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Geldautomatensprengungen

Von Dr. Reinhard Scholzen

Die Lagebilder des Bundeskriminalamtes „Angriffe auf Geldautomaten“ liefern viele Fakten zu den Sprengungen von Geldautomaten, lassen aber auch Fragen offen.

Strohn, Jünkerath, Gerolstein, Hillesheim, Daun. Diese fünf Orte liegen im Landkreis Vulkaneifel, der für seine landschaftlichen Reize bekannt ist und regelmäßig erste Preise bei der Wahl der schönsten Wanderwege erringt. Bei Geologen ist die Vulkaneifel berühmt für ihre weltweit einzigartigen Gesteinsformationen, die, eng nebeneinanderliegend, tiefe Blicke in unterschiedliche Phasen der Erdgeschichte ermöglichen. Krimi-Freunde schätzen den „Tatort Eifel“. Weitaus weniger bekannt ist, dass auch Kriminologen etwas mit diesen Dörfern und Städten in der Eifel verbinden: Allen ist gemeinsam, dass dort in letzter Zeit ein oder gleich mehrere Geldautomaten gesprengt wurden.

Modus Operandi

Physische Angriffe auf Geldausgabeautomaten (GAA) sind keine neue Straftat. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam dabei schweres Handwerkszeug wie Brecheisen und Spaltaxt zum Einsatz. Mit neu konstruierten, deutlich stabileren Geldautomaten änderte sich schrittweise der Modus Operandi: Die Täter rissen mit brachialer Gewalt das ganze Gerät aus seiner Verankerung oder rückten ihm an unterschiedlichen Stellen mit Trennschneidern oder diversen Schweißapparaten zu Leibe.

Etwa ab dem Jahr 2013 wandelte sich die Tatbegehung noch einmal deutlich, als die Zahl der Automatensprengungen zunahm. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte erstmals im Sommer 2016 die Erkenntnisse zu diesen Straftaten in dem Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten.

Seit dem Herbst 2015 nahmen die Fälle von Geldautomatensprengungen rasant zu. Die Auswertung des BKA ergab, dass häufig Orte in Nordrhein-Westfalen (70 Fälle) und Niedersachsen (28 Fälle) betroffen waren. Seither verzeichnet Nordrhein-Westfalen beständig und mit deutlichem Abstand zu den anderen Bundesländern die höchsten Fallzahlen (auf die Häufigkeitszahlen gehen wir weiter unten ein). Auffällig ist ein Blick auf die Monate, in denen die meisten dieser Straftaten verübt wurden. Im Oktober 2015 ereigneten sich 19, im November 32 und im Dezember sogar 43 Geldautomatensprengungen.

Die Vorgehensweise der Täter änderte sich. Im Lagebericht für das Jahr 2015 führte das BKA aus, häufig würden die Geldautomaten „durch Einleitung eines Gases bzw. Gasgemisches und dessen anschließende Zündung gesprengt.“ Dabei gab es Unterschiede im Detail. So wurden verschiedene Gase, Zündquellen und auch Zündleitungen verwendet. Lediglich in Einzelfällen wurde gewerblicher Sprengstoff benutzt. Dies änderte sich rasch. Im Jahr 2018 erfasste das BKA 20 Fälle, in denen die Täter einen Festsprengstoff verwendeten. Für das Jahr 2020 konstatierte das BKA einen „sprunghaften Anstieg mit festen Explosivstoffen.“ Über die Gründe führten die Autoren aus, viele Betreiber hätten neue Geräte beschafft, die mit innovativen Sicherungssystemen wie etwa Gasneutralisationssystemen ausgestattet seien. Darauf reagierten die Täter. Für das Jahr 2021 stellte das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) fest, dass zwei Drittel der Taten mit „Blitz-Knall-Körpern“ begangen wurden. In den ersten Monaten des Jahres 2022 stieg der Anteil der mit Feststoffen verübten Geldautomatensprengungen in NRW auf 87 Prozent.

Die nordrhein-westfälische Polizei macht auf ihrer Internetseite auch umfangreiche Angaben zur Tatbegehung: „Bei der überwiegenden Anzahl der Fälle werden durch die Täter zwei Sprengungen durchgeführt. Zunächst wird der ‚Kopf‘ des GAA mit einer ersten Sprengung geöffnet, um dann im Rahmen einer zweiten Sprengung ein so genanntes ‚Fascia-Paket‘ einzuführen und umzusetzen. Aufgrund der deutlich höheren Sprengwirkung von Explosivstoffen im Vergleich zu Gassprengungen entstehen regelmäßig hohe Schadensbilder an Gebäuden und der umliegenden Infrastruktur mit unkalkulierbaren Gefahren für unbeteiligte Dritte sowie eingesetzte Kräfte.“

Täter und Tatorte

Eng miteinander verknüpft sind die Tatbegehungsweisen und die Tätergruppen. Bereits im ersten Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ stellte das BKA im Jahr 2015 heraus, „nur in wenigen Fällen“ seien Einzeltäter am Werk, fast immer würden die Taten von Tätergruppierungen begangen, die arbeitsteilig vorgingen. Es handelt sich somit in der Regel um Straftaten nach § 244a StGB, dem schweren Bandendiebstahl. Von Beginn an kamen viele Täter aus den Niederlanden und wiesen einen Migrationshintergrund aus Marokko auf. Nach Erkenntnissen der niederländischen Polizei und des LKA NRW waren die Täter überwiegend männlich und zwischen 18 und 35 Jahre alt. Die meisten lebten in den niederländischen Großstädten Utrecht, Rotterdam oder Amsterdam. Das LKA NRW beschrieb sie als „oftmals sehr polizeierfahren“, die sensibel auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen reagierten und ständig dazulernten. Auch in der Gegenwart kommen viele Täter aus den Niederlanden, dies unterstreicht die Festnahme von 13 Tatverdächtigen im Juni 2022.

In den BKA-Lagebildern angegebene Zahl der Tatverdächtigen im Zusammenhang mit Geldautomatensprengungen

Jahr

Tatverdächtige

Nähere Erläuterungen

2015

20

Darunter zehn Deutsche, vier Niederländer

2016

45

Darunter 20 Niederländer

2017

35

Überwiegend Niederländer

2018

128

Überwiegend Niederländer

2019

132

68% reisende Täter

2020

168

Zwei Drittel reisende Niederländer

2021

124

50,8% Niederländer

Bereits im Jahr 2015 ging das Bundeskriminalamt davon aus, dass die zunehmende Zahl der Automatensprengungen in Deutschland ursächlich mit verstärkten Präventionsmaßnahmen in niederländischen Geldinstituten und dem hohen Verfolgungsdruck in unserem Nachbarland einherging. In den Folgejahren blieb der Anteil niederländischer Täter hoch und ebenso waren es in erster Linie Geldautomaten in ländlichen Regionen oder am Stadtrand, die gesprengt wurden. Vor diesem Hintergrund war es vorhersehbar, dass seit dem Jahr 2017 vermehrt auch Tatorte in Rheinland-Pfalz in der Statistik erschienen. Dort wurden im Jahr 2016 fünf Geldautomaten gesprengt, im Folgejahr waren es 23. Als Erklärung wiesen die Autoren des Lagebildes auf die in NRW und in Niedersachsen „eingerichteten zentralen Ermittlungskommissionen sowie eine intensive Zusammenarbeit mit den niederländischen Strafverfolgungsbehörden“ hin. Dies führte zu einem Verdrängungseffekt, wodurch die Täter vermehrt Objekte in Hessen und Rheinland-Pfalz ins Visier nähmen.

Bei vielen Straftaten ist es nicht einfach, Antworten auf vermeintlich einfache Fragen zu finden. In welchem Bundesland ereignen sich die meisten Sprengungen von Geldautomaten? ist eine solche, schwierig zu beantwortende Frage. Beschränkt man sich nur auf die Zahl der Fälle, so bleibt außen vor, wie viele Menschen in diesem Bundesland leben und es wird nicht dessen Flächengröße berücksichtigt. Um ein Gesamtbild zu zeichnen müsste unter anderem auch betrachtet werden, wie groß die Gesamtzahl der in einem Bundesland aufgestellten Geldautomaten ist, wo diese aufgestellt und wie sie gesichert sind. Die Häufigkeitszahl, also die Zahl der Geldautomatensprengungen umgerechnet auf je 100.000 Einwohner, liefert somit einen zwar griffigen, keineswegs aber alles erklärenden Wert.

Häufigkeitszahl der Sprengungen von Geldautomaten (inklusive Versuche)

Bundesland

Jahr

 

2021

2020

2019

Baden-Württemberg

0,21

0,37

0,31

Bayern

0,13

0,18

0,21

Berlin

0,71

0,11

0,28

Brandenburg

0,54

0,08

0,20

Bremen

0,44

1,00

0,14

Hamburg

0,05

0,06

0,06

Hessen

0,89

0,48

0,85

Mecklenburg-Vorpommern

0,31

0,19

0,06

Niedersachsen

0,69

0,56

0,56

Nordrhein-Westfalen

0,85

0,98

0,59

Rheinland-Pfalz

0,56

0,85

0,54

Saarland

0,61

0,30

0,60

Sachsen

0,10

0,15

0,34

Sachsen-Anhalt

0,60

0,73

0,59

Schleswig-Holstein

0,03

0,31

0,17

Thüringen

0,28

0,50

0,32

Schäden und Beute

Im BKA-Lagebild für das Jahr 2015 sticht ins Auge, dass die Täter in 37 Prozent der Fälle keinen Erfolg hatten, also kein Bargeld erbeuteten. Im Folgejahr verließen sie sogar in 60 Prozent der Fälle den Tatort ohne Beute. Danach schwanken die Zahlen stark: 2017 machten die Verbrecher in 48 Prozent der Fälle Beute, 2018 waren es 37 Prozent, 2019 41 Prozent, 2020 endeten 38 Prozent der Taten für die Täter erfolgreich, im vergangenen Jahr waren es 48 Prozent.

Ohne auf Details einzugehen, stellte das BKA für das Jahr 2015 heraus: „Der durch die Straftaten verursachte Sachschaden übersteigt den Beuteschaden in vielen Fällen deutlich. Bei einzelnen Straftaten entstand ein Sachschaden in sechsstelliger Höhe.“ Im Jahr 2017 wurden in Einzelfällen Schäden angerichtet, die sogar über einer Million Euro lagen. Ein Jahr später gab das BKA die Gesamtsumme der Begleitschäden mit einem „mittleren zweistelligen Millionenbereich“ an. Nähere Angaben über Beute und Schadenshöhe finden sich in der Betrachtung des Jahres 2019. Als durchschnittliche Beutesumme wurden 107.000 Euro angegeben (Gesamtsumme 2019: 15,2 Mio. Euro) und die Begleitschäden durch die Geldautomatensprengungen wurden wie in den Vorjahren auf einen „mittleren zweistelligen Millionenbereich“ geschätzt. 2020 stieg die Gesamtsumme der Beute auf 17,1 Millionen Euro an und steigerte sich im Jahr 2021 nochmals auf 19,5 Millionen Euro. Nach wie vor überstiegen die Begleitschäden diesen Wert deutlich.

Präventionsmaßnahmen

Bereits im Oktober 2015 gab das LKA NRW für die Betreiber von Geldautomaten Handlungsempfehlungen heraus. Sie waren das Ergebnis eines intensiven Erfahrungs- und Informationsaustauschs, an dem auch die Produzenten unterschiedlicher Sicherheitstechniken beteiligt waren. Darüber hinaus nahmen an den Gesprächen auch Vertreter von Versicherungen und Polizisten aus den Niederlanden teil.

Diese Erfahrungen und die Erkenntnisse aus anderen Bundesländern – beispielsweise die im Jahr 2018 in Rheinland-Pfalz geschaffene Projektgruppe „Sprengung von Geldautomaten“ – flossen im Jahr 2019 in den Maßnahmenkatalog ein, den die Projektgruppe „Geldautomatensprengungen“ der „Kommission Polizeiliche Kriminalprävention“ erarbeitete. Hieraus ergaben sich ständig aktualisierte Empfehlungen zur Umsetzung unterschiedlicher Sicherungsmaßnahmen an die Betreiber von Geldautomaten. Hierzu zählen auch diverse Sicherungssysteme, von denen in der Öffentlichkeit Farbpatronen sowie Spezialkleber bekannt sind, die die Geldscheine für die Täter unbrauchbar machen.

Das LKA NRW geht aber noch einen Schritt weiter. Seit dem Jahr 2020 drängt es darauf, das Aufstellen von Geldautomaten nur dann zuzulassen, wenn ausreichende Sicherungen vorhanden sind.

Die Innenminister wollen noch mehr über diese Straftaten wissen. Sie gaben daher im Jahr 2020 den Auftrag an die Landeskriminalämter, die Datenlage umfassend zu erfassen. Zu diesem Zweck wurde von einer Projektgruppe ein „Erfassungsbogen zur Tatortaufnahme – Sprengung von Geldautomaten“ verfasst. Die IMK will die Ergebnisse während ihrer Herbsttagung 2023 besprechen.

Auf dieser Grundlage ging die 215. Sitzung der Innenministerkonferenz im Dezember 2021 das Thema an. Die Ergebnisse sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ebenso wenig die Resultate des TOP 32 in der IMK-Sitzung vom Juni 2022, in dem die Möglichkeiten der „Bekämpfung des Deliktsphänomens Sprengungen von Geldausgabeautomaten“ besprochen wurden.

Bereits jetzt kann man jedoch sagen, dass die Erklärungen und damit die daraus zu ziehenden Konsequenzen nicht auf der Hand liegen. Betrachtet man den eingangs erwähnten Landkreis Vulkaneifel, so wird dies deutlich. Zwar hat Rheinland-Pfalz umgerechnet auf die Bevölkerung bundesweit die geringste Polizeidichte, aber mehrere der gesprengten Automaten in der Vulkaneifel standen nur wenige hundert Meter von einer Polizeiinspektion beziehungsweise einer Polizeiwache entfernt. Da greift das Argument des weiten Weges zum Tatort schlichtweg nicht.

Ein Aspekt kommt in der bundesweiten Betrachtung bisher zu kurz, hat jedoch in großflächigen, aber nur dünn besiedelten Regionen durchaus schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevölkerung: Viele Banken schließen ihre Filialen nach Geldautomatensprengungen für immer. Diesen Weg will der Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse Vulkaneifel nach der Automatensprengung in der Filiale in Jünkerath, bei der Ende Juni 2022 ein Schaden von 300.000 bis 400.000 Euro entstand, nicht gehen. Dietmar Pitzen betonte: „Wir bleiben in Jünkerath, werden den Standort wieder aufbauen“. Allerdings werde dies Monate dauern, denn es sei an der Geschäftsstelle ein Totalschaden entstanden, da die Druckwelle auch die sieben Büros der Filiale zerstört habe. Weite Wege zum nächsten Geldautomaten werden den Kunden jedoch erspart. Bargeld können sie gebührenfrei am Geldautomaten der Volksbank erhalten.

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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