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In Deutschland werden Schusswaffen im Krimi sehr oft, bei Straftaten im wahren Leben aber nur selten verwendet.
© Dr. Reinhard Scholzen

Waffenkriminalität im Spiegel der Bundeslagebilder 2010 – 2021

Von Dr. Reinhard Scholzen

Seit vielen Jahren veröffentlicht das Bundeskriminalamt jährlich das „Bundeslagebild Waffenkriminalität“. Die Zahl der Delikte und Täter nimmt seit einiger Zeit ab.

Zu verschiedenen Straftaten fertigt das Bundeskriminalamt jährlich Bundeslagebilder beziehungsweise Jahresberichte an. Darin wird die Gewalt gegen Polizisten der Öffentlichkeit beschrieben, ebenso detailliert betrachtet die Wiesbadener Behörde unter anderem Cybercrime, Falschgeld, und Korruption, den Menschenhandel, die Organisierte Kriminalität und die Rauschgiftkriminalität.

Seit Anfang dieses Jahrtausends wird die Waffenkriminalität im „Bundeslagebild Waffenkriminalität“ erfasst. Über den gesamten Zeitraum vergleichbar sind die Zahlen jedoch nur bedingt. Mehrfach wandelte sich die Art und Weise der Datenerfassung und – der Aktualität geschuldet – die behandelten Themen. Nur als ein Beispiel sei die „Fallentwicklung der Straftaten unter Verwendung von Schusswaffen“ genannt. Im Jahr 2009 kam es hier zu einem grundlegenden Wandel, als „die Plausibilität ‚mit Schusswaffe geschossen ist auszuschließen‘ und ‚mit Schusswaffe gedroht ist auszuschließen‘ weggefallen ist.“ Eine Betrachtung über das Jahr 2010 hinaus ist somit für diese Frage wenig sinnvoll. Um eine möglichst große Vergleichbarkeit der anderen erfassten Daten zu ermöglichen, wird auch für diese Bereiche nicht weiter als bis zum Jahr 2010 zurückgegangen. Bevor wir näher auf die Zahlen eingehen, erscheint zunächst ein Blick auf Grundsätzliches gerechtfertigt.

In der Vorbemerkung zum Bundeslagebild Waffenkriminalität des Jahres 2010 wird betont, dieses richte „sich an die polizeiliche und politische Führungs- und Entscheidungsebene“. Es solle diesen ermöglichen, „das Gefahren- und Schadenpotenzial der Waffenkriminalität und dessen Bedeutung für die Kriminalitätslage in Deutschland einzuschätzen sowie den notwendigen Handlungsbedarf zu erkennen.“ Die Autoren spitzten zu, das Lagebild solle „einen Beitrag für lageangepasste Schwerpunkt-, Handlungs- und Ressourcenentscheidungen liefern.“ Diesen sehr hohen Stellenwert sehen die Autoren des aktuellen Lagebildes nicht mehr. Im Bundeslagebild 2021 wird lediglich beschrieben, dieses stelle „in gestraffter Form die wesentlichen Entwicklungen im Bereich der Waffenkriminalität dar.“

Taten und Täter

Bereits ein flüchtiger Blick auf die Datenreihen genügt, um zu sehen, dass die Waffenkriminalität in den Jahren von 2010 bis 2021 an Bedeutung verlor. Zunächst nahm die Zahl der Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz nahezu kontinuierlich ab. Danach stieg sie, erreichte 2018 den Höhepunkt in dieser Zeitreihe, um dann wieder nahezu kontinuierlich zu sinken. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei der Zahl der Tatverdächtigen feststellen.

 

Geht man jedoch ins Detail, so ergibt sich ein etwas anderes Bild. Hinter den in der ersten Grafik dargestellten Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz verbergen sich in der überwiegenden Mehrzahl klassische Straftaten, die in der Regel dem illegalen Waffenbesitz, deren illegaler Einfuhr und Handel und der illegalen Herstellung von Schusswaffen zuzuordnen sind. Die Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, die in dieser Grafik auch erfasst sind, machen an der Gesamtzahl der Verstöße nur einen sehr kleinen Anteil aus, der in den ersten fünf Jahren des Erfassungszeitraum nahezu konstant bei 1,6 Prozent lag.

Die Waffen, die jeder Deutsche aus der schier endlosen Zahl von TV-Krimis bestens kennt, erlebt er jedoch in einem anderen Zusammenhang. Dann, wenn bei einer Straftat eine Schusswaffe verwendet wird, mit Pistole oder Revolver gedroht, deutlich häufiger geschossen und dabei Menschen verletzt oder gar getötet werden.

Die Zahl der Straftaten, bei denen eine Schusswaffe verwendet wurde, nahm seit dem Jahr 2010 nahezu stetig ab.

Gleichermaßen sank die Zahl der Fälle, in denen mit einer Schusswaffe gedroht wurde.

Zu diesem Delikt wird im Bundeslagebild Waffenkriminalität seit dem Jahr 2016 die Häufigkeitszahl (HZ) veröffentlicht, also die Zahl der Fälle, berechnet auf jeweils 100.000 Einwohner eines Bundeslandes. 2016 waren davon das Saarland (HZ: 16,0), danach Sachsen-Anhalt (HZ: 15,5) und Rheinland-Pfalz (HZ: 11,1) besonders häufig betroffen. Am seltensten wurde damals und unverändert bis zum Jahr 2021 in Mecklenburg-Vorpommern (HZ: 1,6) mit einer Schusswaffe gedroht. 2017 kamen Bedrohungen mit einer Schusswaffe besonders häufig in Bremen (HZ: 15,5), Hamburg (HZ: 11,8) und Berlin (HZ: 9,3) vor. An dieser Reihenfolge ändert sich 2018 und 2019 nichts. 2020 kam es in Nordrhein-Westfalen häufiger zu Bedrohungen mit einer Schusswaffe (HZ: 8,4), knapp vor Berlin (HZ: 8,3), aber noch deutlich hinter Bremen (HZ: 11,3). 2021 wechselten Berlin und NRW den Rangplatz.

Besonders häufig wurde 2015 im Saarland (HZ: 14,2), Sachsen-Anhalt (11,5) und in Rheinland-Pfalz (HZ: 10,0) auf Sachen geschossen.

 

Ein Jahr später lagen Bremen und Hamburg in dieser Hinsicht ganz weit vorne. In den Folgejahren nahmen im Wechsel Sachsen-Anhalt und NRW den Spitzenplatz ein. Am seltensten wurde in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Schusswaffe illegal geschossen. Das Schießen auf Sachen kann vergleichsweise harmlos sein, wenn mit einem leistungsschwachen Luftgewehr auf Verkehrszeichen geschossen wird. Jedoch besteht auch dabei ein Risiko, Menschen zu verletzen, ganz zu schweigen von den Schüssen auf stehende und zum Teil auch fahrende Kraftfahrzeuge. Von einer Bagatelle kann dann nie die Rede sein

Im Jahr 2015 zählte ein fleißiger Journalist die Zahl der Morde, die sich jährlich in den Programmen von ZDF und ZDFneo ereigneten. Er kam auf rund 4500 Morde. Demgegenüber lag die Zahl der tatsächlichen Morde in Deutschland bei rund 300. Die Auswertung des Bundeslagebildes Waffenkriminalität weist nach, dass in diesem Jahr 130 Straftaten gegen das Leben, worunter Mord und Totschlag in Versuch und Vollendung fallen, mit einer Schusswaffe verübt wurden. Auch die Zahl der Körperverletzungen mit einer Schusswaffe ist vergleichsweise gering.

 

Herausforderungen – einst und jetzt

Aufschlussreich sind die jeweils im letzten Kapitel des Lagebildes aufgeführten „Handlungserfordernisse“ beziehungsweise die „Gesamtbewertung“. Dort werden jeweils die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Waffenkriminalität aufgeführt. Dabei fällt über alle Jahre hinweg auf, dass die großen Probleme ausnahmslos im Bereich der illegalen Waffen liegen.

Im Jahr 2010 bereiteten „grundsätzlich erlaubnisfreie Waffen bei der Begehung von Straftaten“ Sorgen. Dabei handelt es sich um Nachbauten scharfer Waffen, die diesen zum Verwechseln ähnlich sehen, woraus aber lediglich sehr leistungsschwache Plastikkügelchen verschossen werden können. Die Vorgänger dieser Spielzeuge nannte man Erbsenpistolen.

Die Jahre von 2011 bis 2013 charakterisierten rückläufige Zahlen. Entsprechend ruhig fiel die Gesamtbewertung aus, in der hervorgehoben wurde, dass jeweils in nur 0,2 Prozent der in der PKS erfassten Fälle eine Schusswaffe verwendet wurde. Daraus wird gefolgert: „Das für die Bevölkerung aus der Waffenkriminalität resultierende Gefährdungspotenzial ist daher insgesamt als gering zu bewerten, wenngleich für einzelne Betroffene durch den illegalen Einsatz von Schusswaffen eine erhebliche Gefährdung für Leib und Leben verbunden sein kann.“

Seit dem Jahr 2014 rückten illegale Umbauten von „Dekorations- und Salutwaffen“ zu scharfen Waffen in den Mittelpunkt. Diese kamen in der Regel aus dem Ausland, da dort teilweise deutlich geringere Vorschriften für solche Waffen galten. Waffen, bei denen beispielsweise lediglich das Patronenlager blockiert ist, können mit recht geringem Aufwand in scharfe Waffen umgebaut werden. In den Folgejahren wurde immer wieder auf die Verwendung solcher Waffenumbauten durch Terroristen hingewiesen und mit Sorge die zunehmende Zahl von Fällen gesehen, bei denen diese Waffen und Waffenteile über das Internet beschafft wurden.

Im Jahr 2016 wurde das Problem sogenannter Traumatikwaffen im Lagebild angesprochen, aus denen Hartgummigeschosse verfeuert werden. In Deutschland werden für solche Waffen keine waffenrechtlichen Erlaubnisse erteilt. Es fehlt für sie schlichtweg das Bedürfnis, das neben Sachkunde und Zuverlässigkeit eine weitere Grundvoraussetzung für eine waffenrechtliche Erlaubnis darstellt.

Zu den genannten Problemen kam 2017 ein weiteres hinzu: der international organisierte Handel mit illegalen Schusswaffen und Explosivstoffen. Das Gros dieser Waffen kam auf dem Landweg vom Westbalkan, namentlich aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, dem Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien nach Deutschland.

Für das Jahr 2018 stellten die Autoren des Lagebildes eine Verbesserung fest. Mit der neuen EU-Waffenrichtlinie ging einher, dass die umgebauten Waffen rechtlich mit den Waffen gleichgestellt wurden, die sie ursprünglich gewesen waren. Das BKA war sicher: „Mit der Umsetzung in den Mitgliedstaaten wird der freie Verkauf und somit ein leichter Zugang für potenzielle Täter beschränkt.“ Diese Annahme bestätigte sich jedoch nicht. Auch in den Folgejahren waren umgebaute Salut-, Flobert- und Perkussionswaffen ein Thema, denn sie wurden von Tätern nach wie vor in einigen Ländern der EU-umgebaut und sodann auch nach Deutschland verbracht. Eine Änderung gab es jedoch, als Herkunftsland kam im Jahr 2021 die Türkei hinzu. Zudem zeichnete sich eine neue Gefahr durch Waffenteile und ganze Waffen aus 3D-Druckern ab. „Perspektivisch“ sei, so führte das Bundeskriminalamt aus „mit einem steigenden Bedrohungspotenzial zu rechnen.“

Das Nationale Waffenregister

Zu Beginn des Jahrtausends war der private Waffenbesitz der Deutschen ein Buch mit sieben Siegeln. Die Schätzungen der rechtmäßig zwischen Rhein und Oder besessenen Pistolen, Revolver und Gewehre reichten von fünf, über zehn bis hin zu 20 Millionen. Bei den illegalen Waffen, die also ohne staatliche Registrierung und damit auch ohne staatliche Erlaubnis besessen wurden, gingen die Mutmaßungen von knapp unter zehn, 20 bis zu 40 Millionen. In der Summe lagen somit die Schätzungen zwischen 15 und 60 Millionen Waffen in Deutschland.

Für die legal besessenen Waffen, brachte eine Vorschrift der Europäischen Union mehr Klarheit. Mit der Richtlinie 2008/51EG des Europäischen Parlaments und des Rates wurde eine aus den 1990er Jahren stammende Richtlinie überarbeitet, die den legalen Erwerb und Besitz von Waffen regelt. Darin wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, „ein computergestütztes zentral oder dezentral organisiertes Waffenregister einzurichten, das den zuständigen Behörden zugänglich ist und in dem die erforderlichen Angaben zu jeder Feuerwaffe gespeichert sind.“

In Deutschland begann man umgehend mit ersten Vorarbeiten zum Nationalen Waffenregister (NWR). Zunächst gab es für das Vorhaben von Seiten der Polizei viel Lob. Der damalige Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, stellte fest, es sei „für die Polizei überlebenswichtig, bei einer Fahndung oder vor einem Einsatz schnell erfahren zu können, ob sie Personen antreffen, die über – zumindest legale – Waffen verfügen oder ob Waffen im Haus sind.“ Auch Wolfgang Dicke von der GdP sah viel Licht im neuen NWR. Er stellte heraus, das NWR könne sogar für eine grundsätzliche Klarstellung sorgen, indem es die von legalen Waffenbesitzern ausgehende geringe Gefahr unterstreiche. Es würde der „aus polizeilicher Sicht richtigen Argumentation der Waffenbesitzer dienen, wonach der private Waffenbesitz in Hinblick auf die missbräuchliche Verwendung von Schusswaffen für kriminelle Zwecke kaum eine Rolle spielt (ca. 0,03 Prozent aller registrierten Straftaten).“

Viel Gutes erwartete auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) von der Erfassung der legalen Waffen. Rainer Wendt wählte einen einprägsamen Vergleich: „Jede Kuh und jedes Schaf in Europa hat eine Registriernummer und wird in einer zentralen Datei registriert, aber Schusswaffen können wir nicht einmal von einer Stadt in eine andere zurückverfolgen.“

Deutschland führte das Nationale Waffenregister am 1. Januar 2013 beim Bundesverwaltungsamt ein. Wenig später wusste man, dass 1,4 Millionen Bürger rund 5,5 Millionen Waffen legal besaßen. Eine Auswertung für Ende 2017 beinhaltet genauere Angaben: Damals erfasste das NWR etwas mehr als sechs Millionen Waffen auf 1,6 Millionen Waffenbesitzkarten erfasst. Unterteilt nach ihrem waffenrechtlichen Bedürfnis befanden sich darunter unter anderem 417.005 Jäger, 345.576 Sportschützen, 96.035 Erben, 15.447 Vereine, 7.089 Waffen- und Munitionssammler, 1.951 besonders gefährdete Personen und 1.242 Waffen- und Munitionssachverständige.

Am praktischen Nutzen des NWR ließen dessen Betreiber keine Zweifel aufkommen: „Informationen des NWR können damit unmittelbar bei Einsatzlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr, im Rahmen von Ermittlungsverfahren sowie bei Maßnahmen zur Eigensicherung in die jeweilige Lagebeurteilung einfließen.“

In den Polizeigewerkschaften sah man den praktischen Nutzen des NWR deutlich nüchterner. Der Bundesvorsitzende der DPolG, Rainer Wendt, stellte dazu fest: „Erfasst werden natürlich nur die legalen Waffen. Die illegalen Waffen ... stellen nach wie vor eine erhebliche Gefährdung dar.“ Gleichwohl wollte die DPolG auch einen Mehrwert für die Polizisten erkennen. Im Internet stellte die Gewerkschaft unverdrossen fest: „Daher dient die Einführung eines zentralen Waffenregisters auch der Sicherheit von Polizeibeamten.“ Der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow bewertete den Fortschritt durch das NWR anders. Er sah wohl mehr auf die Schätzung, wonach in Deutschland rund 20 Millionen Waffen illegal besessen. Das Waffenregister sei ein „Schuss in den Ofen“ stellte er öffentlich fest, da es zahlreiche Fehler enthalte. Noch deutlicher wurden manche Polizeipraktiker. Ein rheinland-pfälzischer Polizist brachte das Problem am Rand einer Tagung auf den Punkt: „Gerade bei jüngeren Kollegen könnte eine ergebnislose Abfrage im NWR eine trügerische Sicherheit erzeugen“.

Grafiken © Dr. Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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