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Clankriminalität als Teil der Organisierte Kriminalität

von Dr. Reinhard Scholzen

Seit dem Jahr 1991 erstellt das Bundeskriminalamt Lagebilder zur Organisierten Kriminalität (OK). Darin wird seit einiger Zeit die Clankriminalität in einem eigenen Kapitel aufgeführt.

Organisierte Kriminalität ist ein Begriff, den man aus vielen unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann. Ganz grundsätzlich kann man fragen, ob es OK überhaupt gibt. Wird dies bejaht, so folgt daraus die Frage, was darunterfällt – und was nicht. Kann man beispielsweise die Schleuserkriminalität unter dem Rubrum OK einordnen? Geht man die OK wissenschaftlich an, so steht am Anfang die Herausforderung, sie zu definieren. Wie auch immer man sich dem Thema nähert, bald zeigt sich, dass viele Begriffe nicht eindeutig geklärt sind, das wirft weitere Fragen auf. Beispielsweise ist „Clankriminalität“, die unter OK eingeordnet wird, kein materiell-strafrechtlicher Normenbegriff, sondern eine kriminologische Phänomenbeschreibung. Man kann die Organisierte Kriminalität aber auch global untersuchen oder die europäische oder die deutsche Perspektive wählen. Möglichkeiten der Prävention oder der Repression können erfasst werden. Oder man stellt Zuständigkeiten infrage, wenn man die Vorbeugung in diesem Bereich der Kriminalität den Geheimdiensten und nicht mehr den Polizeien zuordnet.

Im Folgenden wollen wir die theoretischen Aspekte lediglich kurz anreißen und danach einige zum Teil lang zurückreichende Zeitreihen betrachten, die aus den vom Bundeskriminalamt zum Thema OK herausgegebenen Lagebildern erstellt werden können. Im Anschluss greifen wir exemplarisch die Clankriminalität heraus, die nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Relevanz gewinnt.

OK. Was ist das?

Wer in Deutschland über OK spricht oder schreibt, bezieht sich meist auf die „Gemeinsame Richtlinie der Justizminister/ -senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der organisierten Kriminalität“. Dort wird ausgeführt: „Organisierte Kriminalität ist die vom Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig

  • unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen
  • unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder
  • unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.“

Auf dieser Grundlage erstellt das Bundeskriminalamt seit dem Jahr 1991 in Kooperation mit den Landeskriminalämtern, dem Zollkriminalamt und dem Bundesgrenzschutz (seit 2005 der Bundespolizei) jährlich ein Bundeslagebild zur Organisierten Kriminalität. Aus den umfangreichen Datenerhebungen wollen wir einige Punkte jeweils aus den Kurzfassungen der Lagebilder herausgreifen und dabei besonders die Punkte in den Blick nehmen, die seit dem Beginn des Jahrtausends in gleicher Form erhoben wurden. Beginnen wollen wir jedoch mit einem Aspekt, der nur in den ersten Jahren veröffentlicht wurde.

OK: Ein Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung?

In dem von den Bundesministerien des Innern und der Justiz im Jahr 2006 verfassten Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht nimmt die OK einen breiten Raum ein. Die These scheint nicht gewagt, dass sich in diesem für die breite Öffentlichkeit geschriebenen Werk auch die Bedeutung widerspiegelt, die der OK von den Bürgern beigemessen wird.

Als ein wichtiger Gradmesser für die Intensität der Strafverfolgung darf die Zahl der für diese Aufgabe eingesetzten Polizisten gelten. In den ersten Jahren wurde dies auch in den Lagebildern zur OK aufgeführt.

Es ist jedoch bemerkenswert, dass ab dem Jahr 2005 dieser Aspekt nicht mehr veröffentlicht wird, obwohl in diesem Jahr – nach zuvor vier Jahren mit rückläufiger Tendenz – die Zahl der gemeldeten OK-Ermittlungsverfahren deutlich anstieg. Dies überrascht umso mehr, weil das BKA kein Hehl daraus macht, wie wichtig gerade in diesem Bereich die Zahl der eingesetzten Beamten für den Erfolg ist. Unter anderem im Lagebild OK des Jahres 2002 wird dazu festgestellt: „Bei der Organisierten Kriminalität handelt es sich um Kontrollkriminalität, d. h. die Lageerkenntnisse sind von Ausmaß und Intensität der Bemühungen der Strafverfolgungsbehörden abhängig.“ Hieraus lässt sich folgern, dass eine hohe Zahl von OK-Verfahren als Hinweis auf die starken Anstrengungen der Strafverfolgungsbehörden zu deuten ist.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden in den Lagebildern OK die gegen die Organisierte Kriminalität geführten Verfahren tabellarisch dargestellt. Dabei wird für jedes einzelne Bundesland angegeben, wie viele jeweils vom Land, dem BKA, dem BGS (seit dem Jahr 2005 der Bundespolizei) und dem Zoll geführt wurden. Das Kriterium für deren Zuordnung zu einem bestimmten Bundesland liefert dabei der Sitz der Staatsanwaltschaft, die es leitet. Daraus wird die Gesamtzahl ermittelt und anhand dieser Zahlen die Bundesländer geordnet, wobei ganz oben das Land mit den meisten und ganz unten jenes mit den wenigsten OK-Verfahren steht. Im Jahr 2002 belegte Berlin mit insgesamt 96 Verfahren den Spitzenplatz, gefolgt von Bayern (91) und Baden-Württemberg (76). Von 2006 bis 2008 lag Nordrhein-Westfalen auf dem ersten Rang. Hier wurden demnach die meisten OK-Verfahren durchgeführt. Seit dem Jahr 2012 steht NRW ohne Unterbrechung ganz oben. Hierin spiegeln sich – wie bereits gesagt – die großen Anstrengungen der Strafverfolgungsbehörden wider, jedoch spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Zwei seien exemplarisch genannt: NRW ist mit deutlichem Abstand das einwohnerstärkste Bundesland und das Ruhrgebiet war seit dem Aufkommen der Schwerindustrie im 19. Jahrhundert ein Schmelztiegel, in dem Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern ihre neue Heimat fanden.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass für jedes Bundesland zu jeder Zeit gilt, dass die Zahl der Verfahren mit dessen jeweiliger Einwohnerzahl korreliert. Noch weit weniger gilt dies für einen hohen oder niedrigen Ausländeranteil. So springen seit einigen Jahren die vergleichsweise hohen Werte in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in der Hansestadt Hamburg ins Auge. Gleichzeitig sind die relativ geringen Zahlen für Rheinland-Pfalz auffällig.

Zumindest einen weiteren Anhaltspunkt für den Stellenwert der OK-Verfahren liefert ein Blick auf deren Gesamtzahl. Hier fällt die für die Jahre von 2008 bis 2017 feststellbare Konstanz auf, aber ebenso der drastische Anstieg im Jahr 2021.

Es sei nur erwähnt, dass im Jahr 1996 mit insgesamt 845 OK-Verfahren der Höchstwert erreicht wurde.

Als ein weiteres Kriterium für die Einordnung dieser Form der Kriminalität dient seit Jahrzehnten das „OK-Potenzial“, mit dem diese Verfahren nach qualitativen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Die Punktzahl gibt Anhaltspunkte für den Organisations- und Professionalisierungsgrad der Gruppierungen. Dieser errechnet sich aus „der Anzahl und Gewichtung der jeweils zutreffenden Indikatoren aus der Liste der ‚generellen Indikatoren zur Erkennung OK-relevanter Sachverhalte‘. Mit dieser Methodik werden die Tatphasen unterteilt in Vorbereitung und Planung der Tat, Ausführung der Tat und Verwertung der Beute“. Bei einem Punktewert von 60 bis 100 wird ein hohes Potenzial angenommen, ein mittleres Potenzial liegt bei 30 bis 59 und ein geringes bei unter 29 Punkten vor.

Clankriminalität

Dorothee Dienstbühl, die als Professorin Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen in Duisburg lehrt, hinterfragte unlängst den Aussagewert der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Lagebilder zur Clankriminalität. (Vgl. die Rezension des Verfassers in veko-online, Ausgabe 5, 2022). Sie stellt in ihrem im Jahr 2021 erschienenen Buch heraus, bei diesem Thema zeige sich die Problematik eines womöglich sehr großen Dunkelfeldes, das sich zum Teil noch nicht einmal durch die Methoden der Dunkelfeldforschung erfassen lasse. Als Punkte, die eine Analyse erschweren, stellt sie des Weiteren das wechselnde Anzeigeverhalten, die variierende polizeiliche Kontrollintensität, die Neugestaltung der statistischen Erfassung und die Änderung des Strafrechts heraus. Dienstbühl konzentriert sich auf eine in der Ruhrgebietsmetropole Essen erstellte Studie. Daraus leitet sie ab, für die Ausbildung krimineller Strukturen unter aus dem Libanon stammenden Personen sei deren anfängliche Konzentration auf einige wenige Großstädte (Essen, Berlin, Bremen) und zum anderen eine durchgängig versäumte Integration ursächlich. Sie beschreibt die vielfältigen Maßnahmen gegen die Clankriminalität, die sich unter NRW-Innenminister Herbert Reul bewährten. Dabei hebt sie besonders die „Null-Toleranz-Politik“ hervor, die bei kleinsten Verstößen greift und „Nadelstiche“ setzt. Immer wieder werden Fahrzeuge der Clanmitglieder oder Shisha-Bars kontrolliert. Bei den Fahrzeugen konzentrieren sich speziell dazu ausgebildete Beamte auf unerlaubte Umbauten. In den Wasserpfeifen-Bars geht es um Verstöße gegen Zollbestimmungen und Steuergesetze. Als weitere Maßnahme bewährt sich die Deklarierung gefährlicher Orte, die eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung charakterisiert. Dort hat die Polizei das Recht, Personen anlasslos zu kontrollieren und zu durchsuchen. Zu dem Maßnahmenbündel zählt auch die Vermögensabschöpfung, die im Jahr 2017 gesetzlich neu geregelt wurde.

Clankriminalität in den OK-Lagebildern

Manches spricht dafür, dass die letztgenannte Gesetzesänderung den Anstoß dazu gab, ab dem Jahr 2018 die Clankriminalität in einer eigenen Rubrik im BKA-Lagebild zur Organisierten Kriminalität aufzuführen, wobei man in den ersten Jahren die zwar sperrige, aber durchaus treffende Überschrift „Kriminelle Mitglieder ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ wählte. Bei Bund und Ländern wurden in diesem Jahr 45 OK-Verfahren zur Clankriminalität erfasst. Die Ermittlungen richteten sich gegen 24 Gruppierungen arabischstämmiger Herkunft, acht Zusammenschlüsse kamen aus Westbalkan-Staaten, drei aus der Türkei und zehn aus anderen Ländern. 22 dieser Verfahren wurden in NRW geführt, sieben in Bayern, fünf in Berlin und vier im Saarland. Insgesamt wurden dabei 654 Tatverdächtige ermittelt, von denen 152 libanesische Staatsangehörige waren, 148 Deutsche – teilweise mit einem arabischstämmigen Migrationshintergrund – 54 syrische sowie 52 türkische Staatsangehörige. Es ist auffällig, dass von 37 Beschuldigten die Staatsangehörigkeit ungeklärt blieb. Das OK-Potenzial aller Verfahren gegen die Clankriminalität lag bei 47,3 Punkten, betrachtet man nur die Fälle arabisch-/ türkischstämmiger OK-Gruppierungen so errechnete sich ein Wert von 50,1 Punkten. Die Brisanz dieser Form der Straftaten ergab sich auch daraus, dass dieser Wert nahezu zehn Punkte über dem durchschnittlichen OK-Potenzial lag (40,5 Punkte).

Für das Jahr 2019 wies das Lagebild-OK die gleiche Anzahl von Verfahren gegen die Clankriminalität wie im Vorjahr auf, nämlich 45. Davon richteten sich 20 gegen Mhallamiye (libanesische Kurden),14 gegen arabischstämmige und vier türkeistämmiger Herkunft. Geordnet nach den Bundesländern fanden die meisten dieser Verfahren in NRW (19), gefolgt von Berlin (7) und Niedersachsen (5) statt. Eine deutliche Steigerung ergab sich bei den Tatverdächtigen. Gegen 836 Personen wurde ermittelt, unter denen 246 Deutsche waren (im Lagebild wird nicht mehr – wie noch im Vorjahr – auf deren Herkunft eingegangen), gefolgt von 188 Libanesen, 82 Türken, 78 Syrern. Bei 85 Personen konnte die Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden. Das OK-Potenzial der erfassten Fälle der Clankriminalität wurde mit 50,5 Punkten angegeben, wobei in diesem Jahr der Durchschnittswert aller OK-Verfahren bei 40,6 Punkten lag.

Für das Jahr 2020 belegte das Lagebild einen Rückgang der OK-Verfahren im Zusammenhang mit der Clankriminalität auf 41, wobei jedoch die Mhallamiye-Verfahren deutlich auf 25 anstiegen, gefolgt von sechs gegen arabischstämmige und vier gegen türkeistämmige Clans. Wie in den Vorjahren fanden auch 2020 die meisten Verfahren – nämlich 17 – in NRW statt. Leicht stieg die Zahl der Tatverdächtigen auf 880 an. Verschiebungen ergaben sich bei deren Staatsangehörigkeit: für 31,1 Prozent wurde deutsch angegeben, gefolgt von 22,8 % libanesisch, bei 10,7 % war die Staatsangehörigkeit ungeklärt und 10,2 % waren türkische Staatsangehörige. „Zehn der OK-Gruppierungen im Bereich der Clankriminalität wiesen Verbindungen zu anderen Phänomenbereichen auf“, stellten die Autoren des Lageberichts heraus. In vier Fällen ließen sich Bezüge zu Rockern aufzeigen. In zwei Fällen konnten Beziehungen zur politisch motivierten Kriminalität nachgewiesen werden. Das OK-Potenzial aller Verfahren nahm leicht zu auf 41,0 Punkte, für die Clankriminalität wurde in diesem Jahr kein Wert angegeben.

Das Jahr 2021 wies eine Besonderheit auf; denn erstmals wurde die vom AK II formulierte Definition der Clankriminalität angewendet. Demnach ist ein Clan „eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverhältnis ihrer Angehörigen bestimmt ist. Sie zeichnet sich insbesondere durch eine hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis aus.“ Zur Clankriminalität steht im BKA-Lagebericht 2021, diese „umfasst das delinquente Verhalten von Clanangehörigen. Die Clanzugehörigkeit stellt dabei eine verbindende, die Tatbegehung fördernde oder die Aufklärung der Tat hindernde Komponente dar, wobei die eigenen Normen und Werte über die in Deutschland geltende Rechtsordnung gestellt werden können. Die Taten müssen im Einzelnen oder in ihrer Gesamtheit für das Phänomen von Bedeutung sein.“

Das durchschnittliche OK-Potenzial erreichte für die Clankriminalität mit 52,9 Punkten den bisherigen Höchstwert. Bemerkenswert war auch, dass eine Gruppe mit 91,6 Punkten den zweithöchsten Wert aller im Jahr 2021 erfassten OK-Potenziale aufwies. Die Zahl der Verfahren stieg deutlich auf 46, ebenso die Summe der Tatverdächtigen, die mit 930 ausgewiesen wurde. 338 Beschuldigte besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit, gefolgt von 187 libanesischen und 159 türkischen Staatsbürgern. Ungeklärt war die Staatsangehörigkeit bei 65 Tatverdächtigen. Es setzte sich ein bereits seit Jahren feststellbarer Trend fort: 2021 wiesen zwölf OK-Gruppierungen, die der Clankriminalität zugeordnet werden, Verbindungen zu anderen Phänomenbereichen auf. In sechs Fällen deckten die Ermittler auf, dass zum Teil enge Kontakte zu anderen kriminellen Clanstrukturen bestanden. In drei Verfahren ließen sich Bezüge zu Rockervereinigungen aufdecken. Und wie im Vorjahr wiesen die Ermittler zwei Tätergruppen Kontakte zur politisch motivierten Kriminalität nach.

Fazit

Die Bundeslagebilder zur Organisierten Kriminalität bilden eine wichtige Grundlage für eine sachgerechte Darstellung dieses Bereiches der Kriminalität in Deutschland, obwohl in den letzten Jahrzehnten die Erfassung des Datenmaterials und Gesetze verändert wurden, Neues in die Lagebilder aufgenommen und anderes herausgenommen wurde. Gerade für die Bekämpfung der OK gilt, dass der polizeiliche Erfolg sehr eng mit der Intensität der Ermittlungen korreliert. Das trifft in ganz besonderem Maße auf die Clankriminalität zu, die seit dem Jahr 2018 als eigene Rubrik in den Lagebildern OK erfasst wird.

Bilder: © Scholzen