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Magazin Kepi Blanc / Oktober 1994

Götterdämmerung in Zentralafrika

Operation Noroît. 04. Oktober 1990 – 13. Dezember 1993.

Von Thomas Gast

Der Skorpion wollte den Fluss überqueren. Er fragte das Krokodil, ob es ihn nicht auf seinem Rücken hinüberbringen könne. Das Krokodil wunderte sich über diesen Vorschlag. Es hatte etwas Angst vor dem Stachel des Tieres. „Du brauchst keine Angst zu haben“, winkte der Skorpion ab. „Ich kann nicht schwimmen. Sollte ich dich stechen, kämen wir ja beide um.“ Das Krokodil ließ sich überzeugen, lud sich den Skorpion auf den Rücken und los ging’s.
Fremdenlegionäre in Kigali
– Foto Magazin Kepi Blanc (Yves Debay).
Kaum die Mitte des Flusses erreicht, stach der Skorpion das Krokodil in den Rücken. Bevor sie beide in den Fluten umkamen, zuckte der Skorpion mit den Schultern und sagte: „Tut mir leid. Afrika ist so.“ Jean-Christophe Notin aus „Le Crocodile et le Scorpion“

Kongo, Ruanda, und kein Ende

Ab 1997 zermürbten unablässige Kriege die beiden Kongos. Der Funke, der diese Kriege entflammte, hatte viele Gesichter, ein jedes davon war abscheulich. Diese Gesichter waren wie Spuren im Busch. Spuren, die aus allen Richtungen kamen, sich in Zaire in der Kivuregion fanden und sich dort zu dem Orkan zusammenballten, der mit unbändiger Macht nach Kinshasa drängte. Auf dem Weg dorthin zerstörte dieser Orkan alles, was es zu zerstören gab. Wenn man eine dieser Spuren zurückverfolgt, führt sie uns schnurstracks nach Ruanda, besser gesagt in das Ruanda der Jahre 1993 und 1994. Dort herrschte das Grauen. Was der Film HOTEL RUANDA auf brillante Art und Weise der Öffentlichkeit präsentierte, war, dass auch in unseren Tagen, den größten Teil der Welt desinteressiert lassend, ein Genozid stattfinden konnte, dem innerhalb von nur hundert Tagen eine Million Menschen zum Opfer fielen. Von den 450.000 vergewaltigten Frauen und Kindern ganz abgesehen.

Wirft man einen Blick auf die Afrikakarte, fällt Ruanda nicht auf. Es ist ein Strich in der Landschaft. Doch Ruanda bietet so einiges, wobei man die grandiose Natur auf jeden Fall in den Vordergrund schieben muss. Kein anderes afrikanisches Land kann mit solch mal abrupten, mal sanften, stets aber geheimnisvollen Hügeln aufwarten. Die Franzosen nennen die Region pays des mille collines, das Land der tausend Hügel. Andere stellen es als das Tibet Afrikas dar. Die Berge, die einst Drehort für den Film, Gorillas im Nebel‘ waren, erheben sich 4000 Meter, ja, höher, über den Meeresspiegel (Karisimbi 4500 Meter). Hier oben, so müsste man meinen, herrsche ewiger Frieden. Doch das täuscht! Im 18. Jahrhundert kam es zwischen den Völkerschaften der Hutu, den Bauern, und der Tutsi, den Viehbaronen, zu blutigen Auseinandersetzungen. Vom Aussehen her waren sich Tutsi und Hutu wie Tag und Nacht. Der typische, hochgewachsene Tutsi hatte eine kaffeebraune Haut, die des Hutu war schwarz wie verbrannter Mokka. Ein Tutsi-Watussi-Krieger hätte mit etwas Glück, oder mit viel Pech, wie man es nimmt, jederzeit als Nordafrikaner oder als Ägypter durchgehen können. Die Tutsi, so sagte man, waren feudal, die Hutus, die einst deutsch-belgischen Stiefkinder, nicht. Zumindest stellte man es so hin. Wohl auf Grund dieser Tatsache hatten die Belgier es lange Zeit den Tutsi alleine überlassen, Ruanda zu regieren. Sie sahen nur wohlwollend zu. Doch die Tutsi wurden schnell dreist ob des Vertrauens. Sie forderten das Unmögliche: Die sofortige Unabhängigkeit.

Erst als sich die Belgier zu Beginn der 60er Jahre aus genau diesen Gründen den Hutus zuwandten, von denen sie dachten, sie wären fügsamer, wendete sich das Blatt. Dem Bestreben der Belgier, das 1962 in der Gründung einer unabhängigen Hutu-Republik endete, folgte ein humanitäres Elend. Zum ersten Mal in ihrer langen Existenz verfügten die Hutu über etwas, das ihnen fremd war: Macht! Macht über die verhassten Tutsi, was auch hieß, Macht über ihre Herren von einst. Man kann von einem Bauernaufstand sprechen, an dessen Ende Freiheit und Unabhängigkeit lauerten. Frei vom Tutsiregime, unabhängig von Belgien. Die Hutus waren zu jener Zeit einheitlich der Meinung, dass die Tutsi von diesem Planeten verschwinden müssten, dass sie heimwärtsziehen sollten in ihr Ursprungsgebiet an den Quellen des Nils. Und um die Reise zu beschleunigen, griffen die Hutu zu Macheten, zu Keulen, zu Messern und zu Schusswaffen. Sie halfen damit beim Bündel-Schnüren. Den Überlebenden Tutsi blieb nur eine Wahl: die Flucht in die angrenzenden Länder wie den Kongo, Uganda, Tansania und Burundi! Zehntausende von Tutsis verließen das Land im Jahr 1959. Doch so verletzt die Tutsi in ihrem Fleisch auch waren, sie hatten nie im Sinn, es dabei zu belassen. Erstens, weil es sich in den Flüchtlingscamps nicht problemlos leben ließ, und zweitens, weil ihre feudalen Gene nach Rache und nach erneuter Dominanz schrien.

1985 bildete sich im südlichen Uganda die Ruandisch Patriotische Front, kurz RPF. Anfang Oktober 1990 schlug die RPF zu. Schwer bewaffnete Kolonnen rückten in den Norden Ruandas ein und bedrohten schon wenig später die Hauptstadt Kigali. Kigalis Herrscher wandten sich hilfesuchend an Frankreich. Da Frankreich nur zögerlich reagierte, heckte die Hutu-Armee auf Befehl ihrer politischen Chefs einen Plan aus. Sie täuschten einen Angriff der Rebellen auf Kigali vor. In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober feuerten sie um und in der Stadt ganze Berge von Munition einfach so in die Luft. In den zuständigen Ämtern in Paris und Brüssel schrillten die Telefone in dieser Nacht nonstop und eine Flut empörter Telegramme erreichte Europa.

„In Afrika, mehr als anderswo, ist die Schwelle zwischen Leben und Tod, zwischen Liebe und Hass und zwischen Reichtum und Elend so gering und unscheinbar wie der schmale Pfad eines Seiltänzers. Ein falscher Schritt nur, eine unüberlegte Geste kann schon fatal sein.“ (Thomas Gast)

Besorgt ob der angeblich heftigen Gefechte schickte Belgien ein Infanterie-Bataillon nach Ruanda. Frankreich reagierte, indem es die Operation Noroît einleitete. Offiziell, um den bedrohten französischen und belgischen Landsleuten in der Not zu helfen, inoffiziell, um dem Habyarimana Regime im Kampf gegen eine Invasion aus Uganda beizustehen. Die Operation, deren Hauptquartier in aller Eile Region Kitabi (Ruanda). Die 3. Kompanie der 13. DBLE der Fremdenlegion aufgesessen auf VLRA mit Barret Scharfschützengewehr (Kaliber 50.).
Foto: Légion étrangère.
im Méridien Hotel eingerichtet wurde, sollte zur Abschreckung dienen. Spät abends am 4. Oktober 1990 verlegten die vierte Kompanie des 2. REP und eine Equipe CRAP unter dem Befehl des Capitaine Streichenberger von Bouar im hohen Norden der Zentralafrikanischen Republik nach Kigali, wo sie am Flughafen Grégoire Kayibanda von Bord stiegen. Ihre Aufgabe war es, die französische Botschaft zu sichern. Den Ort also, der zusammen mit dem französischen Kulturzentrum der Hauptanlaufpunkt der bedrohten Bürger sein würde. Die Legionäre verteidigten auch den Flughafen und die französische Schule in Kigali.

Der Auftrag begann Punkt Mitternacht. Mehrmals in dieser Nacht wurden sie von Rebellen beschossen. Um nicht vorzeitig aufzufallen, hatten sich diese bewaffnet unter die Menschenmenge geschlichen, die protestierend vor den Toren der jeweiligen Einrichtungen stand. In den ersten Morgenstunden des 5. Oktober eskortierte eine Equipe CRAP unter dem Befehl von Sergent-chef Taikato den Militärattaché in die französische Botschaft. Kaum hatten sie sich auf den Weg gemacht, wurde der Konvoi in den unübersichtlichen Gassen von Scharfschützen der Rebellen unter Feuer genommen. Zwei Legionäre der CRAP mussten vor Ort bleiben und den Feind binden, damit die anderen Zeit und Raum hatten, den Militärattaché schnell und sicher ans Ziel zu bringen.

Am 7. Oktober verlegte eine Kompanie nach Ruhengeri. Die Legionäre holten 170 Zivilisten aus der umkämpften Stadt und eskortierten sie eiligst nach Kigali. Nachdem die belgische Öffentlichkeit sich gegen Truppenentsendungen nach Ruanda ausgesprochen hatte und es zu zahlreichen Debatten in der politischen Szene gekommen war, wurden die belgischen Truppen bald schon wieder abgezogen. Auch die Legionäre verließen Ruanda kurzfristig am 20. Oktober, kehrten aber am 8. März 1991 mit dem EMT des Oberstleutnant Monzo zurück und blieben bis zum 9. Juli. Da die Präsenz der Paras Legion für eine überall spürbare Sicherheit sorgte, beruhigte sich die Lage. Und so führten die Legionäre in Kigali bald schon ein typisches Garnisonsleben, unterbrochen nur von einigen punktuellen Einsätzen.

Das Leben in einer Garnison beinhaltete natürlich auch Ausflüge in die Cafés und Bars der Stadt, und wer Ausflüge sagte, der meinte auch Begegnungen und zwischenmenschliche Beziehungen mit der weiblichen Population. Legionäre leben nicht wie Mönche! Das war jedoch ein Problem, weil etwa ein Drittel der Frauen mit AIDS infiziert war. Wer das Camp verließ, was meist in Gruppen und unter Aufsicht eines Sergent geschah, der hatte zwei Kondome dabei, immer. Und das wurde kontrolliert. »In einer Reihe antreten, Pariser vorzeigen!« Hatte jemand seine obligatorischen „Arbeitsutensilien“ vergessen, marsch, marsch zurück in die Unterkunft! Die Legionäre wussten auch, dass es an jeder Hausecke Drogen gab und dass die Malaria überall grassierte. All diese auf den ersten Blick nicht sichtbaren Gefahren waren in dieser Zeit die ärgsten Feinde. Feinde aber, gegen den sie sich wappnen konnten. Indem sie aufpassten, Vorsicht und Intelligenz walten ließen. Indem sie sich besorgt um den anderen kümmerten, sich gegenseitig beobachteten.

Gegen Ende des Jahres war es an der dritten Kompanie, ihren Einzug im Land der tausend Hügel zu halten. Am 4. November 1991, angeführt von einem taktischen Führungsstab und unter dem Befehl von Oberstleutnant Halbert (der alte, erfahrene Kämpfer hatte als Capitaine mit seinem Aufklärungszug bereits an der Schacht um Kolwesi teilgenommen), erreichten die „Schwarzen“ Kigali mitten in einer stockfinsteren Nacht. Auch sie hatten den Auftrag, die Botschaft und den Flughafen zu bewachen sowie die etwa 600 in Kigali verbliebenen französischen Bürger zu schützen. Während die Kompanie Weihnachten in Kigali feierte, lagen die CRAP-Kommandos des 2. REP in Fernspäheinsätzen in den Hügeln um Ruhengeri auf der Lauer. Vor allem in den nahen Städten Butaro und Bugambo stellten sie zu diesem Zeitpunkt unnormale Truppenbewegungen fest. Die Legionäre beobachteten, notierten und meldeten weiter. Mehr konnten sie nicht tun.

Ende Februar 1991 verlegte der vierte Zug der Kompanie kampfbereit und in Windeseile nach Kinyami. An Bord eines ihrer Fahrzeuge saß, sichtlich aufgeregt und besorgt, der französische Botschafter. Was war geschehen? Im Norden Kigalis fanden Hinrichtungen statt. Das Eingreifen der Legionäre kam jedoch zu spät. Eine weiße, vierundachtzig Jahre alte Schwester und einige Afrikaner waren bereits tot. Der leblose Körper der Geistlichen wurde nach Kigali überführt. Am 6. März 1992 und nach weiteren zahlreichen kleinen Einsätzen kehrten alle Einheiten der Paras Legion nach Calvi zurück. In Ruanda aber hörten Krieg und Elend nicht auf. Das verbleibende Noroît-Détachement empfing im Juni 1992 einiges an militärischem Gerät und übergab es an Gendarmerie-Einheiten Ruandas. Den einzigen scharfen Gefechtseinsatz, den die Operation Noroît zu verzeichnen hatte, führten die Fallschirmjäger der Legion.

Berets Rouge - Fallschirmjäger der Armée française (vermutlich 8. RPIMA) im Juni 1994.Im Februar 1992 sollten einige Zivilisten aus umkämpften Gebieten im Süden des Landes herausgeholt werden. Dabei kam es zu teils heftigen Kämpfen. Die Hutuarmee, traditionell von den Franzosen begünstigt, wurde jedoch sehr schnell Herr der Lage. Dabei half auch ein Expeditionskorps, das Mobutu aus dem benachbarten Zaire entsandt hatte. Paul Kagame, ein von den USA ausgebildeter Major, ein Herr mit guten Manieren und frappierender Weitsicht, übernahm zwischenzeitlich die Führung der Ruandisch Patriotischen Front. Er zog die nur noch zwei- bis dreitausend Mann starke Streitmacht ganz aus Ruanda zurück und richtete im Grenzgebiet Ruanda, Kongo und Uganda, unweit des Ruwenzori und der Virunga-Vulkane, ein riesiges Basis-Trainingslager ein. Dort organisierte sich die Truppe neu. Im Februar 1993 setzte sich die auf 25.000 Mann aufgestockte RPF wieder Richtung Kigali in Bewegung. Das Vorgehen der Rebellen war klassisch. Aufgeteilt in winzige Gruppen sickerten sie des Nachts in die von der FAR (reguläre Armee Ruandas) gehaltenen Gebiete ein. Im Morgengrauen, noch vor Sonnenaufgang, sammelten sie sich an vorher ausgemachten Geländeabschnitten, von wo aus sie, in Überzahl, auf den völlig überraschten Gegner losmarschierten.

In Ruhengeri, der Stadt, die auf dem Weg nach Kigali lag, hielten sich etwa siebzig europäische Zivilisten auf, darunter Belgier, Amerikaner aber auch einundzwanzig Franzosen. Letzteres beschwor die Operation Volcan herauf. Die Kräfte dafür stammten fast ausnahmslos aus den Truppen der noch laufenden Operation Noroît und einer parallel dazu geführten französischen Ausbildungs- und Trainingsmission, dem détachement d’assistance militaire et d’instruction (DAMI). Ein Eingreifen der französischen Truppen in die andauernden Kämpfe war aber nicht nötig. Die bedrohten Bürger hatten sich in drei Villen zusammengefunden, die eng beieinander in einem Stadtteil standen, der teilweise unter Kontrolle der ruandischen Armee war. Da rings um die Villen die Kämpfe tobten, mussten die Soldaten, eine Kompanie Marineinfanteristen, die Quasi-Geiseln in einer Kommandoaktion herausholen. Noch in der Nacht raste der Konvoi mit den glücklichen Geiseln an Bord Richtung Kigali und damit in Sicherheit.

Auf ihrem weiteren Vorstoß auf Kigali trafen die Rebellen der RPF wieder auf französische Soldaten. Rund 600 Legionäre und Marineinfanteristen waren gekommen, um die Sicherheit der französischen Bürger, die im Lande lebten, zu gewährleisten. Da Kagame befürchtete, außer gegen die Regierungstruppen erneut gegen die Franzosen kämpfen zu müssen, resignierte er vorerst. Die Ruandisch Patriotische Front war zu diesem Zeitpunkt durchaus zu Gesprächen bereit. Sie schlugen sogar die Einrichtung einer Tampon-Zone und weitere Verhandlungen im Rahmen der Arusha-Verhandlungen vor. Ein Waffenstillstand folgte und die Bildung einer Übergangsregierung wurde eingeleitet, doch die im Oktober ins Leben gerufene UNAMIR, die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Ruanda, deren Chef der kanadische General Roméo Dallaire war, konnte die riesige Aufgabe, vor die man sie stellte, unmöglich alleine schultern. Allein schon die Idee war absurd, waren doch kaum 2.500 Blauhelme an der Mission beteiligt. Sie sollten einerseits in Kigali für Ruhe und Ordnung sorgen, gleichzeitig die Einhaltung des Waffenstillstandes überwachen und die überall im Land arbeitenden Hilfsorganisationen koordinieren.

Vielleicht, nein, ganz sicher war es ein Fehler, dass an der UN-Mission hauptsächlich belgische Blauhelme teilnahmen. Was außer einer höchst unbeliebten Kolonialarmee konnten die Ruander – ob Hutu oder Tutsi – im belgischen Kontingent auch schon sehen? Genauso ungeschickt wäre es gewesen, hätte man Israelis als Blauhelmsoldaten in ein palästinensisches Flüchtlingslager in Jordanien geschickt, man möge mir den Vergleich verzeihen. Der Hutu-Extremismus wuchs sichtbar an in diesen Tagen und Wochen. Bereits zu Beginn der UN-Mission war abzusehen, dass die beiden Konfliktparteien sich nicht an alle der im Arusha-Abkommen festgelegten Punkte halten würden. Um das Tohuwabohu perfekt zu machen, wurden in Kigali zwischen 8.000 und 10.000 Tutsis (Männer und Frauen) festgenommen. Es kam zu willkürlichen Hinrichtungen von Tutsi. Die Morde waren einzig und allein vom Hass der Hutu auf ihre einstigen Herren motiviert. Die Hutu spielten Ankläger, Richter und Vollstrecker. Die ersten Massaker, die auf einen Völkermord im größeren Ausmaße hinwiesen, fanden bereits zu diesem Zeitpunkt statt, doch die Weltöffentlichkeit schlief.

Aufstellung der Kräfte (Einsatz Ruanda / Operation Noroît - des Groupement Süd im Juni 1994.

Irgendwann im Januar 1994 sandte General Dallaire ein Fax an das UNO-Hauptquartier in New York City. Angeblich gab es einen Plan, der besagte, dass alle Tutsi und die allzu moderaten Hutu im Land ausgelöscht werden sollten. Weiterhin wollten radikale Hutus angeblich dazu übergehen, belgische Soldaten des UNAMIR Kontingentes zu ermorden, um damit den Abzug der ungeliebten Belgier einzuleiten. General Dallaire bot sich daraufhin an, die geheimen Waffenlager, von denen auch die Rede war, auszuheben. Doch dies zu tun hatte er keine Befugnisse. Die Antwort aus New York war wie nicht anders zu erwarten. Ohne es direkt auszusprechen, tat man die Bedenken des Generals als überspitzt und viel zu dramatisierend ab.

Als etwa drei Monate später sich all diese Befürchtungen bewahrheiteten – nur 500 Meter von der französischen Botschaft entfernt wurden zehn belgische Soldaten umgebracht – und gleichzeitig eine von der Hutu-Regierung gut orchestrierte Hasspropaganda via Radio der tausend Hügel gegen alle Tutsi einsetzte, war es bereits zu spät. Das Radio mille collines forderte: „À mort! Les tombes des Tutsis ne sont pleines qu'à moitié“ (Die Gräber sind erst zur Hälfte mit den Leichen der Tutsi gefüllt). Beeilt euch, sie ganz zu füllen.“ Die Hutu-Power marschierte auf den Straßen des Landes!
Hutu-Frauen, seid wachsam und bringt eure Ehemänner, Brüder und Söhne zurück zur Vernunft. Dritte Regel aus den Zehn Geboten der Hutu.

Präsident Habyarimana, ein Hutu, der seine Volksgruppe in allen Belangen begünstigte, kam im April 1994 in einem abgeschossenen Flugzeug ums Leben. Damals war sein Tod das Zünglein an der Waage. Die ganze Region explodierte und das Morden begann! Ein Morden, das hätte verhindert werden können. Die Interahamwe Miliz fiel über die Tutsis her wie ein Schwarm in Rage versetzter Aasgeier über einen seit Tagen in der heißen Afrikasonne faulenden Kadaver. Hatten sie Zweifel ob der Identität, dann genügte ein Blick auf ihre vorgefertigten Todeslisten. Darauf stand, wer Tutsi war und wo man ihn finden konnte. Sich als Hutu auszugeben war eine Mühe, die von vorneherein zum Scheitern verurteilt war. Die meisten Ruander hatten in den Pässen einen Eintrag, der sie als Hutu, Tutsi oder Twa (Pygmäe) auswies. Die bäuerlichen Hutus erkannten einen Tutsi sofort an seinem Aussehen und an der Angst, die er verströmte. Frauen wurden systematisch vergewaltigt und anschließend verstümmelt. Manche Opfer pfählten sie lebend, einige zwangen sie zu frenetischer Inzucht und zu rasendem Kannibalismus.

Bereits zu diesem Zeitpunkt standen die Fallschirmjäger der Legion Gewehr bei Fuß bereit. Doch für was? Um auf der Seite der FAR gegen die RPF zu kämpfen? Das wäre ein Gnadenstoß für Frankreichs Afrikapolitik gewesen. Um das Morden aufzuhalten etwa? Dann hätten die Legionäre sich gegen die FAR und somit gegen die Hutu wenden müssen, welch Idee. Dass die Paras Legion mit einem eindeutigen Kampfauftrag im Gepäck das Morden hätten verhindern können, das konnte nicht nur ich mir sehr gut vorstellen. Zu dieser einzig akzeptablen Lösung hatte man sich im Élysée oder anderswo aber nicht durchringen können. Das 1975 vereinbarte Abkommen mit Ruanda, das 1992 signifikant geändert beziehungsweise angepasst wurde, sprach dagegen. L’Afrique francophone sprach dagegen. Der nicht wegzuleugnende Faschoda-Komplex sprach dagegen!

 

Über den Autor
Thomas Gast
Thomas Gast
Im Februar 1985 engagierte der Autor in der Fremdenlegion, wo er bis Anfang 2002 blieb. Nach der Legion war Thomas Gast lange Zeit in der Sicherheitsbranche tätig. Er arbeitete und lebte in Saudi Arabien (als Sicherheitsmitarbeiter – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Riad); Haiti (als Security- Country Manager – Klient: Delegation der Europäischen Kommission in Haiti); Israel (als stellvertretender Country Manager am ECTAO – European Commission Technical Assistance Office); Yemen (als Security- Teamleiter für Surtymar / YLNG – Yemen Liquefied Natural Gas); Rotes Meer – Golf von Aden – Arabische See (als Privately Contracted Armed Security Personnel (PCASP) bewacht der Autor seit Juni 2014 Schiffe vor Piratenangriffen. Sein Buch ´PRIVATE SECURITY` findet in der Sicherheitsbranche regen Zuspruch. Foto: Thomas Gast mit seiner Neuerscheinung PRIVATE SECURITY. © Thomas Gast
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