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Wer kittet die Scherben vom Arbeitskampf?

Ein Situationsbericht von Chefreporter Klaus-Henning Glitza

Von „maximalem Druck“, „flexiblem Arbeitskampf“ und „Spiel mit dem Feuer“, das schnell „zu neuen Verbrennungen“ führen könne, war die Rede. Eine Begrifflichkeit, die aufhorchen lässt, die ein Symptom ist für eine neue Art der Wirklichkeit. Die Geschehnisse um den jüngsten Tarifkonflikt der Sicherheitsbranche haben viele offene Fragen hinterlassen. Sie betreffen keinesfalls nur die beteiligten Parteien oder die „Verhandlungskultur“, sondern gehen weit darüber hinaus. Es sind Fragen von gesamtgesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Bedeutung.

Beispiel Nordrhein-Westfalen. Gunnar Vielhaack, der Landesgruppenvorsitzende Nordrhein-Westfalen des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW) und Geschäftsführer der VSU Vereinigte Sicherheitsunternehmen GmbH, ist ein Mann, der keinesfalls zum Dramatisieren neigt. Wenn er kommentiert, die jüngsten Tarifverhandlungen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hätten ihn nachdenklich gemacht, dann weiß man, es muss schon einiges vorgefallen sein.

In der Tat gab es in der Tarifauseinandersetzung gleich mehrere Anlässe, sich zurückzulehnen und irritiert die Gedanken schweifen zu lassen. All dies in der Hoffnung, einer ganzen Reihe von disharmonischen Tönen und einem neuen Stil des Umgangs doch noch einen nachvollziehbaren Sinn zuzuordnen.

Schon bei der Terminierung des ersten Tarifgesprächs lief es alles andere als rund. Als Gunnar Vielhaack einige Monate vor Ablauf des Tarifvertrages mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Kontakt aufnehmen will, wird er auf die Warteschleife verwiesen. Die ver.di-Fachbereichsleiterin für die Sicherheitsbranche in NRW und Verhandlungsführerin Andrea Becker signalisierte, sie habe momentan viele andere, offenbar wichtigere Termine und deshalb vorerst keine Zeit. Wichtigere Termine als Tarifverhandlungen?

 

Securitas

 

Gunnar Vielhaack stutzte, denn jeder weiß, dass solche Verhandlungen einer gewissen Vorlaufzeit bedürfen. Selbst bei einem zügigen Abschluss muss der Markt auf die neue Lage und eine neue Kostenstruktur vorbereitet werden. Bei wesentlich neuen Tarifangeboten werden zudem Landesgruppensitzungen einberufen, die an Ladungsfristen gebunden sind. Das alles geht nicht von heute auf morgen. Darum trifft man sich vernünftigerweise zwei bis drei Monate vor dem Ablauftermin. Unter normalen Umständen, wohlgemerkt.

Doch diesmal lief es anders, ganz anders. Erst am 7. Dezember 2012, drei Wochen vor Ultimo, kam der erste Verhandlungstermin zu Stande. Doch von einer Einigung konnte keine Rede sein. Die Dienstleistungsgewerkschaft stellte hohe zweistellige Forderungen. Arbeitgeberverband und ver.di gingen auseinander, ohne einen gemeinsamen Nenner zu finden. Einen neuen Termin bot ver.di erst zum 18. Dezember 2012 an – wenige Tage vor den Weihnachtsfeiertagen und keine zwei Wochen vor dem Auslaufen des Tarifvertrages zum Jahreswechsel. „Da war es nicht mehr fünf vor zwölf, sondern bereits eine Minute davor“, so ein Beobachter. Auch diesmal gab es keine Einigung. Vor vielen Zeugen erklärte die Landes-fachbereichsleiterin Becker, sie breche die Verhandlungen ab und lehne auch ein Schlichtungsverfahren ab. Begründung: beide Seiten lägen zu weit auseinander. In einer Pressemitteilung ließ ver.di verlauten, dass der Abbruch der Arbeitgeberseite anzulasten sei. Auch das nahm Gunnar Vielhaack mit Erstaunen zur Kenntnis. Andere sprachen von „kreativer Wahrheit“.

Nun war es sicher: Das Neue Jahr würde beginnen, ohne dass die betroffenen 34.000 nordrhein-westfälischen Beschäftigten im Sicherheitsdienstleistungsgewerbe in den Genuss einer Lohnerhöhung kommen würden. Eine Nullrunde der besonderen Art.

Gunnar Vielhaack, Verhandlungsführer der ArbeitgeberseiteDer Grund für das Scheitern der Verhandlungen lag nicht zuletzt in den ver.di-Forderungen, die Gunnar Vielhaack als „völlig überzogen und neben der Spur“ bezeichnete. Selbst objektiv eingestellte Journalisten, die über den Tarifkonflikt berichteten, wunderten sich über die Gewerkschaftsposition. Sie wussten, dass es für sie persönlich zu Gehaltserhöhungen zwischen zwei und drei Prozent kommen würde. Nicht wenige  Beschäftigte aus dem Bereich der Sicherheitsdienstleister, die eigentlich von diesen Forderungen profitieren sollten, nahmen das Adjektiv „utopisch“ in den Mund. Laut Duden ist die Utopie in der „Phantasie möglich, doch mit der  Wirklichkeit nicht vereinbar“. Zur Wirklichkeit gehört es zweifelsohne, dass die Ära der zweistelligen Tarifabschlüsse schon seit geraumer Zeit vorbei ist.

Nichtsdestotrotz zog ver.di selbstbewusst mit Vorstellungen in die Verhandlungen, wie es sie in dieser Form in der Branche noch nicht gegeben haben dürfte. Für die unterste Lohngruppe 7 wurden auf einen Schlag 31 Prozent mehr verlangt, ca. 30 Prozent für die Luftsicherheitsassistenten, die gemäß § 5 des Luftsicherheitsgesetzes im Auftrage der Bundespolizei an den Flughäfen die Passagier- und Gepäckkontrollen vornehmen. Hinsichtlich anderer Luftsicherheitskontrollkräfte wurden gar bis zu 78 Prozent Lohnerhöhungen gefordert.

Das mussten die Arbeitgeber erst einmal verdauen, denn die Lohngruppe 7 gilt für eine große Zahl von Beschäftigten im Sicherheitsdienstleistungsgewerbe. Dagegen bilden die rund 2.000 nordrhein-westfälischen Luftsicherheitskontrollkräfte zwar eine Minderheit, aber auch in diesem Bereich ist der Spielraum begrenzt. Die erhobenen Forderungen galten deshalb selbst unabhängigen Beobachtern als pure Provokation, da sie weder als verhandlungsfähig noch als Basis für eine gütliche Einigung angesehen werden konnten.

Die Hintergründe der ungewöhnlich hohen Forderungen machte ver.di-Verhandlungsführerin Becker in mehreren Pressemitteilungen deutlich, die auf der Homepage der Gewerkschaft veröffentlicht wurden: „Im Sicherheitsgewerbe geht es nicht um ein paar Prozente mehr. Hier müssen wir erst einmal Grund rein bringen“, erklärte sie. Es gelte vielmehr, eine „boomende Branche aus dem Niedriglohnsektor herauszuholen“.

„Wir wollen keine Dumping-Sicherheit – weder bei den Arbeitsplätzen noch für Passagiere oder Unternehmen in sensiblen Bereichen“, so die Fachbereichsleiterin weiter. Eine Schlichtung komme für ihre Gewerkschaft nur dann in Frage, „wenn der letzte Knoten durchgeschlagen werden muss und dies beiden Tarifvertragsparteien nicht gelingt“. Nach „ganzen zwei Verhandlungsterminen habe man zwar grundsätzliche Positionen und Zahlen ausgetauscht, aber sich noch nicht wirklich aufeinander zubewegt, wie es im Laufe von Tarifverhandlungen üblich ist“.

In den Pressemitteilungen sprach ver.di von „Unternehmen mit Milliardenumsätzen“ die in Bilanzpressekonferenzen mit ihren Gewinnen protzten. Damit wurde der Eindruck erweckt, dass die „reiche“ Sicherheitsbranche die geforderten Lohnerhöhungen mit leichter Hand tragen könnte. Milliardenumsätze, konkret etwa fünf Milliarden, werden nach BDSW-Angaben aber in der gesamten Branche der privaten Sicherheitsdienstleister mit ihren rund 184.000 Beschäftigten erzielt und nicht etwa von Einzelunternehmen. Da bei personellen Sicherheitsdienstleistungen die Lohnkosten den bei weitem größten Kostenfaktor darstellen und die verbleibende Gewinnmarge entscheidend ist, sind Umsätze allein nach Auffassung von Fachleuten wenig hilfreich, den finanziellen Spielraum der Unternehmen zu beurteilen. Selbst Gewinne müssen relativiert werden, da sie nicht in allen Fällen allein im Sektor der klassischen Wach- und Sicherheitsdienstleistungen erzielt werden.

Derweil zogen sich die Verhandlungen hin. Auch die vierte Tarifrunde am 18. März 2013 ging ohne Ergebnis zu Ende. Fast drei Monate nach dem Auslaufen des Tarifvertrages war noch alles in der Schwebe. Für ver.di standen die Schuldigen schnell fest: Es waren die Arbeitgeber, die sich einer „vernünftigen Lösung“ verweigerten. Dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft fehle es „an dem Willen, diesen Tarifkonflikt friedlich und verantwortungsvoll zu lösen“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 18. Februar 2013.

Die Zeit des Tarifkonfliktes führte aber auch für völlig Unbeteiligte zu bitteren Konsequenzen. Um ihren besonders hohen Forderungen im Bereich der rund 2.000 nordrhein-westfälischen Luftsicherheitskontrollkräfte Nachdruck zu verleihen, wurde auf den  NRW-Flughäfen Düsseldorf und Köln/Bonn zu insgesamt sieben Streiks aufgerufen. Und dies ohne Urabstimmung, wie Kritiker anmerken. Allein auf dem Flughafen Düsseldorf mussten an einem einzigen Tag (11. März 2013) 180 von 593 geplanten Flügen annulliert werden. Das hat die Flughäfen und die Airlines eine Summe im deutlichen Millionenbereich gekostet.

Auch die Passagiere mussten starke Beeinträchtigungen hinnehmen. Weil sie nicht kontrolliert werden konnten, wie es zwingend vorgeschrieben ist, mussten Zehntausende von Fluggästen am Boden bleiben. Zusammen mit den Flugreisenden, die auf dem Flughafen Hamburg vom ebenfalls von ver.di organisierten Streik überrascht wurden, waren rund 100.000 Passagiere betroffen. Urlaubsreisen konnten nicht zu den vorgesehenen Zeitpunkten angetreten werden, geschäftliche Termine platzten, weil Dienstreisen abgesagt werden mussten. Auf die Betroffenen kamen überdies erhebliche Zusatzkosten, beispielsweise für Hotels und Mietwagen, zu. Und die Bahn machte gute Geschäfte.

Gunnar Vielhaack findet überaus deutliche Worte. Er spricht im übertragenen Sinne von einer Art von Geiselnahme. Denn solche Forderungen, wie sie bei den Luftsicherheitskontrollkräften erhoben wurden, ständen im Grunde außerhalb jeder Debatte. Es sei denn, man habe in diesem Sinne Geiseln – und mache von ihnen Gebrauch. Im aktuellen Fall wären insofern Geiseln genommen worden, „damit 2.000 Menschen ihre Macht ausspielen können“, so formuliert es der nordrhein-westfälische Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes BDSW. Und er fragt: „Dürfen für die Interessen einer relativ kleinen Gruppe von Beschäftigten große Teile des Flugverkehrs lahmgelegt werden?“

Nach Monaten ohne gültigen Tarif kommt es dann schließlich doch noch zu einer Einigung, allerdings erst nach einem Schlichterspruch. Die unteren Stundenlöhne wurden zum 1. Mai 2013 von 8,23 Euro auf 8,62 Euro angehoben – ein Plus von 4,7 Prozent. Ab Januar 2014 folgt eine weitere Erhöhung auf 9 Euro. Auf die zweijährige Laufzeit des Tarifvertrages gesehen, beträgt die Lohnerhöhung insgesamt 10,4 Prozent. Die Löhne der Luftsicherheitsassistenten werden gleichfalls in den genannten zwei Stufen von 12,36 Euro auf 14,70 Euro erhöht, das entspricht insgesamt 18,9 Prozent.

Während die Arbeitgeber, die einen anderen Weg heraus aus dem Dilemma nicht für gangbar hielten, diesen Schlichterspruch zeitnah annahmen, führte die ver.di zunächst eine Urabstimmung durch. Diese zeigte allerdings deutlich, was die Beschäftigten wirklich wollen: Eine überwältigende Mehrheit von 87,04 Prozent stimmte für den Schlichterspruch. Hätte sich eine solche Mehrheit auch bei einer Urabstimmung für den Streik gefunden?

Prof. Dr. Carl Friedrich Frhr. von WeizsäckerInzwischen hat sich auch die renommierte Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung mit Grundfragen des „Arbeitskampfes in der Daseinsvorsorge“ befasst. Zur Daseinsvorsorge gehören neben dem ungehinderten Flug- und Schienenverkehr unter anderem Telekommunikation, Energie und Postdienste. In einer Studie konstatiert die Stiftung, dass solche Streikmaßnahmen „besondere Probleme mit sich bringen“, da sie „üblicherweise nicht nur die Kampfparteien, sondern insbesondere auch die Öffentlichkeit“ beträfen. Der Arbeitskampf entfalte nicht nur Wirkungen auf den eigentlichen Adressaten, sondern auf Dritte, die überhaupt nicht am Verhandlungstisch sitzen.
Diesen Konflikt zu bewältigen könne „nicht der Tarifautonomie überlassen werden, da es an einer Selbstregulierung durch das paritätische Gleichgewicht der Kräfte fehlt“, so die Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung. „Die Öffentlichkeit kann sich nicht mit eigenen Kampfmaßnahmen wehren. Es bedarf daher gesetzlicher Regelungen (…).“

Das ist in der Tat ein wesentlicher Kritikpunkt. Im Falle der streikenden Luftsicherheitskontrollkräfte waren es die Flughafenbetreiber, die Fluggesellschaften und, last but not least, die Passagiere, auf deren Rücken ein Arbeitskampf ausgetragen wurde, in dem sie selbst keine Partei sind. Zwar sprach der DGB-Vorsitzende Michael Sommer laut der „Schwäbischen Zeitung“ davon, die Fluggäste sollten den Arbeitskampf nicht als Belastung, sondern als Hilferuf verstehen. Es stellt sich allerdings die berechtigte Frage, was ein solcher Hilferuf bei Unbeteiligten bewirken soll, die auf die Tarifparteien keinen direkten Einfluss, keine Machtmittel haben. Werden sie nicht vielmehr zu reinen „Druckmitteln“ in einem erbittert geführten Arbeitskampf degradiert, wie Kritiker anmerken?

Wohlgemerkt: Der Wunsch z. B. der Luftsicherheitsassistenten nach höheren Löhnen ist verständlich. Es dürfte wohl kaum einen Arbeitnehmer geben, der sich am Monatsanfang nicht mehr Geld auf dem Konto wünscht. Es ist auch richtig, dass die kurz LSA genannten Fachkräfte eine wichtige, verantwortungsvolle und unverzichtbare Aufgabe bei der Terrorismusbekämpfung erfüllen. Die LSA müssen sich einer keinesfalls einfachen Prüfung unterziehen, bevor sie tätig werden dürfen. Nachvollziehbarer Weise wünschen sich die Luftsicherheitsassistenten mehr Anerkennung, und das selbstredend auch im finanziellen Sinne. Gleichzeitig muss aber beachtet werden, dass die 164-stündige Ausbildung der LSA nicht mit der mehrjährigen Lehre von Facharbeitern vergleichbar ist, die zum Teil auch nicht viel mehr oder sogar weniger verdienen.

Und: Lohnforderungen sollten sich in einem realistischen Rahmen bewegen. Mit Vorstellungen, die an die Radikalforderungen von Lokführer-Spartengewerkschaften und Pilotenvereinigungen erinnern, ist niemandem gedient. „Phantasiewerte“ sind allenfalls geeignet, das Klima zwischen den Tarifparteien zu vergiften und künftige Verhandlungen zu erschweren, wenn nicht gar unmöglich zu machen. Ohne (möglichen) Konsens ist alles nichts.
Bei Gunnar Vielhaack jedenfalls haben die aktuellen Tarifverhandlungen einen denkbar schlechten Nachgeschmack zurückgelassen. „Ich werde eine solche Form der Tarifauseinandersetzung nicht noch einmal hinnehmen “, kündigt er an.

Es sind viele Scherben zurückgeblieben bei diesem Arbeitskampf in NRW. Und die Frage bleibt im Raum: War es das wirklich wert? Es bedarf einer Unmenge von „Kitt“, um das massenhaft zerbrochene Porzellan wieder zu flicken. Und erst die Zukunft wird zeigen, ob das gelingen kann.

 

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