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Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution

Martin Sabrow,
Göttingen 2022,
334 Seiten.
ISBN 978-3-8353-5174-5.
Ladenverkaufspreis 30 €.
Die Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs prägten in Deutschland heftige Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Parteien und Gruppierungen. Besonders spektakulär waren die Ermordungen führender Politiker der Weimarer Republik.

Martin Sabrow beschrieb in seiner Dissertation detailliert das Attentat auf den Reichsaußenminister Walther Rathenau. Dieser Text liegt nun zum 100. Jahrestag dieses Mordanschlags in einer überarbeiteten und ergänzten Auflage vor.

Sabrow, der bis zu seiner Emeritierung an der Humboldt Universität Berlin als Geschichtsprofessor tätig war, behandelt mehr die Hintergründe als die eigentliche Tat im Grunewald am 24. Juni 1922. Das ist bei politischen Morden häufig die ertragreichere Herangehensweise. Die Ermordung Rathenaus hatte eine Vorgeschichte: Der Politiker erhielt insbesondere nach seiner Berufung zum Reichsaußenminister zahlreiche Drohbriefe und wurde auch in der rechtsnationalen Presse zum Ziel von Anfeindungen. Deren Ursprung lag einerseits in einem in dieser Zeit stark an Bedeutung gewinnenden Antisemitismus – Walther Rathenau war Jude – andererseits in der Politik des Außenministers, die von Kritikern als alliiertenfreundlich diffamiert wurde. Zieht man den Vergleich mit der Gegenwart, so stechen Ähnlichkeiten mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ins Auge. Der CDU-Kommunalpolitiker erhielt ebenfalls zahlreiche Drohbriefe und es zeigt sich das fatale Handlungsmuster, dass aus Worten Taten werden können.

Auch in einem anderen Bereich ergeben sich Analogien. Walther Rathenau lehnte die zu seinem Schutz ergriffenen Maßnahmen fast gänzlich ab, insbesondere sträubte er sich gegen die ständige Begleitung durch zwei Personenschützer. Diese Betonung der individuellen Freiheit findet sich auch bei Politikern aus der Frühzeit der Bonner Republik. Allerdings änderte sich dies in den 1970er Jahren, als der Terror der Roten Armee Fraktion die Republik erschütterte. Seither wollten die Politiker durchweg nicht weniger, sondern mehr Schutz. Einige wehrten sich folglich vehement gegen zwischenzeitliche Pläne des Bundeskriminalamtes, den staatlichen Schutz zu verringern. Als die Ausnahme schlechthin blieb damals nur der SPD-Fraktionschef Herbert Wehner übrig, der staatlichen Schutz rundweg ablehnte.

Die Verantwortlichen für die Ermordung Rathenaus stammten aus der „Organisation Consul“ (O. C.), einem rechtsextremistischen Netzwerk, an dessen Spitze Hermann Ehrhardt stand, ein ehemaliger Korvettenkapitän der kaiserlichen Marine. Die O. C. war ein nach dem Ende des Krieges gegründeter paramilitärischer Geheimbund, dessen Wurzeln in den erbitterten innenpolitischen Kämpfen gegen Kommunisten und den militärischen Aktionen im Grenzgebiet des Reiches, insbesondere in Oberschlesien, liegen. Aus dieser Zeit sind Verbindungen in die Exekutive der Weimarer Republik nachweisbar, ganz nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Der Verfasser geht über die Ermordung Rathenaus hinaus. Folglich beschreibt er auch das vorangegangene Attentat auf den ehemaligen Finanzminister Matthias Erzberger und die Ermittlungen gegen das breit gefächerte Unterstützerumfeld des Komplotts. Auf dem Höhepunkt der Strafverfolgung wurden 34 Tatverdächtige inhaftiert.

Während die deutsche Öffentlichkeit auf diesen politischen Mord durchweg mit Gelassenheit reagierte, sorgte die Ermordung Rathenaus in breiten Schichten der Bevölkerung für Empörung und löste eine unvergleichlich umfangreiche Fahndung aus. Die beiden Mörder wurden auf Burg Saaleck aufgespürt, einer von ihnen erschossen, der andere nahm sich selbst das Leben.

Die folgende juristische Aufarbeitung der politischen Morde und Mordversuche beschreibt Sabrow im zweiten Teil seines Buches, das er mit „Die verdrängte Verschwörung“ betitelt. Er arbeitet heraus, dass hinter den Attentaten des Jahres 1922 eine großangelegte Verschwörung steckte. Ob deren eigentliches Ziel der politische Umsturz war, bleibt ungewiss. Sabrow zeichnet abschließend den Lebensweg einiger der führenden Köpfe der O. C. nach. Manche machten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Karriere in der Politik und in der Wirtschaft. Der Verfasser fasst jedoch zusammen: „Die vom Weimarer Rechtsputschismus gelegte Spur der Gewalt reichte weit über 1921/22 hinaus, aber in einer ungebrochenen Kontinuitätslinie zum Rechtsterrorismus nach 1945 steht sie nicht.“

Von Dr. Reinhard Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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