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Die spanische Astra, Modell 600/43, war im Bundesgrenzschutz unbeliebt.

Schwierige Anfänge

Die Geschichte der spanischen Pistole Astra 600 im deutschen Bundesgrenzschutz

Von Dr. Reinhard Scholzen

In der Gegenwart gilt die Bundespolizei als die am besten ausgestattete deutsche Polizei. Die Rahmenbedingungen der Vorgängerorganisation – des Bundesgrenzschutzes – waren in den 1950er Jahren sehr dürftig und die beschafften Waffen oft nur zweite Wahl.

In der ersten Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schränkten die Alliierten den Waffenbesitz der Deutschen drastisch ein. Des Weiteren verboten sie den Wiederaufbau einer Waffenindustrie. Um kein Schlupfloch zu öffnen, war es der deutschen Polizei untersagt, Waffen aus heimischer Produktion zu verwenden. Dieses Verbot besaß auch noch nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 Gültigkeit. Als wenig später konkrete Pläne für den Aufbau des Bundesgrenzschutzes (BGS) erarbeitet wurden, war sehr viel Kreativität gefordert, um die von den Grenzschützern dringend benötigten Waffen und die dazugehörende Munition zu beschaffen. Es war ein Glücksfall, dass sich einige Ministerialbeamte im Bundesinnenministerium (BMI) an gute alte Wirtschaftsbeziehungen erinnerten.

Alte Beziehungen1

Zu Beginn des Jahres 1951 nahm der ehemalige Wehrmachts-General Hans Dörr, der in den letzten Kriegsjahren Militärattaché in Madrid gewesen war, Kontakte zur spanischen Regierung unter General Franco auf. Die Gespräche kamen rasch voran. Bald sicherten die Spanier die Lieferung von 20.000 Astra-Pistolen nach Deutschland zu. Die Faustfeuerwaffen, die zum Stückpreis von 70 DM erworben werden sollten, waren in Deutschland nicht unbekannt: Während des Krieges hatte das Heeresamt 50 Astras Modell 600/43 zur Prüfung beschafft. Nachdem sie dort für gut befunden worden waren, bestellte man 10.450 Pistolen, die im Frühjahr 1944 geliefert wurden. Kurze Zeit später orderten die Deutschen, die unter einem notorischen Mangel an Pistolen litten, noch einmal 10.500 Astras. Diese Lieferung wurde aber von den Alliierten im Sommer 1944 an der südfranzösischen Küste abgefangen und zurück ins Herstellerland geschickt.

Vor dem Vertragsabschluss musste noch eine Hürde überwunden werden: Es galt, die Tauglichkeit der Pistolen aus Spanien für den Dienst im BGS nachzuweisen. Aus diesem Grund beauftragte das Bundesministerium des Innern (BMI) einen anerkannten Sachverständigen. Der frühere Leiter des deutschen Heereswaffenamtes, General a. D. Dipl. Ing. Heinrich Kittel, führte umfangreiche Tests mit unterschiedlichen Waffen für den aufzustellenden Bundesgrenzschutz durch. Seine Ergebnisse legte er im März 1951 Ministerialdirektor Hans Egidi aus dem BMI vor. Der klare Sieger des Vergleichs war die von der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft produzierte Pistole SIG P 210. Kittel beugte sich jedoch den Notwendigkeiten und stellte daher fest: „In Anbetracht des zur Zeit bestehenden dringendsten Bedarfs kann zur Überbrückung die spanische Pistole ‚Astra’ ...beschafft werden“. Jedoch schränkte er ein, nur, wenn sie „nicht mehr als DM 50,– frei Haus kostet.“

Nach diesen Sondierungen ordnete Bundesinnenminister Dr. Robert Lehr die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen mit den Spaniern an. Daraufhin fuhr Referatsleiter Walter Bargatzky aus dem BMI in Begleitung von Kurt Lemke, dem Leiter des Beschaffungsreferates, am 18. April 1951 nach Madrid. Über die Gespräche fertigte Bargatzky wenige Tage später einen ausführlichen Bericht: „Über die Verhandlungen betr. Lieferung spanischer Waffen für die Bereitschaftspolizei der Länder und den BGS (18.-26. 4. 1951).“ Bargatzky suchte den direkten Weg. Daher war er erfreut, dass seine kleine Delegation die Gespräche mit dem spanischen Heereswaffenamt führte. Damit wurden die privaten Waffenhändler „ausgeschaltet“, schrieb er nicht ohne Freude. Allerdings waren damit auch Gegenforderungen verbunden, „die im privaten Waffenhandel nicht üblich sind“. Insbesondere galt dies für die Zahlungsweise: General Francos Spanien wollte als Bezahlung nur zum Teil Geld, für den Restbetrag sollte Deutschland 50 Tonnen Kupfer liefern. Damit erklärte sich die devisenschwache Bonner Regierung einverstanden. Somit war das erste Geschäft, das nach dem Ende des 2. Weltkriegs zwischen Spanien und der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurde, perfekt.

Die schweizerische SIG 210/4 galt als eine der besten Pistolen ihrer Zeit, war aber auch sehr teuer.

Der Kontrakt besaß einen Wert von mehr als 3,6 Millionen Mark. Er bestand aus 38.000 Astra-Pistolen zum Stückpreis von 70 Mark und 7.600.000 Schuss Munition im Kaliber 9 x 19 mm für 128,10 DM je 1000 Patronen. Der Preis war fob. (free on board) Bilbao. Somit mussten die Deutschen für den Seetransport die Kosten und Risiken tragen. Im Ministerium verglich man die Angebote mehrerer Spediteure und gab schließlich Kühne & Nagel aus Hamburg den Zuschlag.

Völlig einwandfrei

Es war bei solchen Geschäften üblich, die Qualität der Ware noch vor ihrer Verschiffung zu überprüfen. Zu diesem Zweck stellte das BMI eine Kommission zusammen. Diesen Sachverständigen gehörten neben mehreren BGS-Beamten auch die beiden ehemaligen Generäle Kittel und Dörr an. Aber noch bevor sie die Waffen unter die Lupe nehmen konnten, gab es Streit. Die Deutschen litten an einem notorischen Mangel an harten Währungen und wollten daher zumindest einen Teil der Summe in spanischen Peseten zahlen. Dies stieß bei den Spaniern, die um die Schwäche ihrer Landeswährung wussten, auf heftigen Widerstand. Dörr sah das ganze Vorhaben in Gefahr. Er telegrafierte daher am 30. Mai an Bundesinnenminister Lehr und warnte, die Spanier könnten den Vertrag rückgängig machen. Umgehend informierte der Minister den Bundeskanzler über das Zahlungsproblem. Daraufhin wies Konrad Adenauer den Handelspolitischen Ausschuss an, das erforderliche Geld in US-Dollar zur Verfügung zu stellen.

Erst nachdem den Spaniern die Zahlung in harter Währung zugesichert worden war, durften die BGS-Beamten Albert und Naujokat die Qualität der Waffen und der Munition überprüfen. Sie begutachteten die erste Tranche, die aus 15.000 Pistolen aus dem Artilleriepark Vitoria und 14.000 Astras aus dem Herstellerwerk Unceta in Guernica bestand. Darüber hinaus nahmen sie – ebenfalls stichprobenartig – die Patronen aus dem Munitionspark im spanischen Berango unter die Lupe. In ihrem schriftlichen Bericht hoben sie hervor, die Pistolen seien auf Verlangen des Herstellers mit 50 Prozent Überdruck beschossen worden, anstatt der üblichen 30 Prozent. Darüber hinaus seien aus den Waffen auch deutlich unterladene Patronen verfeuert worden, um so die Funktionsgrenze der Selbstladepistolen zu testen. An zwei bis fünf Prozent der Waffen führten sie einen Funktionsbeschuss, einen Dauerfunktionsbeschuss, einen Funktionsbeschuss unter erschwerten Betriebsbedingungen und einen Treffgenauigkeitsbeschuss durch. Insgesamt kamen die Grenzschützer zu dem Urteil: „Pistole ist ordentlich gearbeitet und absolut funktionssicher. Gute Handlage beim Schuss und sehr gute Treffgenauigkeit.“ Das Zerlegen zur normalen Reinigung sei „sehr gut gelöst und einfach durchzuführen.“ Zu einem ähnlich guten Ergebnis kamen sie auch bei der Bewertung der Munition. Sie stellten fest, dass diese im Jahr 1936 in Deutschland gefertigt und eigentlich für die Pistole „08“ bestimmt gewesen waren. Die Patronen befanden sich in den Originalverpackungen, also in Kisten mit Zinkeinsätzen, die luftdicht verlötet waren. Stichproben ergaben: „völlig einwandfrei“.

Ende Juni 1951 wurde das Motorschiff „Iran“ im Hafen von Bilbao mit 29.000 Astra Pistolen, Modell 600/43, und zwei Millionen Patronen im Kaliber 9 mm Parabellum beladen. Am 9. Juli kam es im Hamburger Freihafen an. In Gegenwart eines Beamten aus dem BMI-Referat I C 6 verluden Arbeiter die Kisten auf drei Lastkraftwagen. Den Transport durch die Republik bewachte ein Kommando der Grenzschutzabteilung Nord aus Hamburg-Rahlstedt. Nachdem die Fracht zunächst in die Gallwitz-Kaserne in Bonn gebracht worden war, wurde sie wenige Tage später an die Standorte des BGS und der Bereitschaftspolizeien der Länder verteilt.

Die Schilderung des Beamten lässt eine völlig reibungslose Prozedur vermuten. Diesen Eindruck ändert jedoch ein Aktenvermerk, den er wenige Tage später verfasste. Er schrieb, in Erwartung von Problemen hätte er gebeten, „daß sämtliche Beamten nicht in Uniform, sondern in Zivil diesen Überwachungs- und Überführungsdienst machen sollten.“ Trotzdem habe es beim Löschen der Fracht Proteste gegeben. Als die Hafenarbeiter die spanische Aufschrift auf den Kisten lasen, die deren Inhalt als Pistolen und Munition auswies, weigerten sie sich, ihre Arbeit fortzusetzen. Die Hafenleitung stellte daraufhin eine neue Mannschaft, die das Entladen der Fracht beendete. Der Beamte fürchtete, es sei zukünftig mit Streiks der Stauer zu rechnen. Für spätere Waffen-Transporte riet er daher, die Hamburger Polizisten sollten ihre Fahrzeuge nicht mehr unmittelbar vor dem Liegeplatz des Schiffes parken. Obwohl die Polizeibeamten Zivilkleidung getragen hätten, sei es wegen der grünen Minnas für die Hafenarbeiter nicht schwierig gewesen, die Ladung in einen Zusammenhang mit der Polizei zu bringen. Und zum anderen schlug er vor, in Zukunft auf die eindeutige Beschriftung der Kisten zu verzichten.

Bei der Abnahme der Restlieferung der Astra-Pistolen, die in der Zeit vom 17. bis 31. August 1951 erfolgte, entdeckten die BGS-Beamten bei 771 Pistolen Mängel, die sie auf deren schlechte Pflege zurückführten. Nachdem die Spanier die Waffen überarbeitet hatten, kamen sie mit der zweiten Sendung nach Hamburg.

Über den Preis für die Pistolen (2.660.000 DM) und die Munition (973.560 DM) hinaus musste das BMI noch die Kosten für die Fracht auf dem See- und Landweg (44.258,23 DM), den Zoll sowie die Umsatzausgleichsteuer (409.930,65 DM) zahlen. Somit ergab sich ein Gesamtpreis von 4.087.748,88 DM. In Anbetracht der hohen Gesamtsumme fiel das Honorar für General Dörr, der das Geschäft mit den Spaniern eingefädelt hatte, bescheiden aus. Für die Verhandlungen, die er vom 1. Januar 1951 bis zum 31. Mai führte, erhielt er 750 Mark und zusätzlich einen Ersatz für „näher zu belegende Ausgaben“. Für das 3. Quartal 1951 zahlte ihm das BMI weitere 600 Mark.

Wie die spanischen Pistolen verteilt wurden, geht zum Teil aus einem im November 1953 im BMI erstellten Verzeichnis hervor:

BGS 6291
Bereitschaftspolizei der Länder   9667
Bereitschaftspolizei Berlin 3190
Für beim BGS in Verlust geratene Pistolen 8
Für bei den Bereitschaftspolizeien in Verlust geratene Pistolen 2
Bundesministerium der Finanzen  1800
Landespolizei Württemberg-Baden 1
Innenministerium Hessen 1
Innenministerium Baden-Württemberg 1
leihweise an Hamburg 264
leihweise an Bremen    69
leihweise an Dienststelle Blank    2
an Firma Genschow, Köln 15
an Firma Sidem, Bonn     1
Referat VI C 5 im BMI     1
Beschaffungsstelle des BGS    2
Waffenwerkstatt    2

Zusammen mit dem Bestand in Höhe von 16683 Pistolen ergab sich eine Gesamtmenge von 38.000 Astras.

Viel zu teuer

Unmittelbar nachdem das Geschäft mit den spanischen Pistolen abgewickelt worden war, bemühte sich das BMI darum, einen Teil der Waffen wieder zu verkaufen, denn man hatte sich finanziell übernommen. Am 30. August 1951 informierte der Ministerialbeamte Lemke die Innenminister der Länder über die Möglichkeit, Astra-Pistolen und Beretta Maschinenpistolen zu erwerben. Der Preis je Pistole sollte bei 79 DM liegen, die Mpis bot das Ministerium zum Stückpreis von 220 DM an.

Das Angebot des Bundes stieß in den Ländern auf wenig Interesse. Baden teilte in einem Fernschreiben vom 14. September mit, die Polizisten des Einzeldienstes seien mit französischen MAB-Pistolen im Kaliber 7,65 mm ausgestattet. Sie hätten daher an den Astras kein Interesse. Auch für die Berettas konnten sich die Badener nicht erwärmen, da sie in Kürze über die Firma Waffen Kirsch in Freiburg Hotchkiss Mpis beschaffen wollten. Die Rheinland-Pfälzer lehnten das Angebot aus Bonn ebenfalls ab. Nach ihrer festen Überzeugung waren beide Waffen für den Polizei-Einzeldienst „wenig geeignet“.

Am 31. Oktober fasste das BMI das Ergebnis seines Verkaufsangebotes zusammen: „Die mit Fernschreiben vom 30. 8. 51 aufgeforderten Innenminister der Länder betr. Erwerb von Pistolen und Pistolen-Munition haben nur in einem ganz geringen Umfang von diesem Angebot Gebrauch gemacht.“ Eine auf den 6. November datierte Zusammenstellung der verkauften Waffen bestätigt dies:

  • 1800 Astras und 180.000 Patronen 9 x 19 mm erhielt das Bundesministerium der Finanzen,
  • 21 Beretta Maschinenpistolen und 10.500 Patronen erwarb Hessen,
  • 450 Maschinenpistolen und 225.000 Patronen kaufte Niedersachsen,
  • die Landespolizei-Direktion Tübingen stellte den Erwerb von 50 Maschinenpistolen und 25.000 Schuss Munition „in Aussicht“.
  • eine Astra erhielt Württemberg-Baden zur Ansicht, zusätzlich 1100 Patronen.

Ein Ministerialbeamter addierte den Verkaufserlös auf 322.644,81 DM, was kaum als Erfolg zu werten war.

In der Folgezeit bot das BMI die spanischen Waffen auf dem freien Markt an. Am 17. September 1952 schrieb die Waffenfirma Hämmerli aus Lenzburg in der Schweiz wegen der Astra-Pistolen an das Bonner Ministerium: „Ein ernsthafter Interessent teilt uns mit, dass der Preis, den wir verlangt haben (DM 80 + 5%) unmöglich in Frage komme, da solche Pistolen per Dutzend billiger zu haben seien ... Wir glauben deshalb, dass es in Ihrem Interesse liegt, einmal mehr zu prüfen, ob Sie die Pistole nicht wenigstens zu dem Preis, den Sie dafür bezahlt haben, abgeben können. Wir dürfen doch wohl annehmen, dass Sie bei diesen großen Quantitäten nicht soviel bezahlt haben, wie von der Fabrik bei kleineren Posten verlangt wird.“ Das BMI wusste zu diesem Zeitpunkt, dass der Kauf der Astras nicht gerade ein Schnäppchen gewesen war, hielt aber stur am Preis fest. Lemke antwortete der Firma Hämmerli am 26. September 1952 lakonisch, unter 80 DM gehe nichts. Die Schweizer blieben hartnäckig und schrieben dem deutschen Ministerialbeamten am 2. Oktober erneut, wobei sie durchaus geschickt die nationale Karte spielten: „Wir erhalten laufend Anfragen aus Deutschland betreffend Lieferung von Pistolen und zwar von Landes- und Stadtbehörden, sowohl wie anderen Institutionen.“ Selbstbewusst fragten die Schweizer: „Wie wäre in diesem Fall der Preis?“ Dieser Bluff beeindruckte Lemke nicht. Er antwortete vier Tage später ehrlich, aber aus kaufmännischer Sicht beispielhaft naiv: „Ich habe die spanischen Parabellum 9 mm wiederholt sowohl den Landes- und Stadtbehörden in der Bundesrepublik als auch anderen Institutionen zum Kauf angeboten. Von meinem Angebot wurde jedoch kein Gebrauch gemacht, da nur Pistolen Kal. 7,65 mm gewünscht werden.“ Josef Bertschinger von der Firma Hämmerli ließ nicht locker. Im April 1953 schrieb er erbost an das BMI. Er habe erfahren, von Spanien werde die Astra zum Preis von 4 ½ britischen Pfund angeboten, also fast halb so teuer, wie Hämmerli sie offerieren könne.

Wenige Monate später kam es erneut zu Verstimmungen zwischen der Firma Hämmerli und dem deutschen Innenministerium. Oberst im BGS Büscher forderte im Oktober drei Astras (Seriennummern 15451, 21702 und 29299) zurück, die einige Zeit zuvor an die Schweizer zur Ansicht geliefert worden waren. Zwei Wochen später sandte die Firma aus Lenzburg statt der Pistolen ein Gutachten über Qualität und Preis der Astras an die Bonner Behörde: Der unverriegelte Verschluss (Masseverschluss) werde in diesem Kaliber seit langem nicht mehr verwendet, schrieben sie. Zudem sei die Grifflage schlecht, ihr Rückstoß „kolossal“, ihr Gewicht hoch und insbesondere falle das Abzugsgewicht von rund zehn Kilogramm unangenehm auf. Als weitere Kritikpunkte führten sie an, häufig würden sich Patronenhülsen aufbauchen – ein möglicher Hinweis auf ein falsch bemessenes Patronenlager – und die Pistole lasse sich aufgrund ihrer konstruktionsbedingten starken Vorhol- und Hahnfedern nur schwer bedienen. Bei einer auftretenden Laufaufbauchung könne der Verschluss beim folgenden Schuss nicht mehr frei zurücklaufen. Als möglichen Verkaufspreis für die Astras sahen die Eidgenossen eine Spanne von 20 bis höchstens 50 DM.

Ganz sicher erfreute dieses Gutachten die Ministerialbeamten nicht, jedoch glätteten sich die Wogen. Am 13. November 1953 erging der Erlass, die an Hämmerli probeweise gesandten Astras sollten nicht zurückgefordert werden. Die Ministerialbeamten begründeten ihre Entscheidung intern: Es sei beim „Verkauf von Waffen handelsüblich“, dem Käufer Musterwaffen „für Erprobungen und Versuche unentgeltlich zur Verfügung“ zu stellen.

Auch andere Firmen zeigten Interesse für die Astras. Die belgische Firma Sidem schrieb dem Ministerium am 18. Oktober 1952, sie hätten einen möglichen Käufer für 15.000 der spanischen Pistolen an der Hand, der pro Stück 80 DM zusätzlich fünf Prozent für die Frachtkosten zahlen wolle. Um die Qualität der Ware zu prüfen, bat der potentielle Kunde um eine Waffe zur Ansicht an: „Imperial Government Ministry of War, z. Hd. Colonel Abeba Kabbada, Addis Abeba“. Am 13. Dezember 1952 wurde die Astra mit der Fertigungsnummer 54642 per Luftpost ins äthiopische Kriegsministerium geschickt. Für die Versandkosten setzte ein Ministerialbeamter einen Betrag von 55,20 DM ein. Drei Monate später klagte ein Vertreter der Firma W. Roloff & Co. aus Addis Abeba, die bestellte Astra sei bisher noch nicht eingetroffen. Nach weiteren drei Wochen fand man sie zwar, aber ein Vertreter der Firma Sidem teilte den Deutschen mit: „leider wird uns vom Imperial Ethiopian Government, Ministry of War, ferner mitgeteilt, daß sie von einem Kauf absehen müssen, da die Pistole nicht ihren Anforderungen entspricht.“ Zunächst wollten die Afrikaner die Waffe wieder zurücksenden, entschieden sich angesichts der hohen Transportkosten aber, sie zu kaufen. Am 19. Januar 1954 erhielt die Firma Sidem eine Überweisung von 141,05 DM. Im Preis waren die den Deutschen entstandenen Frachtkosten und 18,65 DM für die mitgeschickten 100 Patronen enthalten.

Auch die Waffenfirma „Star“ aus dem spanischen Eibar zeigte Interesse an den Pistolen. Sie bat das BMI, ihnen mehrere Bedienungsanleitungen für die Astras zuzusenden. Gleichzeitig fragten sie, ob die beim BGS eingeführten Waffen über irgendwelche Kennzeichnungen verfügen würden. Diese, so nahmen die Spanier an, müssten vor einem Wiederverkauf ja beseitigt werden.

Nicht nur der hohe Verkaufspreis vereitelte manches Geschäft. Am 17. März 1953 teilte die Firma Genschow aus Hamburg dem BMI mit, sie habe einen Interessenten für zwölf Astras an der Hand. Der Stückpreis sollte bei 79,25 DM liegen. Aber vor einen möglichen Verkauf hatten die Alliierten ihre Bestimmungen über den Handel mit Waffen gesetzt. Daher musste Genschow zuerst eine Genehmigung der in Koblenz residierenden Militärischen Sicherheits Behörde (MSB) vorlegen.

Gestiegener Bedarf

Die Ausbildung der BGS-Beamten war in den 1950er Jahren sehr intensiv und anspruchsvoll. Dies schloss auch eine gute infanteristische Ausbildung mit ein.Im November 1953 berechnete das Bundesinnenministerium seinen Waffenbedarf neu. Der zuständige Referent Lemke kam zu dem Ergebnis, voraussichtlich 9500 Pistolen „werden zur Ausstattung der zweiten Welle des BGS benötigt. Dadurch reduziere sich die Zahl der zu verkaufenden Astras auf rund 7000. Den Selbstkostenpreis inklusive Zoll, Umsatzausgleichsteuer, Transport- und Nebenkosten setzte der Beamte unverdrossen mit 79,25 DM an, obwohl er wusste: „Es steht fest, daß Astra-Pistolen zu diesem Preis heute nicht veräußert werden können.“ Der Preis müsse folglich gesenkt werden, was möglich sei, wenn ein Gutachten vorliege, das den niedrigeren Preis bestätige.

Mit der Erstellung dieses Gutachtens beauftrage das BMI im Frühjahr 1954 die Firma Carl Walther aus Ulm an der Donau. Am „11. 5. 2954“ (sic!) erstellte der Firmeninhaber das gewünschte Gutachten. Abgesehen von dem Tippfehler, der ihm beim Datum unterlief, ließ die Expertise an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und bewies ein gesundes Selbstbewusstsein: „Als Erfinder und Hersteller der bekannten Selbstladepistolen System `Walther`... geben wir nachstehende gutachtliche Äußerung ab: Den heutigen Wert der Pistole Astra, Modell 600/43 festzustellen, ist außerordentlich schwierig; er dürfte je nach Marktlage keinesfalls über DM 50 liegen.“

Beim Verkauf der Astras machte die Firma Genschow die größten Fortschritte. Dies lag wohl in ersten Linie daran, dass das Ministerium die Pistolen zu einem Stückpreis von nur noch 55 DM anbot. Die Hamburger Firma wollte dafür 4000 Astras abnehmen, die in den Irak geliefert werden sollten. Der Verkaufserlös sollte aber nicht an das BMI gezahlt, sondern dafür von Genschow SIG Pistolen des Modells 210 erworben werden. Die Firma errechnete, für 4000 verkaufte Astras könnten rund 1000 SIGs erstanden werden. Nachdem das MSB das Geschäft genehmigt hatte, kam der Vertrag mit Bagdad zustande. Es waren aber nur 155 Astras, die am 13. Oktober 1954 zum Stückpreis von 55 DM vom BGS an die Filiale von Genschow in Köln-Niehl geliefert wurden. Von dort gingen die Waffen ins Morgenland.

Im Herbst 1954 gingen einige Ministerialbeamte im BMI von einer deutlichen personellen Aufstockung des BGS aus, was sich auf den errechneten Bedarf an Waffen für die Grenzschützer auswirkte. Dabei ließen sie aber außer Acht, dass an anderer Stelle der Aufbau der Bundeswehr eine beschlossene Sache war und feststand, dass der Kern der Truppe aus BGS-Beamten bestehen sollte.

Am 19. Oktober 1954 kam man im BMI zu dem Ergebnis, gegenwärtig könne man höchstens 2000 der spanischen Pistolen veräußern. Der größte Aufkäufer war wieder die Firma Genschow: Sie erwarb im März 1955 75 Pistolen vom BMI, im Juli 55 weitere 25, die für den Export nach Israel bestimmt waren, und sechs Pistolen am 9. Januar 1956, die die Firma Ernst von Mallinckrodt in Windhoek (Südafrika) geordert hatte.

Am 20. Oktober 1954 interessierte sich auch ein Oberstleutnant a. D. aus Hamburg-Altona für die spanischen Pistolen. Unter der Überschrift „streng vertraulich“ teilte der ehemalige Wehrmachtsoffizier der Beschaffungsstelle des BGS mit: „Wahrscheinlich besteht die Möglichkeit, obigen Posten Pistolen an zwei verschiedene Länder, die zur ‚NATO’ gehören, verkaufen zu können“ und er konkretisierte: „Als Abnehmer kommen zwei überseeische Länder in Frage.“ Diese Mitteilung interessierte die Beschaffungsstelle, weckte aufgrund der kryptischen Andeutungen aber auch ihr Misstrauen. Man beauftragte daher die renommierte Auskunftei „Schimmelpfeng“ mit Ermittlungen. Bald lag deren Dossier auf dem Tisch: Der Vermittler war 1898 in Lichtenau in Schlesien geboren, hatte als aktiver Offizier im I. Weltkrieg gedient, wurde 1920 Kaufmann und studierte gleichzeitig sechs Semester Jura und Staatswissenschaften in Berlin. 1935 ließ er sich reaktivieren und wurde als Oberstleutnant entlassen. 1946 nahm er in der Abteilung für Reichsvermögen eine Stelle als Betriebsprüfer an. Seit 1951 war er Abwesenheitspfleger für die Norddeutschen Dornierwerke. Er beziehe eine Pension (als ehemaliger Offizier) von 635 DM im Monat und „seine Ehefrau verfügt über etwas Vermögen.“

Somit sprach nichts dagegen, mit dem Hamburger ins Geschäft zu kommen. Am 7. Januar 1956 ließ er wieder von sich hören: „Als Abnehmer kommt ein südamerikanischer Staat in Frage, der zur NATO gehört.“ Ein halbes Jahr später hatte sich sein Wissen über die Mitgliedstaaten des westlichen Bündnisses nicht vergrößert, aber er wusste jetzt: „bedauerlicherweise lässt sich der Verkauf der restlichen 923 Astra-Pistolen an Columbien wegen inzwischen aufgetretener Devisenschwierigkeiten in diesem Lande nicht durchführen.“

Andere Geschäfte verliefen für das Ministerium erfolgreicher. Die Hamburger Im- und Exportfirma Brock & Schnars kaufte im Jahr 1955 vom BMI 100 Astras. Im April interessierte sich SIG für die Pistolen aus Spanien. Die Schweizer baten, ihnen eine Musterwaffe zuzusenden. Zehn Wochen später informierten sie die deutschen Beamten, die Firma Steiner de Mexico sei an den Astras interessiert.

Mitte 1955 schien es so, als käme das Astra-Problem mit einem Schlag aus der Welt. Brock & Schnars wollte 1000 Pistolen an Hassan Salami, P.O. Box 33 Bagdad, Irak, liefern. Dann gab es aber – wie so häufig – Probleme mit den Ausfuhrgenehmigungen. Nach einigem Hin und Her durften lediglich 100 Waffen in die irakische Hauptstadt geliefert werden. Weitere Versuche mit der Regierung König Faisal II. ins Geschäft zu kommen, scheiterten. Am 14. November 1956 wurde ein Antrag auf Lieferung von 200 Astras nach Bagdad abgelehnt, da aufgrund der Spannungen im Nahen Osten ein UNO-Beschluss Lieferungen von Waffen und Kriegsmaterial in die Krisenregion verbot.

Am 2. Mai 1956 fragte die Bereitschaftspolizei-Direktion in Göppingen im BMI an, was 241 Astra-Pistolen kosten würden. Das BMI nannte als Stückpreis 55 DM und die Württemberger bestellten daraufhin am 9. Mai die Waffen, die für die Schulabteilung der Bereitschaftspolizei in Biberach an der Riß bestimmt waren.

Die Firma Svetsky aus Frankfurt am Main schrieb wenige Tage später, eine „der NATO angeschlossene befreundete Macht“ interessiere sich für die Pistolen. Die Sache verlief im Sande. Ebenso kam die Firma Herbert Bauer aus Hamburg in ihren Bemühungen, die 600/43 nach Schweden zu verkaufen, nicht voran. Lediglich mehrere vom BMI zugeschickte Bedienungsanleitungen konnten die Norddeutschen an den Mann bringen.

 Der Nachfolger der Astra-Pistole war die Walther P 1.

Mit der steigenden Nachfrage entwickelte sich in Bonn der Geschäftssinn. Als die Firma International Firearms aus Montreal im Juli 1956 ihr Interesse an den Astras bekundete, antwortete das BMI, einen konkreten Preis könne man nicht nennen, die Waffen würden „gegen Höchstgebot verkauft.“ Die Kanadier boten daraufhin fünf US-Dollar pro Stück, also umgerechnet 21 DM. Das quittierte der deutsche Unterhändler der kanadischen Firma, Generalleutnant a. D. Theodor Osterkamp, mit einem Kopfschütteln. Besonders kränkte den ehemaligen Jagdflieger diese Offerte, weil er seinen kanadischen Partnern zuvor einen weitaus höheren Preis, nämlich „16 – 17 Dollar genannt hatte.“

Drei Tage vor Weihnachten 1956 trat eine entscheidende Wende ein. Mit gleichlautenden Briefen informierte das Ministerium die Firmen Herbert Bauer und Brock & Schnars aus Hamburg, das Industrie-Kontor Bonn – das Astras nach Kuwait liefern wollte –, Gustav Genschow in Köln-Niehl und die International Firearms 1011 Bleury Street in Montreal: „Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, daß ich den Verkauf von Astra-Pistolen Kal. 9mm bis auf weiteres eingestellt habe.“ Gleichzeitig wurde im BMI die interne Anweisung ausgegeben, die Astras würden zur Ausrüstung von Hilfspolizisten benötigt. Das Referat VI B 1 ordnete an, diese Planung in dem Schreiben an die Firmen nicht zu erwähnen. Dies war aber nicht der einzige Grund. Am 3. Januar 1957 schrieb der Leiter des Referates VI C 5: „Beim Übertritt der BGS-Verbände zur Bundeswehr wurden insgesamt 3671 Astra-Pistolen mit übergeben. Das bedeutet, daß für die Wiederauffüllung des Bundesgrenzschutzes auf 20.000 Mann 2123 Pistolen Kal 9mm fehlen. Unter diesen Umständen erscheint es nicht mehr vertretbar, weiterhin noch Astra-Pistolen zu verkaufen.“

Zehn Jahre nachdem die Astras für den Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizei der Länder angeschafft worden waren, begann man damit, sie durch die P 1 von Walther, den „Erfinder und Hersteller der bekannten Selbstladepistolen System Walther“ zu ersetzen.

 

Quelle:

1  Die folgenden Zitate stammen aus dem Bestand B 106/13883 im Bundesarchiv in Koblenz.

 

Über den Autor
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen
Dr. Reinhard Scholzen, M. A. wurde 1959 in Essen geboren. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Trier. Nach dem Magister Artium arbeitete er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und promovierte 1992. Anschließend absolvierte der Autor eine Ausbildung zum Public Relations (PR) Berater. Als Abschlussarbeit verfasste er eine Konzeption für die Öffentlichkeitsarbeit der GSG 9. Danach veröffentlichte er Aufsätze und Bücher über die innere und äußere Sicherheit sowie über Spezialeinheiten der Polizei und des Militärs: Unter anderem über die GSG 9, die Spezialeinsatzkommandos der Bundesländer und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr.
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