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Fließender Übergang von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus – Aktuelle Fälle

Prof. Dr. Stefan Goertz, Hochschule des Bundes, Bundespolizei

Dieser Beitrag untersucht aktuelle Fälle, die den fließenden Übergang von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus verdeutlichen. Zwei sehr aktuelle Fälle sind der vereitelte mutmaßlich rechtsextremistische Anschlag auf eine Essener Schule sowie die rechtsextremistisch-rechtsterroristische „Atomwaffendivision“.

Einführend werden zunächst die Hintergründe des fließenden Übergangs von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus erläutert. Auch die „Feuerkrieg Division“, die „Freien Kräfte Prignitz“ sowie die „Gruppe S“ exemplifizieren die seit Jahren sehr fließenden und schnell möglichen Übergänge von Rechtsextremismus zu gewaltorientiertem Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus.

Vom Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus

Zahlreiche rechtsterroristische Anschläge wurden in den letzten Jahren in Deutschland verübt. In jüngerer Vergangenheit sind der sog. „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) und seine rassistisch-rechtsextremistisch motivierten Morde zu nennen, sowie der von einem rechtsterroristischen Einzeltäter verübte Anschlag auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker 2015 (Kontext „Anti-Asyl“), der Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München 2016 (Copycat, am fünften Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags von Anders Breivik in Norwegen) , der Anschlag auf Dr. Walter Lübcke 2019 (Copycat, Kontext „Anti-Asyl“), der rechtsterroristische Mordversuch am eritreischen Flüchtling Bilal M. 2019, der geplante Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 und zwei im Zusammenhang damit verübte Morde, sowie der rechtsterroristische Anschlag in Hanau 2020 mit neun Ermordeten.

Neben diesen rechtsextremistisch motivierten Anschlägen, Attentaten und Morden sind zahlreiche weitere aktuelle Beispiele für einen fließenden Übergang von gewaltbereitem Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus zu nennen, hier in Form von rechtsextremistisch-rechtsterroristischen Organisationen bzw. Gruppen: „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT), „Oldschool Society“ (OSS), „Nordadler“, „Kameradschaft Aryans“, „Gruppe Freital“, „Revolution Chemnitz“, „Combat 18“, Gruppe „Nordkreuz“ sowie „Gruppe S“.

Die Anwendung von Gewalt ist in der rechtsextremistischen Ideologie und im Phänomenbereich des Rechtsextremismus nach aktuellen Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Konstante und ein übergreifendes Handlungsmuster. Die deutschen Sicherheitsbehörden unterscheiden hier in „spontane Gewalttaten“, beispielsweise körperliche Angriffe auf politische Gegner und typische Feindbilder wie Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund einerseits sowie in terroristische Anschläge andererseits. Terroristische Gewalt, Anschläge sind im Gegensatz zu spontaner Gewalt geplant, oftmals über einen längeren Zeitraum.1

Rechtsterrorismus wird von einer spezifischen Kommunikationsstrategie begleitet, die über das spezifisch-taktische Ziel (Opfer) hinaus eine terroristische Botschaft an Gruppen, Religionen, Ethnien sendet („Ihr könnt die nächsten Ziele/Opfer sein“). Ein Beispiel hierfür ist die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Diese adressierten potenziellen Opfer zukünftiger Anschläge sollen eingeschüchtert werden. Die Botschaft von Rechtsterroristen richtet sich an die Opfergruppe, den Staat und das rechtsterroristische Sympathisantenumfeld.2

Rechtsterrorismus ist der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele. Diese Ziele sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden. Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen, auf mediale Thematisierung, ab. Rechtsterroristische Anschläge können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden. Die ideologischen Hintergründe von Rechtsterrorismus können Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, deterministische Geschichtsbilder und identitäre Gesellschaftsbilder sein.3 Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus können fließend sein. Ziele/Opfer von Rechtsterroristen können u.a. Ausländer, Asylbewerber, Menschen mit Migrationshintergrund, Muslime, Juden, Politiker, Polizisten, Beamte und Repräsentanten des Staates sein, aber auch Mitglieder von Parteien, die von Rechtsterroristen als Gegner/Feinde empfunden werden.4

Das rechtsextremistische Personenpotenzial beziffert das Bundesamt für Verfassungsschutz im Mai 2022 mit 33.000, davon werden 13.300 Personen, also jeder Dritte, als gewaltorientiert bewertet.5

Vor dem Hintergrund des oben beschriebenen fließenden Übergangs von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus führt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, aktuell aus: „Wir beobachten eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus. Sicherheitsbehörden sehen sich dabei neben den alten Strukturen auch mit ganz neuen Formen wie rechten Netzwerken im Internet oder sich selbst radikalisierenden Einzeltätern konfrontiert.“6

Der verhinderte Schul-Anschlag in Essen – ein geplanter rechtsterroristischer Anschlag?

Bei dem 16-jährigen Schüler, der Anfang Mai 2022 offenbar einen Schul-Anschlag in Essen geplant hatte und deswegen festgenommen wurde, wurde ein „Manifest“ gefunden, in welchem er bekannte Attentäter und Amokläufer feiert. Dem Jugendlichen wird vorgeworfen, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Der Junge habe einen Anschlag auf die Menschen in dem von ihm besuchten Gymnasium vorbereitet, so die Generalstaatsanwaltschaft, die der Mitteilung vom 13.5.2022 zufolge von einem rechtsextremistischen Motiv ausgeht. Der jugendliche Schüler soll – nach dem Vorbild von Copycat, zahlreiche deutsche und internationale Rechtsterroristen der letzten Jahre haben ein „Manifest“ verfasst und teilweise auch veröffentlicht –den norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik als „Vorbild“ genannt und Adolf Hitler zitiert haben.

Beileidsbekundungen am Ufer des Tyrifjord nach dem Attentat.
© Von Paalso; Paal Sørensen 2011 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15946784

Außerdem seien die Amokläufe von Erfurt 2002 und Winnenden 2009 sowie das Massaker an der Columbine High School in den USA 1999 Thema seines Dokuments. Demnach schrieb der Jugendliche über Columbine, es sei schade, dass die Täter damals „nur insgesamt zwölf Gegner" erschossen hätten: „Ich hoffe, ich erreiche mehr Kills.“ Überschrieben ist die Datei laut „Spiegel“ mit „DBG-Massaker“. Bei der Durchsuchung der Wohnung wurden nach Angaben des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen eine selbstgebaute Schusswaffe, eine Armbrust mit Pfeilen, Sprengstoff sowie Material zum Bau einer Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) gefunden. Außerdem 16 Rohrkörper, einige präpariert mit Uhren und Nägeln. Zusätzlich sei „eindeutig ausländerfeindliches und rechsextremes Material“ gefunden worden, erklärte der Innenminister des Bundeslandes NRW, Innenminister Herbert Reul, die Polizei-NRW sprach unter anderem von „SS-Runen und rassistischen Schriftstücken“.7

Nach dem mutmaßlich vereitelten Anschlag auf eine Essener Schule übernahm der Generalbundesanwalt (GBA) Mitte Mai 2022 die Ermittlungen gegen den verdächtigen Schüler und machte den Fall damit zur Sache der Bundesjustiz. Die juristische Begründung dafür sei die „besondere Bedeutung der Tat“, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Einen solchen Status bekommt ein Fall beispielsweise, wenn er einen politischen Hintergrund hat. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Bundesjustiz mit dem Fall beschäftigt. Das hat wiederum weitreichende Konsequenzen für die Ermittlungen.8

„Die Atomwaffendivision“ (AWD)

Logo der Atomwaffen Division
© Von Skjoldbro - Diese Datei enthält Elemente, die von folgender
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Anfang April 2022 kam es in Deutschland in elf Bundesländern im Auftrag des Generalbundesanwalts zu einer Großrazzia von Polizeibeamten gegen mutmaßliche Mitglieder der „Atomwaffen Division“. „Die Atomwaffen Division“ (AWD) ist international organisiert, wurde in den USA begründet und wird als gewaltbereit bzw. rechtsterroristisch bewertet. Bei dieser Großrazzia im April in Deutschland wurden 61 Objekte durchsucht, vier Verdächtige wurden festgenommen. Die aktuellen Ermittlungen gliedern sich in insgesamt fünf einzelne Verfahren und richten sich gegen die Anhänger dieses weit verzweigten Neonazi-Netzwerks. Einem Teil der Beschuldigten wird die versuchte Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen, einem anderen Teil die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Ein weiterer Teil wird beschuldigt, einen Neonazi-Verein trotz eines behördlichen Verbots weiter betrieben zu haben.9

Die „Atomwaffen Division“ (AWD) wurde 2015 im Internet von US-Rechtsextremisten gegründet, die US-Sicherheitsbehörden ermitteln gegen die AWD wegen mindestens fünf Morden. 2018 etablierte sich nach Erkenntnissen der deutschen Sicherheitsbehörden auch ein AWD-Ableger in Deutschland. Im Zusammenhang mit der AWD-Deutschland ermittelt die Bundesanwaltschaft nach Angaben einer Sprecherin gegen zehn Beschuldigte, bei fünf von ihnen und einem weiteren Zeugen wurde bei der Großrazzia Anfang April durchsucht.10

„Feuerkrieg Division“

EUROPOL stellte im Sommer 2021 in Bezug auf europäische Rechtsextremisten intensives Interesse an Waffen und Sprengstoff, dazu auch an Kampfsporttraining. Als Beispiel führt EUROPOL die Neonazi-Gruppe „Feuerkrieg Division“ an, die im Oktober 2018 in mehreren europäischen Staaten online in Chats gegründet wurde. In Estland, in Großbritannien gab es Festnahmen durch die Polizeien, in Großbritannien auf eine Gruppe von Mitgliedern der „Feuerkrieg Divison“, die Anschläge in Deutschland, Großbritannien und in den USA geplant hatte.11

Mehrere Sicherheitsbehörden zählen die Feuerkrieg Division (FKD), eine Nachahmergruppe der rechtsterroristischen Atomwaffen Division, zu den besonders gefährlichen Gruppen international vernetzter Neonazis. Als besorgniserregend gilt, dass Teenager für solche Chats angeworben und dort weiter radikalisiert werden. Das britische Innenministerium stufte die FKD im Sommer 2020 als rechtsterroristische Organisation ein. Danach warnte UN-Generalsekretär António Guterres auf Twitter vor einer „transnationalen Bedrohung“, die täglich wachse.12

Auch das bayerische Innenministerium bewertet das Gefährdungspotenzial von Gruppen wie der Feuerkrieg Division als „hoch“: „Gewalttaten durch vereinzelt radikalisierte Mitglieder oder Sympathisanten können nicht gänzlich ausgeschlossen werden“, schreibt es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.13

„Freie Kräfte Prignitz“

Im Juli 2020 gab es eine Großrazzia gegen die rechtsextremistische Gruppe „Freie Kräfte Prignitz“ in drei Bundesländern. Den Polizeien lagen Hinweise vor, dass die Gruppe „Freie Kräfte Prignitz“ einen Anschlag auf eine Moschee geplant hatte. Es gab Durchsuchungen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Sieben Mitglieder dieser rechtsextremistischen Gruppierung im Alter zwischen 32 und 40 Jahren hatten einen Brandanschlag auf eine Moschee in Wittenberge/Prignitz geplant, erklärte die Polizei Brandenburg. Außerdem soll die Neonazi-Gruppe Angriffe auf Geschäfte geplant haben, die von Inhabern mit Migrationshintergrund geführt werden.14 Die Auswertung der bei der Großrazzia sichergestellten Laptops, Mobiltelefone, Speichermedien und Daten ergab, dass die Mitglieder dieser Neonazi-Gruppe Informationen über Polizisten sammelten. Sie hätten unter anderem Daten über Personen, Familienverhältnisse und Dienststellen sowie auch über Tarnkennzeichen von Zivilfahrzeugen zusammengetragen, so die Polizei Brandenburg. 15

Ein weiteres aktuelles Beispiel für den potenziell fließenden Übergang von Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus ist die sog. „Gruppe S“. Mitte Februar 2020 deckten polizeiliche Ermittler die rechtsterroristische „Gruppe S“ auf. Ein mutmaßlicher Unterstützer der rechtsterroristischen „Gruppe S“ soll zugegeben haben, dass die rechtsterroristische Gruppe Pläne zum Angriff auf Moscheen in Deutschland besprochen hatte.16 Bei dem Mann handelt es sich um eines der zwölf mutmaßlichen Mitglieder, die nach Aufdeckung der Gruppe festgenommen wurden. Ein festgenommener Unterstützer soll Terroraufrufe online gepostet haben. Neben Angriffen auf Moscheen sollen auch über Angriffe mit Schusswaffen geplant gewesen sein. Weitere Hinweise auf die Gefährlichkeit der „Gruppe S“ erhielten die Bundesanwaltschaft und das baden-württembergische Landeskriminalamt aus überwachten Telefonaten und Chatnachrichten. Der mutmaßliche Anführer der Gruppe, Werner S., habe eine Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit den Worten kommentiert: „Dieser Hochverräter“ werde „bezahlen“. Dazu postete er ein Messersymbol.

Die „Gruppe S“

Seit April 2021 läuft vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gegen die sogenannte „Gruppe S“. Neben Werner S., dem Gründer dieser rechtsextremistisch-rechtsterroristischen Gruppe, sitzen elf weitere Männer auf der Anklagebank. Die Mitglieder der „Gruppe S“ sollen nach aktuellem Ermittlungsstand aus dem Umfeld von bürgerwehrähnlichen Gruppen kommen, sogenannten Bruderschaften. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts (GBA) sind diese zwölf Mitglieder der „Gruppe S“ Gründer, Mitglieder oder Unterstützer einer rechtsterroristischen Vereinigung. Werner S. und Tony E. wird Rädelsführerschaft vorgeworfen. Die zwölf Männer zwischen 32 und 61 Jahren sollen über konkrete rechtsterroristische Anschläge gesprochen und geplant haben, sich dafür zu bewaffnen. Sieben von ihnen wird ein Verstoß gegen das Waffenrecht vorgeworfen.17 Die rechtsextremistisch-rechtsterroristische Gruppe S. wird beschuldigt, rechtsterroristische Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Nach einem Treffen in Minden im Februar 2020 wurden die mutmaßlichen Gruppenmitglieder festgenommen. Einer der Beschuldigten aus Porta Westfalica nahm sich in der Zwischenzeit das Leben.18

Die „Gruppe S“ hatte nach Erkenntnissen der Ermittler die Absicht, durch Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime in Deutschland „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen.19 Weiter soll ein Mitglied der „Gruppe S“ im Oktober 2019 ein Zitat geteilt haben, in dem es wörtlich heißt: „Wir müssen von Zeit zu Zeit Terroranschläge verüben, bei denen unbeteiligte Menschen sterben. Dadurch lässt sich der gesamte Staat und die gesamte Bevölkerung lenken. Das primäre Ziel eines solchen Anschlags sind nicht die Toten, sondern die Überlebenden, denn die gilt es zu lenken und zu beeinflussen.“20 Darüber hinaus soll dieses Mitglied der „Gruppe S“ im März 2018 eine Zitattafel geteilt haben, auf der eine Pistole zu sehen ist. Wörtlich heißt dort: „Lieber Polizist, das da ist deine Dienstwaffe! Die ist nicht nur zum Angucken da, die soll uns und dich beschützen und deshalb benutze sie auch endlich! Wenn du das nicht willst und kannst, gib sie uns, wir werden sie mit Sicherheit gegen jedes Gesindel einsetzen! Schönen Gruß, dein Volk und Dienstherr!“21

Grillplatz an der Vaihinghöfer Sägmühle bei Alfdorf. Ort des zweiten Gruppentreffens.
© Von Thilo Parg - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87407767
 

Die Angeklagten Frank H. und Marcel W. sollen Mitglieder der Bruderschaft "Wodans Erben Germanien" gewesen sein, ebenso Werner S., dieser zusätzlich auch bei der deutschlandweit agierenden „Freikorps Heimatschutz Division 2016 - das Original". Die Angeklagten Tony E., Thomas N. und Wolfgang W. zählten ebenfalls zu deren Mitgliedern. Auf Facebook schrieb diese Gruppe, dass man sich auf einen „Krieg" vorbereite.22 Steffen B. und Stefan K. sollen Anführer der „Vikings Security Germania" gewesen sein, einer Bruderschaft, die vor allem in Ostdeutschland aktiv ist. Paul-Ludwig U. war Mitglied der „Bruderschaft Deutschland", einer aggressiv auftretenden Truppe, die in Nordrhein-Westfalen eng mit anderen Teilen der rechtsextremen Szene verbunden ist.23

Im Staatsschutzprozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen die „Gruppe S“ standen Mitte Februar 2022 von den Sicherheitsbehörden abgehörte Telefonate von Thomas N. – Mitglied der „Gruppe S“ – im Mittelpunkt. „Die wollen uns verknechten und versklaven“: Wenn N. in den Telefonaten über „die“ spricht, bleibt er unkonkret. Seine Feindbilder erscheinen diffus, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch „die Kanaken“, „die Moslems“, „die von der Antifa“. Seine Ausländerfeindlichkeit wird unterstrichen durch seine Aussage: „Es wird immer schlimmer, die müssen alle raus“. Darüber, wie das erreicht werden soll, lässt Thomas N. in dem abhörten Telefonat keinen Zweifel: „Es geht nur mit Gewalt, gewaltfrei geht gar nichts mehr“, heißt es im Gespräch mit seinem Bruder. „Die werden alle bluten! Nur noch töten! Weg mit dem Dreck!“ Kinder sollten sterben, sagte N. in jenem Telefonat, da im Staatsschutzprozess abgespielt wurde.24

Fazit

Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus mit seinen sehr zahlreichen und sehr unterschiedlichen Akteuren wird für viele Jahre eine wesentliche Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands darstellen. Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus sind in den letzten Jahren fließend geworden. Rechtsextremistische und rechtsterroristische Inhalte, Narrative, Verschwörungserzählungen und Vernetzungen stellen hierbei eine neue Dimension dar. Rechtsterrorismus wird von einer spezifischen Kommunikationsstrategie begleitet, die über das spezifisch-taktische Ziel (Opfer) hinaus eine terroristische Botschaft an Gruppen und Religionen sendet („Ihr könnt die nächsten Ziele/Opfer sein“). Diese adressierten potenziellen Opfer zukünftiger Anschläge sollen eingeschüchtert werden. Die Botschaft von Rechtsterroristen richtet sich an die Opfergruppe, den Staat und das rechtsterroristische Sympathisantenumfeld. Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen, auf mediale Thematisierung, ab. Die ideologischen Hintergründe von Rechtsterrorismus können Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, deterministische Geschichtsbilder und Gesellschaftsbilder der „Neuen Rechten“, u.a. der „Identitären Bewegung“ (u.a. „The Great Replacement“, „Der große Austausch“) sein.

Hier müssen die Sicherheitsbehörden Deutschlands und anderer europäischer Staaten sehr schnell lernen, neue Strategien und Mittel entwickeln sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr gründlich aus- und fortbilden. Im Bereich von stochastischem Terrorismus stehen die Sicherheitsbehörden in Deutschland und weltweit vor großen Herausforderungen. Daher muss zu diesem Phänomen intensiv geforscht werden. Dabei ist eine intensive Kooperation von Sicherheitsbehörden und Wissenschaft notwendig und diese sollte von der Politik und den Behördenleitungen intensiviert und gefördert werden.

-Dieser Beitrag stellt die persönliche Auffassung des Autors dar-

 

Quellen:

1  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/rechtsextremismus/2021-10-18-rechtsextremistische-gewalt.html (17.5.2022).
2  Vgl. Gräfe, S. (2019): Fünf Jahrzehnte Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland – Von der „Europäischen Befreiungsfront“ bis zum „Nationalsozialistischen Untergrund“, in: Jost, J./Hansen, S./Krause, J. (Hrsg.): Jahrbuch Terrorismus 2017/2018, Opladen 2019, S. 219.
3  Vgl. Pfahl-Traughber, A. (2010): Gemeinsamkeiten im Denken der Feinde einer offenen Gesellschaft. Strukturmerkmale extremistischer Ideologien, in: Pfahl-Traughber, Armin (Hrsg.): Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2009/2010, Brühl 2010, S. 9–32.
4  Vgl. Goertz, S. (2021): Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland. Eine analytische Einführung für Polizei und Sicherheitsbehörden, Hilden, S. 27.
5  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/zahlen-und-fakten/zahlen-und-fakten_node.html (18.5.2022).
6  Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/rechtsextremismus/rechtsextremismus_node.html (19.5.2022).
7  Vgl. https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/wdr-story-47751.html (20.5.2022).
8  Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/generalbundesanwalt-ermittelt-schueler-essen-101.html (20.5.2022).
9  Vgl. https://www.spiegel.de/panorama/justiz/atomwaffen-division-ermittler-sprengen-mutmassliche-neonazi-terrorgruppe-a-e4b2c639-8b0f-4c83-afc6-13e726c0eeb4 (21.5.2022).
10  Vgl. ebd.
11  Vgl. EUROPOL (2021): Terrorism and Trend Situation Report, Den Haag, S. 80.
12  Vgl. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-03/rechtsterrorismus-polizei-terrorchat-minderjaehrige-ermittlungen (22.5.2022).
13  Vgl. ebd. (23.5.2022).
14  Vgl. https://www.sueddeutsche.de/politik/rechtsextremismus-moschee-anschlag-razzia-prignitz-1.4956510 (23.5.2022).
15  Vgl. https://www.tagesspiegel.de/berlin/ermittler-werten-datentraeger-aus-brandenburger-neonazis-sammelten-informationen-ueber-polizisten/25979728.html (23.5.2022).
16  Vgl. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/gruppe-s-rechtsterrorismus-moscheen-anschlagsplaene (24.5.2022); https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/gruppe-s-terrorafrufe-101.html (24.5.2022).
17  Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/gruppe-s-117.html (24.5.2022).
18  Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/terrorgruppe-prozess-rechtsradikal-100.html (24.5.2022).
19  Vgl. ebd.
20  Vgl. ebd.
21  Vgl. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/gruppe-s-rechtsterrorismus-moscheen-anschlagsplaene (25.5.2022); https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/gruppe-s-terrorafrufe-101.html (25.5.2022).
22  Vgl. https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/gruppe-s-117.html (25.5.2022).
23  Vgl. ebd.; Goertz, S. (2022): Extremismus und Sicherheitspolitik. Studienkurs für die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden. Hilden, S. 84-85.
24  Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/terrorgruppe-minden-prozess-ermittler-aussage-100.html (25.5.2022).
Über den Autor
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz
Prof. Dr. Stefan Goertz, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei
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