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Materielle Sicherheit - Hohe Qualität über die Herstellung hinaus

Von Heinz-Werner Aping

Am 17.11.2022 fand nach zweijähriger Corona-bedingter Pause der jährliche Sicherheitstag des Zentralrats der Juden in Deutschland statt.
Etwa 60 Teilnehmer und Teilnehmerinnen folgten in der ganztägigen Veranstaltung den 11 Beiträgen rund um materielle Sicherheit. Ort der Veranstaltung war dieses Jahr der Versammlungs- und Ausstellungssaal der Fa. Fensterbau Timm in Berlin.
Alle Teilnehmer waren sich einig: inhaltsreich und erneut sehr empfehlenswert!

Eröffnet wurde die Veranstaltung von Rainer Berger, zuständig für die Belange der Sicherheit im Zentralrat der Juden. Ihm zur Seite stand mit Ingomar Dorner der Begründer der vor über 10 Jahren erstmalig ausgerichteten Veranstaltung, zu der regelmäßig behördliche wie privatwirtschaftliche Berater und Sachverständige zur materiellen Sicherheit eingeladen werden. Bergers besonderes Anliegen und Selbstverständnis aller anwesenden Berater und Beraterinnen ist es, eine hohe Qualität der Beratung über am Markt angebotene Produkte hinaus vor allem auch für ihre Umsetzung und Wirksamkeit zu bieten und sich ein unabhängiges Urteil zu leisten.

Hervorheben konnte er in seiner Begrüßung -vor dem Hintergrund der gewachsenen Gefährdung jüdischer Gemeinden- ein Netzwerk pensionierter Objektberater der Polizeien von Nord bis Süd, die ihn in seiner Arbeit unterstützen.

Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Daniel Botmann, griff diesen Faden auf. Der Rechtsanwalt, seit 2014 in seiner Position, betonte die Bedeutung des Zentralrats in Fragen der Sicherheit als vorrangige Kontaktstelle zum Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und als Hilfestellung für die zahlreichen jüdischen Gemeinden in Deutschland. Sie sind souverän und selbständig, aber sehr unterschiedlich in ihrer Größe und ihren finanziellen wie materiellen Möglichkeiten.

Er zeigte die gewachsene Bedrohungslage auf, die es leider erforderlich mache, die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Ein unverzichtbarer Baustein sei es, Gefahren vorzubeugen. Hier sei ein weites Feld für alle Maßnahmen materieller Sicherheit.

Diese Bedeutung unterstrich in seinem Grußwort und dem ersten Vortrag Ministerialdirigent Schultz aus dem BMI,

Er ging ebenfalls darauf ein, wie sehr jüdisches Leben an vielen Orten in Deutschland leider wieder bedroht ist. Umso mehr ist es dem BMI ein Anliegen die Menschen zu unterstützen, die ihr Wissen und ihre Schaffenskraft zur Sicherung jüdischen Lebens einsetzen.

Er zitiert den bekannten Spruch aus dem Talmud „Wer ein Menschenleben rettet, dem ist es anzurechnen, dass er die ganze Welt rettet“. Es sei nicht hinzunehmen, dass Menschen jüdischen Glaubens Abstriche machen müssen, wenn sie ihrem Glauben nachgehen, feiern oder einfach beisammen sein wollen. Relativierung des Holocaust, Schmähungen und Bedrohungen in oder über soziale Medien, online Plattformen, seien nicht hinzunehmen, ganz zu schweigen von tätlichen Angriffen gegen Leib und Leben.

Physische Sicherheit sei das eine, das Gefühl sicher oder nicht sicher zu sein das andere, deshalb wurde der Aktionsplan Rechtsextremismus entwickelt.

Herr Schultz zählte einzelne Maßnahmen auf, mit denen das BMI versucht, sich in die Erfüllung des Schutzauftrages für das jüdischen Lebens in Deutschland einzubringen.

Auch wenn einiges erreicht worden ist, so sei doch Selbstzufriedenheit fehl am Platz.

Der Bund und die Länder hätten deshalb beschlossen, die materiellen Anstrengungen für ein einheitliches Schutzniveau deutlich zu unterstützen. Die Vertreter des BMI arbeiteten jeden Tag daran, die Sicherheit aller Menschen in Deutschland zu schützen, doch wisse er sich immer in besonderer Verantwortung für die Menschen jüdischen Glaubens.

Das Signal sei eindeutig: wir sind nicht nur wachsam, sondern auch wehrhaft.

Dem Beitrag von Herr Schultz schloss sich die Vorstellung des aktuellen Lagebildes durch den Leiter der Abteilung II des Verfassungsschutzes bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport im Land Berlin, Herrn Fischer, an.

Lagebilder sind oftmals sehr komplex und umfangreich. Herr Fischer konzentrierte sich auf den Aspekt der Verschwörungstheorien, insbesondere jüdische, u.a. auf die Verbindung Antisemitismus und Rechtsextremismus, dazu auch Islamismus.

Herr Fischer führte u.a. aus, in welchem Maße antisemitische Verschwörungstheorien/-erzählungen eine lange Tradition und warum sie hohe Anziehungskraft für manche Menschen haben. Anhänger von Verschwörungserzählungen fühlten sich oft genug als Auserwählte. Das Gefährliche: Verschwörungserzählungen ermuntern zum Fortschreiben und Mitmachen. Dazu komme die Gefahr, wie sie heute verbreitet werden und Resonanz erzeugen können. Es gebe nicht zuletzt über die sog. Sozialen Medien nahezu unbegrenzte Möglichkeiten Ansichten zu verbreiten.

Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es u.a. zu prüfen, wann Verschwörungstheorien gefährlich sind oder nicht.

Nach den beiden Vorträgen der Behördenvertreter folgte der erste Beitrag zur materiellen Sicherheit durch den Gastgeber Bastian Timm, Mitglied der Geschäftsleitung mit Vorstellung der Firma und der Produkte der Hans Timm Fensterbau GmbH & Co.

Insider kennen die Firma insbesondere im Hinblick auf ihre Expertise für Hochsicherheitsfenster. Herr Timm stellte die Firma, ihre Leistungsfähigkeit sowie vielfältige individuelle Lösungen anhand ausgewählter Beispiele vor. Egal ob es sich um denkmalgeschützte oder moderne Bauten handelt, in Deutschland genauso wie an internationalen Standorten: die Firma gewährleistet höchste Sicherheitsstandards und man sieht den Fenstern von außen nicht an, dass es sich um Sicherheitsfenster handelt.

Die Sicherheitsphilosophie der Firma beinhalt auch, Spannungen zwischen Realität und z.B. der DIN EN 1627 durch eigene Versuche und Entwicklungen aufzulösen. Ein umfassendes Sicherheitskonzept sollte sich neben den geltenden Normen, Richtlinien und Statistiken immer mit dem speziellen Bedrohungsszenario auseinandersetzen. Die Firma entwickele deshalb deutlich über (geschriebene) Standards hinaus, und Herr Timm führte dazu konkrete Beispiele an. Auch bei denkmalgeschützten Objekten können Timm-Vorsatzfenster harmonisch und nahezu unsichtbar von außen in das Gesamtkonzept integriert werden.

Als weiteres Beispiel nannte er beispielsweise Holzkastenfenster, die in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt hätten, aufgrund von Sicherheitsanforderungen dann aber nicht mehr bedienbar waren. Auch hier entwickelte die Firma Lösungen, mit denen sie wieder handhabbar werden.

Es folgte der Vortrag von Christian Schneider, Sachverständigenbüro Initiative Breitscheidplatz GmbH (aus Stuttgart), Sachverständiger für Zufahrtsschutz, zum Thema „Erkenntnisse von der Terrorabwehrkonferenz CTX in London“.

Dieses Büro entwickele Sicherheitsmaßnahmen in der Form, dass man grundsätzlich am konkreten Objekt orientiert die Möglichkeiten eines Anschlags aus Tätersicht plane, um erst danach „die Seite zu wechseln“ und den richtigen Schutz gegen solche Anschlagsformen zu finden.

Die Überlegungen berücksichtigen Kernfragen bzw. Ziele aus Tätersicht wie Großer Schaden, hohe Wirkung, einfache Planung und dann Kernfragen aus „Verteidigersicht“.

Herr Schneider ging nicht zuletzt auf Nutzfahrzeuge als effektivste Terrorwaffe ein, zeigte die geschichtliche Entwicklung vom SUV bis hin zu schweren Trucks als ideales Tatmitteln auf und unterlegte den Vortrag mit praktischen Beispielen.

Der anschließende Vortrag von Gerrit Zilch, Geschäftsführer der Firma Hippe, zum Thema „Zufahrtssperren, Wachhäuser, entfaltbare Schutzräume und vieles mehr“ widmete sich den Lösungen zur (auch nachträglich möglichen) Schaffung von Schutzräumen, geschützten offenen und geschlossenen Wachhäusern und Unterständen, Fahrzeugsperren, Zugangsschleusen, Schutzvorhängen u.v.m. Die Firma Hippe arbeitet erfolgreich mit der israelischen Firma Mifram Security Israel zusammen und kann auf zufriedene Kunden vom Auswärtigen Amt über internationale Streitkräfte, UN und bis zu internationalen Flughäfen verweisen. Der Vortrag wurde mit Bild- und Videobeispielen unterlegt, u.a. zu einem ESR ....Expendable Safe Room, eines leicht und schnell entfaltbaren Schutz- und Panikraums.

Nach der Mittagspause mit den Möglichkeiten zum persönlichen Austausch und zum Networking folgte die Betriebs- und Produktvorstellung von Michelle Grimm, zuständig für den Vertrieb der Firma SYSCO Sicherheitssysteme GmbH, Tochter des Gründers, zum Thema „Elektronische Absicherung von Freigelände“Die Firma ist Spezialist für Freigeländeabsicherung, und hat neben dem Sitz in Langenselbold bei Frankfurt am Main Vertretungen in Großbritannien und den Niederlanden. Frau Grimm zeigte die Entwicklung von Hard- und Software für die elektronische Absicherung von Freigeländen auf und konnte auf zahlreiche Einsatzplätze überall in Europa, in Übersee, Afrika usw. verweisen. Dazu gehören über 150 Justizvollzugsanstalten in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien, Nuklearanlagen in Großbritannien, diverse militärische Anlagen und mehr.

Die Produktpalette umfasst Beschleunigungssensoren (Kombisensoren zum Erfassen von Körperschall, dyn. Neigung und Lage), Mikrofonkabeltechnik (Körperschall-Meldesystem auf Basis piezoelektrischen Mikrofonkabels), Radarsensor (Freigeländeabsicherung durch neueste Radartechnologie, u.a. geschwindigkeits- und richtungsabhängige Detektion, Lokalisierung und Tracking von Objekten, Einteilung in Meldeabschnitte), sowie Einsatzzentralen, verschiedene Verwaltungs- und Visualisierungssoftware, Briefing und Analyse, Detailplanung und Umsetzung sowie selbstverständlich Nachbetreuung und Support.

Den Betriebs- und Produktvorstellungen folgte mit einem sehr überzeugungsstarken und durch Bild- wie Videobeispiele unterlegten Vortrag Sascha Puppel von der Firma Sachverständigen- und Planungsbüro S. Puppel GmbH zum Thema „Aktuelle Überwindungsarten bei Einbruchmeldeanlagen“.

Herr Puppel verfügt über eine bemerkenswerte Expertise als zertifizierter Sachverständiger gemäß DIN EN ISO / IEC 17024 für Sicherheitskonzepte (bauliche, elektronische, personelle und organisatorische Maßnahmen), Sicherheitstechnische Anlagen, Gefahrenmeldeanlagen Zutrittskontrollanlagen, Videoüberwachungsanlagen, Perimetersicherungsanlagen, Gefahrenmeldemanagementsysteme sowie der kriminaltechnischen Bewertung mit Laborarbeiten zur technischen Überprüfung von Tat- und Schadenshergängen, Sachverständiger mechanischer und elektronischer Einbruchschutz (TÜV), öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger IHK Aachen für Sicherheitstechnik im Elektrotechniker-Handwerk und Sicherheitskonzepte und Stellvertretender Vorstandsvorsitzender BHE Bundesverband Sicherheitstechnik e.V..

Er stellte zu Beginn seines Vortrags auf eine gerade in den letzten Monaten stark zunehmende Häufung von Wand- und Deckendurchbrüchen ab, die es ermöglichte in Umgehung guter Fenster-oder Tür-Absicherungen durch das nicht entsprechend gesicherte Mauerwerk durchzudringen. Herr Puppel widmete sich weiterhin ausgiebig dem Thema Detektionssicherheit versus Falschalarmsicherheit, beleuchtete den Vorteil einer „Vorhang-Überwachung“ ggü. Flächen-Überwachung, stellte Vor- und Nachteile bzw. Schwächen von Video- und Infrarot-Kameras dar, ging auf die unterschiedliche Detektionssicherheit bei Bewegungsmeldern bzgl. Geschwindigkeit des sich bewegenden Objektes ein, beleuchtete die Manipulationsmöglichkeiten von Bewegungsmeldern und Abdecküberwachung und unterlegte seine Ausführungen auch mit Beispielen von aktuellen Überwindungsarten bei Einbruchmeldezentralen und Übertragungstechnik.

Als wesentliche Ursachen für aktuelle Überwindungen unterstrich er die höhere Professionalität der Täter, Planungs-, Projektierungs-, Montage- und Instandhaltungsfehler, fehlende Anpassung an örtliche Gegebenheiten, eine jahrelange Fokussierung auf Falschalarmsicherheit, aber kaum auf Detektions-/Überwindungssicherheiten und mehr.

Lösungsmöglichkeiten sieht Herr Puppel insbesondere in der sehr objektspezifische n Projektierung, Montage und Instandhaltung (und Anpassung) der Melder, Auswahl eines Melders mit optimaler Detektionssicherheit, wirklichkeitsnahe Tests u.v.m..

Herr Puppel arbeitet in Gremien mit und veröffentlicht Anfang 2023 ein Fachbuch zur Thematik.

Thematisch direkt anschließend folgte zusammen mit Herrn Puppel der Vortrag von Stefan Rinnhofer, Head of Operations der Firma STYX Sicherheitstechnik GmbH zum Thema „Überwindung von Perimeterüberwachung. Mit Erfahrungen ursprünglich aus dem militärischen Bereich, mehrere Jahre Securitas Dienstleistungen und dann 10 Jahre DHL Leiter Konzernsicherheit bei Deutsche Post DHL Express Austria, kann er auf eine große Erfahrung zum Thema Perimeterüberwachung zurückgreifen. Der Vortrag widmete sich mit Foto- und Videobeispielen den Möglichkeiten der Überwindung von Perimeterüberwachungen, nicht zuletzt aus Sicht eines „schadengeplagten“ Sachverständigen. Dazu gehören auch selbst initiierte und durchgeführte Überwindungsversuche. Beide Vortragenden stellte auf die überragende Bedeutung individueller und passgenauer Sicherheitskonzepte ab, nicht zuletzt auf Grundlage der ISO 31000.

Herr Rinnhofer stellte einen umfangreichen Test zur Überwindung von Videoanalyse -Systemen vor. Über einen Zeitraum von drei Monaten wurden 15 verschiedene Kameratypen von acht international anbietenden Herstellern im Dauerbetrieb getestet. Die Einstellungen der Kameras wurden durch die Hersteller selbst gemacht. Anschließend wurden Penetrationstests (dunkle Kleidung, Tarnanzug, kriechend, langsam bewegend, usw.) durchgeführt und die Detektionsergebnisse zur besseren Vergleichbarkeit in einer Matrix bewertet. Herr Rinnfelder stellte Erkenntnisse aus diesem umfassenden Versuch dar. Sie reichten von der Bewertung pixelorientierter gegenüberobjektorientierter Analysesysteme über Pflege des Detektionsbereiches, automatische Umschaltungen je nach Tag- oder Nachtzeit bis zu weiteren Aspekten.

Der Sicherheitstag endete nicht mit den abschließenden Worten von Rainer Berger und der Aussicht auf den nächsten Sicherheitstag im Jahr 2023, sondern mit einem sehr wohlmeinenden Applaus überaus zufriedener Teilnehmer.

Eine inhaltsreiche und gelungene Veranstaltung.

 

Über den Autor
Heinz-Werner Aping
Heinz-Werner Aping
Heinz-Werner Aping, Direktor beim Bundeskriminalamt a.D., Jahrgang 1953, war bis zu seiner Pensionierung Ende Mai 2014 fast vierzig Jahre im kriminalpolizeilichen Dienst in Land und Bund tätig. Von 1975 bis 1999 diente er bei der Berliner Polizei vom Kommissar bis zum Kriminaldirektor in vielen Feldern klassischer und schwerer Kriminalität und zuletzt fünf Jahre als Leiter des kriminalpolizeilichen Stabes des Polizeipräsidenten. Mit dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin wechselte Aping zum Bundeskriminalamt und verantwortete als Leitender Kriminaldirektor und Gruppenleiter in der Abteilung Sicherungsgruppe Grundsatz, Haushalt, Ausbildung, Lagebeurteilung, Staatsbesuche, Observation und Technikeinsatz des Personenschutzes für die Verfassungsorgane des Bundes und seiner ausländischen Gäste. Im Jahre 2001 wurde ihm die Leitung der gesamten Abteilung übertragen, die er bis zu seiner Pensionierung innehatte. Von 2001 bis zu seiner Pensionierung war Aping mit mehrmaliger Wiederwahl Chairman der Association of Personal Protection Services (APPS), des internationalen Netzwerkes von 50 staatlichen Personenschutzdienststellen von China bis zu den USA einschließlich Europol, Interpol, EU und UN mit Konferenzen weltweit. Heinz-Werner Aping ist als selbstständiger Berater tätig. Er ist Mitglied der Redaktion VeKo-online und zuständig für den Bereich Sicherheitspolitik.
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