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 Schuss auf den „Volkstribun“

Vor 100 Jahren, am 11. Februar 1913, wurde in Wien der Reichsratsabgeordnete Franz Schuhmeier erschossen. Der Arbeiterführer und begnadete Redner war als „Volkstribun von Ottakring“ bekannt.

Von Werner Sabitzer

Die Beerdigung des Politikers Franz Schuhmeier am 16. Februar 1913 auf dem Ottakringer Friedhof glich einer Massenmanifestation: Hunderttausende Trauergäste fanden sich auf dem Ottakringer Friedhof ein, um dem populären Arbeiterführer die „letzte Ehre“ zu erweisen. Schuhmeier war fünf Tage davor von einem geistig verwirrten Arbeitslosen in der Halle des Wiener Nordwestbahnhofs ermordet worden. Der 49-jährige Politiker hatte sich auf der Rückfahrt von von einer Wahlkundgebung in Stockerau befunden, als ihm Paul Kunschak mit einer Fausfeuerwaffe aus der Nähe in den Kopf schoss. Um die Wirkung der Munition zu erhöhen, hatte Kunschak die Patronen angefeilt.

Franz Schuhmeier wurde am 11. Juli 1864 in Wien-Ottakring geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Sein Vater, ein Bandmachergeselle, war oft arbeitslos und seine Mutter arbeitete als Wäscherin. Schon als Kind half Franz bei Jahrmärkten als „Hutschenschleuderer“ aus; sein älterer Bruder starb als 13-Jähriger bei einem Arbeitsunfall.

Da Franz Schuhmeier in der Volksschule durch gute Leistungen auffiel, vermittelte ihm sein Lehrer einen Freiplatz im Priesterseminar in St. Pölten. Seine Eltern konnten aber das Geld für die geforderte „ordentliche Kleidung“ nicht aufbringen, sodass Franz als 13-Jähriger eine Ziseleur-Lehre begann, die er aber wegen einer Franz Schuhmeier um 1900.Augenverletzung nicht abschließen konnte. Er wurde Hilfsarbeiter in einer Papierfabrik in Gumpendorf und freundete sich in einem als „Raucherklub“ getarnten Arbeiterbildungsverein – politische Klubs waren damals verboten – mit der beginnenden sozialdemokratischen Bewegung an.

1886 gründete Schuhmeier den „Raucherklub Apollo“ in Ottakring. 1888 wurde der Klub von der Polizei geschlossen und Schuhmeier festgenommen. Er konnte deshalb als Delegierter nicht am Einigungskongress der Sozialdemokraten vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 in Hainfeld teilnehmen. Nach seiner Freilassung erhielt Schuhmeier eine Stelle in der Verwaltung der „Arbeiter-Zeitung“. Er war Mitgründer und war 1894 Chefredakteur der Publikation „Volkstribüne“, die im Oktober 1891 erstmals erschien und als das offizielle Organ der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Niederösterreich und Wien galt. 1892 veröffentlichte Schuhmeier die Broschüre „In elfter Stunde“, ein Aufruf an „alle Arbeiterinnen und Arbeiter“. Er hielt mitreißende Reden im Vorstadt-Dialekt und wurde als „Volkstribun von Ottakring“ bezeichnet. Von 1896 bis 1898 war er Reichsparteisekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und damit Mitglied der Parteileitung. 1900 wurde er in den Wiener Gemeinderat gewählt. Er und der spätere Bürgermeister Jakob Reumann waren die ersten Sozialdemokraten im Gemeinderat. Dort lieferte sich Schuhmeier mit Bürgermeister Karl Lueger legendäre Rededuelle. Schuhmeier verfasste das erste Kommunlaprogramm der Sozialdemokraten, trat für das allgemeine Wahlrecht ein und forderte den Bau von Sozialwohnbauten und Volksbädern. Mit dem Historiker Univ.-Prof. Ludo Hartmann gründete er die erste Volkshochschule in Wien. 1901 wurde Schuhmeier Abgeordneter im Reichsrat und 1910 auch Mitglied des niederösterreichischen Landtags (Wien gehörte bis 1922 zu Niederösterreich).

Schuhmeiers Mörder Paul Kunschak war der Bruder des Begründers der christlichen Arbeiterbewegung und späteren Nationalratspräsidenten Leopold Kunschak. Er war ursprünglich Sozialdemokrat und trat später zu den Christlich-Sozialen über. Er kannte Schuhmeier aus dem Arbeiterbildungsverein „Apollo“ und verantwortete sich, dass Schuhmeier ihm „Lehren beigebracht“ hätte, die sich später aus seiner Sicht als falsch herausgestellt hätten.

 

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Paul Kunschak warf Schuhmeier auch vor, an der Teuerungsrevolte am 17. September 1911 in Wien schuld gewesen zu sein. Schuhmeier und ein anderer führender Sozialdemokrat hatten bei einer Kundgebung am Rathausplatz aus Anlass der Lebensmittelpreiserhöhungen Reden gehalten. Nachdem bei der Bellaria ein Schuss abgegeben worden war, warfen Kundgebungsteilnehmer Steine gegen das Rathaus und das Palais Epstein, damals Sitz des Verwaltungsgerichtshofs. Polizei und Militär schritten ein und drängten die Demonstranten in die Vorstadt ab; in Ottakring kam es zu Plünderungen und Zerstörungen. Die Auseinandersetzungen forderten vier Tote und 149 Verletzte. Erstmals seit dem Oktober-Aufstand 1848 wurde wieder auf Demonstranten geschossen. Nach der Teuerungsrevolte wurden fast 500 Verdächtige festgenommen; 283 Angeklagte wurden zu Kerkerstrafen verurteilt. Als am 5. Oktober 1911 im Reichsrat der Tagesordnungspunkt „Teuerungsrevolte“ behandelt wurde, schoss ein junger Tischler von der Besuchergalerie auf die Regierungsbank. Die Schüsse verfehlten den Justizminister Viktor von Hochenburger sowie Karl Graf Stürgkh.

Der Attentäter Paul Kunschak wurde vom Geschworenengericht am 12. Mai 1913 einstimmig zum Tod durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde nach einem Gnadengesuch in 20 Jahre Kerkerstrafe umgewandelt. Auch Schuhmeiers Witwe hatte sich dem Gnadengesuch angeschlossen, da sie und ihr Mann für die Abschaffung der Todesstrafe eingetreten waren. Nach dem Ende der Monarchie wurde Paul Kunschak am 20. November 1918 amnestiert und aus der Haft entlassen.

 

Quellen:

Bauer, Ingeborg: Franz Schuhmeier (1864–1913). Ein Beitrag zur Publizistik der österreichischen Arbeiterbewegung. Dissertation, Universität Wien, 1979.

Maderthaner, Wolfgang: Schuhmeier Franz. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 11, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 1999, S. 311 f.

Schmidt, Helga; Czeike, Felix: Franz Schuhmeier. Europa-Verlag. Wien, 1964.   

Stadler, Karl R.: Franz Schuhmeier. In: Walter Pollak (Hg.): Tausend Jahre Österreich. Eine Biographische Chronik. Band 3: Der Parlamentarismus und die beiden Republiken. Verlag Jugend und Volk, Wien, 1974.

 

 

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