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 Vernetzte Aufklärung mit fliegenden Robotern, die mit IR-Kameras ausgestattet sind und aufzeigen können, wie umfangreich die Zerstörung ist und ob es Überlebende Opfer gibt.

Roboter als Retter

Von Bernd Müller

Bei Naturkatastrophen, Terroranschlägen und größeren Industrieunfällen brauchen Rettungskräfte rasch Informationen aus den zerstörten Gebieten, um ihren Einsatz planen und möglichst viele Opfer bergen zu können. Künftig sollen sie bei der Lagebeurteilung von vernetzten Robotern und Sensoren unterstützt werden.

Die Erde bebt, Häuser stürzen ein, überall Trümmer und Verletzte. Die ersten Rettungskräfte rücken an, doch viele Straßen sind unpassierbar. Wo wurden Menschen verschüttet, wo sind noch freie Straßen, wo müssen Brände gelöscht werden! Fragen, auf die die Retter jetzt dringend Antworten brauchen, damit sie ihren Einsatz koordinieren können. Denn den Opfern läuft die Zeit davon: Nach 72 Stunden sinke die Überlebenschance von Verschütteten rapide, sagt die International Search and Rescue Advisory Group.

Antworten soll SENEKA liefern. Das Kürzel steht für »Sensornetzwerk mit mobilen Robotern für das Katastrophenmanagement«. Fünf Fraunhofer-Institute sind an dem Projekt beteiligt, das von der Fraunhofer-Gesellschaft im Programm „Märkte von Übermorgen” gefördert wird. 4,5 Millionen Euro gibt es für drei Jahre, um Konzepte und Komponenten zu entwickeln, die Roboter, Sensoren und Rettungskräfte vernetzen. Denn daran haperte es bisher. Zwar wurden schon 2001 bei der Bergung der Opfer am World Trade Center ferngesteuerte Roboter eingesetzt, auch nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 erkundeten Roboter das Gelände. „Aber die waren fast wirkungslos“, sagt SENEKA-Projektleiter Helge-Björn Kuntze vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung 10SB in Karlsruhe. Zu wenige Roboter und eine fehlende Koordination der Roboter und Sensoren untereinander auf dem riesigen Gelände seien die Gründe gewesen.

Mit SENEKA soll das besser werden. Roboter und Sensoren bilden einen über Funk vernetzten Schwarm, der die Lagebeurteilung erheblich beschleunigt. Dadurch lässt sich zerstörtes Gelände etwa in Chemieparks oder Kraftwerken erkunden. Je nach Einsatzort kommen unterschiedlich ausgestattete Roboter zum Einsatz, zum Beispiel mit Gassensoren im Umfeld von Chemieanlagen oder mit Infrarotkameras bei verschütteten Menschen in Wohngebieten. Vor allem können Roboter und Sensoren je nach Bedarf rasch ausgetauscht werden, ohne dass das Kommunikationsnetz zusammenbricht.

Ein Einsatz läuft dann etwa so ab: Um sich einen Überblick über die betroffenen Gebiete zu verschaffen, setzt die Leitstelle zunächst fliegende Roboter (zum Beispiel Oktokopter) mit Sensoren und Kameras ein. Sie liefern Karten und Hinweise darüber, welche Wege für Menschen und Bodenroboter noch passierbar sind. Auf diese Weitbereichsaufklärung folgt die Nahbereichsaufklärung, etwa von Gebäuden, wo verletzte Personen oder gefährliche Stoffe sein könnten. Dazu werden Bodenroboter und niedrig fliegende Quadrokopter losgeschickt, die ebenfalls mit Kameras sowie mit zahlreichen Sensoren ausgerüstet sind. Diese spüren gefährliche Gase auf, melden Brände, entdecken verletzte Personen anhand von Wärme- und Bewegungsmeldern. Schnelle Bildauswerteprogramme verknüpfen die Bilder »von unten« mit den Bildern der fliegenden Roboter zu dreidimensionalen Karten. Die Koordinatoren des Einsatzes können am Computer regelrecht durch die Landschaft und über zerstörte Gebäude fliegen und sich einen Eindruck von der Umgebung verschaffen, ohne selbst dort gewesen zu sein. So wissen Retter und Hundestaffeln schnell, wo sie dringend gebraucht werden.

Nach der Aufklärung untersuchen die Retter mit Kameras und Multisensoren verschüttete Gebäude. Oder sie lassen miniaturisierte autonome Billigsensoren in die Hohlräume von 'Trümmern einrieseln, um verschüttete Personen oder gefährliche Stoffe aufzuspüren. Manche sind mit Mikrofon und Lautsprecher ausgestattet, damit die Verschütteten mit den Rettern Kontakt aufnehmen können. Solche autonomen Sensorkugeln in der Größe eines Tennisballs und kleiner erarbeiten das Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM in Freiburg, das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA In Stuttgart.


Drahtlose Netzwerke übertragen Informationen aus Gefahrengebiet

Die Funkübertragung geschieht mit drahtlosen Kommunikationsknoten, die das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen 115 in Erlangen entwickelt. Sie senden die Messwerte der Sensoren per Funk an benachbarte Knoten weiter, bis die Daten schließlich in der Lagezentrale eintreffen. Solche engmaschigen, drahtlosen Netzwerke sind die beste Lösung, um Informationen aus Gebieten zu übertragen, in denen Gebäude und Mobilfunknetze zerstört sind und wo Schuttberge eine direkte Verbindung zwischen Sensor und Zentrale verhindern. Für die unterschiedlichen Sensorträger gibt es drei verschiedene SENEKA-Kommunikationsknoten: montiert auf fahrenden und fliegenden Robotern, eingebaut in einen tragbaren Koffer und eingebettet in den kleinen autonomen Sensorkugeln.

Helge-Björn Kuntze hat im vergangenen Jahr das SENEKA-Projekt auf der Homeland-Security-Konferenz in Boston vorgestellt und ist dabei auf viel Interesse gestoßen. In den USA gebe es nichts Vergleichbares. Amerikanische und japanische Kollegen hätten vor allem Bergungsroboter vorgeführt, die ferngesteuert Menschen bergen oder Sprengstoff entschärfen. Der Einsatz von vernetzten Robotern und Sensoren für die schnelle Aufklärung und Suche von Opfern und Gefahrenquellen ist weltweit noch Gegenstand der Forschung. Forschungsprojekte dazu gibt es überwiegend in Europa, weniger in Amerika und Japan.

Damit die fünf Fraunhofer-Institute nicht am Bedarf vorbei entwickeln, haben sie sich kompetente Partner gesucht. Das Technische Hilfswerk sowie die Feuerwehren in Berlin und Mannheim sind als Berater im Projekt dabei. Am Ende werden sie auf dem Testfeld der Bundesakademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler simulierte Einsätze an zerstörten Gebäuden durchspielen.

Das SENEKA-Konzept ist nicht auf Erdbeben beschränkt. Für die Feuerwehr Mannheim sind vor allem Unfälle in Chemiewerken ein Thema. Denn sie wird zu Hilfe gerufen, wenn sich auf den Werksgeländen der großen Chemieparks der Umgebung ein größerer Unfall ereignet hat. Dort geht es neben dem Finden von Opfern besonders um eine schnelle Einschätzung, wo welche Chemikalien austreten und welche Gefahr von ihnen ausgeht. Schon jetzt ist es absehbar, dass nach Abschluss von SENEKA Ende 2014 weitere Projekte folgen werden, die sich mit solchen Szenarien beschäftigen. Ideen dazu gibt es zuhauf: So könnten die Sensorknoten auch in die Kleidung der Feuerwehrleute integriert werden.

Eine Konstante gibt es in all diesen Szenarien: den Menschen. Trotz sämtlicher Erfolge bei vollautonomen Multisensor-Robotern in der Industrie, werden im SENEKA-Konzept nur teilautonome Boden- und Luftroboter eingesetzt. Autonomie ist lediglich für die Phasen des Katastrophenmanagements vorgesehen, in denen Opfer und Rettungskräfte vor Gefahren geschützt werden sollen. Die Einsatzleitung behält immer die Kontrolle, welche Roboter sie benützt und wohin diese fliegen oder fahren. Helge-Björn Kuntze ist davon überzeugt, dass das der Grund war, warum SENEKA als eines von nur acht Projekten den Zuschlag für die großzügige Förderung im Programm »Märkte von Übermorgen« bekommen hat: „Retter, Hunde und Technik bilden bei SENEKA eine Einheit.“.

www.fraunhofer.de/audio

 

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