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Beratungsgespräch. Gefährliche Gegenstände wie Schere oder Locher sollten nicht auf dem Schreibtisch liegen.

„Mir wird schon nichts passieren“

Sicherheitsseminar im einem Job Center in Baden-Württemberg im Dezember 2012 und Januar 2013. Geschult wurden alle 60 Mitarbeiter, mit und ohne direkten Kundenkontakt.

Ein Bericht von Heidi Prochaska  

„Mir wird schon nichts passieren. So schlimm wird es sicher nicht werden.“ Diese und ähnliche Sätze höre ich häufig von Seminarteilnehmern, die an meiner Schulung „Sicherheit ist Kopfsache“ teilnehmen. Mit solchen Worten beruhigen sie sich, selbst wenn es brenzlig wird oder eine innere Stimme warnt.

Die gleichen Gedanken hatte auch ein Urlauber im amerikanischen Yosemite-Nationalpark. Er brannte darauf, die Schwarzbären in freier Wildbahn zu erleben. Er parkte sein Wohnmobil auf einem Campingplatz und kochte sich einen Kaffee. Versonnen kaute er einen trockenen Keks, als ein Bär wenige Meter von ihm entfernt nach Essbarem suchte. Es ist bekannt, dass Bären die höchste Fress-Intelligenz entwickelt haben und daher Müllreste durchsuchen. Der Tourist hatte endlich das Ziel seiner Reise erreicht und war furchtbar aufgeregt. Fieberhaft überlegte er, was nun zu tun sei, damit der Bär so lange wie möglich in seiner Nähe blieb. Er schaute sich im Wohnmobil um und sein Blick fiel auf die Tüte Kekse. Ob Bären wohl Kekse mochten, fragte er sich und öffnete währenddessen bereits die Tür. Mit der Tüte bewaffnet näherte er sich vorsichtig dem Bären, der einen friedlichen Eindruck machte und ihn links liegen ließ. Also nahm er einen Keks und warf ihn Richtung Bär. Dieser reagierte sofort, fraß den Keks und schaute sich suchend um. Ein Keks nach dem anderen verschwand in der Schnauze des Bären. Schließlich waren alle Kekse verteilt, der Tourist drehte die Tüte um, schüttelte sie und zeigte dem Bären, dass sie leer war. Eine eindeutige und verständliche Geste. Die Fütterung war zu Ende. Der Urlauber dreht sich um und ging … doch er hatte keine Chance. Der Bär griff ihn blitzschnell an. Schwerverletzt überlebte er dank dem  aufmerksamen Parkpersonal.  

Diese wahre Begebenheit erzähle ich meinen Seminarteilnehmern, wenn es um Bedürfnisse, Motivlagen und die Entwicklung von Aggressivität geht. Zuerst scheint sie weithergeholt. Schließlich haben es die Mitarbeiter eines Jobcenters weder mit Schwarzbären zu tun, noch machen sie Urlaub am Schreibtisch. Aber je intensiver sie sich mit der Thematik auseinandersetzen, desto nachdenklicher werden sie und erarbeiten in Kleingruppen Parallelen zur eigenen Situation. Als Mitarbeiter im Jobcenter verteilen sie zwar keine Kekse, aber Geld und Unterstützung. Wenn Zuschüsse gestrichen werden, bestätigen mir zahlreiche Angestellte ruppiges, aggressives oder sogar handgreifliches Verhalten der Kunden. Der Druck ist enorm, auf beiden Seiten. Das Fazit der Geschichte ist schnell klar. Erstens: mache nie eine Zusage, die nicht gehalten werden kann. Zweitens: beschränke die Zusage auf einen bestimmten Zeitraum. Und drittens: bleibe immer professionell und versuche nicht, dich durch besondere Zuwendung oder Aufmerksamkeiten beliebt zu machen.

Der Auslöser für das Thema Sicherheit ist in den meisten Fällen eine Gefährdung, ein unangenehmes Ereignis. So war es auch in diesem Fall. Im September 2012 ist eine 32-jährige Arbeitsvermittlerin im Jobcenter in Neuss von einem Kunden erstochen worden. Niemand mag sich solch eine Situation vorstellen. Die Frage, wie wir selber in Krisensituationen reagieren, tauchte auf. Der Satz: „Bei uns wird schon nichts passieren“, beruhigte in diesem Fall den Geschäftsführer eines baden-württembergischen Jobcenters nicht. Er konnte über Wochen nicht mehr schlafen und suchte sich Unterstützung. Die Polizei machte eine Begehung der Räumlichkeiten und ich stellte ein Tagesseminar zusammen. Die KIK-Akademie aus Ulm vermittelte den Auftrag.

Einfache Sicherung im Eingangsbereich des JobCenters: Trennscheiben schaffen Distanz. Damit sich solch eine lebensbedrohliche Situation nicht wiederholt, spielen die Themen Aufmerksamkeit und Intuition eine große Rolle. Aufmerksam zu sein ist weder aufregend noch actionreich, für die Sicherheit aber wesentlich. Durch kontinuierliche Aufmerksamkeit können wir im Vorfeld kleinste Änderungen wahrnehmen und agieren, statt nur zu reagieren.

Intuition ist spannender. Intuitionen sind Informationen aus dem Unterbewusstsein. Sie sind weder logisch noch begründbar. Deshalb werden sie häufig mit Gefühlen gleichgesetzt. Doch das ist nicht korrekt. Im ersten Schritt lernen die Teilnehmer zu unterscheiden zwischen gewerteten Gefühlen und wertfreien Informationen – den Intuitionen. Das Wahrnehmen dieser inneren Botschaften ist der nächste Schritt. Der eigenen Intuition zu glauben und danach zu handeln, erhöht die Sicherheit wesentlich.

Zu den notwendigen Maßnahmen im Vorfeld gehören auch Verhaltensweisen, die einleuchtend und „normal“ sind. Eigentlich kennt jeder die scheinbar profanen Dinge wie: Schließen sie ihre persönlichen Dinge weg, stellen sie potenzielle „Wurfgeschosse“, wie Tassen, Locher, Tacker, Scheren nicht in Reichwerte der Kunden auf den Schreibtisch, kennen sie die Fluchtwege, seien sie professionell freundlich, grüßen sie auf dem Flur und verbreiten Sie eine Atmosphäre von Kompetenz und Taktgefühl. Geschrieben und ausgesprochen sind diese Hinweise einfach, doch die Umsetzung lässt zu wünschen übrig. Schon Johann Wolfgang von Goethe sagte: „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“  Heute weiß man: Wenn Erkenntnisse eines Seminartages  innerhalb von 72 Stunden umgesetzt werden, war die Schulung nützlich.

Seminarinhalt Am Schluss des Seminars lernen die Teilnehmer das stärkste unserer Egobedürfnisse kennen und probieren Strategien aus, ihm zu begegnen. Es nennt sich: „Recht-haben-wollen – ums Verrecken“. In einem kurzen Rollenspiel greife ich als konfrontativer Kunde meine Teilnehmer verbal an. Ich bin hartnäckig mit meinen Forderungen und laut im Auftreten. Ich will, dass man mir zuhört und das fordere ich ein. Alle Beschwichtigungsversuche und jede Freundlichkeit ignoriere ich. Sie machen mich nur noch wütender. Sobald mir jemand recht gibt und antwortet, dass er möglicherweise wirklich nicht richtig zugehört hat, lässt meine Aggression schlagartig nach. Endlich versteht mich jemand und gibt mir Recht. Recht geben in der Sache, erfordert innere Stärke und Abstand zu den eigenen Gefühlen. Ich sage nicht, dass diese Methode einfach ist, sondern nur, dass sie funktioniert. Wenn Sie diese Fähigkeit trainieren wie einen Muskel, werden sie immer besser und besser im Umgang mit aggressiven Zeitgenossen.

Ein Tagesseminar macht aus Mitarbeitern keine Sicherheitsprofis. Aber es macht wach, aufmerksam, schweißt zusammen und gibt neue Perspektiven und Lösungen für alte Probleme.
Sollte trotz aller Vorsicht und Umsicht plötzlich ein Hüne von einem Mann vor dem Schreibtisch stehen und nicht nur verbal drohen, können Mitarbeiter eines JobCenters einen stillen Alarm auslösen. Die Abarbeitung dieses Notrufs war bisher ein Stiefkind und ist weder festgelegt noch geprobt worden. Das Seminar hat diese Lücke aufgedeckt und Maßnahmen in Gang gesetzt, eine funktionierende Lösung zu finden.

 

 

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