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Rechtsextremismus und Linksextremismus in Deutschland

Die aktuelle Analyse der deutschen Sicherheitsbehörden

Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei

Dieser Beitrag untersucht aktuelle Akteure und Trends im deutschen Rechtsextremismus und im deutschen Linksextremismus. Als Quellenbasis dient der aktuelle Verfassungsschutzbericht aus dem Juni 2022. Einführend werden aktuelle Straftaten und Trends in diesen beiden Phänomenbereichen von Extremismus beleuchtet. Auch das Vorwort des aktuellen Verfassungsschutzberichtes, verfasst von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist in Bezug auf das Bedrohungspotenzial, das in Deutschland von Rechts- und Linksextremisten ausgeht, ist sehr aufschlussreich. Abschließend wird der aktuelle linksextremistische „Antimilitarismus“ im Kontext zum Ukrainekrieg und den sicherheitspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung („Zeitenwende“) beschrieben.

In ihrem Vorwort für den aktuellen Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz aus dem Juni 2022 erklärt Bundesinnenministerin Nancy Faeser, dass sie „insbesondere im Kampf gegen den Rechtsextremismus, der größten extremistischen Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung […] als Bundesinnenministerin einen Schwerpunkt meiner politischen Arbeit“ setze.1 Mit dem Aktionsplan gegen Rechtsextremismus habe sie „im März 2022 kurzfristig wirksame repressive und präventive Maßnahmen vorgestellt“. Ihr Ziel sei es, „Radikalisierung zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen. Um den Nährboden von Hass und Gewalt auszutrocknen, müssen zudem diejenigen, die im Netz Hass und Hetze verbreiten, identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden“.2

Gleichzeitig verweist Bundesinnenministerin Faeser jedoch auch darauf, dass „das Gefahrenpotenzial im Linksextremismus unverändert hoch“ sei. Bundesweit bestehe „im gewaltorientierten Linksextremismus ein hohes Radikalisierungsniveau. 2021 ist die Zahl gewaltbereiter Linksextremisten nach den deutlichen Zuwächsen in den Vorjahren erneut angestiegen und liegt nun bei 10.300 Personen, von denen 8.000 als „Autonome“ gelten. Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten hat sich mit über 6.100 Delikten auf einem hohen Niveau verfestigt. Sie werden von konspirativ und professionell agierenden Kleingruppen planvoll und gezielt durchgeführt.3

Dieser Artikel beleuchtet die beiden Extremismusphänomenbereiche Rechtsextremismus und Linksextremismus in Deutschland Bezug auf ihre aktuellen Straftaten und Trends, auf der Grundlage einer Auswertung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes aus dem Juni 2022.

Rechtsextremismus in Deutschland – Aktuelle Straftaten, aktuelle Trends

Dem Phänomenbereich Rechtsextremismus ordneten die deutschen Sicherheitsbehörden im Jahr 2021 20.201 Straftaten zu – im Vorjahr waren es noch 23.604 –, von den 21.964 Straftaten waren 12.255 Propagandadelikte – im Jahr 2020 noch 13.659 – Propagandadelikte nach §§ 86, 86a StGB und 945 Gewalttaten (im Vorjahr noch 1.023 Gewalttaten). Neben zwei versuchten Tötungsdelikten zählt hierzu auch ein vollendetes Tötungsdelikt, bei dem der Täter seine Frau, deren drei Kinder und sich selbst tötete. In einem Abschiedsbrief hatte der Mann antisemitische Verschwörungsideologien im Kontext der Coronapandemie geäußert.4

Beim Personenpotenzial Rechtsextremismus zählten die deutschen Verfassungsschutzbehörden für das Jahr 2021 33.900 Personen, im Vorjahr waren es noch 33.300. Die Zahl der Rechtsextremisten, die als gewaltorientiert eingestuft werden, ist auf 13.500 Personen angestiegen, im Jahr zuvor waren es noch 13.300.5 Beim Personenpotenzial Rechtsextremismus zählen die deutschen Verfassungsschutzbehörden aktuell 11.800 in Parteien, davon 3.150 bei der NPD, 500 bei „DIE RECHTE“, 650 bei „Der III. Weg“ und 7.500 unter „sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial“, wozu das Bundesamt für Verfassungsschutz die Anhänger „des formal aufgelösten Personenzusammenschlusses ‚Der Flügel‘ (Verdachtsfall Rechtsextremismus)“ der AfD sowie der „Jungen Alternative“ zählt.6 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz für das Jahr 2021 8.500 Personen, im „weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial“ 15.000, was nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften insgesamt 33.900 macht.7

Programmatisches Plakat
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In Bezug auf die Strategien und die Ideologieelemente der rechtsextremistischen Akteure führt das Bundesamt für Verfassungsschutz aus, dass das rechtsextremistische Demonstrationsgeschehen im Jahr 2021, dem zweiten Jahr der Pandemie, hinsichtlich der Mobilisierung wieder erheblich unter dem Einfluss der Coronapandemie und den Auswirkungen der staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, die zu einem erheblichen Rückgang des Versammlungsaufkommens auf 88 Demonstrationen führten (im Jahr 2020 noch 233 Versammlungen), stand. Den Kampfsport bewerten die Verfassungsschutzbehörden für die rechtsextremistische Szene nach wie vor als organisationsübergreifendes und verbindendes Element. Trotz pandemiebedingter Einschränkungen wurden Kampfsporttrainings in eigenen Szeneobjekten oder im Freien durchgeführt. Allerdings fanden im Jahr 2021 keine größeren Kampfsportwettbewerbe statt. So konnte der Versuch, eine Ersatzveranstaltung für die rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“ im benachbarten Ausland durchzuführen, von den Sicherheitsbehörden durch eine länderübergreifende Zusammenarbeit verhindert werden.8

Wie bei den Versammlungen konstatiert das Bundesamt für Verfassungsschutz für das Jahr 2021, dass die Anzahl von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen und deren Besuchern auf einem deutlich niedrigeren Niveau als vor der Pandemie war. Dennoch hätte sich die rechtsextremistische Musikszene in Deutschland trotz der schwierigen Rahmenbedingungen der Jahre 2020 und 2021 aber „weiterhin agil und aktionsfähig“ gezeigt. Das zeige der sprunghafte Anstieg von Musikveranstaltungen ab Mitte 2021, nachdem Teile der Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben worden waren. Zudem seit im Jahr 2021 eine – im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit – überdurchschnittlich hohe Zahl neuer rechtsextremistischer Tonträger veröffentlicht worden.9

Antisemitismus und antisemitische Narrative als wesentliche rechtsextremistische Aktionsfelder wurden nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden durch die Coronapandemie noch verstärkt. Die Pandemie stelle einen entscheidenden Faktor bei der Verbreitung von offenen oder chiffrierten antisemitischen Verschwörungstheorien dar. Beispielhaft seien hier Narrative zu nennen, nach denen eine „geheime Elite“, die in der Regel aus „jüdischen“ oder als „jüdisch“ klassifizierten Personenkreisen wie den Familien Rothschild und Rockefeller oder der sog. „Hochfinanz“ bestehe, die „Pandemie und die Impfungen zur Versklavung der Menschheit“ benutze.10 So habe sich in Form des „Great Reset“ mittlerweile eine coronabezogene Verschwörungserzählungen mit antisemitischen Versatzstücken ausgebreitet. Die Verschwörungserzählung „Great Reset“ behauptet, dass eine „globale Elite“ in Politik und Wirtschaft eine globalisierte Diktatur anstrebe. Vor allem über Soziale Medien werden antisemitisch konnotierte Verschwörungserzählungen auch über die Grenzen des rechtsextremistischen Spektrums hinaus verbreitet.11

Neben dem seit Jahren vorherrschenden rechtsextremistischen Agitationsthema Migration und seit 2020 der Coronapandemie sowie staatliche Gegenmaßnahmen waren im Jahr 2021 nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden mutmaßlich linksextremistisch motivierte Angriffe gegen die rechtsextremistische Szene ein bestimmendes Thema innerhalb dieser Szene in Deutschland. Thematisiert wurden dabei vor allem die zwischenzeitliche Häufung dieser Delikte im Frühjahr 2021 sowie die teilweise „neue Qualität gezielter und planmäßiger Angriffe“. Neben einer hohen Anzahl von Sachbeschädigungen, beispielsweise durch Brandanschläge auf Szeneobjekte und von Rechtsextremisten genutzte Fahrzeuge vor allem in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, kam es nach Angaben der deutschen Sicherheitsbehörden zu gezielten gewalttätigen Übergriffen auf einzelne Protagonisten des deutschen Rechtsextremismus. So wurde am 11. März 2021 der Vorsitzende der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) Paul Rzehaczek in seiner Wohnung in Sachsen von mehreren als Polizisten verkleideten Personen schwer verletzt.12 Ein ähnlicher Überfall –vermutlich ebenso von gewaltbereiten Linksextremisten verübt – ereignete sich am 28. Mai 2021 auf einen Neonazi und seine Lebensgefährtin in Thüringen. Diese Übergriffe führten in der Analyse der deutschen Sicherheitsbehörden dazu, dass sich Rechtsextremisten als Opfer eines „linken Terrorismus“ durch die „Antifa“ inszenierten. Die rechtsextremistische Szene habe in dieser Situation vorübergehend interne Differenzen zugunsten der „nationalen Sache“ überwunden. Szeneprominente Rechtsextremisten haben Vernetzungsbestrebungen vorangetrieben, um dem politischen Gegner und den eigenen Szeneangehörigen Stärke und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. In Propagandavideos wurde verkündet, „dass man sich von den Gewalttaten nicht einschüchtern lasse“.13

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) argumentiert, dass es bundesweit und über Organisationsgrenzen von Rechtsextremisten hinweg zu einer ungewöhnlichen Solidarisierung gekommen sei. Selbst Personen(-gruppen) aus Spektren innerhalb der rechtsextremistischen Szene, die bislang in einem politischen, ideologischen oder geschäftlichen Konkurrenzverhältnis zueinander gestanden hätten, haben sich nach Angaben des BfV einander angenähert. Um das Narrativ der „Opferrolle“ zu etablieren, initiierte das „COMPACT-Magazin“ in diversen Formaten– beispielsweise mit einer Beitragsserie in „COMPACTTV“ und über ein eigenes „COMPACT Spezial“-Heft  – eine Berichtsserie über die linksextremistische „Antifa“ und deren vermeintlichen Unterstützerkreis. Verschiedene verschwörungstheoretische Konstrukte wurden in der Analyse des BfV bemüht, um der Politik, den „Mainstream-Medien“ und Bildungseinrichtungen eine Mitschuld an der andauernden Angriffsserie gegen Protagonisten des deutschen Rechtsextremismus zuzuweisen.14 Neben der Vernetzung mithilfe propagandistischer Aktivitäten legten deutsche Rechtsextremisten auch einen Fokus auf gemeinsame Selbstverteidigungsstrategien. Auf lokaler Ebene boten sich gewaltorientierte Rechtsextremisten an, um Szeneobjekte zu bewachen, und „bestreiften“ diese zeitweilig. Schulungen zum Thema Selbst- und Objektschutz thematisierten „legale Bewaffnung“ und den Notwehrparagrafen des Strafgesetzbuchs.

Linksextremismus in Deutschland – Aktuelle Straftaten, aktuelle Trends

Dem Linksextremismus wurden im Jahr 2021 6.142 (im Jahr 2020 noch 6.632) Straftaten erfasst, darunter 987 (2020 noch 1.237) Gewalttaten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten sank damit um 7,4 %, die Zahl der Gewalttaten um 20,2 %. Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 572 Fälle in das Themenfeld „Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden“ eingeordnet. Die Zahl der Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten verminderte sich auf insgesamt 264 Delikte, während die Zahl der Gewalttaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole um 30,8 % auf 471 zurückging (2020: 681). Angestiegen (plus 6,6 %) ist hingegen die Zahl der Gewalttaten im Themenfeld „Kampagnen gegen Umstrukturierung“ (2021: 290, 2020: 272). Gut 90 % der Gewalttaten in diesem Themenfeld (262) wurden in Berlin begangen.15 Das linksextremistische Personenpotenzial stieg 2021 um 1,2 % auf insgesamt 34.700 Personen und mehr als jeder vierte Linksextremist wird als gewaltorientiert eingestuft. Linksextremistische Akteure in Deutschland sind nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz u.a. Autonome, Anarchisten, dogmatische Linksextremisten,, die „Interventionistische Linke“, „...ums Ganze! – kommunistisches Bündnis“, „Perspektive Kommunismus“ (PK), Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union“ (FAU), Gruppe ArbeiterInnenmacht“ (GAM), deutsche Sektion der „Liga für die Fünfte Internationale“, „REVOLUTION“ (REVO), Jugendorganisation der „Gruppe ArbeiterInnenmacht“, „Rote Hilfe e.V.“, „junge Welt“, Deutsche Kommunistische Partei“, „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“, Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“, „REBELL“, Sozialistische Gleichheitspartei“, deutsche Sektion des „Internationalen Komitees der Vierten Internationale“, Sozialistische Alternative“/„Sozialistische Organisation Solidarität“, Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE“, Sozialistische Linke“, Antikapitalistische Linke“ sowie „marx21“.16

Die „Rote Hilfe e.V.“ (RH) ist mit rund 12.100 Mitgliedern und bundesweit etwa 50 Ortsgruppen nach Angaben des BfV die größte und eine der wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus. Innerhalb der letzten vier Jahre habe die RH einen starken Mitgliederzuwachs erfahren. Ihr primäres Betätigungsfeld ist „die Unterstützung von linksextremistischen Straftätern sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit. Sie bietet ihnen politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische sowie finanzielle Unterstützung. Ihre Agitation zielt darauf ab, das strafrechtliche Abschreckungspotenzial zu mindern und die Legitimität des demokratischen Verfassungsstaates infrage zu stellen.“17

Infostand der Roten Hilfe 2013 in Hannover
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In Bezug auf weitere wichtige Akteure im Bereich des Linksextremismus stellt das BfV, dass Linksextremisten die öffentliche Aufmerksamkeit zur Verbreitung ihrer Ideologie benötigen. Gewaltorientierte Linksextremisten brauchen zudem eine Plattform, um Straf- und Gewalttaten öffentlich vermitteln und ihren Forderungen Nachdruck verleihen zu können. Nach dem Verbot von „linksunten. indymedia“ im August 2017 hat sich die linksextremistische Internetplattform „de.indymedia“ zum wichtigsten Informations- und Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum entwickelt. Eine Vielzahl an Beiträgen weist einen Bezug zu linksextremistischer Gewalt und Straftaten auf oder sind selbst von ihrem Inhalt her strafrechtlich relevant. So werden regelmäßig Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht und zu weiteren Taten aufgerufen. Auch erfolgen über „de.indymedia“ immer wieder Veröffentlichungen von Bildern und personenbezogenen Daten „unliebsamer Personen“ im Rahmen von „Outings“. In der Gesamtschau lassen die Beiträge auf „de.indymedia“ eindeutig eine verfassungsfeindliche Linie erkennen, die in der Bearbeitung der Plattform als gesicherte linksextremistische Bestrebung resultiert.18

Bundesweit besteht im gewaltorientierten Linksextremismus seit Jahren ein hohes Radikalisierungsniveau. Das BfV stellt seit Jahren fest, dass die Gewaltbereitschaft bei einigen Linksextremisten derart ausgeprägt sei, „dass sie sich vom Rest des gewaltorientierten Spektrums abgrenzen und in kleinen Gruppen eigene, akribisch geplante und häufig äußerst brutale Taten begehen“. Diese Entwicklungen zeigen sich vor allem in den Schwerpunktregionen Berlin, Hamburg und Leipzig. Aber auch in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sich ein Teil der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zunehmend radikalisiert.19

Die deutschen Verfassungsschutzbehörden beobachten seit Monaten und Jahren, dass linksextremistische Angriffe zielgerichteter und professioneller geworden seien, die Opfer zunehmend auch auf einer persönlichen Ebene betroffen seien. Sie würden in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld mit hoher Aggressivität attackiert, ihre Wohnungen, Geschäftsräume und Fahrzeuge gezielt beschädigt oder in Brand gesetzt. Dazu kommt es immer wieder zu direkten körperlichen Angriffen gegen politische Gegner oder Polizeibeamte, wobei die linksextremistischen Täter auch schwere körperliche Verletzungen verursachen. Einige linksextremistische Täter gingen in den letzten Monaten und Jahren bereits jetzt so brutal vor, dass sie auch den möglichen Tod der Opfer zumindest in Kauf nehmen.20 Vor allem bei Angriffen auf als Rechtsextremisten ausgemachte Personen ist das Vorgehen der linksextremistischen Tätergruppen nach Auffassung der deutschen Sicherheitsbehörden sehr professionell und zeugt im Auftreten von einer ausgeprägten Selbstsicherheit. So verkleideten sich Linksextremisten beispielsweise zur Begehung schwerer Gewalttaten gegen Rechtsextremisten als Polizisten, um Zugang zu Wohngebäuden zu erlangen. Sie führten Werkzeuge mit, um damit Wohnungstüren gewaltsam zu öffnen, ihre Opfer gezielt anzugreifen und schwer zu verletzen. Diese Art der Tatbegehung erfordert eine intensive Vorbereitung, im Vorfeld werden der Tagesablauf und die persönlichen Lebensumstände der potenziellen Opfer detailliert ausgekundschaftet und die Taten dann arbeitsteilig ausgeführt.21

Mit der Erheblichkeit linksextremistischer Gewalttaten in den letzten Jahren und Monaten habe sich nach Auffassung der deutschen Sicherheitsbehörden auch der dahinterstehende Täterkreis verändert. So gebe es in mehreren Bundesländern Hinweise darauf, dass sich innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene klandestin operierende Kleingruppen herausbilden. Diese begehen eigene Tatserien und schotten sich aufgrund ihrer gesteigerten Gewaltbereitschaft vom Rest der Szene ab. Die Tonlage im Spektrum gewaltorientierter Linksextremisten habe sich insgesamt verschärft. Weitreichende Aussagen bis hin zur Androhung schwerer Gewalt oder auch der Bedrohung mit dem Tod werden stillschweigend toleriert. So wurde auf einer Demonstration gegen eine vermeintliche „Kriminalisierung von Antifaschismus“ am 18. September 2021 in Leipzig der Leiter der Soko LinX des Landeskriminalamts Sachsen öffentlich mit dem Tode bedroht. Eine Gruppe schwarz vermummter Teilnehmender zeigte ein Plakat, auf dem in Anspielung auf die Ermordung Hanns Martin Schleyers durch die linksterroristische „Rote Armee Fraktion“ (RAF) unter Nennung seines vollen Namens zu lesen war: „BALD IST ER AUS DEIN TRAUM, DANN LIEGST DU IM KOFFERRAUM.“22

Als seit Jahre etabliertes Agitationsfeld gewaltbereiter Linksextremisten gilt im Kampf gegen den bei Linksextremisten verhassten Staat die Polizei als das zentrale Feindbild gewaltorientierter Linksextremisten. Gegen ihre Einsatzkräfte, Fahrzeuge und Einrichtungen richten sich mit Abstand die meisten linksextremistischen Gewalttaten. Zu den im Jahr 2021 560 von Linksextremisten verübten Gewaltdelikten gegen die Polizei zählen unter anderem ein versuchtes Tötungsdelikt, 182  Körperverletzungen, 15  Brandstiftungen und 241 Widerstandsdelikte. Aus Sicht von Linksextremisten stehe dabei jede verletzte Polizeikraft für eine Schwächung des „Repressionsstaates“ und gleichzeitig für eine Demonstration der eigenen Stärke. Diese linksextremistische Auffassung verletzt in der Analyse der deutschen Verfassungsschutzbehörden nicht zuletzt auch die Menschenwürde der angegriffenen Polizeibeamten.23

Vor allem gewaltorientierte Linksextremisten „sprechen Polizeibediensteten ihr Menschsein konsequent ab und verunglimpfen sie als ‚Marionetten des Systems‘ und ‚Bullenschweine‘, die es allein schon aufgrund ihrer Berufswahl verdienten, physische Gewalt zu erfahren“. Dieses gemeinsam hochstilisierte Feindbild bietet der linksextremistischen Szene Orientierung und stärkt ihren Zusammenhalt sowie ihre Gewaltbereitschaft. Bei Demonstrationen, Zwangsräumungen, Abschiebungen oder Festnahmen stehen sich Linksextremisten und Polizei regelmäßig gegenüber. Dabei kommt es immer wieder zu gewaltsamen Ausschreitungen und gezielten Angriffen auf Polizeibeamte. Regelmäßig werden diese durch den Bewurf mit Pyrotechnik, Flaschen und Pflastersteinen – mitunter schwer – verletzt.24

Am 1. Mai 2021 kam es in mehreren deutschen Städten zu Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei; rund 100 Einsatzkräfte wurden dabei verletzt. Bei der jährlichen „Revolutionären 1. Mai-Demo“ in Berlin wurden Polizeibeamte mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen und auch direkt körperlich angegriffen. In Frankfurt am Main kam es aus einer Demonstration heraus zu teilweise massiven Angriffen auf die Polizei. Unter anderem wurden dabei Fahnenstangen gezielt unter das Helmvisier der Einsatzkräfte gestoßen, um diese schwer zu verletzen. Im Kontext mit der bevorstehenden Räumung des „Köpi-Wagenplatzes“ setzten unbekannte Täter – vermutlich gewaltbereite Linksextremisten – am 12. Oktober 2021 in Berlin einen Reifenstapel in der Nähe des Szeneobjekts „Rigaer94“ in Brand. Zusätzlich blockierten sie eine Straße mit einem Transparent, auf dem unter anderem ein Anarchiezeichen und die Abkürzung „ACAT“ (All Cops Are Targets) zu sehen waren. Eintreffende Einsatzkräfte der Polizei wurden aus den umliegenden Häusern heraus massiv mit Pflastersteinen beworfen. Feuerwehrkräfte mussten von der Polizei vor Steinwürfen geschützt werden, um den Brand löschen zu können.25

In Bezug auf die Polizei führen die deutschen Verfassungsschutzbehörden aus, dass „im Kampf gegen den bei Linksextremisten verhassten Staat die Polizei das zentrale Feindbild gewaltorientierter Linksextremisten“ sei. Gegen die Einsatzkräfte, Fahrzeuge und Einrichtungen der Polizei richten sich mit Abstand die meisten linksextremistischen Gewalttaten. Die konsequente Fokussierung auf die Polizei als primäres Feindbild biete linksextremistischen Gruppen zusätzliche Vernetzungsoptionen hin zu ideologisch weniger gefestigten Gruppen, so das BfV.26

Eine besondere Bedeutung für autonome Linksextremisten hat die sog. „Eroberung“ und „Verteidigung von Freiräumen”. „Da Autonome die öffentliche Ordnung nicht anerkennen, ignorieren sie bestehende Eigentumsverhältnisse und errichten Orte, an denen sie selbst über die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmen wollen“, erläutert das BfV. Dies können besetzte Häuser, kollektive „Wohnprojekte“ und selbstverwaltete Kulturzentren sein, die als Symbole des „Widerstands frei von staatlicher Überwachung“ und „kapitalistischer Verwertungslogik“ betrachtet werden. Jegliche staatlichen Eingriffe werden von autonomen Linksextremisten als Angriff auf die Selbstbestimmung verstanden. Autonome Linksextremisten reagieren auf staatliche Maßnahmen wie Durchsuchungen, Begehungen oder Räumungen regelmäßig mit gewaltsamen Protesten, Sachbeschädigungen oder Brandanschlägen auf beteiligte Unternehmen, „Luxusimmobilien“ oder die Polizei. Der „Preis“ für entsprechende politische oder wirtschaftliche Entscheidungen soll auf diese Weise „in die Höhe getrieben“ und Entscheidungsträger beeinflusst werden. Hinzu kommen persönliche Drohungen gegen mutmaßlich Verantwortliche und Angriffe auf Polizeibeamte.27

Der Ukrainekrieg und linksextremistischer „Antimilitarismus“

Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg konstatierte im Mai 2022, dass die deutsche linksextremistische Szene vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges das seit Jahren bekannte linksextremistische Agitationsthema „Antimilitarismus“ verstärkt in den Mittelpunkt rücke. Grund hierfür seien die derzeitigen politischen Entwicklungen im Kontext des Ukrainekriegs, vor allem die Entscheidung der Bundesregierung, die Militärausgaben zu erhöhen und Waffen in die Ukraine zu liefern. Wie jüngste Aktionen zeigen, gewinnt das Thema auch für Baden-Württemberg zunehmend an Relevanz.28

 In der Nacht auf den 29. April 2022 wurde die Fassade des Stuttgarter SPD-Büros mit roter Farbe beschmiert. Wie in einem Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Internetplattform „de.indymedia.org“ nachzulesen ist, sollte die Partei damit „als Kriegstreiber markiert“ werden. Durch die Tat sei „das Blut der Arbeiter:innen der Welt, das durch ihre Waffen zweifelsohne fließen wird, symbolisch an die Fassade“ gebracht worden. Am Ende des Beitrags wird dazu aufgerufen, im Themenfeld Antimilitarismus aktiv zu werden: „Lasst uns antimilitaristisch aktiv werden, die Kriegsindustrie stören, Waffenexporte blockieren und revolutionär für ein Anderes [sic!] System kämpfen“.29

Wenige Stunden später kam es zu einem sehr ähnlichen Fall, am 30. April 2022 wurden die Fenster einer Filiale der Deutschen Bank im Zuge einer Demonstration in Waiblingen mit dem Schriftzug „Kriegsprofiteure“ versehen. Hierdurch sollte laut eines weiteren Selbstbezichtigungsschreibens auf „de.indymedia.org“ darauf aufmerksam gemacht werden, dass die „Deutsche Bank zu den größten Investoren der Rüstungsindustrie [gehört]“. Am Ende des Beitrags findet sich der Aufruf: „Krieg, Krise, Kapitalismus – diesem System den Kampf ansagen!“30

Schon Anfang April wurde auf „de.indymedia.org“ unter der Überschrift „Rüstungsindustrie angreifen!“ eine neue Plattform vorgestellt, auf der Informationen, wie beispielsweise Adressen, veröffentlicht wurden. Unter den veröffentlichen Adressen finden sich auch zahlreiche Unternehmen aus Baden-Württemberg. Ziel der Plattform sei es, einen „Beitrag“ dazu zu leisten, „Rüstungsunternehmen, ihren Zulieferern, Beratern, Logistikern, Finanziers und Lobbyorganisationen“ zu schaden, indem sie anhand der online verfügbaren Informationen „effizient“ getroffen werden sollten.31

Auch Ende April gründete sich unter der Internetadresse „hauptfeind.de“ erstmals ein bundesweites Bündnis, das sich explizit gegen die beabsichtigte Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik stellt („Zeitenwende“). Unter dem Motto „Offensive gegen Aufrüstung – Klassenkampf statt Burgfrieden“ haben sich bislang 29 Gruppen zusammengeschlossen, darunter auch mehrere linksextremistische Akteure aus Baden-Württemberg. Mit Verweis auf die aktuellen Entwicklungen im Kontext des Ukraine-Konflikts und in Orientierung an einem leninistischen Zitat verweist das Bündnis darauf, dass „unser Hauptfeind im eigenen Land steht“. „Als Kriegsgegner:innen in Deutschland sind unsere Feinde die deutschen Rüstungskonzerne und Banken, ihre politischen Handlanger in den Parteispitzen der bürgerlichen Parteien, sowie die Medien, die uns aufhetzen sollen. Diese müssen wir angreifen und entlarven.“32

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Fazit

Nancy Faeser bezeichnet in ihrem ersten Vorwort für den jährlichen Verfassungsschutzbericht als Bundesinnenministerin den Rechtsextremismus als „größte extremistische Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung“ und nennt als Indiz dafür u.a. das Potenzial gewaltorientierter rechtsextremistischer Personen, das aktuell 13.500 Personen beträgt.33 Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus mit seinen sehr zahlreichen und sehr unterschiedlichen Akteuren werden aus der Sicht der Extremismusforschung für viele Jahre eine wesentliche Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands darstellen.34 Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus sind in den letzten Jahren fließend geworden. Rechtsextremistische und rechtsterroristische Inhalte, Narrative, Verschwörungserzählungen und Vernetzungen stellen hierbei eine neue Dimension dar.

Im gleichen Vorwort zum aktuellen Verfassungsschutzbericht aus dem Juni 2022 erwähnt Bundesinnenministerin Faeser aber auch, dass „das Gefahrenpotenzial im Linksextremismus unverändert hoch“ sei und bundesweit „im gewaltorientierten Linksextremismus ein hohes Radikalisierungsniveau“ bestehe.

Die oben beschriebene aktuelle strategische Schwerpunktverschiebung innerhalb der linksextremistischen Szene hin zu Agitation rund um das Thema Ukrainekrieg, sicherheitspolitische Maßnahmen der deutschen Bundesregierung sowie „Antimilitarismus“ zeigt erneut, dass die Phänomenbereiche von Extremismus versuchen, an aktuelle gesellschaftliche Themen anzuknüpfen. Das Ziel der unterschiedlichen Phänomenbereiche von Extremismus besteht jeweils darin, die eigenen Deutungsangebote in aktuell geführten, gesellschaftlichen Debatten zu verankern.

-Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar.-

Quellen:

1  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021, Berlin, S. 4.
2  Vgl. ebd.
3  Vgl. ebd.
4  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021. Kurzzusammenfassung, Berlin, S. 8.
5  Vgl. ebd., S. 11.
6  Vgl. ebd., S. 11.
7  Vgl. ebd.
8  Vgl. ebd., S. 13-14.
9  Vgl. ebd., S. 14-15.
10  Vgl. ebd.
11  Vgl. ebd.
12  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021, S. 62-63.
13  Vgl. ebd., S. 63.
14  Vgl. ebd., S. 63-64.
15  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021. Kurzzusammenfassung, Berlin, S. 8-9.
16  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/2020/verfassungsschutzbericht-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=10, S. 151-170 (21.7.2022).
17  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021., S. 34.
18  Vgl. ebd.
19  Vgl. ebd., S. 125.
20  Vgl. ebd., S. 125-126.
21  Vgl. ebd., S. 126.
22  Vgl. ebd., S. 126-127.
23  Vgl. ebd., S. 132-133.
24  Vgl. ebd., S. 133.
25  Vgl. ebd., S. 133-134.
26  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021. Kurzzusammenfassung., S. 30-31.
27  Vgl. ebd., S. 31.
28  Vgl. https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/_Antimilitarismus_+bei+Linksextremisten+zunehmend+im+Fokus (25.7.2022).
29  Vgl. ebd.
30  Vgl. ebd.
31  Vgl. ebd.
32  Vgl. ebd.
33  Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat (2022): Verfassungsschutzbericht 2021, Berlin, S. 3-4.
34  Ausführlich dazu siehe Goertz, S. (2022): Extremismus und Sicherheitspolitik – Studienkurs für die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden. Wiesbaden, Kapitel 3 sowie Goertz, S. (2021): Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland. Eine analytische Einführung für Polizei und Sicherheitsbehörden. Hilden.

 

Über den Autor
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei
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