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Führungsmanagement als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses

Weiterhin Wüstenei in Deutschland oder Aussicht auf Besserung?

Von Stellv. Chefredakteur Peter Sehr

„Ich war noch nie so unsicher, was ich darf, und was nicht. Ich bin nun seit über 30 Jahren gegen Straftäter am Ermitteln. Heute weiß ich nicht mehr, was darf zu den Akten, was nicht. Und ich stehe nicht alleine da. Den anderen Ermittlern geht es genau so!
Unser Chef ist noch von der alten Schule. Der stellt sich auch vor uns. Aber das haben wir schon anders erlebt. Die meisten Chefs, die wir hatten, stehen hinter uns. Das heißt, sie tauchen ab, wenn es brenzlig wird.“

Dieses Gespräch führte ich kurz vor Weihnachten bei meinem Rundgang durch die Büros mit einer erfahrenen Kollegin.; Mit ihr war ich vor über 30 Jahren gemeinsam im Ermittlungsgeschäft. Es machte mich betroffen, da die Kollegin etwas ansprach, um das gerne ein Bogen gemacht wird: Die heutige Wahrnehmung von Führungsverantwortung unter Rahmenbedingungen, die im Augenblick maßgeblich sind.

Dieses Gespräch ging mir nicht mehr aus dem Kopf. In der Folgezeit sprach ich mit vielen Kollegen, Fachleuten, Managern und Menschen, die geführt werden. Mir wurde eines klar:  Führungsmanagement kann nicht als isolierter Prozess betrachtet werden. Vielmehr bettet sich dieser in eine sich sehr rasch wandelnde Gesellschaft ein. Das bedeutet, dass hier eine Fülle von Wechselwirkungen entstehen, die jeweils in beide Richtungen, nämlich Führung auf der einen Seite und gesellschaftlicher Wandel auf der anderen, wirken.

Die folgende Betrachtung versucht einige dieser Wechselwirkungen aufzuzeigen, setzt aber zuerst beim Führungsprozess in Behörden, aber auch in Konzernen und Unternehmen an.
Die folgende Betrachtung wird darauf keine umfassende Antwort geben können. Dazu bedarf es wissenschaftlich fundierter Untersuchungen. Vielmehr möchte ich meine eigenen Wahrnehmungen und Erfahrungen darstellen. Es ist kein besonders schönes Bild, was sich da zusammensetzt, und wird nicht jedem gefallen.
Ich überlasse es dem Leser, ob er meinen Ausführungen folgen will oder nicht.
Ich fürchte aber, (zu) viele werden nachvollziehen können, was ich in nunmehr fast 30 Jahren Führungsverantwortung resümieren muss.

Mobotix


Modernes Führungsmanagement

Erfolgreiches Führungsmanagement beruht in erster Linie auf der Fähigkeit Einzelner zum Führen. Der Vorgesetzte, der Chef hat hier durchaus eine Vorbildfunktion. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beobachten genau das Verhalten ihres Chefs. Wesentlich sind dabei u. a. Komponenten wie

  • Führungsverantwortung wahrnehmen,
  • Partizipation,
  • Empathie,
  • Delegation von Aufgaben und
  • Übertragung von Verantwortlichkeiten, vor allem aber
  • Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Diese erwarten von ihrem Chef, dass er seinen Bereich nach außen und innen angemessen vertritt. Sie erwarten, dass er gemeinsam mit ihnen die Ziele definiert, wohin das Unternehmen, die Behörde, die Organisationseinheit sich entwickeln soll. Sie erwarten Zuwendung ihres Chefs, dass er sich um die Probleme kümmert, sie Lösungen zuführt, und dass sie beteiligt werden an diesen Prozessen.

Dies bedeutet, dass ein Chef auch seinen Führungsanspruch geltend macht, vor allem, dass er in der Lage ist, situativ zu führen. Gerade in Krisen- und Belastungszeiten erwarten Bedienstete einen starken Chef. Klare und verständliche Weisungen helfen über Belastungen von außen leichter hinweg.
Insbesondere auch Begründungen, warum Entscheidungen getroffen wurden, eröffnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihre Nachvollziehbarkeit.

Gerade im polizeilichen Umfeld gibt es keinen Mangel an guten Führungsmanagementkursen. An der Deutschen Hochschule für die Polizei in Münster ist Führungslehre seit Jahrzehnten Schwerpunkt der Aus- und Fortbildung. Die Fachhochschulen des Bundes und der Länder haben hier ebenfalls intensive Ausbildungsgänge.
Die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) und andere öffentliche wie auch private Schulungsangebote runden das reichhaltige Angebot zum Erlernen von Führung ab.

 
Raue Wirklichkeit oder subjektive Wahrnehmung?

Moderne Führung bedeutet unter anderem die Übertragung von Aufgaben in Eigenverantwortung.
Dieser Prozess bedeutet, dass der Chef darauf vertraut, dass seine Mitarbeiterin oder Mitarbeiter die ihm übertragene Arbeit auch entsprechend seinen Vorstellungen erledigt.
Das Delegationsprinzip überträgt daher im großen Maße Verantwortung an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die zweite Botschaft ist: Ich als Vorgesetzter habe Vertrauen in meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass sie die Aufgaben auch im vereinbarten Rahmen erledigen werden.

Doch warum wird Führung offensichtlich nicht so gelebt, wie es gelehrt wird? Warum tauchen immer mehr Führungskräfte ab, wenn sie gefordert sind?
Und wie sieht es überhaupt in der freien Wirtschaft, in Unternehmen aus?
Sind die Versager im Führungsgeschäft Einzelfälle, oder gibt es die „Nieten in Nadelstreifen“ flächendeckend und auf allen Führungsebenen?

Feststellbar ist, dass modernes Führen im Sinne der vermittelten Führungslehre  immer weniger zur Anwendung kommt, vielmehr zunehmend Führungs- und Entscheidungsprozesse „nach oben“ verlagert werden. Das Prinzip, dass die unterste entscheidungsfähige Ebene die entsprechenden Entscheidungen selbst trifft, ist in vielen Behörden (und Unternehmen) ausgehebelt.
Betrachten wir zuerst einmal den öffentlichen Bereich, insbesondere:

 
Obere Bundes- und Landesbehörden

In Deutschland haben wir überwiegend präsidial geführte Behörden. Behördenleiter kommen nie aus dem „Off“, sondern durchleben in der Regel eine Laufbahn, die sie zu einem relativ späten Zeitpunkt ihres Arbeitslebens an die Spitze einer Behörde bringt.
Dabei sind parteipolitische Festlegungen der besagten Kandidaten bei einer Neubesetzung allein deshalb schon eher die Regel als die Ausnahme, weil Behördenleiter schließlich auch die Umsetzung der Politik einer Regierung sicherstellen sollen.

Regierungen achten aber auch darauf, dass Behörden nicht ausschließlich durch eigene parteinahe Beamtinnen oder Beamte geführt werden. Gerade bei jüngeren Regierungswechseln hat die früher übliche „Entlassungswelle“ nicht parteizugeneigter Spitzenbeamtinnen oder Spitzenbeamten spürbar nachgelassen. Dies ist auch Kalkül, bringt man damit auch die Opposition mit ins Boot, ohne dass diese unmittelbare Verantwortung übernimmt.
Leiter von unmittelbar den Ministerien nach geordneten Behörden sind in der Regel auch „politische“ Beamte. Dies bedeutet, dass sie jederzeit aus ihrer Funktion entfernt werden können, wie unlängst bei der Bundespolizei und dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder einigen Landesverfassungsschutzämtern geschehen.
Dadurch kumuliert sich ein entsprechender Druck immer gegen die Spitze einer Behörde. Und dieser Druck wird sehr schnell und nachhaltig aufgebaut.

Oppositionsparteien, Bürgerbewegungen, Verbände, so genannte Enthüllungsjournalisten und Andere, welche Motivation sie auch immer haben, versuchen systematisch „Missstände“ im Regierungsapparat und seinem Umfeld zu erkennen und aufzudecken. Gerade Medienvertreter, sei es aus eigenem Antrieb oder „aufs Pferd gehoben“, neigen zur sofortigen Skandalisierung. Im Internet brechen wegen angeblicher Skandale unsägliche „Shitstorms“ los. Es entsteht ein Teufelskreis, der nicht selten hysterische und zuweilen abstruse Züge annimmt. Keiner besitzt mehr die Souveränität und das Durchhaltevermögen, dies zu überstehen. Vielmehr wird sofort hektischer Aktionismus verbreitet.
Folglich kommen sofort oder zumindest zeitnah entsprechende Reaktionen der betroffenen – will heißen: angegriffenen – Seite.

Mittlerweile ist es gängige Praxis, dass aus dem Parlament Kleine Anfragen initiiert werden, die häufig mehr als 50 Fragen umfassen, die in sich nochmals in teilweise mehr als 10 Unterfragen gegliedert sind und dabei eine Detailtiefe erreichen, wo man sich die Frage stellen muss, was das im parlamentarischen Raum für eine Rolle spielt.
Bei einer derart kleinteiligen Befragung sind Fehler dann programmiert, wenn man bei der Beantwortung nicht über eine sehr genaue Dokumentation verfügt und/oder nicht höchst akribisch antwortet. Es kommt immer häufiger vor, dass ganze Bereiche von Behörden durch die (zeitlich immer vorrangig zu behandelnde) Kleinen Anfragen weitgehend für die eigentlich zu verrichtende Arbeit lahmgelegt werden.

Eine der spürbaren negativen Nebenwirkungen ist, dass die Kleinen Anfragen mit den Antworten der Regierung und entsprechender Kommentierung dann im Internet weltweit zu lesen sind. Darüber entsteht immer wieder  großer Frust, zumal es spürbare Auswirkungen gibt – in der internationalen Zusammenarbeit kommt es schlichtweg zur Einstellung der Zusammenarbeit in bestimmten sensiblen Bereichen. Der Vorwurf: Ihr Deutschen tretet alles in euren Medien breit. Wie kann man da vertrauensvoll zusammenarbeiten, wenn sensible Daten immer wieder in den Medien veröffentlicht werden?
Und noch eins: Vor lauter Skandalen werden die wirklichen gar nicht mehr in ihrer Konsequenz wahrgenommen. Wenn die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, entsteht bald eine ganze Herde.
Doch was hat das mit Führung zu tun?
Für eine Fehlauskunft, einen Fehler, eine Nichtauskunft, für ein Verhalten von Behördenbediensteten steht immer der Behördenleiter gerade. Der Vorwurf: Er hat dem Parlament gegenüber Falschauskünfte gegeben, Informationen vorenthalten usw. Dann folgen Prozesse, die in den Medien zu verfolgen sind: Da hat ein Präsident seine Behörde nicht im Griff, bis hin zum Vorwurf der bewussten Täuschung. Alle Vorwürfe, und seien sie auch noch so haltlos, werden auf allen möglichen Ebenen und von allen möglichen „Experten“ oder solchen, die es gerne sein wollen, erhoben. Gelingt es, einen Behördenleiter zu Fall zu bringen, gereicht dies zum Nachteil der Regierung.
Dabei spielt es auch nur eine nachgeordnete bis keine Rolle, ob die Reputation eines Menschen vernichtet wird oder nicht.

Wir alle erinnern uns noch an Jörg Kachelmann. Egal, wie man nun zu den ihn betreffenden Vorfällen steht: Kachelmann wurde frei gesprochen. Aber: Ist es vorstellbar, dass er wieder in sein altes Leben zurück kann, das er vorher führte? Und was ist mit den vielen Bauernopfern, die sich in den Jahrzehnten der Republik angesammelt haben? Reicht es da aus zu sagen: Dafür werden (oder wurden) sie bezahlt?


Was löst nun diese Prozesse der Angriffe auf breiter Front auf Seiten der Behördenleiter aus?

Sie versuchen, nun möglichst unangreifbar zu werden. Das heißt, dass Sensibilität dahin entwickelt wird, wie Politik, Medien, Interessenverbände und Betroffene reagieren könnten. Dabei ist nicht mehr Recht und Gesetz handlungsleitend, sondern die zu erwartende Reaktion auf eine durchaus rechtmäßige Aktivität. Es hat sich folglich durchgesetzt, dass nicht mehr alles getan werden darf, was rechtlich erlaubt ist.
Somit ist die entscheidende Fragestellung: „Wenn meine Behörde dies oder das tut, wie stehe ich in den Medien da?“ Dies wird zum beherrschenden Mittelpunkt der Behördenpolitik.

Securitas

Wie kann nun organisiert werden, dass eine große, aus mehreren hundert oder tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehende Behörde das tut, was opportun ist?
Organisiert werden muss ein Informationsdienst, der einher geht mit der Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Alles, was irgendwie von einer gewissen Tragweite sein könnte, muss dem Behördenleiter gemeldet werden. Da in der Regel im Nachhinein definiert wird, was wichtig oder gefährlich ist, und was nicht, führt dies zu Verunsicherungen, oftmals sogar zur Ängstlichkeit. Daraus folgt, dass nahezu alles gemeldet wird, was Relevanz haben könnte. Denkt man diesen Prozess weiter, so benötigt man dann auch entsprechend Manpower, um die Informationen aufnehmen zu können, und man benötigt Fachwissen und Erfahrung, diese Informationen bewerten zu können. Zur Lösung dieser Aufgaben müssen Behördenleiter in erster Linie über wirkungsvolle Stäbe verfügen.

Weitere Konsequenz: Behördenleiter ziehen Kompetenzen über zu treffende Entscheidungen wieder an sich. Nach „oben“ verlagerte Entscheidungsprozesse benötigen große Stäbe, die entsprechende Zuarbeiten, wie oben ausgeführt, einfordern oder initiieren. Begreift man Stäbe als „verlängerte Arme der Chefs“, dann sind große Stäbe omnipotente Gebilde, die weitgehend die Führung einer Behörde organisieren.

Die Linie wird mehr und mehr zum ausführenden Organ ohne rechte Kompetenzen. Insbesondere wenn die Ressourcensteuerung, also Personal- und Haushaltsmittelzuweisung, zentral vorgenommen wird, sind die Rahmenbedingungen, in denen man sich bewegt, äußerst eng beschnitten.
Möglicherweise lehnt sich ein bestimmtes Klientel ruhig zurück und meint: Ist doch genau richtig so, wollen wir, es geht doch!

Sicher lassen sich mit derart strukturierten Behörden zielgerichtet Politik umsetzen. Vergessen wird aber allzu oft, dass es Menschen sind, die anonymen Behörden Gesichter verleihen.
Und letztlich führen diese Prozesse zu Verunsicherungen, zu einem Klima der Angst, zu Aktionismus im Rahmen des vorauseilenden Gehorsams.


Führung in Ministerien

Ein ganz dunkles Kapitel betrifft die Führung in Ministerien. Der Nachwuchs in Ministerien wird ausschließlich unter sach- und aufgabenbezogenen Kriterien gewonnen. Das heißt, es erfolgen entsprechende Ausschreibungen von Planstellen, um vornehmlich Volljuristen für bestimmte Referentenstellen zu gewinnen. Die Voraussetzungen, dass die Kandidaten später auch Führungsaufgaben zu versehen haben, werden in den Ausschreibungen nicht definiert und sind somit auch nicht Bestandteil eines Auswahlverfahrens für die Einstellung im höheren Dienst eines Ministeriums.

Ein(e) Referent/Referentin durchläuft die ersten Jahre seines/ihres Beamtenlebens unter der Beobachtung der Vorgesetzten, die sich über den jeweiligen „Wert“ ihrer Referentinnen und Referenten ausschließlich an Arbeitsfaktoren ausrichten, die einen überwiegend reinen Aufgabenbezug ausweisen. Will heißen: Ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Führungsaufgaben geeignet sind oder nicht, spielt erst einmal keine vorrangige Rolle. Wenn Führung zu irgendeinem Zeitpunkt einmal eine Rolle gespielt hat, dann für die die überwiegend männlichen Referenten bei der Bundeswehr.
Ob dann aber gerade die bei der Bundeswehr vermittelten Führungserfahrungen die richtigen für eine moderne Führung in Ministerien sind? Da kann man große Zweifel haben.


Zwischenbetrachtung: Die Bundeswehr

Auch gibt es wohl in der Bundeswehr selbst auch Stimmen, die zunehmend Kritik an der Ausrichtung der Wehr sowie deren Führung finden. So hat sich Ende 2012 der ehemalige Admiralsarzt und Leiter des Sanitätskommandos II nach 38 Jahren in den Ruhestand verabschiedet, weil er „zu der Bewertung gekommen ist, dass seine persönlichen Vorstellungen über einen zukunftsfähigen, erfolgreichen, menschenorientierten Sanitätsdienst mit dem von ihm wahrgenommenen Entwicklungen nicht mehr in Einklang zu bringen sind“(Nassauische Neue Presse vom 4.1.13). Dies wirft auch ein bezeichnendes Licht auf Führung in der Bundeswehr.

Und überhaupt: Man kann nicht ernstlich erwarten, dass das Führungsverständnis von Befehl und Gehorsam, wie es in der Bundeswehr vermittelt wird, so in eine moderne Arbeitswelt übertragen werden kann.
Auch stellt sich die Frage bei der Fülle der jungen Leute, die ihre Karriere bei der Bundeswehr abbrechen, ob diese wirklich ein völlig falsches Berufsbild vor Augen hatten, oder ob nicht doch das Verständnis von Befehl und Gehorsam innerhalb der Truppe zum Showstopper wurde.

Um zu den Nachwuchsführungskräften in den Ministerien zurück zu kommen - sicherlich werden hier Führungsmodule z.B. bei der Bundesakademie für Öffentliche Verwaltung angeboten. Dies sind auch sehr sinnvolle Bausteine, die jungen Führungskräften oder solchen, die es werden wollen, wertvolle Hilfestellungen bieten, um dann auch notwendige Sicherheiten zu erlangen, die man im Führungsgeschäft braucht. Sie lassen aber alle das entscheidende Kriterium außer Acht, ob denn überhaupt ein Kandidat in der Lage ist, zu führen oder nicht.

Ein Gespräch am Rande des 16.  Europäischen Polizeikongresses  mit einem Referatsleiter aus dem BMI machte mir auch ein weiteres Problem deutlich: Kaum ein Referatsleiter im BMI erreicht sein Pensionsalter. Viele haben bereits deutlich vor der Altersgrenze erhebliche gesundheitliche Probleme bis hin zum Burn-Out. Offensichtlich ist der Verschleiß hier ein ganz erheblicher, und es sind weit und breit keine systematische Aktivitäten erkennbar, die dem entgegen wirken.


Großkonzerne und Großunternehmen

Man ist durchaus versucht zu sagen: Großunternehmen bzw. international agierende Konzerne sind ähnlich wie Behörden strukturiert und organisiert. Mag das vielleicht bei der Post und der Bahn für einige Zeit nach der Privatisierung gegolten haben, so ergibt sich doch heute ein ganz anderes Bild. Oftmals werden die Topmanager nicht aus den eigenen Reihen gewonnen, sondern werden von anderen Unternehmen abgeworben. Dabei spielen überwiegend zwei Komponenten eine Rolle: Für das Unternehmen soll es eine Weiterentwicklung geben, die sich finanziell rechnet. Je mehr Gewinn, desto besser für das Unternehmen (und damit die Aktionäre). Folglich sucht man durchsetzungsstarke Macher, die den sachlich- fachlich geprägten und gewinnorientierten Vorstellungen des Unternehmens möglichst nahe kommen. Für den Beworbenen rechnet sich das insofern, dass diese Managerposten in der Regel hoch bezahlt sind. Zudem sind die persönlichen Risiken eher gering, da durchweg vertraglich bei einem Ausscheiden (oder Scheitern) Abfindungssummen gezahlt werden, die es ermöglichen „mehrmals“ in den Ruhestand einzutreten. Nebenbei bemerkt: Rechnet wirklich jemand in Deutschland damit, dass wir dem Schweizer Beispiel folgen? Ich tue das nicht.
Und darüber hinaus scheinen die Deutschen einen Führungstypus zu bevorzugen, der sich durchaus mit paranoiden Zügen auskennt.

Kötter

Diese Manager haben erst einmal überhaupt keine Anbindung an das von ihnen zu führende Unternehmen. Natürlich sucht man sich die Leute, die sich karrierebewusst anbieten. Bis aber die Frage der Loyalität und die tatsächliche Eignung dieser Leute ausgetestet sind, bedarf es einer anderen Führungsstruktur. Diese wird dann vom freien Markt gewonnen, oder aber vom neuen Manager mitgebracht.
Es entstehen somit oftmals Situationen, wie sie in von den Assyrern unterworfenen Ländern im 1. Jahrtausend vor Christus herrschten: Dort wurden die herrschenden Schichten eines Volkes gegen die eines anderen unterworfenen Volkes ausgetauscht. Folge war eine „Sprachlosigkeit“ zwischen der Führungsschicht und dem Rest des Volkes. Revolten waren da nicht mehr zu erwarten.

Die „moderne“ Führungskultur in den deutschen Unternehmen ist bei einer solchen Organisation zwangsläufig nicht bzw. wenig an den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, schon mal gar nicht an deren Beteiligung und Mitwirkung an der Konzerngestaltung interessiert, auch wenn man dies immer wieder vorgibt. Die Personalentwicklungen großer Unternehmen in den letzten Jahren sprechen da eine ganz andere Sprache. Qualifiziertes Personal wird wegen zu hoher Kosten entlassen, durch Leiharbeiter ersetzt, und nebenbei nimmt man noch alle Vergünstigungen der staatlichen Programme mit.

Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass alle Konzerne so strukturiert sind, wie hier kurz skizziert. Es gibt auch sehr seriös geführte Firmen mit einer durchaus mitarbeiterorientierten Ausrichtung. Sie sind anscheinend aber nicht sehr zahlreich, wenn denn immer wieder die gleichen Unternehmen für eine positive Berichterstattung in den Medien vorgestellt werden.
Betroffen machte mich aber ein sehr ehrliches Gespräch mit einem Insider eines großen Konzerns, der es verstanden hatte, mir anhand von Beispielen aufzuzeigen, wie desolat es wirklich mit moderner Führung in diesen (und auch anderen) Großunternehmen bestellt ist.
Man sucht also auch hier vergeblich nach einem institutionalisierten Führungssystem. Natürlich gibt es Großunternehmen, die eine Menge für ihren Führungsnachwuchs tun. Ob es dann zielführend ist, eine Gruppe derart zur Verbesserung der Teambildung zu manipulieren, dass sie sich als blökende Herde auf allen Vieren durch Hörsäle bewegt?
Und weiterhin: Die Frage ist auch nach wie vor, wie Führungsnachwuchs generiert wird. Wo kommen diese Leute her, die später die Geschicke eines Konzerns in die Hand nehmen?
Hier entscheiden sich junge Menschen für ein Studium der Volks- oder Betriebswirtschaft, ohne eigentlich konkret zu wissen, was später an Aufgaben auf sie zukommt. Sicher werden dort auch Module über Führungsmanagement vermittelt. Die entscheidende Frage, ob diese jungen Menschen überhaupt geeignet sind, andere zu führen, wird nicht gestellt; Probleme entstehen dann garantiert, wenn junger Führungsnachwuchs auf ältere zu führende Beschäftigte prallt.


Führungsnachwuchs - die Ära der Blender

Foto: BilderboxBeobachtbar ist in diesem Zusammenhang, dass in Führungsetagen mehr und mehr Führungskräfte auftauchen, die eines gemeinsam haben: Sie treten smart auf, sind eloquent und verstehen in Präsentationen zu überzeugen. Gibt man sich Mühe und schaut auf die tatsächlich übermittelten Essentials, so stellt man mehr und mehr fest, wie viel heiße Luft da verkauft wird. Wenn Konzepte dergestalt verkauft werden, dass erst einmal seiten- und kapitelweise historische Betrachtungen, Benennung und Interpretation des Auftrages, Beteiligungen, Beschlusslagen, Termine von Tagungen etc. breiten Raum einnehmen, die vorgeschlagenen Lösungen aber kaum erkennbar oder recht übersichtlich folgen, um den Betrachter dann in der Erkenntnis zurücklassen, dass man zum Beispiel die Aus- und Fortbildung verstärken muss, dann empfinde ich das schon mehr und mehr als Frechheit. Es bleibt einem gerade deswegen aber die Spucke weg, weil diese Typen damit auch noch durchkommen.
Es ist wohl der Trend, dass die Verpackung mittlerweile wichtiger ist als der Inhalt.


Der Mittelstand

Betrachten wir den in Deutschland wohl wichtigsten wirtschaftlichen Faktor, den Mittelstand.
Wie wird in mittelständischen Unternehmen geführt? Hier kommt es erst einmal darauf an, wie das Unternehmen strukturell aufgestellt ist.
Handelt es sich um ein Familienunternehmen, dann liegt es ganz entscheidend an den jeweiligen Akteuren der Familie, wie sie mit ihrer Belegschaft umgehen. Kleine Unternehmen sind vor Ort stark in gesellschaftliche Prozesse eingebunden. Hier hat ein Arbeitgeber auch einen guten Ruf zu verlieren. Er achtet also bei seinem Führungshandeln um so mehr auf ein gedeihliches Zusammenleben mit seiner Belegschaft, je mehr ihm daran gelegen ist, in der (lokalen) Gesellschaft einen guten Ruf zu haben und als „guter“ Arbeitgeber akzeptiert zu werden.

Wachsen aber mittelständische Betriebe derart, dass die Geschäftsleitung oftmals aus familiärer Hand gegeben werden muss, dann erfolgt in der Regel die Anstellung eines CEO, wobei bei dessen Gewinnung eher wieder die Prinzipien greifen wie bei Großunternehmen. Man schaut also eher in Richtung Durchsetzung von Gewinnoptimierungen und weniger nach einem gedeihlichen Zusammenleben mit den Beschäftigten. Dann gelten die gleichen Rahmenbedingungen, wie ich sie oben geschildert habe.

Ernüchternd bleibt festzustellen, dass auch in mittelständischen Unternehmen institutionalisierte Führungsprinzipien nicht vorhanden sind und gut geführte Unternehmen im Sinne einer mitarbeiterorientierten Führung eher auf Eigeninitiativen beruhen denn auf einer irgendwie gewachsenen Erkenntnis, dass das größte Potenzial eines Unternehmens die Menschen im Unternehmen sind.

Foto: BilderboxAlte tradierte Prinzipien, wie sie gerade die Bundesrepublik nach den verlorenen Weltkriegen stark gemacht haben, nach denen Unternehmer für Arbeitsplätze sorgen und Beschäftigte im Gegenzug sich für ihre Firmen, für ihre Unternehmen mit allem einbringen, gibt es so nicht mehr.
Selbst wenn ein Unternehmen „Glück“ haben sollte, dass plötzlich im geschäftsführenden Vorstand die Erkenntnis reift, dass man die Mitarbeiterschaft mitnehmen, ja erreichen muss, so scheitert eine Verbesserung in der Regel daran, dass die alten Führungskader nicht ausgetauscht werden.

Ein Beispiel: Ein großer deutscher Nahrungs- und Genussmittelkonzern mit fünfstelliger Personalbelegschaft in Europa stellte einen neuen CEO ein. Der ließ eine Personalbefragung durchführen, die mit einem katastrophalen Ergebnis für die Führungsmannschaft des Konzerns endete. Die neuen, modernen Führungsstrukturen, die eingeführt werden sollten, werden nunmehr von den gleichen Leuten vermittelt, die vorher nichts Anderes im Sinn hatten, als die Organisationsziele des Unternehmens durchzupeitschen. Wie glaubhaft für die Belegschaft der (wirklich ernst gemeinte) Ansatz zur Verbesserung des Arbeitsklimas durch die Geschäftsleitung ist, kann sich jeder an einer Hand abzählen.


Burn-out und Krankheiten

Foto: BilderboxAls gäbe es nicht Alarmsignale genug: Burn-out Syndrome haben ganz Schichten von Erwerbstätigen erfasst. Eine Grippewelle jagt die nächste, Umfragen in Behörden (z.B. Bundespolizei) und Unternehmen ergeben zum Teil erschreckende Einblicke in Welten, die mit moderner Arbeitsgestaltung so viel zu tun haben wie Stefan Raab mit dem Ablegen eines Schweigegelübdes. Landauf landab sind die arbeitenden Menschen überfordert, ausgenutzt, fühlen sich hilflos. Sie sind in vielen Fällen trotz Vollbeschäftigung nicht in der Lage, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Die Wohlfahrt springt für diese Versäumnisse ein, die in den Städten entstandenen Tafeln versorgen zunehmend einen immer größeren Bevölkerungsanteil.

Angesichts dieser ernüchternden Situation stellt sich nun die Frage, was passieren muss, um zu einer halbwegs funktionierenden Arbeitswelt zu kommen, in der es nicht gegeneinander, sondern miteinander geht.
Die Antwort lautet: Es gibt hier keinen kurzfristigen Ausweg.


Gesellschaft und Politik: Zwei Welten prallen aufeinander

Unsere Gesellschaft ist für eine moderne, dem Lehrbuch entsprechende Führung, überhaupt nicht ausgelegt. In Deutschland wird durch verantwortungslose Manager vorgelebt, dass man sich ungeniert die Taschen vollstopfen kann. Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Keiner stoppt das ungenierte Treiben, und es stellt sich die Frage, wie viele Crashs es noch geben muss, bis diese gesellschaftlichen Amokläufer an die Kette gelegt werden. Da stellt sich unter anderem die Frage, wer denn die Kette hervor holen und anlegen soll. Politiker?

Unsere Politiker wetteifern regelmäßig mit den Autoverkäufern um die hintersten Ränge im Ansehen der Berufe. Sicherlich haben wir integre und fähige Politiker. Es scheinen aber in der Wahrnehmung der Gesellschaft zu wenige zu sein, die ernstlich als Vorbilder gelten können. Die Meisten sind es offensichtlich nicht. Politiker werden wohl von vielen Bürgern als unkontrollierte Selbstversorger wahrgenommen. Lobbyismus, Beraterverträge und Sponsorentum verhindern offensichtlich das für viele Bürger sehnlichst erwartete Durchgreifen und Beseitigen von Missständen, die sich mittlerweile in der Gesellschaft anhäufen.

Der Staat zieht sich immer mehr aus seinen Aufgaben der Gestaltung einer sozialen Gesellschaft zurück und überlässt überforderten Eltern und Erziehungsbeauftragten das Feld. Fernsehen und Computer übernehmen noch mehr die Freizeitgestaltung unserer Kinder. Das Internet versorgt Kinder und Jugendliche mit Informationen, Nachrichten, Meinungen, Trends und auch kriminellen Dingen und vermittelt eines nicht: Dass man sich an Normen hält, und das es Werte gibt, die man als Teil der Gesellschaft internalisiert haben sollte.

Foto: BilderboxDie Ergebnisse kann man bei jeder Busfahrt mit Transport von Schulkindern erleben: Alte Leute versuchen erst gar nicht mehr, zu einem Sitzplatz zu kommen, da sich Kinder ganz selbstverständlich die Plätze reservieren. Jeder Bürger tut mittlerweile gut daran zu überlegen, ob er sich in Streitigkeiten von Kindern einmischt. Sitzen da beispielsweise Zwölf- und Dreizehnjährige mit teilweise erschreckender krimineller Energie, so bedeutet Einmischung oftmals in Kauf zu nehmen, dass eine Situation ganz schnell eskaliert. Der Ärger ist programmiert, da man sich unter Umständen anschließend als Täter wiederfindet, der armen Kindern „Böses“ angetan hat. Zeugen finden sich da viele.

Ach ja, das Fernsehen: Das weitestgehend sinnfreie Fernsehen insbesondere der Privatsender am Nachmittag führt durch gezielte aggressive Werbung für die Zielgruppen Kinder und Jugendliche zu fatalen Folgen wie Fehlernährung, Wecken von teilweise sehr teuren Wünschen nach Gebrauchsgegenständen wie Smartphones, Computerspielen, Designerkleidung und vieles mehr.
Eltern stecken hier plötzlich in ihrer eigenen Falle, weil sie ihren Erziehungsauftrag dem Fernsehen überlassen haben.  

Dass auch Kinder und Jugendliche die Rollen von Tätern und Opfern schnell wechseln, zeigen die Mobbingfälle insbesondere im Umfeld der Schulen. Die jungen Menschen werden zu oft mit diesen Problemen allein gelassen. Lehrer sind hier oftmals die Instanzen, die in die Bresche des versagenden Elternhauses einspringen müssen. Nirgendwo in Europa werden übrigens Lehrer besser bezahlt als in Deutschland, und nirgendwo in Europa gibt es frustriertere Lehrer als in Deutschland.

Mag dieses Bild auch sehr drastisch daher kommen und nicht für alle Kinder und Jugendliche gelten, es zeigt  aber doch das Problem auf, das unsere Gesellschaft hat:
Viele Jugendliche erreichen keinen Schulabschluss. Viele treten mit erheblichen persönlichen Defiziten in das Berufsleben ein.  Und noch einmal:
Werte und Normenorientierung werden nicht in dem Maße vermittelt und durch die jungen Menschen internalisiert, wie es erforderlich wäre, die Gesellschaft wieder hin zu einem würdigen Miteinander umzugestalten. Fängt eine Gesellschaft an, Normenverstöße zu tolerieren, ergeben sich  hierdurch gefährliche Erosionen für ihren Fortbestand: Wo werden noch Grenzen gesetzt? Wer setzt diese mit welcher Legitimation? Wenn unsere in der Öffentlichkeit stehenden Politiker, Schauspieler, Manager und Kirchenfürsten keine Vorbilder mehr sind und sich nicht als solche verhalten wollen oder können, reichen dann auch nicht mehr die Reden des Bundespräsidenten, der die Missstände ja durchaus anspricht, im Grunde genommen aber noch davon ausgeht, dass die Gesellschaft funktioniert.

Nachhaltige Verbesserungen gehen in der Gesellschaft immer nur radikal, oder?
Für unsere Gesellschaft steht viel auf dem Spiel. Meine Ausführungen sollten vor allem eines aufzeigen: Führungsprozesse sind Bestandteil von Gesellschaftsprozessen und sind von vielen Gestaltern abhängig. Veränderungen zum Positiven kommen da nicht geschmeidig um die Ecke - diese Prozesse müssen deutlich radikaler (im positiven Sinne dieses Wortes) initiiert werden.
Das heißt insbesondere: Schluss mit dem Heraushalten des Staates aus dem privaten Umfeld von Familien. Werte und Normen müssen wieder umfassend vermittelt werden.

Ausgrenzung von Personengruppen und Ethnien darf nicht mehr stattfinden. Die Integration von Minderheiten muss vorrangiges Ziel einer neuen, modernen Gesellschaft werden. Dazu gehört auch ein anderes Staats- und Gesellschaftsverständnis. Unser Staat, unsere Gesellschaft darf nicht als Rundum-Versorger wahrgenommen und missbraucht werden, sondern als Gemeinschaft, in der jeder für den anderen einzustehen hat. Solidarität sollte also kein beliebiger Begriff sein, sondern Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens.

Foto: BilderboxWürde dies von der Politik aufgegriffen und in Umsetzung gebracht, sollten sich viele Probleme lösen lassen, die heute unsere Gesellschaft belasten und zu einem erheblichen Politikverdruss gesorgt haben.
Aber neben den generellen Anforderungen an unsere Gesellschaft sollte eines nicht vergessen werden: Jeder von uns ist Teil der Gesellschaft, und jeder könnte für seinen Bereich anfangen, Dinge zu verbessern.

Gehören Sie, verehrte Leserin, lieber Leser, dem Führungsmanagement an, dann denken Sie doch darüber nach, was Sie im Rahmen Ihrer „Lufthoheit“ verbessern können: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Entscheidungen beteiligen, ihnen vertrauen, Aufgaben delegieren. Ein gutes Vorbild sein. Zeit für Probleme haben, diese wahrnehmen und bei der Lösung helfen.
Oder aber schlicht Führungskurse besuchen und Management lernen. Hierzu ist es nie zu spät.
Es liegt letztlich an Ihnen, ob Sie bereit sind Dinge zu ändern, um dadurch Missstände zu beseitigen, oder nicht.

 

 

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