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Rechter Einzeltäterterrorismus.

Botschaften und Präventionsansätze

Von Dr. Florian Hartleb

Der rechtsmotivierte Einzelterrorismus ist zu einer neuen Gefahr für die Sicherheit im Westen geworden.1 Wir sprechen von einem internationalen Phänomen, das sich in Online-Subkulturen ausgebreitet hat. Bei konkreten Vorfällen ist es oft schwierig, die spezifische Motivation zu ermitteln: rechtsextremistisch, islamistisch oder die unpolitische Tat eines psychisch gestörten Täters. Es handelt sich um „persönliche Kränkungsideologien“, also eine Mischung aus individuellen Frustrationen und politischer (Online-)Radikalisierung. Es muss Initiativen geben, um die dynamischen Entwicklungen auf den zahlreichen virtuellen Plattformen (Memes, Symbole etc.) stärker ins Visier zu nehmen, einschließlich von „Steam“.

Überblick

Erst im Mai 2022 zeigte sich in Buffalo im US-Bundestaat New York wieder einmal die Gefahr, die durch virtuelle, internationale Räume ausgeht. Einmal mehr hat ein rechtsextremistischer Einzeltäter „losgeschlagen“, der sich nach eigenen Angaben in der Corona-Pandemie „radikalisierte“.2 Wer die Taten vergleichend analysiert, sieht eine wechselseitige Inspiration, Vorbilder und Nachahmer sowie eine neue Form der Kommunikation. Eine Präventionsstrategie kann nur gelingen, wenn die IT-Kompetenz massiv verstärkt und ein Monitoring auf den Plattformen, etwa auch bei der Spieleplattform „Steam“, betrieben wird.

Relevanz des Themas

Es scheint, dass es eine neue Konfiguration rechten Terrors gibt, da er sich in einem internationalen und virtuellen Kontext bewegt und durch Einzeltäter in der Tatausführung begangen wird.3 Viel spricht dafür, dass Online-Radikalisierung, also ein Radikalisierungsprozess, der vornehmlich in der virtuellen Welt stattfindet, viel effektiver ist als bisher angenommen4, zumal, wenn es um die Adaption rechtsextremer Ideologie geht. Trotz der großen Praxisrelevanz gerade auch für die Ermittlungsbehörden existiert noch immer eine große Forschungslücke: „Rechtsmotivierte Anschläge werden bisher selten miteinander in Verbindung gebracht und als Teil eines größeren (digitalen) Phänomens beschrieben“.5

Rechtsterroristen nutzen demnach für die Verbreitung ihrer Botschaften mehr und mehr weniger bekannte Seiten wie Gab, 8chan (später 8kun), EndChan und weitere verschlüsselte Kanäle.6 Es geht also um Social Networks und Imageboards, bei denen anonym Bilder und Texte ausgetauscht werden. Wenig beachtet wird eine Vernetzung über die Spieleplattform „Steam“ (weltweit über 60 Millionen Nutzer, Stand 2020), welche der Autor im Fall des Münchener OEZ-Attentats vom 22. Juli 2016 konkret nachweisen konnte.7

Die Vernetzung wie Konfrontation von Jugendlichen mit extremistischen Weltbildern über Online-Spieleplattformen wird immer noch weitgehend ignoriert.8 Erst langsam gibt es Handreichungen und Präventionsansätze hierzu, die in die Zivilgesellschaft hineinreichen sollen.9 Wie relevant 4chan (nach wie vor) ist, zeigt der Fall vom 14. Mai 2022, als in Buffalo/New York Payton Gendron in einem Supermarkt zehn Menschen ermordete. Er gab an, seit dem Mai 2020 auf 4chan aktiv gewesen zu sein und sich dort radikalisiert zu haben.10 Sein Tatmotiv war neben der Überlegenheitsgedanken der „weißen Rasse“ ein ausgeprägter Antisemitismus. In einem Selbstinterview stellt er die Frage „Bist du ein Antisemit?“ Die Antwort: „Ja! Ich wünsche allen Juden die Hölle“11. Später führt er in seinem Manifest mit Bildern und „Statistiken“ die Verschwörungserzählung der jüdischen Weltherrschaft in Geschichte und Gegenwart aus.

Tabelle: Charakterisierung rechtsterroristischer Taten12

Anschlag Ziele des Anschlags Opferzahl Veröffentlichung/Framing Vorankündigung Livestream
22. Juli 2011
Oslo/Utoya
Anders Behring Breivik
Politische Aktivisten/darunter viele junge Migranten (Jugendlager) 77 Menschen „Manifest“
„Kulturmarxismus“ als Ursache für Masseneinwanderung
  Erstmals formulierte Idee eines Livestreams
22. Juli 2016 München David „Ali“ Sonboly Menschen mit Migrationshintergrund „Anlocken“ in einem McDonalds über einen Fakeaccount eines türkischen Mädchens Manifest mit dem Dateinamen „Ich möchte die Türken auslöschen“   9 Menschen „Manifest“ (nicht veröffentlicht) „Ich möchte die Türken auslöschen“ „Vorbild 22. Juli 2011“   -
März 2019 Christchurch Brenton Tarrant Muslime   (2 Moscheen) 51 Menschen „Manifest“ Andocken an Identitäre Bewegung Imageboard 8chan Livestream via Facebook
April 2019 Poway John Timothy Earnest   Juden   (Muslime)     1 Mensch (frühzeitig überwältigt) „Manifest“ Imageboard 8chan Livestream gescheitert
August 2019 El Paso Patrick Wood Crusius Mexikaner 22 Menschen „Manifest“ Vorbild Christchurch   -
August 2019 Bærum/Norwegen Philip Manshaus Muslime  (Moschee) sowie die Stiefschwester aus rassistischen Gründen (adoptiert aus China)   Stiefschwester (frühzeitig überwältigt) „Manifest“ Imageboard Endchan Livestream gescheitert
Oktober 2019 Halle Stephan Balliet Juden Muslime People of Colour 2 Menschen (Täter konnte nicht in die Synagoge eindringen, in der sich Dutzende Menschen befanden) „Manifest“ Christchurch als „Trigger“
- Ursprünglich Ziel Moschee
- Antisemitismus des Täters (Holocaustleugnung)
- Ziel jüdische Synagoge
Imageboard meguca.org Livestream via Twitch
Februar 2020 Hanau Tobias Rathjen Menschen mit Migrationshintergrund ganze Zivilisation 11 Menschen (darunter auch die Mutter des Täters) „Manifest“, Verweis auf eigene Website Vernichtungsphantasien und Verschwörungstheorien (QAnon und Incel) wohl Onlineradikalisierung über Youtube (selbst Videos produziert und verlinkt via seiner Website) schwieriges zeitlich-kausales Verhältnis zwischen seiner paranoiden Schizophrenie und Radikalisierung -
14. Mai 2022  Buffalo/New York Mai 2022   Payton Gendron     People of Colour   Juden   10 Menschen (mehrheitlich People of Colour) „Manifest"   Christchurch als „Trigger"   Imageboard 4chan Livestream via Twitch

The Tops supermarket on Jefferson Avenue in the Cold Spring section of Buffalo, New York, as seen on a February 2022 afternoon.
© By Andre Carrotflower - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115799734

Der Einzeltäter stellt auf narzisstische Weise das eigene „Ich“ in den Vordergrund, gibt aber vor, vor einer von ihm angenommenen breiteren Öffentlichkeit Gehör zu finden. Anders Breivik etwa stilisierte sich in seinem Manifest zum Tempelritter, bildete sich selbst ab und führte ein Selbstinterview.13 Ein solches führte auch der Täter von Christchurch, Brenton Tarrant, der nun neben Breivik als „Saint“ verklärt wird.14 Für die Interpretation der Manifeste eignet sich folgendes Analyseraster:

  1. Selbstbild: Narzissmus, Mitglied einer fiktiven Organisation (Breivik), Genie (Rathjen), Mitglied einer weltweiten Online-Subkultur (Balliet), White Supremacy (insbesondere Tarrant, Gendron)
  1. Wechselseitige Bezüge: Vorbilder Breivik (für alle außer Rathjen) und Tarrant (Balliet, Crusius, Gendron); Bezugnahme auf andere (Tarrant, Gendron)
  1. Andocken an existierenden Bewegungen: White Supremacy und Identitäre (Breivik, Tarrant, Gendron), anti-islamische Bloggerszene (Breivik)
  1. Feindbilder: Andere ethnische oder religiöse Gruppen (Muslime: Breivik, Tarrant), Juden (Earnest, Balliet, Gendron), Hispanics (Crusius), People of Colour (Balliet, Gendron)
  1. Nationalsozialistisches Gedankengut? Zumindest Auseinandersetzung damit (Breivik, Rathjen)
  1. Gamification des Terrors (besonders ausgeprägt bei Balliet: Anon, Moon Man etc.)
  1. Persönliche Frustrationen, insb. teils/auch (qualifizierter) Frauenhass: Komplexe, einst Liebeskummer (Sonboly, Rathjen mit einem verpassten Date), in der Regel klinisch sexuell gestört
  1. Hinweise auf psychische Störungen: Autismus (diagnostiziert bei Breivik, Sonboly), schizophrene Paranoia (Rathjen), Traumata (Sehen des Selbstmords vom Vater: Tarrant), Einsamkeit („Langeweile“) wegen der COVID-19-Pandemie (Gendron)

Wer die Taten jedoch allein auf psychologische Aspekte reduziert, greift zu kurz. Es gibt eben auch eine andere Dimension als wichtigen Erklärungsfaktor: eine Ideologie des Hasses auf bestimmte ethnische Gruppen, die nicht nur motivierend, sondern letztlich tatauslösend wirkt. Die Täter beschäftigen sich in Selbstpsychologie mit den Hintergründen von Amokläufern und Terroristen. Generell spielen Gewaltphantasien, etwa die Morde des Islamischen Staates (ISIS), eine wichtige Rolle (für Stephan Balliet und viele andere).

Präventionsempfehlungen

Insgesamt verlangt die Prävention eine auf den ersten Blick paradox anmutende Strategie:

  • Im virtuellen Leben ist es notwendig, die auffälligen Aggressoren sozial zu isolieren und rechtsextremistische Kommunikationsbrücken auf virtuellen Plattformen wie „Steam” zu zerschlagen. Potenzielle Terroristen werden umso eher Anschläge durchführen und so „an ihr Ziel gelangen“, wenn sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können.15 In einigen Internetsubkulturen ist offenbar eine eigene Referenzwelt entstanden, wie die Fälle von Christchurch und Halle zeigen.
  • Im analogen Leben müssen die oft sozial isolierten Menschen für die Gesellschaft zurückgewonnen und durch (Ein-)Bindung reintegriert werden. Die gesellschaftliche Aufgabe besteht darin, pädagogische und psychologische Angebote zu entwickeln. Digitales Streetwork etwa ist ein Ansatz, bei dem pädagogische Fachkräfte Gaming-Plattformen aktiv als Sozialraum aufsuchen. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass hier besonders für Jugendliche wesentliche auch politisierte Kommunikation stattfindet. Der Ansatz wird bereits seit einigen Jahren für andere digitale Plattformen wie bspw. Instagram angewendet.16

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Dass Gaming-Welten überhaupt als Räume für Extremismus-Prävention erkannt werden, ist eine vergleichsweise junge Entwicklung. Fest steht: Die virtuellen Räume gelten als zentraler Radikalisierungsort, um gezielte Tötungen vorzubereiten. Wer den laschen Umgang mit der mächtigen Video- und Gamingindustrie betrachtet, wird zu dem Schluss kommen, dass die Gefahr weder erkannt noch gebannt ist.17 Längst existiert globale Online-Subkulturen, die höchst interaktiv sind. Ohne eine enge internationale Zusammenarbeit mit der Industrie (auch jenseits des Gaming) können effektive Tools nicht entwickelt werden. Die Behörden alleine können aber diese immense Aufgabe nicht bewältigen. Als Empfehlung für die Praxis gilt es, Online-Räume als Teil einer neuen Gesellschaft ernst zu nehmen. Umso mehr gilt es, gesetzgeberische Möglichkeiten zu prüfen.

 

Quellen:

1  Siehe für die Ebene der Europäischen Union (EU) Thorleifsson, C./Düker, J. (2021): Lone Actors in Digital Environments, Radicalisation Awareness Network, Luxembourg: Europäische Union, https://ec.europa.eu/home-affairs/whats-new/publications/lone-actors-digital-environments-october-2021_en (abgerufen am 9. Juni 2022). Der folgende Beitrag ist entstanden auf Grundlage von Florian Hartleb: Rechte Einzeltäter als politisch-motivierte Exekutoren: international operierend, virtuell vernetzt und wechselseitig inspiriert, Pantier-Report, Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS), Graz, September 2022, 7 Seiten.
2  Siehe Emily Pennink: Dark web ‘scramble’ over Buffalo attack amid fears of post-pandemic attacks, in: independent.co.uk vom 19. Mai 2022,
https://www.independent.co.uk/tech/buffalo-twitch-christchurch-covid-tor-b2082428.html (abgerufen am 11. November 2022).
3  Vgl. Hartleb, F. (2020): Nach Christchurch, Halle und Hanau. Eine notwendige Neubewertung des Terrorismus durch rechtsgesinnte Einsame Wölfe, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies, 14 (2), 203-221.
4  Schlegel, L. (2018): Online-Radikalisierung: Mythos oder Realität, Analysen & Argumente, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung.
5  Salzmann, V. (2021): Mythos Lone Wolf? Eine Einführung und das Problem fehlender Einordnung rechtsmotivierter Taten durch Ermittlungsbehörden, in: Dies. (Hrsg.): Mythos Lone Wolf Terrorism? Digitale Radikalisierung autonom agierender Einzeltäter. Tagungsband, Hochschule der Polizei, Nordrhein-Westfalen, Münster, 1-3, hier 2.
6  US Department for Homeland Security (2019): Strategic Framework for Countering Terrorism and Targeted Violence, Washington D. C., September, 10, https://www.dhs.gov/sites/default/files/publications/19_0920_plcy_strategic-framework-countering-terrorism-targeted-violence.pdf (abgerufen am 10. Juni 2022); Thorleifsson, C./Düker, J. (2021): Lone Actors in Digital Environments, Radicalisation Awareness Network, Luxembourg: Europäische Union, https://ec.europa.eu/home-affairs/whats-new/publications/lone-actors-digital-environments-october-2021_en (abgerufen am 9. November 2022).
7  Hartleb, F. (2020): Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, Hamburg, 2. Aufl. 2020 sowie Interview des Autors mit einem potentiellen Täter im Mai 2022.
8  Rüdiger, T.-G. (2020): Polizei und Gaming – The next level?, in: pvt. Polizei Verkehr +Technik, 65 (6), 26-28.
9  Amadeu Antonio Stiftung (2021): Unverpickselter Hass. Toxische und rechtsextreme Online-Communitys, Berlin 2021 https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2022/02/unverpixelter-hass-netz-final.pdf(abgerufen am 2. November 2022).
10  Gendron, P. (2022): Manifest, 180 S., hier 13.
11  Gendron P. (2022): Manifest „Buffalo“, hier 7.
12  Auf Grundlage von Hartleb, F. (2021): Einsamer-Wolf-Terrorismus. Die wechselseitige Inspiration als Schlüssel zur Prävention?, in: V. Salzmann (Hrsg.): Mythos Lone Wolf Terrorism? Digitale Radikalisierung autonom agierender Einzeltäter. Tagungsband, Hochschule der Polizei, Nordrhein-Westfalen, Münster, 4-10.
13  Breivik A.B. (2011), alias Andrew Berwick, “2083 – A European Declaration of Independence”, Manifest, 1515 S., hier 1350 ff.
14  Hartleb, F. (2020): Lone Wolves. The New Terrorism of Right-Wing Actors, Springer Nature: Cham/Schweiz u.a., 85-91.
15  Byman, D. (2017): How to Hunt a Lone Wolf. Countering Terrorists Who Act on Their Own, in: Foreign Affairs, 2, 96-105, hier 97.
16  Amadeu Antonio Stiftung (2022): Digital Streetwork, https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/good-gaming-well-played-democracy/digital-streetwork/ (abgerufen am 27. Juni 2022)
17  Der Geschäftsführer des deutschen Videospielverbands game, vom Autor angesprochen auf den Münchner Attentäter von 2016 und die Vernetzung auf Steam, schloss aus, dass relevante politische Debatten auf den Gaming-Plattformen stattfänden; siehe Hartleb, F. (2020): Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, Hamburg, 2. Aufl.

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb, geb. 1979 in Passau, ist Affiliated Researcher beim Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) sowie Managing Director von Hanse Advice in Tallinn/Estland. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei Sachsen-Anhalt sowie an der Katholischen Universität Eichstätt und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2. Auflage, Hoffmann & Campe: Hamburg, 2020, auch auf Englisch bei Springer und bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Er hat 2004 zum Populismus promoviert und war seither bei Think tanks, als Pressereferent im Deutschen Bundestag und beratend. für das Deutsche Bundespräsidialamt, die Bertelsmann Stiftung, die Deutsche Bundesbank und andere Institutionen tätig.
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