontrollinstanz bedurft hätte. Weder wurden Polizeiexzesse noch Versuche bekannt, polizeiliches Fehlverhalten zu vertuschen. Nachdenklich stimmt allerdings die Tatsache der Fülle von Eingaben aus den Reihen der Polizeibeamtenschaft selbst, die auf offensichtliche Führungsfehler im Binnenbereich hindeuten. Auch die Berufung auf die bereits existierenden Einrichtungen im Ausland sind nicht zielführend, da diese sich regelmäßig in einem Umfeld bewegen, das mit den Binnenstrukturen der deutschen Polizeien und den deutschen Rechtsschutzsystemen überhaupt nicht vergleichbar ist und wie die jüngsten Polizeiskandale in Großbritannien beweisen, sich keineswegs als Firewall gegen Fehlentwicklungen behaupten konnten.
Es ist mehr als auffällig, dass die Ordnungshüter der einzige Beamtenzweig sind, bei dem über das geltende Organisations- und Dienstrecht hinaus zusätzliche Kontrollinstanzen für erforderlich gehalten werden. Damit wird die Polizei gegenüber anderen Verwaltungszweigen in eine Sonderrolle gedrängt, da lediglich die Streitkräfte in Person des Wehrbeauftragten ein besonderes Kontrollorgan besitzen, dessen Einrichtung jedoch durch die zwangsweise Inpflichtnahme des Staatsbürgers durch Einführung der Wehrpflicht bedingt war und eher der Beseitigung von Klagen der Uniformierten als deren Kontrolle dient. Auch ist zu berücksichtigen, dass der liberale Rechtsstaat mit seiner Fülle reglementierender Normen, seinen zahlreichen Kontrollinstitutionen und seinen weltweit einmaligen Rechtsweggarantien ein so wirksames Bollwerk gegen staatliche Willkür bildet, dass es schon einer besonderen Rechtfertigung bedarf, warum ausgerechnet die weitgehend verrechtlichte sowie im ständigen Fokus einer kritischen Öffentlichkeit stehende Polizei besonderer Überwachung bedarf, um das Publikum vor rechtswidrigen Übergriffen zu schützen. Zusätzliche Kontrolleinrichtungen überlagern und doppeln bisherige Kontrollverfahren, verursachen unnötige Personalkosten, verwischen Verantwortlichkeiten und laufen den Forderungen nach Verschlankung und Entbürokratisierung der öffentlichen Verwaltung zuwider. Bei weiteren Diskussionsbeiträgen müsste nachgewiesen werden, welcher zusätzlicher Mehrwert zu den bisherigen Instrumenten des Straf-, Verwaltungs-, Zivil- und Disziplinarrechts und zu den vielfältigen Einrichtungen der inneren Revision durch die Einrichtung einer zusätzlichen Feststellungsebene generiert werden soll, zumal es sich es sich um ein Instrument zusätzlicher Bürokratie handelt, deren Hang zur Ausweitung und Verfestigung bereits Parkinson nachgewiesen hat. Immerhin sandte der Innenausschuss schon erste Signale, indem er die Höherstufung der Planstelle der Kontrollperson von der an sich schon recht lukrativen Besoldungsgruppe B 6 auf B 9 forderte. Und um das Geschmäckle abzurunden: Mit der Benennung der Person eines Parlamentariers der Ampelkoalition steht schon der erste Kandidat in den Startlöchern, zumal möglichen Beauftragten zugutekommt, dass von ihnen keine besonderen wissenschaftlichen oder juristische Qualifikationen gefordert werden.
Es gehört zu den Mechanismen der heutigen Sicherheitspolitik, dass Grundsatzerklärungen nur eine kurze Halbwertszeit haben und schnell zur Disposition gestellt werden, wenn es politisch opportun ist. Bei den andauernden Diskussionen um zusätzliche externe Kontrolle würde man sich etwas mehr von dem Geist wünschen, der der Grundsatzerklärung der Innenministerkonferenz zur deutschen Polizei im Sommer 2020 in Erfurt zu Grunde lag: „Wir erleben derzeit im Rahmen von Demonstrationen, öffentlichen Debatten und in den sozialen Medien eine unzulässige Pauschalisierung und ungerechte, sowie undifferenzierte Verurteilung der deutschen Polizei. Für uns ist klar: Das wird unserer Polizei nicht gerecht - jeder Generalverdacht verbietet sich! Unsere Polizei ist gesellschaftlicher Vermittler, allgegenwärtiger Helfer, sie schützt unsere Grenzen in einem offenen Europa und sie gewährleistet unser aller Sicherheit und unser Leben in Freiheit. Sie steht in der Mitte der Gesellschaft, ist unparteiisch und weltoffen. Das Vertrauen in die deutsche Polizei ist im internationalen Vergleich eminent hoch. Damit das so bleibt, braucht die Polizei auch den Rückhalt durch die Menschen und Institutionen in diesem Land.“ Um auf das Ausgangsthema zurückzukommen: Vor allem braucht die Polizei die Unterstützung der Politik. Selbst dann, wenn es auch mal Wählerstimmen kosten sollte.