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Neue Kommunikationstechnologien zur Förderung der Mobilität älterer Menschen in einer mittleren Großstadt

Von Ildikó Szarvas, Manuela Nitsch, Oliver Lambacher, Jürgen Howe
Technische Universität Braunschweig, Institut für Psychologie, Abteilung Gerontopsychologie

Zusammenfassung

Dieser Beitrag stellt eine Studie über Mobilitätshindernisse und -wünsche von 55-90-jährigen Senioren (N = 279) einer mittleren Großstadt (Braunschweig) vor (gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung).  Ziel ist es, ein Assistenz- und Informationssystem zu entwickeln, das eine selbstständige Navigation in barrierefreien Routen außerhalb der eigenen Wohnung unterstützt. Dabei konzentriert sich das Projekt auf Routen in der bestehenden Infrastruktur, die zu Fuß, mit dem Taxi, dem öffentlichen Nahverkehr oder einer Kombination zurückgelegt werden. Des Weiteren werden der Umgang und die Akzeptanz von vorhandenen mobilen Geräten erfasst, um eine geeignete Plattform für das geplante Assistenz- und Informationssystem auszuwählen.

Die Ergebnisse zeigen, dass Busse und Straßenbahnen wichtige Verkehrsmittel darstellen.  Von den 65-jährigen und älteren Personen nutzten nur Wenige (unter 10%) die neuen Kommunikationstechnologien. Die Smartphones dienen nicht als Mobilitätshilfen.

 

Einleitung

Durch die Verbesserung der Mobilität soll die selbständige Lebensführung älterer Menschen gesichert, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unterstützt werden und damit die Lebensqualität erhalten bleiben.

Um diese Ziele zu erreichen, wird auf Basis bestehender Informationssysteme ein Assistenz- und Informationssystem entwickelt, das eine selbstständige Navigation in barrierefreien Routen außerhalb der eigenen Wohnung je nach Grad der individuellen Funktionseinschränkung durch intelligente Kombination von Information, Ortung und Kommunikation unterstützt.

Die Navigation soll durch den komfortablen Zugriff auf assistierende Gesundheitstechnologien und Dienstleistungen ergänzt werden Damit könnten gesundheitliche Risiken während der Nutzung von Verkehrsmitteln vermindert werden und gesundheitliche Beeinträchtigungen verlieren ihren Charakter als Mobilitätshindernis.

Die Anforderungen älterer Menschen an ihre Mobilität bezüglich der Mobilitätsarten (Zu-Fuß-Gehen, Bus- und Straßenbahnfahren, Taxifahren) sollen ermittelt und die Akzeptanz von vorhandenen mobilen Geräten analysiert werden. Die Erhebungen fanden von August 2012 bis März 2013 statt.

 

1 Hintergrund

1.1 Mobilitätsverhalten Älterer

Das Mobilitätsverhalten Älterer wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Neben den altersbedingten Funktionseinschränkungen, die die Gefahr von Stürzen und somit die Unfallgefahr erhöhen, spielt ein Mangel an Selbstvertrauen im Umgang mit verschiedenen Verkehrsmitteln eine Rolle (BMVBS, 2010).

Die Verkehrsinfrastruktur muss deswegen altersgerechter werden. Beispielsweise muss die Oberfläche von Wer auf Gehilfen angewiesen ist, meidet Kopfsteinpflaster, wenn es denn geht.Gehwegen, niederflurgerechte Fahrzeuge, hohe Verfügbarkeit von Toiletten und gute Erreichbarkeit von Notrufeinrichtungen bedacht werden. Zur Verbesserung der Möglichkeiten der Mobilität älterer Menschen ist eine Berücksichtigung ihrer Wünsche, Ängste und Bedürfnisse erforderlich.

Die Ergebnisse vieler Studien zeigen, dass es signifikante Unterschiede in der Wahl der Transportmittel bzw. in der Häufigkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in den ländlichen und städtischen Regionen bei älteren Menschen gibt (Kostyniuk & Shope, 2004). In städtischen Gebieten, erreichen ältere Menschen ihre Mobilitätsziele öfter mit dem Fahrrad, mit dem ÖPNV oder mit dem Taxi (Käser, 2003; Föbker & Grotz, 2006).

Fiedler (2007) untersucht die Wünsche und Anforderungen älterer Menschen in Europa, damit die öffentlichen Verkehrsmittel die Anforderungen der alternden Gesellschaft in Europa erfüllen können. Er kommt zu dem Schluss, dass viele ältere Menschen nicht erfüllte Mobilitätswünsche und Mobilitätsbedürfnisse haben.

 

1.2 Nutzung neuer Kommunikationstechnologien

Für die geplante nahtlose Routenplanung inklusive Fußwegnavigation mit flexibler Anpassung an die Wünsche des Nutzers muss die technologische Plattform diversen Voraussetzungen gerecht werden. Da eine  Nutzung mobiler Geräte wünschenswert ist, wurde eine Realisierung über Smartphones geplant. Smartphones verfügen u.a. über GPS, WLAN etc. und erfüllen damit die erforderlichen technischen Voraussetzungen. Allerdings sind sie mit zunehmendem Alter immer weniger verbreitet.

So teilt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (2012) mit, dass in 2011 „laut Umfrage […] der Anteil der Smartphone-Besitzer mit steigendem Alter stark ab[nimmt]“.

Während es im Altersbereich 50 bis 64 Jahre noch 27% sind, fällt die Anzahl der Besitzer für den Altersbereich ab 65 Jahren auf lediglich 6%. Mit steigendem Alter nimmt die Anzahl demnach rapide ab. Die geringe Verbreitung stellt eventuell eine Hürde für die Nutzung neuester Kommunikationstechnologien durch ältere Menschen bei der Planung und Umsetzung ihrer Mobilitätsbedürfnisse dar.

Daher ist es wichtig, für die zu untersuchende Population die tatsächliche Verbreitung und darüber hinaus das Interesse an Smartphones und den Umgang mit dieser Technologie erneut empirisch zu erfassen.

Ergänzend hierzu ist die Internetnutzung zu erwähnen. Während der Online-Anteil der jüngeren Menschen relativ gesättigt ist, liegt der Anteil der Onliner 2012 in der Altersgruppe 50 bis 59 bei 76%. 60- bis 69-jährige sind zu 60,4% online, während die über 70-Jährigen nur noch zu 28,2% online gehen (Initiative D21 e. V. & TNS Infratest GmbH, 2012).

Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass nach wie vor ein „digitaler Graben“ zwischen älteren und jüngeren Menschen klafft.

 

 Kötter

 

2 Methode

2.1 Fragestellung

Die Studie analysiert die Nutzung neuer Kommunikationstechnologien durch Ältere im Alter von 55 bis über 90 Jahren mit den folgenden Hypothesen:

  • Die Anzahl der gesundheitlichen Einschränkungen nimmt mit dem Alter zu.
  • Die Bedeutung der verschiedenen Verkehrsmittel für die Lebensqualität unterscheidet sich bezüglich der Altersgruppen.
  • Höhere Altersgruppen benutzen die neuen Kommunikationstechnologien seltener.

2.2 Fragebogenstudie

Für die Beantwortung der Fragestellung wurde ein Fragebogen mit insgesamt 59 Items erstellt. Die Items decken die Bereiche soziodemografische Daten, Mobilitätsziele und –wünsche, Mobilitätshindernisse durch gesundheitliche Einschränkungen sowie Übergänge zwischen Mobilitätsarten ab.

Bezüglich der Nutzung von Smartphones sind zwei Varianten ausgearbeitet worden. Eine richtet sich an Personen, die bereits ein Smartphone nutzen, die andere Variante richtet sich an Personen, die noch kein Smartphone besitzen und erfragt die Wünsche hinsichtlich der Funktionen und der Funktionalität.

2.3 Durchführung der Studie

Da die Gruppe der älteren Menschen nicht homogen ist, wurden die Teilnehmer der Studie (N = 279) in drei Altersgruppen eingeteilt: 55–64-Jährigen (N = 70), 65–74-Jährigen (N = 88) und 75-Jährigen und Älteren (N = 121). Diese Einteilung ermöglicht eine differenzierte Beurteilung der erhaltenen Daten.

Die Datenerhebung erfolgte zwischen August 2012 und März 2013.

 

3 Ergebnisse

3.1 Gesundheitliche Einschränkungen und Alter

Die Korrelationsanalyse zeigt signifikante Zusammenhänge (r = .17, p = .015) zwischen dem Alter und der Anzahl Mit einem umfassenden Programm möchte die Deutsche Bahn weitere wichtige Meilensteine in Richtung Barrierefreiheit setzen. Das 2012 in Berlin von Dr. Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, im Beisein von Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, und Behindertenvertretern vorgestellte Programm knüpft nahtlos an das 1. Programm von 2005 an. © Deutsche Bahn AGder berichteten gesundheitlichen Barrieren (z.B. Erkrankungen des Skelettsystems, Sehen). Darüber hinaus nimmt die Anzahl der Personen, die angegeben haben, dass ihr Gesundheitszustand ihre Mobilität beeinträchtige, mit dem Alter zu (r = -.243, p = .001).

3.2 Bedeutung von Verkehrsmitteln für die Lebensqualität

Die Bedeutung der Transportmittel Auto (p = .033, F = 3,48), Bus (p = .003, F = 6,047), Straßenbahn (p = .007, F = 5,04), Taxi (p = .032, F = 3,525) und Fahrrad (p = .009, F = 4,829) für die Erhaltung der Lebensqualität unterscheiden sich signifikant bezüglich der Altersgruppen. Lediglich bezüglich Zu-Fuß-Gehen gibt es keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen.

Die Post-hoc-Tests weisen darauf hin, dass die Gruppe der 75-Jährigen und Älteren sich sowohl beim Autofahren (p = .045), als auch bei Taxifahren (p = .027) von den 55-64-Jährigen unterscheiden.

Die 55-64 Jährigen unterscheiden sich signifikant von den übrigen Altersgruppen bezüglich Busfahren (p < .05) und Straßenbahnfahren (p < .05).

Das Fahrradfahren verliert im Vergleich zwischen 75-Jährigen und Älteren und 65-74-Jährigen an Bedeutung (p = .008).

 

Abbildung 1: Nutzung der verschiedenen Verkehrsmittel in Abhängigkeit vom Alter 

 

3.3 Nutzung neuer Kommunikationstechnologien

Die Varianzanalyse zeigt, dass es einen signifikanten Unterschied  (p = .001, F = 7,043) in der Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien zwischen den drei Altersgruppen gibt. Die Post-hoc-Tests zeigen, dass  sich die Gruppe der 75-Jährigen und Älteren von beiden anderen Altersgruppen unterscheidet (p < .01). Folglich nutzt diese Altersgruppe die neuen Kommunikationstechnologien am wenigsten, wie aus Abbildung 2 hervorgeht.

 

Abbildung 2: Nutzung von Smartphones in Abhängigkeit vom Alter

 

4 Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass Busse und Straßenbahnen wichtige Fortbewegungsmittel für die über 55-jährigen Senioren sind Ihre Rolle nimmt jedoch mit zunehmendem Alter zu. Demgegenüber sinkt die Nutzung des Automobils.

Die Ergebnisse lassen weiterhin darauf schließen, dass die Gesundheitsprobleme mit steigendem Alter zu den häufigsten Mobilitätshindernissen zählen. In diesem Zusammenhang wurden vorwiegend Probleme mit dem Skelett und der verringerten Muskelkraft genannt.

Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems führen einerseits zu Gehbehinderungen, andererseits erhöhen sie die Sturzgefahr in den öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Die Sturzgefahr kann durch die altersgerechte Ausstattung von Haltestellen und Fahrzeugen (z. B. Niederflurfahrzeugen, „Kneeling“ in Bussen) vermindert werden. Diese Ergebnisse entsprechen den Schlussfolgerungen vorheriger Studien, die die Maßnahmen zur langfristigen Aufrechterhaltung der Mobilität älterer Menschen analysierten (Engeln & Schlag, 2002).

Die Ergebnisse betonen, dass auch bei der jüngsten Gruppe der älteren bis jetzt nur ein kleiner Bruchteil neuen Kommunikationstechnologien (Smartphone, Handy, Internet) verwendet. Dies deutet daraufhin, dass die Technologien noch lange nicht den Bedürfnissen der Älteren entsprechen. Die rasante Entwicklung der neuen Kommunikationstechnologien scheint über die ältere Bevölkerungsgruppe größtenteils hinweggegangen zu sein.

 

5 Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Die Studie zeigt, dass Smartphones von der Mehrheit der über 55-jährigen Senioren nicht als Mobilitätshilfe genutzt werden. Selbst wenn ältere Menschen ein Smartphone besitzen, werden die fortgeschrittenen Funktionen des Smartphones, wie mobiles Internet, nicht genutzt.

Damit die langfristige Mobilität der über 65-jährigen Senioren gewährleistet ist und gleichzeitig die Attraktivität und die Nutzungshäufigkeit des öffentlichen Nahverkehrs erhöht wird, könnten speziell ausgerüstete Mobilitätssäulen empfehlenswert sein (Lölinger, 2010).

Derartige Geräte haben ihre Vorläufer als Notrufsäulen an Autobahnen. Neuerdings sind sie zusätzlich mit einem Touchscreen und einer Kamera ausgestattet. Dabei werden verschiedene Funktionen (z.B. Notruf, Taxiruf, Fahrplaninformationen, Informationen zum ÖPNV, Stadtplan, assistierende Gesundheitstechnologien) mit bestehenden Systemen (z.B. Notrufleitstellen, Fahrplanauskunft, Taxizentrale) verbunden. ­

Die Einrichtung von Notruf- und Servicesäulen, die mit neuesten Programmen ausgestattet und öffentlich für jedermann zugänglich sein können, scheint ein sinnvoller Schritt zu sein.

Wer sich an einer Online-Befragung zur Ausstattung so einer Säule beteiligen möchte, möge bitte den folgenden Link aufrufen: https://www.soscisurvey.de/simba2013/

 

 

Literaturverzeichnis

BMVBS (Hrsg.) (2010) ÖPNV: Planungspraxis und Anforderungen älterer Menschen. BMVBS Online Publikation.

Engeln, A. & Schlag, B. (2002). ANBINDUNG: Mobilitätsanforderungen und Präferenzen. In: Schlag, B. & Megel, K. (Hrsg.). Mobilität und gesellschaftliche Partizipation im Alter. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Band 230. Stuttgart: W. Kohlhammer GmbH, S. 147 – 161.

Fiedler, M. (2007). Older People and Public Transport. Challanges and Chances of an Aging Society. http://www.emta.com/IMG/pdf/Final_Report_Older_People_protec.pdf

Föbker, S. & Grotz, R. (2006). Everyday Mobility of Elderly People in Different Urban Settings: The Example of he City of Bonn. Urban Studies 43. S. 99 – 118.

Initiative D21 e.V. & TNS Infratest GmbH (Hrsg.) (2012). (N)Online Atlas 2012. Basiszahlen für Deutschland. http://www.nonliner-atlas.de

Käser, U. (2003). Freizeitmobilität älterer Menschen (FRAME). Deskriptive Ergebnisse der Hauptuntersuchung. http://www.psychologie.uni-bonn.de/abteilungen/entwicklungs-und-paedagogische-psychologie/mitarbeiterinnen-und-mitarbeiter/desergha

Kostyniuk, L. P. & Shope, J. T. (2003). Driving and alternatives: older drivers in Michigan. Journal of Safety research 34(4), S. 407 – 414.

Lölinger, T. (2010). Den Holzweg vermeiden. Kommunalmagazin 3/2010. www.kommunalmagazin.ch

 

 

Kontaktinformationen

Prof. Dr, Jürgen Howe, Institut für Psychologie, Abt. Gerontopsychologie, Bültenweg 74/75, 38106 Braunschweig, E-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., Tel.: 0531-391-2823.

 

 

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