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 Gewerbe- und steuerrechtliche Auskünfte an die Polizei

Dürfen Hintergrundinformationen dieser Art von der Polizei ermittelt werden?

Teil 1

Von Thomas Lenz

In vielen Bereichen benötigt die Polizei Hintergrundinformationen, um eine Gefahr oder das Ausmaß möglicher Straftaten besser einschätzen zu können oder um Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen zu erhalten, z.B. welche Geschäftskontakte eine bestimmte Zielperson hat. Deutlich wird das am zur Zeit virulenten Problem „Rockerbanden“. Der tragische Tod eines Polizeibeamten im März 2010 bei einer Durchsuchung bei einem Mitglied der „Hells Angels“ lenkte den Fokus auf Gruppierungen dieser Art, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ein Leben außerhalb der Gesellschaft und deren Normen zu führen vorgeben. In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass gerade die Hells Angels auch im Bewachungsgewerbe, also gewerblich, tätig sind und in erstaunlichem Umfang über waffenrechtliche Erlaubnisse für großkalibrige Schusswaffen verfügen. Ans Tageslicht kam aber auch, dass die Polizei recht wenig über diese streng abgeschotteten Gruppen wusste. Insbesondere war weder der genaue Mitgliederumfang noch der des Umfeldes (Supporter u.a.) bekannt. Ein Ermittlungsansatz wäre immerhin, bei Gewerbe- und Steuerämtern Daten über Beschäftige und Geschäftspartner zu erheben. Ob dies, und wenn ja in welchem Umfang möglich ist, soll die nachfolgende Untersuchung darlegen.

 

Verfassungsrechtliche Überlegungen

Das Einholen von Auskünften bei anderen Behörden berührt zweifellos das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2(1) i.V.m. 1(1) GG. Dies Recht verlangt eine einwandfreie Rechtsgrundlage für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten. Die Regelung muss normenklar und bereichsspezifisch ausgestaltet sein. Für die vorliegende Fragestellung ist von besonderer Bedeutung, dass für jeden Verarbeitungsschritt eine entsprechende Befugnis vorhanden sein muss. Wenn darüber hinaus eine Zweckänderung mit der weiteren Verarbeitung der Daten verbunden ist, ist dies ein eigenständiger, häufig sogar schwerer wiegender, Eingriff, der einer eigenen Ermächtigung bedarf. Auskunftsersuchen über gewerbe- bzw. steuerrechtliche Sachverhalte zu Zwecken der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten als Teil der allgemeinen Gefahrenabwehr sind solche Zweckänderungen. Die Polizei bedarf daher einer eigenen Erhebungsbefugnis, die Auskunfts erteilenden Behörden benötigen eine entsprechende Übermittlungsbefugnis.


Gewerberechtliche Zuständigkeiten und Ziele

Die Gewerbeordnung ist ein Bundesgesetz, deren Ausführung den Ländern i.d.R. als eigene Auftragsangelegenheit obliegt. Daher weisen z.B. § 155 (2) GewO und § 30 GastG die Befugnis zur Regelung der Behördenzuständigkeit zu.  Für den Vollzug der Gewerbeordnung sind verschiedene Behörden zuständig. Die Überwachung und Genehmigung des stehenden Gewerbes (§§ 14-52 GewO), des Reisegewerbes (§§ 55-61a GewO), der Messen, Ausstellungen und Märkte (§§ 64-71b GewO) sowie Mitteilungen an das Gewerbezentralregister (§§ 149, 153a GewO) und Straf- und Bußgeldverfahren (§§ 144-148b GewO) obliegen grundsätzlich den Kreisordnungsbehörden.  Davon sind die Gewerbeaufsichtsbehörden (§ 139b GewO) zu unterscheiden, deren Aufgabe u.a. in der Überwachung bestimmter Schutzvorschriften, der Meldung von Verstößen gegen das Verbot der  Schwarzarbeit, der illegalen Beschäftigung u.a. liegt.  

Das Gewerberecht soll nur vor Gefahren schützen, die mit der gewerblichen Tätigkeit zusammenhängen.  Da nur solche Daten erhoben werden dürfen, die für den jeweiligen Zweck auch erforderlich sind, hat diese Beschränkung erhebliche Auswirkungen auf den Datenumfang, der bei den zuständigen Behörden erhoben und gespeichert werden darf und damit auf das zu erwartende Ergebnis eines polizeilichen Auskunftsersuchens.


Polizeiliche Zuständigkeiten

Die Aufgabe der Gefahrenabwehr ist in § 1 (1) S. 1 POG den allgemeinen Ordnungsbehörden und der Polizei gleichermaßen zugewiesen. Aus der Regelungssystematik ergibt sich jedoch eindeutig, dass die Polizei nur in den Fällen eine originäre Zuständigkeit hat, in denen ausschließlich die Polizei benannt ist (so in § 1 (1) S. 3, (2), (5), (6) und (7) POG).

Die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten ist nach § 1 (1) S.3 POG originäre Zuständigkeit der Polizei. Dabei geht es sowohl um die Verhütung von Straftaten als auch um die Vorbereitung deren Verfolgung. Bei der Verhütung geht es sowohl um die Verhinderung konkret zu erwartender Delikte als auch um die unspezifische Kriminalitätsvorbeugung.

Darüber hinaus könnten gerade bei der hier anstehenden Problematik „Rocker“ Sachverhaltskonstellationen auftreten, die einen Gefahrenverdacht nahelegen. Beim Gefahrenverdacht liegen bei verständiger Würdigung objektive Anhaltspunkte für die Verwirklichung einer Gefahr vor, wobei i.d.R. unsicher bleibt, wie hinreichend der Schadenseintritt im konkreten Fall ist und wo die Überlegungen zur umgekehrten Proportionalität nicht zur Anwendung gelangen. Der weitere Aufklärungsbedarf rechtfertigt sogenannte „Gefahrerforschungsmaßnahmen“, die keinesfalls den gleichen Umfang annehmen dürfen wie beim Vorliegen einer konkreten Gefahr. „Auf sie gestützt sind nur solche Eingriffe zulässig, die unvermeidbar sind, um den Sachverhalt ausreichend aufzuklären und das Bestehen oder Nichtbestehen einer Gefahr beurteilen zu können“ Solche Erforschungsmaßnahmen sind typischerweise damit verbunden, die Informationslage zur Sachverhaltsbewertung zu verbessern und könnten z.B. darin bestehen, weitere Daten bei anderen (Behörden) einzuholen.

Die im Gewerberecht partiell vorhandenen Zuständigkeiten der Polizei führen im Einzelfall zu entsprechenden Erkenntnissen, sind aber keine Grundlage für Anfragen der hier bezeichneten Art. Das Gleiche gilt für Erkenntnisse aus entsprechenden Anfragen der Gewerbebehörden bei der Polizei für Gewerbeuntersagungen nach § 35 GewO.


Gesetzessystematik

Die Vorschriften der GewO, des LDSG und des POG ergänzen und überlagern sich teilweise. Während das POG eine Rechtsvorschrift zur allgemeinen Gefahrenabwehr ist, enthält die GewO speziellere Regelungen für einen bestimmten Bereich und trifft das LDSG allgemeingültige Aussagen i.S. eines Querschnittgesetzes.
"Das POG ist als allgemeines Gesetz der Gefahrenabwehr eine Auffangvorschrift  für die nicht speziell geregelten Fälle. Es ist darum nicht anzuwenden, soweit ein spezielleres Gesetz die Gefahrenabwehr abschließende Regelungen trifft (z.B. Baugesetze, Gewerbeordnung").

Das Gewerberecht im engeren Sinne umfasst die Gewerbeordnung, das Handwerksrecht, das Gaststättenrecht und das sonstige verselbstständigte Gewerberecht (z. B. BImSchG). Im Hinblick auf die Abgrenzung zum allgemeinen Polizeirecht ist sein ordnungsrechtlicher Teil von Bedeutung. Die speziellen Regelungen des Gewerberechts gehen dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht vor. Das gleiche gilt für Sonderregelungen des Handwerks- und Gaststättenrechts sowie des übrigen verselbstständigten Gewerbenebenrechts im Verhältnis zur Gewerbeordnung; der Rückgriff auf die Gewerbeordnung ist aber zulässig, soweit die spezielle Regelung keinen abschließenden Charakter hat (z.B. § 31 GastG).

Ist eine Behörde zuständig auf dem Gebiet des Gewerberechts, so sind dessen Regelungen also spezieller und gehen daher den allgemeinen Regelungen des POG vor. Da die Polizei keine Zuständigkeit im Gewerberecht hat, ist für sie das POG das maßgebliche und anzuwendende Gesetz. Das gilt auch für die allgemeinen Ordnungsbehörden, soweit sie „allgemeine Gefahrenabwehr“ betreiben.

In der datenschutzrechtlichen Betrachtung geht das Polizeigesetz als bereichsspezifische Regelung den Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder vor. Regelungslücken in den Sicherheitsgesetzen lassen sich durch den Rückgriff auf Begriffs- und Verfahrensbestimmungen des allgemeinen Datenschutzrechts schließen.

Mit Blick auf die jeweiligen Zuständigkeiten gilt also, dass für die Datenerhebung durch die Polizei die Vorschriften des POG angewendet werden müssen, während sich die Befugnisse zur Datenübermittlung für die zuständigen (Gewerbe-) Ordnungsbehörden aus der GewO ergeben. Damit gelten auch die Zweckbindungs- und Zweckänderungsklauseln der GewO. Insofern Daten bei einer allgemeinen Ordnungsbehörde(AOB) erhoben werden, die sich aus der Aufgabe zur allgemeinen Gefahrenabwehr der AOB ergeben, ist die Datenübermittlung nach den Regeln des POG zu bewerten. Eine Anwendung des LDSG kommt nur in Fragen nicht spezialgesetzlich geregelter Begriffs- und Verfahrensbestimmungen bzw. in den Fällen in Betracht, in denen das Spezialgesetz ausdrücklich auf das LDSG verweist.


Datenerhebungen durch die Polizei

Die allgemeine Befugnis  zur Erhebung personenbezogener Daten ist in § 26 POG geregelt. Die Bestimmung enthält mehrere alternative Ermächtigungen (Absätze 1-4) und eine Regelung zur Art und Weise bzw. Verfahren (Absatz 5).

Nach Absatz 1 kann die Polizei dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben tun, wenn der Betroffene eingewilligt hat oder mutmaßlich tun würde, wenn die Daten aus einer allgemein zugänglichen Quelle entnommen werden oder wenn eine Rechtsvorschrift dies erlaubt. Das dürfte hier nicht zutreffen.

Nach Absatz 2 darf die Polizei personenbezogene Daten über Jedermann erheben, soweit dies zur Gefahrenabwehr i.S. § 1 (1) S.1 POG (Ziff. 1), zum Schutz privater Rechte i.S. § 1 (3) POG (Ziff. 2), zur Abwehr von Gefahren durch den Straßenverkehr i.S. § 1 (5) POG (Ziff. 3) oder zur Erfüllung von durch andere Rechtsvorschriften übertragene Aufgaben i.S. §§ 1 (2), 9 (2) POG (Ziff. 4) erforderlich ist und die Befugnis nicht durch eine Rechtsvorschrift gesondert geregelt ist. Darüber hinaus darf die Polizei auch Daten erheben, soweit es zur Vollzugshilfe i.S. § 1 (4) POG erforderlich ist.

Aus diesem Absatz käme allenfalls die Ziff. 1 (soweit zur Gefahrenabwehr nach § 1 (1) S.1 POG erforderlich) in Betracht, wobei die Bestimmung als Generalermächtigung nur subsidiäre Anwendung findet („…und die Befugnisse nicht durch dieses Gesetz oder eine andere Rechtsvorschrift gesondert geregelt sind“). Die Eingrenzung auf die Fälle des § 1 (1) S.1 POG führt aber dazu, dass damit vorrangig Fallkonstellationen geregelt werden, für die die allgemeinen Ordnungsbehörden originär zuständig wären, so dass diese Bestimmung in den Fällen nicht anwendbar ist, in denen die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten im Vordergrund steht. Allenfalls in den Fällen des Gefahrenverdachts kommt eine Anwendung zur Klärung der Frage, ob eine konkrete Gefahr vorliegt, in Betracht. Dies dürfte aber die Ausnahme sein, denn sobald eine konkrete Gefahr vorliegt, dürfte in den meisten Fällen die allgemeine Ordnungsbehörde zuständig sein.

Absatz 3 enthält die Befugnis für die Polizei, personenbezogene Daten über bestimmte, in der Bestimmung abschließend aufgezählte Adressaten, zu erheben, soweit dies zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten i.S.v. § 1 (1) S. 3 POG erforderlich ist. Als Adressaten sind potenzielle Straftäter (Ziff. 1), potenzielle Opfer (Ziff. 2), Personen im Umfeld einer in besonderem Maße als gefährdet erscheinenden Person (Ziff. 3), Zeugen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen (Ziff. 4) und Kontakt- und Begleitpersonen (Ziff. 5) genannt.

Zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist daher dieser Absatz lex specialis. In Rheinland-Pfalz ist eine Arbeitsgruppe „Rockerkriminalität“ gebildet worden. Die „Erforderlichkeit“ i.S. des Absatzes 3 dürfte sich relativ unproblematisch aus Ziel und Zweck der Arbeitsgruppe ergeben. Darüber hinaus wäre einzelfallbezogen zu begründen, unter welche Adressatenregelung die betreffende Person fällt. Theoretisch könnten im Bereich der „Rocker“ alle fünf Ziffern in Betracht kommen, wenngleich Ziff. 3 zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber doch sehr unwahrscheinlich sein dürfte.

Für die Begründung von Ziff. 1 (potenzielle Straftäter), Ziff. 2 (potenzielle Opfer) und der Kontakt- und Begleitpersonen (S. 2) fordert das Gesetz Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen. Gewissheit ist nicht erforderlich. Vielmehr verdeutlicht die Formulierung „Annahme rechtfertigen“, dass eine Prognose angestellt werden darf, die durchaus noch Unsicherheitspotenzial hat („rechtfertigen“). Gleichwohl muss sie ihren Ursprung im Tatsächlichen („Tatsachen“) haben.

Für Zeugen, Hinweisgeber und sonstige Auskunftspersonen müsste wegen des Fehlens einer einschränkenden Formulierung sogar Gewissheit über deren Status vorliegen.
Abhängig von den vorliegenden Erkenntnissen stünde der Polizei damit eine Datenerhebungsnorm zur Verfügung, um weitere Hintergrundinformationen zu identifizierten Mitgliedern einer der hier in Rede stehenden Rockergruppierung bei anderen Behörden zu erfragen. Anfragen, deren Zweck darin besteht, aufgrund der erlangten Informationen feststellen zu können, ob die betreffende Person überhaupt Mitglied der Gruppierung bzw. zu deren Umfeld zu rechnen ist, sind nur dann zulässig, wenn bereits bei der Anfrage die geforderte Adressateneigenschaft begründet werden kann.

Absatz 4 enthält die Befugnis, personenbezogene Daten über bestimmte, in der Vorschrift abschließend aufgezählte Adressaten, zur Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr i.S.v. § 1 (1) S. 2 POG zu erheben. Die Anwendung auf Mitglieder von Rockergruppierungen ist keineswegs ausgeschlossen (z.B. Ziff. 3 „die für Veranstaltungen in der Öffentlichkeit verantwortlich sind“), betreffen aber konkrete Einzelfälle, eignen sich daher nicht für die hier anstehende Frage, und begrenzen die Datenerhebung auch auf den Erhebungszweck („Vorbereitung auf die Gefahrenabwehr“). Damit dürfte die Vorschrift für das vorliegende Problem ungeeignet sein.

Absatz 5 bestimmt, dass die personenbezogenen Daten grundsätzlich offen und beim Betroffen zu erheben sind. Sofern die Erhebung beim Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist oder die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben erschwert oder gefährdet würden, dürfen die Daten auch bei anderen öffentlichen oder nicht öffentlichen Stellen oder verdeckt erhoben werden. Es liegt auf der Hand, dass der mit der Erhebung der Daten verfolgte polizeiliche Zweck gefährdet wäre, wenn versucht würde, die Daten beim Betroffenen selbst zu erheben, sodass es in der Regel zulässig sein dürfte, die Daten bei anderen öffentlichen oder nicht öffentlichen Stellen und sogar verdeckt zu erheben.
(Fortsetzung in der nächsten Ausgabe am 1. Juni 2013)

 

 

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