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Zum Gedenken an die Opfer von Christchurch, Neuseeland
© sshoults /Adobe.Stock.com

Nach dem Horrorjahr 2019 und unter dem Eindruck von Halle:

Lässt sich der rechtsextremistisch motivierte Einzeltäterterrorismus bekämpfen?

Von Dr. Florian Hartleb

Horrorjahr 2019

Das Jahr „2019“ führte die Gefährlichkeit des Rechtsterrorismus vor Augen. Das Magazin „Der Spiegel“ widmete, bedingt durch gravierende Anlässe dem Thema gleich dreimal eine Titelgeschichte.1

Im März 2019 ermordete nach jahrelanger Planung und übertragen live per Facebook mittels einer Kopfkamera ein Australier im neuseeländischen Christchurch Dutzende von Menschen. Der 28-jähriger Täter Brenton Tarrant, einst ein Fitnesstrainer, hinterließ ein 74-seitiges Manifest, in dem ein durchaus reflektiertes Selbstinterview Aufschluss gibt. Im Juni sorgte der erste vollendete politische Mord in der Geschichte der Bundesrepublik für Entsetzen.2 Stephan Ernst, einst in der rechtsextremistischen Szene aktiv, aber nicht mehr auf dem Radar der Sicherheitsbehörden, ermordete Nachts aus nächster Nähe den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Der 27-jährige Stephan Balliet versuchte am 9. Oktober, mitten am Tag in eine jüdische Synagoge einzudringen, ermordete nach dem Misserfolg willkürlich zwei Menschen. Er nahm sich ein Vorbild an dem Täter von Christchurch, streamte live auf der Plattform Twitch. Der Dienst gehört Amazon, die meisten Nutzer veröffentlichen dort Livestreams von Videospielen. Schülerinnen und Schüler aus Halle bekamen das Video per Whatsapp etc. geschickt. Alle drei Täter eint3, dass sie in der Tatausführung alleine gehandelt haben. Sie sind so genannte einsame Wölfe, also Menschen, die keiner Organisation angehören, selbst für die Propaganda sorgen und aufgrund von politischen Überzeugungen töten. Rechtsradikale wie in diesen Fällen töten, um eine Gesellschaft nach ihren Maßstäben zu errichten, ohne große Organisation im Hintergrund, sondern autonom und scheinbar unvorhersehbar.4

Die Weltöffentlichkeit sieht diese Gefahr spätestens seit dem 22. Juli 2011: Nach jahrelanger Planung ermordete der norwegische Rechtsextremist Anders Behring Breivik Insel Utøya
© Utøya_2.jpg: Paalso Paal Sørensen 2011derivative work: César (talk) - Utøya_2.jpg, CC BY-SA 3.0, https://www.veko-online.de/titel/der-neue-rechtsterroristische-taetertyp-virtuell-aktiv-global-vernetzt-und-rassistisch-motiviert.html
nach einer diabolischen Choreographie 77 Menschen, darunter viele Jugendliche. Genau fünf Jahre später, am 22. Juli 2016, versetzte David Sonboly, ein in München geborener 18jähriger Deutsch-Iraner, die Stadt München in Angst und Schrecken, als er am Olympiazentrum neun Menschen ermordete. Erst nach über drei Jahre spricht die bayerische Staatsregierung seit Oktober 2019 von einer (auch) politisch-motivierten Tat.5 Auf Biegen und Brechen wurde die Tat zuvor als unpolitisch gedeutet – mit der Folge, dass sie weder im Verfassungsschutzbericht auftauchte noch als Politisch-motivierte Kriminalität gelistet wurde. Erst Fachgutachten seitens der Stadt München und öffentlicher Druck bewirkten ein langsames Umdenken. Offenbar tut man sich schwer, den virtuell vernetzten, rechtsextremistisch gesinnten Einzeltäter anzuerkennen.

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sprach kürzlich im Deutschen Bundestag über die “Virtualisierung und Entgrenzung des rechten Terror“. Zudem wird jetzt der Fall von München endlich auch darunter subsumiert: „Bei den Anschlägen in Oslo, Christchurch, El Paso und nach neuester Einschätzung des LKA-Bayern auch in München, traten die Attentäter mit grausamen Gewaltakten vor ein globales Publikum, um ein Fanal zu setzen.  In den Fällen von Christchurch und Halle wurde sogar das Tatgeschehen als Livestream auf Plattformen platziert! Hier ist ein missionarischer Tätertyp am Werk, der von seinen Vorgängern inspiriert ist und seine eigene Tat als Initialzündung für künftige Nachahmer versteht.“6

Präventionsmöglichkeiten

Ist die Jagd nach den „einsamen Wölfen“ vergleichbar damit, die Nadel im Heuhaufen suchen zu wollen? Fatalismus ist keinesfalls ein guter Ratgeber. Und auf die neue Gefahr gibt es Reaktionen seitens der Politik. Staatschefs wie die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern und der französische Präsident Emmanel Macron Ardern während des WEF 2019
© Foundations World Economic Forum - Safeguarding Our Planet at the Annual Meeting 2019, CC BY 2.0, https://www.veko-online.de/titel/der-neue-rechtsterroristische-taetertyp-virtuell-aktiv-global-vernetzt-und-rassistisch-motiviert.html
unterzeichneten gemeinsam mit Vertretern aus der Industrie im Mai 2019 den „Christchurch-Appell”, der „Onlineinhalte mit terroristischen und gewalttätigem Extremismus“ eliminieren soll. Die USA, in denen neben Facebook, Twitter & Co. Plattformen wie Steam betrieben werden, verweigerten die Unterschrift.7 In Deutschland ist Anfang 2018 das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten. Es schreibt vor, dass Online-Plattformen wie Facebook klar strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach einem Hinweis löschen müssen. In weniger eindeutigen Fällen haben sie eine Woche Zeit. Bei Verstößen drohen Strafen von bis zu 50 Millionen Euro. Wenn die Netzwerke nicht schnell genug reagieren, können sich die User beim Bundesamt für Justiz beschweren. Computer- und Videospiele fallen aber nicht unter das Gesetz, weshalb die Wirksamkeit begrenzt sein dürfte. Offenbar hat es die Lobby der Spielindustrie geschafft, dass Online-Spiele ausgenommen sind. Der Fokus auf Facebook und Twitter wirkt angesichts der aktuellen Bedrohungslage ohnehin antiquiert. Somit bleibt das NetzDG eine stumpfe Waffe. Die Gamer haben offenbar eine große Lobby. Das zeigt sich auch nach Halle. Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) kritisierte den Vorstoß ihres Parteifreundes, Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Gamerszene ins Visier nehmen zu wollen. Die interfraktionelle Bundestagsparlamentsgruppe eSports & Gaming, hat kürzlich eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht und sich dabei klar gegen Behauptungen positioniert, die eine grundsätzliche Affinität zwischen Gaming und rechtsextremen Gefährdern suggerieren.8 Das Beispiel „Sonboly“ zeigt jedoch: Als Kompensation für seine Gewaltfantasien griff der computersüchtige Teenager zum exzessiven Gebrauch von Computer- und Gewaltspielen (etwa Ego-Shooter, alleine über 4000 Stunden Counterstrike auf Steam sind belegt), wo er seine Phantasien des „Übermenschen” auslebte. Zudem war er über das Forum „Anti-Refugee-Club“ auf Steam mit Gleichgesinnten weltweit vernetzt.9

Gamification des rechten Terrors

Dabei soll es nicht darum gehen, die alte Killerspieldebatte wieder zu beleben und in Gamern potentielle Terroristen zu wittern. Gleichwohl lässt sich von einer „Gamification des rechten Terrors“ sprechen, für das Halle ein Beispiel liefert.10 Wie seine Vorgänger war der Täter Teil einer Online-Subkultur.  Er war nicht in der lokalen Szene verankert, ebenso wie ein Breivik, Sonboly Verschiedene Ausgaben von „Mein Kampf“. Ausstellungsstücke im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.
© Adam Jones, Ph.D. - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://www.veko-online.de/titel/der-neue-rechtsterroristische-taetertyp-virtuell-aktiv-global-vernetzt-und-rassistisch-motiviert.html
und Tarrant polizeilich nicht erfasst. Hingegen wandte sich Stephan B. an seine „Fans“, verwandte dann auch einigen Pannen viele in der Gamer-Szene typische Begriffe wie „total fail“ und „total loser“.11 Er lebte ganz in virtuellen Welten, wo er sich eine persönliche Kränkungsideologie hineinsteigerte. Antisemitismus, radikaler Frauenhass und Feindschaft gegenüber dem Islam waren die Versatzstücke. Ermittler fanden auch nationalsozialistische Materialien auf dem Rechner, etwa Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Stephan B. wandte sich mit dem merkwürdigen Duktus der Gamersprache an eine Weltöffentlichkeit. Auf Portalen wie 4chan, 8chan oder Steam werden Rechtsterroristen wie Anders Breivik oder der Christchurch-Attentäter Tarrant gefeiert und Highscores mit Todesopfern erstellt. Angestachelt wird auch zu realen Taten. Die Essenz dieser Troll-Foren ist eine Mischung aus offensivem Humor, Grenzüberschreitung und oft auch Menschenfeindlichkeit, sie haben ganz eigene Codes und Praktiken herausgebildet. Diese Plattformen können als Memefabriken gelten, die nur auf den ersten Blick als unbedenklich erscheinen und als Gag, die “lulz“, wie es online heißt, gelten können. Memes sind an sich Ideen, die sich analog zu Viren selbst verbreiten. Sie stiften nicht nur Identifikation, sondern auch Provokation wie Propaganda. Die jungen Männer verbringen oft, wie ein Breivik, 16 bis 18 Stunden vor dem Bildschirm. Damit sind sie den Ermittlern oft zwei, drei Schritte voraus, zumal das Umfeld höchst dynamisch ist. Erst kürzlich legte der Verfassungsschutz einen Reformplan vor: So soll ein „digitales Lagebild“ erstellt und auf Online-Plattformen gezielt nach Radikalisierungen von Usern gesucht werden. Auch das Bundeskriminalamt kündigte den Aufbau einer „nationalen Zentralstelle“ an, um die Verfasser von Hasspostings zu identifizieren.12 Doch die Prävention gestaltet sich als schwierig.

Die junge Forscherin Julia Ebner recherchierte unter Pseudonym zwei Jahre lang in Onlineforen und stellt ernüchtern fest: „Im Zeitalter des gamifizierten, zum Online-Spiel gewordenen Terrorismus lässt sich der harmlose Gag nicht immer sauber von der strafrechtlich relevanten Tat trennen. Wo zieht man eine Linie zwischen Meinungsfreiheit und Hassverbrechen? (...) Zwischen Trollen und Terrorisieren?“13 Der IT-Sicherheitsdienstleister Cloudflare kündigte an, das Portal 8chan nicht länger vor Cyberattacken zu schützen. Der mutmaßliche Attentäter von El Paso scheine von der Website zu seiner Tat „inspiriert“ worden zu sein. Damit war die Seite ab August 2019 zeitweise nicht mehr erreichbar. Doch die Nutzer, zu denen auch rechtsextremistisch orientierte „einsame Wölfe“ gehören, haben längst neue anonyme Messageboards ausgespäht.14 Der nach Halle von den Innenministern eifrig beschlossene 9-Punkte-Plan spricht lediglich davon, dass Anbieter von Internetdiensten verpflichtet werden sollen, vor allem bei Morddrohungen und Volksverhetzung die betreffenden Inhalte sowie die IP-Adressen der Urheber einer neu zu errichtenden Zentralstelle beim Bundeskriminalamt (BKA) zu melden. Verge, der Betreiber von Steam, sitzt ohnehin in den USA. Gerade deshalb ist das Maßnahmenpaket nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn die Betreiber sozialer Medien in die Pflicht genommen werden sollen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Diskussion abebben wird, da es auch in Zukunft derartige Taten geben wird. Dabei sollte es nicht nur um ein Mehr an Überwachung und IT-Kompetenz gehen, sondern auch um Deradikalisierungsversuche. Die sollten sich an Menschen richten, die in virtuellen Räumen aus ihrer Bewunderung für solche Tätertypen keinen Hehl machen.

 

 Quellen:

1  Der Spiegel, Nr. 13 vom 23. März 2019; Der Spiegel Nr. 26 vom 22. Juni 2019; Der Spiegel Nr. 42 vom 12. Oktober 2019.

2 Siehe hier meinen Beitrag Nach Christchurch. Die Gefahr des Rechtsterrorismus, in: VEKO online, Juni 2019, https://www.veko-online.de/titel/der-neue-rechtsterroristische-taetertyp-virtuell-aktiv-global-vernetzt-und-rassistisch-motiviert.html (abgerufen am 22. November 2019).

3  Hier lassen sich noch weitere Fälle anführen. Am 3. August 2019 erschoss der 21-jährige Patrick Crusius in einem Supermarkt im US-amerikanischen El Paso, an der Grenze  zu Mexiko, 22 Menschen. Er hatte den Christchurch-Attentäter zum Vorbild und wollte gezielt Mexikaner töten. In Oslo verursachte ein junger Norweger einen Anschlag auf eine Moschee. Er stellte vor der Tat in ein Online-Forum, dass wir uns in einem Rassenkrieg befinden.

4  Siehe ausführlich Florian Hartleb: Einsame Wölfe: Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter, Hamburg 2018.

5  Bayerisches Staatsministerium: Neuer Abschlussbericht an den Landtag, 24. Oktober 2019, München.

6 Eingangsstatement von BfV-Präsident Thomas Haldenwang, Dritte öffentliche Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag am 29. Oktober 2019, https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/vortraege/eingangsstatement-p-20191029-oeffentliche-anhoerung-pkgr-2019 (abgerufen am 22. November 2019).

7 BBC news: US says it will not join Christchurch Call against online terror, 15. März 2019, https://www.bbc.com/news/technology-48288353 (abgerufen am 16. November 2019).

8 Vgl. Manuel Höferling (FDP): „... und täglich grüßt die Killerspiel-Debatte“, Gastbeitrag auf Cicero.de vom 12. November 2019, https://www.cicero.de/kultur/rechtsextremismus-internet-halle-stephan-gamer-szene?fbclid=IwAR0sRu-gQYqUOmydZa1Ann2PDHRfci_TDOuksCZ71jh5wbdzg4GSifYyhnE. (abgerufen am 20. November 2019).

9 Siehe Florian Hartleb: Die Vernachlässigung des vituellen Raums. Erkenntnisse aus dem Münchener Rechtsterrorismus vom 22. Juli 2016, in: VEKO online, Oktober 2018, https://www.veko-online.de/titel/die-vernachlaessigung-des-virtuellen-raums.html (abgerufen am 1. November 2019).

10  Siehe Kira Ayyadi: Antisemitische Tat von Halle. Die „Gamification“ des Terrors – Wenn Hass zu einem Spiel verkommt, in: Belltower News vom 11. Oktober 2019,

https://www.belltower.news/antisemitische-tat-in-halle-die-gamification-des-terrors-wenn-hass-zu-einem-spiel-verkommt-91927/ (abgerufen am 20. November 2019).

11  Siehe die Einschätzung von Stefan Goertz: Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Terrorismus in Deutschland, in: VEKO online, Oktober 2019.

12  Siehe Konrad Litschko: Der virtuelle Terrorist, in: die tageszeitung vom 10. Oktober 2019, https://taz.de/Rechtsextremer-Taeter-in-Halle/!5628879/ (abgerufen am 20. November 2019).

13  Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen. Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren, Berlin 2019, S. 272.

14 Siehe April Glaser: Where 8channers Went After 8chan, in: 11. November 2019, https://slate.com/technology/2019/11/8chan-8kun-white-supremacists-telegram-discord-facebook.html (abgerufen am 20. November 2019).

 

Über den Autor
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb
Dr. Florian Hartleb, geb. 1979 in Passau, ist Affiliated Researcher beim Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) sowie Managing Director von Hanse Advice in Tallinn/Estland. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei Sachsen-Anhalt sowie an der Katholischen Universität Eichstätt und Autor des Buchs „Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter“ (2. Auflage, Hoffmann & Campe: Hamburg, 2020, auch auf Englisch bei Springer und bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Er hat 2004 zum Populismus promoviert und war seither bei Think tanks, als Pressereferent im Deutschen Bundestag und beratend. für das Deutsche Bundespräsidialamt, die Bertelsmann Stiftung, die Deutsche Bundesbank und andere Institutionen tätig.
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