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The phrase " Is antifa a terrorist group? " on a banner in men's hand with blurred background. Looters. Criminal. Crime. Angry protestors. Crazy. Violation. Legislature. Political ...
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Sind „gegen rechts“ alle Mittel erlaubt? Die neue linke Militanz

Von Florian Hartleb

Nach den Krawallen infolge des gewaltsam herbeigeführten Todes des Afroamerikaners George Floyd in Minneapolis durch einen weißen Polizisten im Mai 2020 sah der damalige US-Präsident Donald Trump in Antifa-Gruppen die Drahtzieher. Sein Plädoyer für deren Verbot schlug hohe Wellen, selbst in Deutschland.

In den sozialen Netzwerken verbreitete sich schlagartig der Slogan „Wir sind Antifa“. Das ist keineswegs ein Einzelfall: „Danke, liebe Antifa“, heißt es oft.1 Der Autor Sebastian Leber schreibt: „Mich beruhigt es, in einer Stadt zu leben, die eine starke Antifa hat. Weil ich dann sicher bin, dass in meinem Kiez keine Nazis die Meinungshoheit übernehmen.“ Die Antifa würde uns ein Leben ermöglichen, in dem Rechtsextreme keine Rolle spielen sollten.2 Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg produzierte im Jahr 2020 einen Werbefilm, in dem unkommentiert das Plakat „Antifa ist Liebe“ gezeigt wird. Doch hinter der schönen Fassade steht die Wirklichkeit zurück. Mitten dort, in der Rigaer Straße 94 – wo ein seit 1990 dauerbesetztes Haus mit Kultcharakter für die Szene setzt – wird die öffentliche Ordnung attackiert. Im Juli 2021 wurden 60 Polizisten, zwei davon schwer, bei einem Hauseinsatz verletzt. Selbst die Süddeutsche Zeitung sprach von „Endkampf-Fantasien eines hermetisch abgeschotteten Zirkels der radikalen Linken“.3 Schon 2016 kam es dort zu einer Gewalteskalation, und zu einer breiten Unterstützung.4

Die „Antifa“ als einzelne Organisation gibt es nicht. Sie bezieht sich, wie auch der Verfassungsschutz einschätzt, auf ein „Aktionsfeld“ aus dem linken politischen Spektrum. Unterstützung und Rückendeckung bekommt sie von denjenigen Kräften, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren. Beim G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 wurden bei linksextremen Übergriffen auf Polizisten Hunderte Menschen verletzt, auch durch einen sogenannten „Schwarzen Block“. Auch als Folge davon wurde das linksextremistische Internetportal „Indymedia“ in Deutschland verboten, ein globales Mediennetzwerk mit NGO-Charakter. Autonome nutzen die Plattform z. B. für Bekennerschreiben von Brandanschlägen, etwa auf die SPD-Parteizentrale oder die Hamburger Messe im Vorfeld des G-20-Gipfels 2017. Es fanden sich dort auch Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails.

Neue RAF? Die Gruppe um Lina E.

Radikale Linke gebrauchen in der Geschichte des letzten Jahrhunderts und in der Gegenwart das Wort „Antifaschismus“ positiv.5 Doch wie „friedlich“ ist der gelebte Antifaschismus? Immerhin ist „Nazis auf´s Maul“ eine Parole, die seit Jahren auf Gegendemonstrationen gegen rechtsextremistische Kundgebungen auftaucht. T-Shirts und Poster gibt es im Versandhandel. Durch neue Entwicklungen lässt sich daraus eine Gewaltbereitschaft ableiten. Gewalt also als legitimes Mittel im „Kampf gegen rechts“? Immerhin ist im Linksextremismus eine neue Qualität der gewalttätigen Übergriffe zu beobachten, wie der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenweg im Sommer 2021 bemerkte.6 Vor allem greift das Phänomen der „Nazi-Jagd“ um sich. Am 16. Mai 2020 überfiel eine Antifa-Gruppe von mindestens 20 Jugendlichen eine Handvoll Mitglieder des Vereins Zentrum Automobil, die wohl an einer Querdenkerdemonstration teilnehmen wollten. Einige der Mitglieder hatten Kontakte in die rechtsextreme Szene.7

Besonders drastisch ist ein Fall im thüringischen Erfurt. Verkleidet als Polizisteneinsatzkommandos, brachen Antifaschisten im Morgengrauen des 28. Mai 2021 in die Wohnung eines bekannten Rechtsextremisten ein, droschen auf ihn ein und fesselten seine schwangere Freundin. Ein „Kommando“ bekannte sich zur Tat, die mit Rache begründet wurde.8 Bedenklich ist auch die geringe Aufklärungsrate von 25 %, welche Sicherheitsbehörden bei linksextremen Straftaten intern ausmachen.9 Immerhin ist es zu einer Serie von gewalttätigen Attacken gekommen, die (auch) einen organisatorischen Überbau hatte. Lina E., eine zum Tatzeitpunkt 26-jährige Erziehungswissenschaftlerin, die ihre Bachelorarbeit über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) schrieb, wird der Prozess gemacht. Ihr untergetauchter Verlobter hat sich den Hass auf Polizisten auf seine Fingerknöchel tätowiert: „Hate Cops“ steht da.10 Die Gruppe hat offenbar zwischen 2018 und 2020 in Leipzig, Wurzen (Sachsen) und Eisenach (Thüringen) sechs schwere Überfälle auf vermeintliche Rechte begangen. Lina E. soll Opfer ausgespäht und bei Attacken das „Kommando übernommen“ haben. Schon Ende 2019 gründete die sächsische CDU-Regierung zur Bekämpfung von „Linksextremismus“ die „Sonderkommission Linx“. Allein im ersten Halbjahr 2020 eröffnete diese Polizeieinheit 335 Ermittlungsverfahren, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei hervorgeht. Die meisten davon verliefen aus Mangel an Beweisen im Sand, in einigen Fällen wurde das Vorgehen später für rechtswidrig erklärt.11 In der Tat scheint es zu hochgegriffen, von einer neuen „Roten Armee Fraktion“ (RAF) zu sprechen, wie in der Öffentlichkeit kursierte. Dennoch ist die neue Militanz augenfällig. Dazu gibt es öffentliche Unterstützung – wie einst bei der RAF. Schon die Festnahme von Lina E. löste Solidaritätsaktionen und Straftaten aus, bis zu Brandstiftungen an Fahrzeugen der Bundespolizei. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) fordert auf ihren Seiten „Freiheit für Lina“12: „Während rechte Corona-Leugner marodierend durch Leipzig ziehen können, werden hier mehre Personen kriminalisiert, um die linke Bewegung einzuschüchtern. An Lina soll dabei offensichtlich ein besonderes Exempel statuiert werden“, heißt es da.

Schild hinterm Fenster Corona Lüge
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Breite Solidarität

Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Partei „Die Linke“ in Sachsen und präsent in Leipzig-Connewitz, organisierte am 18. September 2021 eine Demonstration unter dem Slogan „Wir sind alle LinX“. Rund 3.500 Störerinnen und Störer reisten aus dem ganzen Bundesgebiet an Man forderte „die Entnazifizierung der deutschen Sicherheitsbehörden, die Auflösung der Soko Linx und Freiheit für alle AntifaschistInnen“. Auf einem Banner war ein offener Mordaufruf gegen Dirk Münster, den Leiter der Soko LinX, zu lesen. Später sind auch Polizisten und deren Einsatzfahrzeuge beworfen worden. Sieben Einsatzkräfte trugen dabei leichte Verletzungen davon.13 Generell gilt Leipzig als Hochburg linksextremer Gewalt. Wurde Linksextremismus lange mit Sachbeschädigung wie eingeschlagene Scheiben und brennende Autos assoziiert, findet nun ganz offenbar eine Enthemmung der Gewalt statt. Es zeigt sich eine allgemeine Tendenz: „Gewaltsame Aktionen gegen Sachen und Personen im Umfeld der als ‚rechts‘ definierten Szene finden nahezu täglich statt. Im Fokus steht dabei seit mehreren Jahren die AfD. Auch Identitäre, Reichsbürger, Burschenschaftler u.a. werden gleichsam zum „Abschuss“ freigegeben. Für die linken Gewalttäter sind es antifaschistische und antirassistische Aktionen“.14 So wurde etwa im September 2021 das Auto des AfD-Politikers Vadim Derksen in Berlin, Kandidat für die Abgeordnetenwahl, abgefackelt.15 Schon zuvor wurden der Antifa konkrete Handlungen zugeschrieben, die zum Abbruch der Lehrveranstaltungen des ehemaligen Vorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD) und Hochschulprofessors, Bernd Lucke, oder zur Blockade einer Lesung des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU) führten. Hier handelt es sich um einen linksextremistischen Antifaschismus dergestalt, dass tatsächliche oder vermeintlichen Rechtsextremen die Anerkennung von Grund- und Menschenrechten verweigert wird. Hier geht es etwa um die Veröffentlichung von persönlichen Informationen im Internet, das so genannte „Nazi-Outing“.16 Hier ist etwa die „Künstlergruppe“ namens „Zentrum für Politische Schönheit“ zu nennen. Sie ließ etwa verlautbaren: „Denunzieren Sie noch heute Ihren Arbeitskollegen, Nachbarn oder Bekannten und kassieren Sie Sofort-Bargeld. Helfen Sie uns, die entsprechenden Problemdeutschen aus der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst zu entfernen“.17 So gab es die Aktion, über die Website „Soko Chemnitz“ mehr als 1500 Personen, die angeblich auf rechtsradikalen Demos fotografiert wurden, zu denunzieren. Im September 2021 kam ans Tageslicht, dass 53 namentlich genannte Politiker der AfD über eine Website Morddrohungen erhalten haben. In einem Anhang des Pamphlets standen  alle Wohnadressen der Politiker sowie eine präzise mehrseitige Anleitung zur Herstellung von gefährlichen Sprengsätzen. Die Ermittlungen laufen.18

Antiextremismus ist nicht gleich Antifaschismus

Die Linksextremismusprävention steckt noch in den „Kinderschuhen“, gerade, was Deradikalisierungsprogramme angeht.19 Der offenkundig steigende Bedarf zeigt sich nicht nur in den „Brennpunkten“ Leipzig und Berlin und auch nicht nur am 1. Mai, wo es traditionell zu Krawallen kommt. Ein Film aus dem Jahr 2020, der auch auf Netflix anzusehen ist, „Und morgen die ganze Welt“20, thematisiert das Leben einer Aktivistin der Antifa. Hauptmotiv ist dabei die Militanz gegen Rechtsextreme. Die Regisseurin Julia von Heinz lässt dabei ihre autobiographischen Bezüge einfließen. Mit dem nach der Erstausstrahlung bekannten Fall „Lina E.“ hat der Film eine verblüffend reale Entsprechung gefunden. Dabei kommt es aber immer noch zur Verklärung. Es wird wie einst bei der RAF suggeriert, der Linksextremismus habe etwas Gutes, sind doch wohlhabende „Kinder“ die Agitatoren. Diese Verharmlosung unterschlägt den um sich greifenden Hass auf die Polizei, der sich etwa auch in Anschlägen auf Geschäftsstellen der Gewerkschaft, etwa in Hamburg, entlädt. Deutschland rückt nach rechts, die neue Gefahr droht von „rechtsaußen“. Zudem kommen islamistische Terroranschläge durch vor Jahren eingereiste Flüchtlinge, wie zuletzt in Würzburg und evt. mit der ICE-Attacke bei Regensburg.21 Extremismen sollen aber nicht gegenseitig ausgespielt werden. Wenn Opfer „Rechte“ oder Polizisten durch gut organisierte und orchestrierte Militanz werden, müssen die Alarmglocken schrillen, zumal, wenn die Aufklärungsquote derart gering ausfällt und der Lebensgefährte von Lina E. einfach untertauchen konnte. Die Entwicklung von Präventions- und Bekämpfungsstrategien ist die Kernaufgabe des demokratischen Verfassungsstaates, der auf einen antiextremistischen, eben nicht antifaschistischen Konsens beruht.

 Placard "Hans can also learn what Greta knows" in German language on a global climate strike
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Antifaschismus war der Gründungsmythos der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), Antiextremismus hingegen ist die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Hier gilt es auch, genauer auf die öffentlich sehr gelobte Klimaschutzbewegung „Fridays für Future“ zu schauen. Am 22. Oktober 2021 etwa geriet eine Gruppe schwarz gekleideter Demonstranten in Berlin mit Polizisten aneinander. Die jungen Männer und Frauen gehörten zum „antikapitalistischen Block“. Eine Unterwanderung hält der Extremismusforscher Udo Baron wahrscheinlich, ebenso eine Öffnung für gewaltsame Lösungen.22 Für die polizeiliche Ausbildung bedeutet das, den Linksextremismus stärker einzubeziehen und sich in der Praxis auf komplexe und gefährliche Lagen vorzubereiten.

 

Quellen:

1  Sebastian Leber: Danke, liebe Antifa!, in: Tagesspiegel vom 24. Januar 2014, https://www.tagesspiegel.de/berlin/chaoten-oder-heilsbringer-danke-liebe-antifa/9382378.html (abgerufen am 13. November 2021).
2  Ebd.
3  Vgl. Jan Heidtmann: „Endkampfphantasien radikaler Linker“ (Kommentar), in: Süddeutsche Zeitung vom 17. Juni 2021, https://www.sueddeutsche.de/meinung/berlin-rigaer-strasse-94-hausbesetzer-senat-1.5324925?reduced=true (abgerufen am 14. November 2021).
4  Siehe zum ersten Absatz Florian Hartleb: Wir sind Antifa. Die problematische Neudefinierung des demokratischen Verfassungsstaats, in: VEKO online. Vernetzte Kompetenz im Sicherheitsmanagement, September 2020, https://www.veko-online.de/
5
 Vgl. nun Alexander Deycke u.a. (Hg.), Von der KPD zu den Post-Autonomen. Orientierungen im Feld der radikalen Linken, Göttingen 2021.
6  Zitiert nach n-tv.de vom 3. September 2021, https://www.n-tv.de/politik/Anschlaege-auf-rechte-Szenetreffs-in-Thueringen-article22782957.html (abgerufen am 12. November 2021).
7  Vgl. Benno Stieber „Das waren doch nur Nazis!“, In: die Tageszeitung vom 13. Oktober 2021, https://taz.de/Angriff-vor-Querdenkerdemo-in-Stuttgart/!5807787/ (abgerufen am 12. November 2021).
8  Der Spiegel vom 4. September 2021, S. 62-63.
9  Vgl. ebd.
10  Vgl. ebd.
11  Vgl. mit kritischem Blick aus „Antifaperspektive“ „Wie man sich eine neue RAF bastelt, WOZ, die Wochenzeitung vom 2. September 2021.
12  Rote Fahne News vom 12. November 2020.
13  Henrik Merker: Steinwürfe, brennende Barrikaden und eine Drohung, in: Die Zeit vom 18. September 2021, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-09/leipzig-demonstration-linx-linke-szene-connewitz (abgerufen am 13. November 2021).
14  Vgl. Klaus Schroeder/Monika Deutz Schroeder: Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt, Freiburg i. Brsg. 2019, Zentralen für politische Bildung, S. 208.
15  Bz Berlin vom 14. September 2021.
16  Tom Mannewitz/Tom Thieme: Gegen das System. Linker Extremismus in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2020, S. 58.
17  Zitiert nach Deutschlandfunk Kultur vom 3. Dezember 2018, „Eine große Denunzianten-Aktion“, https://www.deutschlandfunkkultur.de/zentrum-fuer-politische-schoenheit-entlarvt-rechtsextreme-100.html (abgerufen am 5. November 2021).
18  „Töten wir die Schweine“: Linksextreme veröffentlichen Mordaufruf gegen AfD-Politiker,
Focus online vom 1. Oktober 2021, https://www.focus.de/politik/deutschland/focus-exklusiv-toeten-wir-die-schweine-linksextreme-veroeffentlichen-mordaufruf-gegen-afd-politiker_id_24294927.html (abgerufen am 10. November 2021).
19  So Tom Mannewitz/Tom Thieme: Gegen das System. Linker Extremismus in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2020, S. 147.
20  Vgl. die offizielle Website des Films https://undmorgendieganzewelt-film.de/ (abgerufen am 14. November 2021).
21  In beiden Fällen verschwimmen offenbar die Grenzen zwischen Wahn und islamistischen Terror.
22  Zit. nach „Radikalisierung bei Fridays für Future“, in: Die Welt vom 11. November 2021.

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb, geb. 1979 in Passau, ist Affiliated Researcher beim Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) sowie Managing Director von Hanse Advice in Tallinn/Estland. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei Sachsen-Anhalt sowie an der Katholischen Universität Eichstätt und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2. Auflage, Hoffmann & Campe: Hamburg, 2020, auch auf Englisch bei Springer und bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Er hat 2004 zum Populismus promoviert und war seither bei Think tanks, als Pressereferent im Deutschen Bundestag und beratend. für das Deutsche Bundespräsidialamt, die Bertelsmann Stiftung, die Deutsche Bundesbank und andere Institutionen tätig.
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