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Clankriminalität. Phänomen, Ausmaß, Bekämpfung.

Dorothee Dienstbühl,
Heidelberg, 2021,
214 Seiten.
ISBN 978-3-7832-0061-4.
Ladenverkaufspreis 26 €.
Dorothee Dienstbühl lehrt als Professorin Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen in Duisburg. Sie nimmt sich in ihrem Handbuch eines Themas an, das seit Jahren im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, von der Wissenschaft jedoch lange Zeit vernachlässigt wurde.

Die Autorin stellt heraus, dass ihr Buch ein Ergebnis der wissenschaftlichen Begleitung des „Aktionsplans Clan“ ist, einer Maßnahme, die vom Polizeipräsidium Essen durchgeführt wurde. Die Ruhrmetropole gilt seit Jahren als eine Hochburg der Clankriminalität. Dienstbühl gliedert ihr Buch in sieben Kapitel. Nach einer kurzen Einführung geht sie auf „Phänomenologie und Erfassung“ ein, beschreibt unter der Überschrift „Kriminalität und Raum: Polizeiliche Bekämpfungsansätze“, skizziert die „Behördenübergreifende Zusammenarbeit zur Bekämpfung der Clankriminalität“, widmet sich unter „Integration und Prävention“ unterschiedlichen Maßnahmen zur Vorbeugung von Kriminalität, schließt hieran eine Betrachtung der „Kriminologischen Analysemöglichkeiten und Forschungsbedarfe“ an, um schließlich in einem „Schlusskapitel“ ihre Ergebnisse zusammenzustellen. Diese klare Struktur des Buches trägt wesentlich dazu bei, dass es sich insbesondere für Polizisten in der Aus- und Fortbildung als Lernmittel eignet. Diesen Anspruch unterstreichen auch die zahlreichen „Info-Boxen“, in denen wichtige Begriffe erklärt werden.

Clankriminalität ist aus vielen Gründen ein Thema, an dem sich die Geister scheiden. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob aus kriminologischer Sicht die Verwendung dieses Begriff haltbar ist. Clankriminalität ist kein Rechtsbegriff und es gibt dafür zahlreiche, zum Teil sehr unterschiedliche Umschreibungen. Daneben muss man auch fragen, ob es opportun ist, diesen Begriff zu gebrauchen: Stellt man damit nicht ganze Familien mit dem gleichen Namen unter einen Generalverdacht, öffnet man unter diesem Rubrum nicht einem Racial Profiling Tür und Tor oder redet man damit nicht der Existenz von Parallelgesellschaften das Wort?

Die Autorin positioniert sich mit ihrem Buch in einer zum Teil erbittert geführten Grundsatzdebatte, die von Vertretern des linken und des bürgerlichen politischen Lagers geführt wird. Darüber hinaus scheut sie sich nicht, den Aussagewert der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Lagebilder zur Clankriminalität zu hinterfragen. Gerade bei diesem Thema zeigt sich die Problematik eines womöglich sehr großen Dunkelfeldes, das sich zum Teil noch nicht einmal durch die Methoden der Dunkelfeldforschung erfassen lässt. Dienstbühl geht jedoch auf dieses „absolute Dunkelfeld“ nicht näher ein. Ebenso belässt sie es bei einer Aufzählung der allerdings sattsam bekannten grundsätzlichen Schwachpunkte der PKS: Das wechselnde Anzeigeverhalten, die polizeiliche Kontrollintensität, die Änderung der statistischen Erfassung und die Änderung des Strafrechts. Diese Faktoren erschweren die Analyse und machen Langzeitbetrachtungen zum Teil unmöglich.

Die eigentliche Betrachtung der Clankriminalität fußt, wie bereits gesagt, im Wesentlichen auf einer Studie aus Essen. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen kann die Autorin Clanfamilien arabisch/türkischer Herkunft detailliert betrachten. Für die Ausbildung der kriminellen Strukturen sieht sie zahlreiche Ursachen: Die anfängliche Konzentration auf einige wenige Großstädte (Essen, Berlin, Bremen) und eine durchgängig versäumte Integration der häufig aus dem Libanon kommenden Personen. Dabei hebt sie ab auf die unterschiedlichen Lebenswelten in den 1970er Jahren, als die ersten Clanmitglieder nach Deutschland kamen. Im Libanon habe es damals keine Kaufhäuser wie in Deutschland gegeben, in denen die Waren unbewacht ausgelegt waren. Dies habe zum Diebstahl animiert und „zu ersten Gruppendelikten mit planmäßigem Vorgehen“ geführt. Aus der Heimat tradierte Verhaltensmuster sieht Dienstbühl als weitere Ursache für Straftaten. So sei der völlig unterschiedlich gelebte Ehrbegriff und die damit einhergehende Verteidigung der Ehre der Familie häufig der Ausgangspunkt von Kriminalität. Da sich im deutschen Rechtssystem keine Analogien zur Ehren-Lebenswelt der Clans finden, entwickelte sich zunächst eine Paralleljustiz und anschließend Parallelgesellschaften, so eine weit verbreitete Annahme. Dienstbühl legt sich an dieser Stelle nicht eindeutig fest. Sie stellt stattdessen dar, welche Maßnahmen gegen die Clankriminalität sich unter NRW-Innenminister Herbert Reul bewährten. Hier ist die sogenannte „Null-Toleranz-Politik“ zu nennen, die bei kleinsten Verstößen greift und „Nadelstiche“ setzt. Immer wieder werden Fahrzeuge der Clanmitglieder oder Shisha-Bars kontrolliert. Bei den Fahrzeugen konzentrieren sich speziell dazu ausgebildete Beamte auf unerlaubte Umbauten, in den Wasserpfeifen-Bars geht es um Verstöße gegen Zollbestimmungen und Steuergesetze. All diese Maßnahmen benötigen sehr viel Personal; denn vergleichbar zur Organisierten Kriminalität sind Ermittlungen gegen Clan-Mitglieder sehr aufwendig. Als weitere Maßnahme bewährte sich die Deklarierung gefährlicher Orte. Diese charakterisiert eine besonders hohe Kriminalitätsbelastung. Dort hat die Polizei das Recht, Personen anlasslos zu kontrollieren und zu durchsuchen. Zu dem Maßnahmenbündel zählt auch die Vermögensabschöpfung, die im Jahr 2017 gesetzlich neu geregelt wurde.

Der Staat kann die kriminellen Strukturen von Clans durchaus wirksam bekämpfen, stellt die Autorin abschließend heraus. Jedoch werden „Staat und Gesellschaft nun zeigen müssen, dass sie das wollen und sie müssen Antworten auf die Frage finden: Wie kann Integration funktionieren?“

Dr. Reinhard Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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