Landesverteidigung. Struktur, Reichweite und Entscheidungskompetenzen der Einsatzbefugnisse der Streitkräfte zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland.
Als Maximilian Orthmanns hier zu besprechende Arbeit von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde, schien die Welt für viele noch in Ordnung.
Damals, im Sommer 2021, war Landesverteidigung für die meisten Deutschen und auch für die politische Elite ein Randthema, mit dem man sich lediglich theoretisch befasste. Dass Landesverteidigung Realität werden könnte, schien nach dem Ende des Ost-West-Konflikts für fast alle Entscheider in Deutschland zumindest sehr unwahrscheinlich. Nicht wenige glaubten gar an eine Zeit des Ewigen Friedens.
Man könnte Orthmanns Buch zur Seite legen mit dem Hinweis, der 24. Februar 2022 habe alles verändert. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine habe eine neue Zeit begonnen und dies führe dazu, dass das Thema Landesverteidigung auch aus juristischer Perspektive neu gedacht werden müsse. Mit diesem populistisch klingenden Gedanken nähert man sich einer Frage an, die sich wie ein roter Faden durch die Rechtswissenschaft zieht: Wann sollte eine Rechtsnorm verändert werden? Dieses Buch bietet den großen Vorteil, dass sich der Autor seinem Thema „sine ira et studio“ nähern konnte. Orthmann schrieb seine Dissertation in einer Zeit, in der man sich besonnen – ohne ideologische Scheuklappen – dem Thema Krieg und Frieden und auch der Landesverteidigung nähern konnte. Dies führt zu einer gelassenen, unaufgeregten Betrachtung, die im Frühjahr 2023 – auch in wissenschaftlichen Darstellungen – nahezu unauffindbar ist.
Der Autor wählt zwei Zugänge zu seinem Thema. Zum einen geht er von dem Begriff der Verteidigung aus, zum anderen betrachtet er die Artikel 35 und 87a des Grundgesetzes. Aus dieser Bestandaufnahme ergeben sich zunächst die Fragen und sodann die Antworten zu den Einsatzbefugnissen. In der Summe erarbeitet der Autor einen facettenreichen Gesamtüberblick über die Wehrverfassung. Demgegenüber weniger stark gewichtet sind der schwere staatsgefährdende Notstand und Hilfseinsätze im Katstrophennotstand.
Der Autor ist sicher, dass die Einsatzbefugnisse der Wehrverfassung ein weitreichendes Schutzpotential bieten. Weiter führt er aus: „Die historischen Materialien zeigen jedoch eindeutig auf, dass eine Begrenzung der Einsatzszenarien Pate bei der Schaffung des Art. 87a GG sowie der Notstandsnovelle war. Eine Lückenlosigkeit kann auf Grund der begrenzten Einsatzszenarien nicht bestehen. Das macht jedoch nicht eine Ausweitung der Streitkräftebefugnisse und gar eine zum Polizeirecht vergleichbare Generalklausel notwendig, sondern eine regelmäßige Überarbeitung. Die staatliche Gefährdungslage stellt sich aktuell deutlich anders dar als die Gefährdungslage der 1960er Jahre. Indes handelt es sich bei der aktuellen Fassung des Verteidigungsbegriffs nicht um den ‚zahnlosen Tiger‘, wie er teilweise in Bezug auf Terrorismusszenarien, Seepiraterie oder Cyberbedrohungslagen dargestellt wird.“
Gerade jetzt sollte man Orthmanns Werk zur Hand nehmen, wenn es um die Frage geht, ob im Rahmen des großen Themas Landesverteidigung rechtliche Rahmenbedingungen verändert werden sollten. Dabei wird das Politische einen großen Einfluss haben. Zu groß sollte er jedoch nicht sein.
-Von Dr. Reinhard Scholzen-