Skip to main content

Symbolbild
© stock.adobe.com/# 626853896

Das Auto ist weg

Von Dr. Reinhard Scholzen

Das vom Bundeskriminalamt zusammengestellte „Bundeslagebild Kfz-Kriminalität 2022“ zeigt, dass die Zahl der gestohlenen Personenkraftwagen im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen ist.

Entwicklungen

Im Jahr 1997 waren in Deutschland 41,4 Millionen Pkw zugelassen. Davon wurden 95.349 Fahrzeuge als gestohlen gemeldet, von denen 39.763 auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Bis zum Jahr 2007 hatten sich die Zahlen deutlich verringert: Es gab insgesamt 39.438 Fahndungsnotierungen, davon blieben 15.771 Autos dauerhaft verschwunden. Diese positive Entwicklung war für den damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, jedoch kein Grund zur Sorglosigkeit: „Mit jährlich fast 40.000 gestohlenen Kraftfahrzeugen und einem Schaden für die deutsche Versicherungswirtschaft – und damit unmittelbar auch für die Versichertengemeinschaft – in dreistelliger Millionenhöhe besteht kein Anlass zur Entwarnung.“

Der deutliche Rückgang der Fallzahlen beruhte sowohl auf technischen als auch auf rechtlichen Neuerungen: Seit Mitte der 1990er Jahre wurden unterschiedliche Sicherungseinrichtungen in den Fahrzeugen verbaut. Mit dem 1. Januar 1998 mussten die Autohersteller gemäß § 38a StVZO in allen Neufahrzeugen eine elektronische Wegfahrsperre einbauen. Damit sanken zwar die Kfz-Diebstähle, jedoch setzte gleichzeitig ein Verdrängungsprozess ein; denn es war auffällig, dass im Gleichschritt die Zahl der Unterschlagungsdelikte zunahm. Immer öfter wurden Fahrzeuge in betrügerischer Absicht angemietet oder geleast.

Kurze Zeit nach der Einführung der „einfachen“ elektronischen Wegfahrsperre reagierten die Täter, indem sie Systeme verwendeten, mit denen die Sperre außer Kraft gesetzt werden konnte. Darüber hinaus lieferte die zunehmende Digitalisierung moderner Automobile immer neue Angriffspunkte. In den Medien wurde besonders intensiv der Diebstahl von Fahrzeugen mittels einer Funkstreckenverlängerung behandelt. Diese Technik greift an deren „Keyless-Go“ bzw. „Keyless-Entry“-Systemen an. Der ADAC beschrieb im Internet im Juli 2023 die Grundzüge der Vorgehensweise: „Autodiebe können mit der Technik ausgerüstete Fahrzeuge leichter stehlen: Langfinger müssen sich nur mit einem kleinen Gerät in der Nähe des Autoschlüssels aufhalten – auch wenn sich dieser nicht in unmittelbarer Nähe zum Auto befindet – und mit einem zweiten Gerät an der Autotür. So ‚verlängern‘ sich die Reichweiten der Signale um Hunderte von Metern – und das Auto lässt sich bequem illegal öffnen und starten. Ein ‚Hacken‘ der Daten des Autos ist dabei gar nicht erforderlich.“ So konnten in der Vergangenheit rund 95 Prozent der Autos mit Keyless-Systemen geöffnet und weggefahren werden. Um die Fahrzeuge besser zu sichern, schlägt der ADAC die Verwendung von Computerchips mit der „Ultra-Wide-Band-Technik“ (UWB) vor. Diese wird unter anderem von den Herstellern Jaguar und Land Rover verbaut. Mit UWB geschützt sind seit dem Jahr 2019 auch verschiedene Modelle der Hersteller Audi, Seat, Škoda und Volkswagen sowie BMW, Genesis und Mercedes.

Mit der zunehmenden Digitalisierung der Fahrzeuge nimmt die Zahl der möglichen Eintrittspforten für Diebe zu. Als Nachfolger des Smart-Key-Diebstahls gilt die sogenannte CAN (Controller-Area-Network)-Bus-Injection. Tatwerkzeuge können alte Handys sein, die mit einer CAN-Hardware und einer zu dem jeweiligen Auto passenden Firmware ausgestattet sind. Der Zugang zum Auto kann dann zum Beispiel über dessen Scheinwerfer erfolgen.

© Dr. Scholzen

Steigende Fallzahlen

Das im Juli 2023 veröffentlichte Bundeslagebild Kfz-Kriminalität weist in einigen Bereichen deutliche Steigerungen aus. So nahm die Zahl der dauerhaft abhandengekommenen Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr um 19,6 Prozent zu, die Gesamtzahl der Pkw-Fahndungsnotierungen stieg in diesem Zeitraum sogar um 30,3 Prozent an. Setzt man die Zahl der gestohlenen Pkw ins Verhältnis zum Gesamtzulassungsbestand, der 2022 bei rund 48,8 Millionen Pkw lag, so ergibt sich ein sehr geringer Wert: Nur 0,03 Prozent der Fahrzeuge wurden gestohlen. Die Höhe des entstandenen Schadens kann zurzeit noch nicht beziffert werden, da die Ergebnisse der Versicherer für das Jahr 2022 noch nicht vorliegen. Es dürfte jedoch sicher sein, dass der Wert des Jahres 2021, als der Gesamtschaden rund 187 Millionen Euro betrug, im Jahr 2022 deutlich übertroffen wird.

Setzt man die Zahl der dauerhaft abhandengekommenen Pkw ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Fahrzeuge einer Automarke, so ergibt sich, dass Modelle des Herstellers Jeep am häufigsten gestohlen wurden. Aufschlussreich ist die Belastungszahl. Diese ergibt sich, wenn man berechnet, wie viele von jeweils 100000 Fahrzeugen einer Marke in einem Jahr gestohlen wurden. Im Jahr 2022 führte der Hersteller Jeep mit einer Belastungszahl von 199 die Liste an, gefolgt von Land-Rover (167) und Porsche (71). Es springt ins Auge, dass die Zahl der gestohlenen Elektrofahrzeuge sehr gering ist. Offensichtlich sind diese bei den Dieben nicht beliebt.

Betrachtet man die einzelnen Bundesländer, verzeichnete Berlin im Jahr 2022 den höchsten Anstieg mit +29,3 %, gefolgt von Sachsen-Anhalt (+24,9%) und Mecklenburg-Vorpommern (+23,7%). Gesunken sind hingegen die Fallzahlen in Rheinland-Pfalz und Sachsen (jeweils -1,1%) und noch stärker im Saarland, wo die Zahl der abhandengekommenen Pkw um 5,4% abnahm.

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei den Lastkraftwagen, Zugmaschinen und Sattelschleppern. Nach mehreren Jahren des Rückgangs stieg die Zahl der auf Dauer abhandengekommenen Lkw im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 15,6 Prozent auf 680 an.

Wohnmobile spielten lange Zeit in den Statistiken kaum eine Rolle. Dies änderte sich mit der Corona-Pandemie, in der diese Fahrzeuge einen Boom erlebten: Von 2021 auf 2022 nahm deren Gesamtzahl um 13,7 % zu. Geradezu dramatisch schwoll im gleichen Zeitraum die Zahl der entwendeten Wohnmobile um 148 Prozent auf 465 Fälle an.

Zunehmend werden in die Fahrzeuge zum Teil sehr hochwertige Komponenten verbaut. Allem anderen voran sind das die Scheinwerfer. Waren es vor wenigen Jahren noch wenige Mark, die für ein Halogen-Birnchen ausgeben werden mussten, liegen die Preise für moderne Matrix-LED-Scheinwerfer bei mehreren tausend Euro. Gerade für international operierende Banden bildet der Diebstahl dieser teuren Kfz-Teile ein lukratives Betätigungsfeld. Auch unterschiedliche Sensoren – etwa zur Abstandsmessung – sind für manche Täter sehr attraktiv. Hingegen nimmt seit Jahren die Anzahl der Diebstähle von Katalysatoren ab, obwohl die Preise für die darin verbauten Edelmetalle Platin und Palladium in den letzten Jahren deutlich gestiegen waren. Beim Verkauf dieser Komponenten ist das Entdeckungsrisiko für die Täter gering; denn entweder sind auch die teuren Teile nicht eindeutig identifizierbar oder diese Merkmale lassen sich mit geringem Aufwand entfernen.

Täter

Mit der Erhöhung der Fallzahlen stieg auch die Zahl der registrierten Tatverdächtigen von 2021 auf 2022 von 16487 auf 17835 oder um 8,2 % an. Von diesen besaßen 10032 die deutsche Staatsangehörigkeit (56,2%). Von den 7803 nichtdeutschen Tatverdächtigen waren 1446 Polen, 946 Rumänen, 755 Türken, 404 Bulgaren, 357 Syrer und 274 Serben.

Die Herkunft der Täter korrespondiert mit den Absatzmärkten und Transportrouten der Fahrzeuge. Das Verbringen der Fahrzeuge auf eigener Achse durch Kuriere nahm in den letzten Jahren ab. Als risikoärmer erwies sich für die Täter das Verbringen durch Lkw-Transporter oder in Containern. Eine große Zahl dieser Transporte geht nach Polen. Von dort erfolgt der Weitertransport in osteuropäische Staaten und nach Zentralasien. Früher waren die baltischen Staaten eine Drehscheibe für gestohlene Fahrzeuge. Dies änderte sich mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 durch die Schließung der Grenzübergänge nach Russland und Weißrussland.

Von großer Bedeutung ist nach wie vor der Transport der gestohlenen Fahrzeuge über See. Von den niederländischen Häfen Antwerpen und Rotterdam geht die Reise oft in den Nahen und Mittleren Osten, wobei der Libanon eine zentrale Rolle einnimmt. Mietwagen und Fahrzeuge aus Leasing-Verträgen hingegen werden häufig über den spanischen Mittelmeerhafen Algeciras und Marseille per Container nach Algerien, Marokko und Tunesien verschifft.

Den Kfz-Diebstahl charakterisiert in vielen Fällen ein hohes Maß an Arbeitsteilung und internationaler Organisation. Häufig stellen die Ermittler Verbindungen in andere Bereiche der Organisierten Kriminalität wie etwa die Clankriminalität fest. Die Täter stammen häufig aus dem russisch-eurasischen Raum, aber auch aus Italien.

In den letzten Jahren häuften sich gerade unter diesen Tätern die Fälle des sogenannten „Homejacking“. Dabei werden von reisenden Tätergruppen in einem Ort gleich mehrere Wohnungseinbrüche verübt, bei denen nur die Fahrzeugschlüssel und sodann die Fahrzeuge entwendet werden. Nach dem professionellen Diebstahl, bei dem sich manche Täter auf besonders hochpreisige, mit aufwendiger Sicherheitstechnik ausgestattete Fahrzeuge konzentrieren, erfolgt der Weitertransport der Beute ebenfalls professionell. Hierbei stellte die Polizei in letzter Zeit fest, dass von manchen Tätern die Fahrzeuge zunächst in der Nähe des Tatortes zwischengelagert und von dort aus dann von Kurieren ins Ausland verbracht werden.

Ermittlungserfolge

Wie auch in anderen Bereichen, lassen sich Erfolge gegen die Formen der Organisierten Kriminalität auch beim Kfz-Diebstahl sehr oft nur mit aufwendigen, international geführten Ermittlungen erreichen. Durch ein von der Polizei in Paderborn geführtes Verfahren kam die österreichische Exekutive einer Tätergruppe auf die Spur, die aus den polnischen Städten Gdansk und Gdynia stammte. In Kooperation mit polnischen Strafverfolgungsbehörden konnten schließlich sieben Verdächtige ermittelt werden. Diese hatten sich auf den Diebstahl hochpreisiger Fahrzeuge aus Deutschland spezialisiert. Es konnten ihnen 15 Diebstähle nachgewiesen werden, wobei ein Gesamtschaden von 1,2 Millionen Euro entstand.

Es kann nicht verwundern, dass in der Zeit nach der Corona-Pandemie auch in anderen Schengenstaaten die Fahndungsausschreibungen im Zusammenhang mit Kfz-Diebstählen zunahmen. Großen Anteil an den Erfolgen hatte das Schengener Informationssystem SIS, eine Datenbank zur automatisierten Personen- und Sachfahndung, dem alle Schengenstaaten angeschlossen sind. Die Zahl deutscher Sachfahndungstreffer zu ausländischen Kfz-Ausschreibungen stieg von 2021 auf 2022 um 39,5 %. Die Gesamtzahl der Fälle lag bei 2391 (2021: 1714). Die meisten Ergebnisse kamen aus Frankreich (469), gefolgt von Italien (309), Polen (283), Belgien (229) und den Niederlanden (228).

Im Gegensatz dazu reduzierte sich die Zahl der Sachfahndungstreffer im Ausland zu deutschen Kfz-Ausschreibungen von 2021 (2903 Fälle) auf 2022 (2565 Fälle) um 11,6 Prozent. Dabei sticht der Rückgang der polnischen Fälle von 1215 im Jahr 2021 auf 1180 im Jahr 2022 ins Auge. Hingegen stiegen die Fälle aus den Niederlanden deutlich von 323 auf 470 an. Ebenso schossen die Fallzahlen aus Belgien drastisch von 157 auf 280 nach oben. Deutliche Zuwächse gab es auch aus Frankreich (2021: 226; 2022: 278) und Rumänien (2021: 156; 2022: 188).

In der Gesamtbewertung brechen die Autoren des „Bundeslagebildes 2022 Kfz-Kriminalität“ einerseits eine Lanze für die auch in der Zukunft „intensive Zusammenarbeit polizeilicher und nichtpolizeilicher Behörden auf nationaler und internationaler Ebene“. Andererseits betonen sie: „Die sehr enge Kooperation der Strafverfolgungsbehörden mit den Kfz-Herstellern fördert dabei einen nachhaltigen Bekämpfungsansatz.“

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
Weitere Artikel des Autoren