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Die Ämter für Verfassungsschutz als Präventionsbehörden

Rechtsfragen zur Stellung der Verfassungsschutzämter in der deutschen Verfassungsarchitektur

Maximilian Banzhaf,
Berlin 2021,
450 Seiten.
ISBN 978-3-428-18317-3.
Ladenverkaufspreis 99,90 €.
Am Verfassungsschutz scheiden sich seit Jahrzehnten die Geister. Für die einen sind das Bundes- und die Landesämter für Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind, für die anderen versagen sie im Kampf gegen staatsfeindliche Bestrebungen von links.

Anlass zur Kritik liefern auch immer wieder die Zuständigkeiten der Verfassungsschützer. Während sie manchen Betrachtern zu weit gehen, beklagen andere, der Verfassungsschutz sei ein zahnloser Tiger. Besonders hohe Wellen schlugen in den letzten Jahren politisch motivierte spektakuläre Kriminalfälle, allen anderen voran die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds NSU“. Es sei dem Versagen des Verfassungsschutzes geschuldet, dass dessen Mordserie nicht früher gestoppt wurde, konnte man lesen. Diese polarisierte Debatte muss auch in einer wissenschaftlichen Betrachtung zumindest im Hintergrund mitgedacht werden.

Maximilian Banzhaf wurde mit der hier zu besprechenden Arbeit an der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg promoviert. Bereits ein flüchtiger Blick auf das zwölf Druckseiten umfassende Inhaltsverzeichnis des Buches lässt die Komplexität des Themas erahnen. Die Ausgangsthese macht dann jedem Leser deutlich, welche Herausforderungen dieses Thema beinhaltet. Der Autor geht von der Überlegung aus, dass sich der Verfassungsschutz in den letzten Jahren grundlegend wandelte. War er in seiner Frühzeit eine Institution, die sich mit der „Aufklärung legaler und nicht konkret gefährlicher politischer, insbesondere nicht strafrechtlich relevanter Bestrebungen“ befasste, so wandelte er sich in den letzten Jahren zu einem „Frühwarnsystem zur allgemeinen Gefahrenabwehr.“ Dies führte zu „Überschneidungen mit den Aufgabenbereichen der Polizei und des Bundesnachrichtendienstes (BND).“

In dieser These steckt die grundsätzliche Entscheidung für ein „möglichst freiheitsschonendes System“. Dies wurde in der Wissenschaft formelhaft cum grano salis so beschrieben, dass die Nachrichtendienste, die fast alles wissen, nicht alles dürfen. Wohingegen die Polizei – die alles darf – nicht alles wissen sollte.

Dass diese Formel nur mit Einschränkungen gilt, bestätigt ein Blick in die frühen Jahre der Bundesrepublik. Diesen Exkurs in die Vergangenheit wagt der Verfasser jedoch nicht. Somit erlaubt er seinen Lesern weder einen Blick auf die Empfänger der Ergebnisse der Funkaufklärung des Bundesgrenzschutzes noch auf die Aufgaben der Sicherungsgruppe des BKA. Dieser waren in den frühen 1950er Jahren Ermittlungen in Fällen des Hoch-, Verfassungs- und Landesverrats übertragen worden. Vielleicht wäre es sogar eine Fußnote wert gewesen, dass den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundeskriminalamtes Mitte der 1950er Jahre das Recht eingeräumt wurde, ihre Untergebenen nach eigenem Gutdünken mit Waffen und den dazugehörenden Ausweisen auszustatten.

Eindrucksvoll zeichnet der Verfasser die Entwicklung der Aufgaben, besonders der Aufgabenabgrenzung des Verfassungsschutzes nach. Dies führt ihn zur „Aufgabenparallelität von Polizei und Verfassungsschutzämtern“, worin er aus guten Gründen eine „verfassungsrechtliche Herausforderung“ sieht. Diese Überlegungen münden in einem der klassischen Themen in jedweder Betrachtung der deutschen Sicherheitsarchitektur: dem Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten. Die allgemeine Frage, ob diese Trennung noch zeitgemäß sei oder die zugespitzte Variante, ob diese Aufgabentrennung im Interesse einer höheren Effizienz noch vertretbar sei, mündete seit Jahrzehnten immer wieder zwischen Praktikern und Theoretikern in zum Teil erbitterte Diskurse. Banzhaf betrachtet das Trennungsgebot indem er zunächst dessen Ursprung, sodann die Nicht-Verankerung in unserer Verfassung und schließlich die inhaltliche Reichweite einzelner Trennungsaspekte betrachtet. Somit reicht sein Blick vom Brief der alliierten Militärgouverneure vom 14. April 1949 über mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bis zu den vier Trennungsgeboten, die er im organisatorischen, funktionalen, kompetenziellen und informationellen Bereich festmacht. Als mögliche Lösung sieht er einen Vorstoß der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahr 2019. Darin wird zur Vermeidung additiver Grundrechtseingriffe vorgeschlagen, für Polizei und Nachrichtendienste „möglichst klar abgegrenzte Aufgabenbereiche zu schaffen.“

Wie schwierig dies in der praktischen Umsetzung ist, wird insbesondere in dem Kapitel deutlich, in dem Banzhaf das Verbot der Tätigkeit des BND auf innenpolitischem Gebiet betrachtet. Hier positioniert er sich klar und eindeutig, indem er feststellt, dass dieses Verbot überkommen ist und eine effektive Spionageabwehr beeinträchtigt. Diesem Mangel wäre vergleichsweise einfach abzuhelfen, da diesem Verbot lediglich eine aus einfachem Gesetzesrecht ableitbare Vorgabe entgegensteht. Anschließend führt er Argumente an, die für eine Konzentration der Spionageabwehr unter dem Dach des BND sprechen, jedoch betont er „dass für den BND mit dieser Aufgabenerweiterung auch eine entsprechende rechtsstaatliche Einhegung einhergehen muss.“

Um die zahlreichen gordischen Knoten zu zerschlagen, schlägt Banzhaf zweierlei vor: Zum einen eine Rückbesinnung der Verfassungsschutzämter auf ihre Ursprünge und zum anderen den Wandel von einer wehrhaften in eine widerstandsfähige Demokratie. Für Aufsehen könnte sein Vorschlag sorgen, das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Bundeskanzleramt zuzuordnen. Und schließlich bricht der Autor noch eine Lanze dafür, dass alle Bürger sich aktiv am Verfassungsschutz beteiligen, was auch ein Beitrag zur politischen Bildung sei.

Der Rezensent möchte lediglich erwähnen, dass andere Staaten in diesen Fragen andere Antworten finden. So hat die Schweiz mit dem im Jahr 2016 erlassenen neuen Nachrichtendienstgesetz nicht nur eine neue rechtliche Grundlage für den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) geschaffen. Vielmehr wurden dessen Kompetenzen und technischen Möglichkeiten deutlich ausgeweitet. Gleichermaßen kann der NDB zum Schutz der verfassungsrechtlichen Grundordnung, der Außenpolitik und auch des Wirtschafts- und Finanzplatzes Schweiz eingesetzt werden.

Dr. Reinhard Scholzen

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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